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11 Seiten

80 Days, Kapitel 18, Todesgötter und Reisen

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
Kapitel 18.

Linke Hände.


„Er ist im Krankenhaus. Bei Mogi!“
Souta war so unvermittelt aus der Dusche gesprungen und hatte sich sein Handy geschnappt, dass auf dem Waschbecken lag, dass sich nun über seinen Hintern und seinen Beinen eine Gänsehaut gezogen hatte, die ihres Gleichen suchte.
Mattie hörte ihn aus der Dusche rufen, wußte aber zunächst nichts damit an zu fangen.
„Wer?“, rief sie deshalb zurück. Sie saß im Schneidersitz vor dem uralten Fernseher und versuchte ein ordentliches Programm rein zu kriegen. Das sie in dieser Bruchbude kein amerikanisches Fernsehen haben würde, war ihr von vorne rein klar. Aber gar keines zu bekommen, war frustrierend.
Souta hatte sich ein Handtuch um die Hüften gebunden und hinterließ auf dem Teppich seine Fußabdrücke.
„Na, Ryuzaki. Er hat mir eine SMS geschrieben. Ich soll jemanden anrufen und sagen, dass ich zwei linke Hände habe.“
Nun drehte sich Mattie zu ihm herum.
„Mensch, dass musst du doch niemanden auf die Nase binden.“ , empörte sie sich.
„Sehr witzig. Ich denke, es ist ein Code.“
Sie stand auf, nahm sein Handy an sich und warf einen Blick drauf.
Ein paar Mal las sie.
„Ja, das klingt wie ein Code. Ok, probiere es aus.“
Sie sah auf die Uhr.
„Und am besten machst du es jetzt. Denn gleich holen wir unsere Sachen. Die Läden haben noch eine Stunde geöffnet und ich möchte nicht alles noch eine weitere Nacht dort liegen lassen.“
Das konnte er verstehen.
Was dort unter einer riesigen Plastikmatratze lag, musste schnell in Sicherheit gebracht werden.

**

Laura band sich ihre Haare zusammen. Sie drehte die Tasse Kaffee in ihren Händen und reichte dann das Fernglas an Rheiner weiter.
„Hier. Da kannst du einen halbnackten Mann bewundern.“
Er sah sie an, nahm das Fernglas und schmunzelte.
„Dann warte ich lieber, bis die Holmes duschen war.“
Er schaute trotzdem hindurch. „Was machen die denn da?“
Laura konnte nur raten.
„Entweder sie wundern sich über die Erfindung des Handys, oder aber sie haben ne interessante Nachricht bekommen. Ich tippe auf Letzteres.“
Sie war ein wenig gereizt aber es bewegte sich noch im Rahmen des erträglichen. Seid des ganzen, gestrigen Tages verhielt sie sich mehr als nur zickig, aber es war ja auch ein wirklicher Scheißtag. Dennoch, auch wenn mehr als nur anstrengend; wieder hatte sich Lauras Spürnase als richtig erwiesen. Denn im Gegensatz zu Rheiner, der ja nun mal nicht mit in der Sicherheitsfirma war, konnte Laura praktisch sofort sagen, dass etwas mit dem Typ nicht stimmte, den sie gerade nach Souta und Mattie gefragt hatte.
„Der benimmt sich echt komisch. Ich glaube, dass IST Souta“, erklärte sie, als sie sich wieder zu Rheiner in den Wagen setzte.
„Das hilft uns nicht so viel. Selbst wenn wir ihn uns zur Brust nehmen. Er wird niemals reden.“
Es war Rheiners Instinkt, der ihm verriet, dass es vergebliche Liebesmüh sein würde. Selbst wenn er den jungen Mann bis auf das Blut foltern würde....er würde sich eher selbst den Schwanz ab beißen, als nur ein Wort über Mattie, Mogi oder sonst was zu verlieren. Dieser junge Japaner war Teil eines großen Ganzen geworden. Und wer einmal dieses Gefühl in seiner Seele hatte, starb dafür.
Dieses Gefühl machte aus Menschen Helden.
Aber ebenso eindeutig, wie er nicht reden würde, würde er die Amerikanerin wieder treffen.
Rheiner musste sich auf Lauras Gefühl verlassen und so beschlossen sie, Souta im Auge zu behalten.
Was Souta nicht ahnte war Folgendes: Er wurde, seitdem er in der Firma war, verfolgt.
Und was er auch nicht ahnte, war, dass sie nun beide. Mattie und Souta, durch ein Fernglas beobachtet wurden.
Wieder reichte Rheiner das Fernglas an Laura weiter, die es allerdings achtlos neben sich legte und statt dessen eine Zigarette zwischen ihre Lippen steckte. Sie zündetet sie nicht an, sondern schien nur auf dem Filter herum zu kauen.
Rheiner schaute ihr eine Weile dabei zu, schüttelte dann den Kopf und nickte in Richtung des Fensters.
„Sie machen sich fertig. Das sollten wir auch. Beziehen wir unseren Posten direkt vorm Haus und folgen ihnen dann.“
Laura schnaufte. „Wenn dieser Souta uns wieder durch die halbe Stadt führt und wir dann nur drei Blocks weiter kommen, werde ich ihm höchstpersönlich den Hals umdrehen.“
Rheiner lachte.
„Du musst lernen, Geduld mit deinen Klienten zu haben, Laura. Das ist das A und O. Geduld.“

**

Im Gegensatz zu Laura hatte Ryuzaki Geduld. Er wartete höflich vor Mogis Tür, bis die Schwester mit der Waschschüssel und allem, was sie sonst noch verwendet hatte, um Mogi zu waschen, wieder heraus kam. Sie konnte ihn ja nicht sehen und wenn Ryuzaki es wollte, konnte er sich ebenso vor Mogis Augen verbergen, aber es gebot seine gute Erziehung, solch intimen Momenten fern zu bleiben.
Als die Schwester das Zimmer verließ, trat er lächelnd wieder ein.
Mogi war wach und sein Gesicht hatte Farbe bekommen, aber der Schlauch und das permanente Geräusch der Beatmungsmaschine wollte das, im Grunde, positive Bild wieder zur Nichte machte.
“Wenn Souta alles richtig macht, bekommen wir Hilfe. Aber nur wenn.“
Er sah Mogi entschuldigend an.
“Ich habe nämlich nicht mehr das Gefühl, dass wir es alleine schaffen. Dummerweise muss Souta sehr ...überzeugend sein.“
Mogi blickte Ryuzaki fragend an.
Er wollte was sagen, aber der blöde Schlauch in seinem Hals.
Ryuzaki verstand schon.

“Nun, nach meinem Tod ist über ein automatisches System eine Nachricht über meinen Tod an verschiedene Personen gegangen. Jene Person, die Souta nun kontaktieren soll, gehörte zur Adressgruppe.“
Nun kapierte Mogi. Er nickte leicht und …..

**
…..Souta wählte die Nummer, die Ryuzaki ihm zukommen ließ.
Er wartete bis zum dritten Klingeln, dann wurde abgenommen.
Eine verärgerte Stimme meldetet sich mit: „Was!?“
Die Stimme klang so säuerlich, dass Souta einige Sekunden brauchte, um sich zu fangen, dann stotterte er in seinem besten Englisch, dass er hinbekam, folgenden Satz in den Hörer, während Mattie mit ihrem Ohr ebenfalls am Handy klebte.
„Ich....äm...also...ich habe zwei linke Hände...“
Am anderem Ende wurde es toten still, bis derjenige mit sanfteren Stimme sagte:“ Würden sie das bitte wiederholen?“
Souta und Mattie sahen sich an und Mattie nickte euphorisch.
„Ich habe zwei linke Hände.“, sagte er fester.
Wieder blieb es kurz ruhig: Souta hörte es rascheln. Es klang, als würde sich jemand setzten und dann, als würde jemand lauf seufzen.
Souta wollte schon ein lautes „Hallo?!“ in den Hörer rufen, als er durch die Stimme am anderen Ende deutliche Anweisungen bekam.
„Sie sagen mir jetzt, wo sie sind, und dann bleiben sie genau dort. Sie rufen niemanden mehr an, verlassen nicht ihren Standpunkt, es sei denn, sie befinden sich draußen. Sie öffnen niemanden die Tür und gehen auch nicht weiter ans Telefon. Haben sie das alles verstanden?“
Souta sah Mattie an und diese zuckte die Schultern um zu symbolisieren : Wenn der das sagt, dann ist das so.
Souta stimmte also zu und dann gab er dem anderen seine Adresse.

**

Maric Tepes schrieb sich alles auf und drehte den Zettel, nachdem er aufgelegt hatte, in seiner Hand.
Er saß im Schlafanzug in seinem Bett und seine Gedanken waren ganz ruhig. Man sollte es nicht glauben, denn im Normalfall würde sich jetzt in seinem Kopf alles drehen. Aber sein Hirn war wie leer geblasen. Nur drei Worte waren darin. Sie lauteten: L ist tot.
L ist tot.
L ist tot.
Das waren die Worte, die er auf seinem Monitor gelesen hatte. Damals.
Er konnte sich noch genau an jede Einzelheit erinnern. An jede Einzelheit des Tages.
Zunächst stritt er sich mit seinem pubertierenden Sohn, dann unterhielt er sich mit seiner Nachbarin durch das geöffnete Küchenfenster. Später musste er die Hinterlassenschaften des Hundes im Flur entfernen und dann, ja dann gab sein Rechner den Typischen und unangenehmen Piepton von sich. Das Signal, dass er eine Nachricht bekommen hatte.
Er ging ins Wohnzimmer, öffnete die Nachricht und danach, danach war alles ein wenig verschwommen.
Da stand: L ist tot.
„Großer Gott.“
Das waren die ersten Worte, die er gesprochen hatte.
„Oh großer Gott.“
Das Gesicht des jungen Mannes kam ihn in den Sinn.

Nun schüttelte er sich, drehte den Zettel wieder, so, als würde wie von Zauberhand etwas auf der Rückseite stehen, und stand dann langsam auf.
Er musste nach Japan.

**

Near stieg mit Knien wie aus Gummi aus den Flieger. Man konnte gut erkennen, wie die Anspannung langsam aber sicher von seinem Gesicht abfiel. Seine blassen Wangen versuchten sich wieder mit ein wenig Farbe. Nicht viel, aber zumindest so viel, dass er nicht mehr so aussah, als würde er jeden Moment an Blutarmut zugrunde gehen. Willig ließ er sich von Braun weiterschieben.
„Gehen wir rein.“
Near nickte und sah zu, wie sein Todesgott die Arme vor der Brust verschränkte und den Kopf reckte.
„Ah...Japan. Meine Heimat. Die Sonne über Japan ist die Schönste.“
Near wollte das lautstark anzweifeln und den jungen Todesgott darauf aufmerksam machen, dass jedes Land mit ein und der selben Sonne vorlieb nehmen musste, konnte es sich aber gerade noch verkneifen. Statt dessen blickte er Braun an.
„Ist alles vorbereitet?“
Braun nickte und winkte einen der Helfer herbei, die Koffer, die sie mit an Board hatten, an sich zu nehmen.
„Wir ziehen sofort ein. Das Haus wird ihnen gefallen.“ Er grinste ihn an.
„Ist wie ein altes Spukhaus. Wir haben es nur notdürftig renovieren lassen können.“
Near war es egal. Er hatte nicht vor ewig zu bleiben.
„Solange es mit allen Sicherheitsmaßnahmen ausgestattet ist und ich nicht in einen Eimer....“
Er stockte, weil sein Todesgott neben ihn zu Lachen begann.
„Das wird nicht nötig sein.“, grinste Braun. Aber ehrlich gesagt, hatte er keine Ahnung über den Zustand der sanitären Einrichtungen.

**

Aizawa schmiss seine Jacke über den Stuhl. Er hatte eine Tüte mit Gebäck in der Hand und steckte kurz seine Nase hinein.
„ich weiß, dass ist irgendwie gemein.“, sagte er an Mogi gewandt, aber ich habe wirklich Kohldampf.
Mogi zuckte mit den Schultern.
Ihm machte es nichts aus. Er war wirklich nicht hungrig und davon ab auch guter Laune. Der Arzt hatte ihm in Aussicht gestellt, heute diesen Furchtbaren Schlauch aus seinem Hals entfernt zu bekommen.
„Ich dachte, ich sollte dich darauf aufmerksam machen, dass du Besuch bekommst. Hohen Besuch. Wenn man von der eigentlichen Größe mal absieht. Near ist da.“
Er hoffte auf Mogis Gesicht eine Reaktion zu erkennen, aber Mogi zog lediglich eine Augenbraue hoch und schien damit zu sagen: Und? Meinst du, dass mich das schocken sollte?
„Er möchte sich mit dir persönlich unterhalten.“, fuhr Aizawa fort ohne sich seine eigene Unsicherheit anmerken zu lassen.
Er suchte sich eines der Teilchen aus der Tüte und schob sie sich in den Mund.
Eine Weile kaute er darauf herum, ehe er es trocken schluckte.
„Du weißt, dass er nicht begeistert ist über die...nun, sagen wir mal....komplizierten Entwicklungen.“
Mogi schaffte ein Lachen. Es klang trocken, rau und hohl durch den Schlauch. Aizawa bekam eine Gänsehaut.
Plötzlich hatte er gar keinen Hunger mehr.

**

Die Unterkunft war wirklich sehr bescheiden, aber das alte Haus würde seinen Zweck erfüllen ohne zu große Aufmerksamkeit zu erregen. So bescheiden, schon fast herunter gekommen, wie das Haus von außen aussah, so modern war es innen eingerichtet. Zumindest was die Technik anging. Es war schon beinahe irreal.
War man den Anblick von draußen ausgesetzt, so konnte man sicher gehen, dass niemand Interesse haben würde, diesem Bau einen zweiten Blick zu würdigen. Im heruntergekommen Garten stand fast kniehoch das Gras, vermischt mit verschiedenen Sorten von Unkraut. Einige Disteln standen so hoch, dass sie in voller Blüte mit den Löwenzahn konkurrierten, der seine leuchtenden, gelben Blüten trotzig durch wildes Gras reckte. Das, was einmal ein gut gepflegter Pflasterweg gewesen sein mochte, war nun ein brüchiger, überwucherter Pfad durch einen Dungel aus wilden Kräutern und bunten Feldblumen. Als Near seinen Blick über den zerbrochenen Stein schweifen ließ, erkannte er die dünnen, teils noch feuchten Schleimspuren von Schnecken, die sich ihren Weg über den Pfad von einer Seite des Gartens zur anderen Seite bahnten.
Near schmunzelte. Er hatte nichts gegen Schnecken ein zu wenden.

Die Fassade des Hauses war ergraut und an einigen Stellen bröckelte die Farbe ab. Vom Dach her zogen sich dunkle Schlieren wie Tränen über das Mauerwerk. Es waren die Zeitzeugen jahrelanger Vernachlässigung.
Braun ließ Near nur ungern mitten auf dem Weg stehen und gewähren, schließlich war er für die Sicherheit des jungen Mannes verantwortlich, und nun schob er ihn sachte, aber bestimmt Richtung Hauseingang.
Und spätestens am dem Punkt wußte man, dass man es mit mehr als nur einem altem Haus zu tun hatte. Die Tür war massiv, neu und hoch gesichert.
Und wenn man nun hier stand und sich über diese Tür wunderte, dann musste man nur seinen Blick ein wenig schweifen lassen und plötzlich sah man, was einem auf dem ersten Blick niemals aufgefallen wäre.
Überall, in den Sträuchern, in den Bäumen, in den Winkeln der Hausfassade blickten einen die roten Augen unzähliger Überwachungskameras an.
Sobald Near sie registrierte, wurde er schon von Braun in das Haus geschoben.

Auch hier bot sich ein seltsamer Anblick.
Ein Gegensatz an sich. Zwischen rustikal wirkenden Möbelstücken, die zwar neu waren, aber dem Flair des Hauses entsprechen sollten, standen hochmoderne, technische Geräte.
„Na, da hast du dir ja einen tollen Zweitwohnsitz geschaffen.“
Near versuchte, seinen Todesgott zu ignorieren, musste ihn aber insgeheim zustimmen und wandte sich an Braun.
„Morgen früh will ich als Erstes mit Mogi sprechen.“
Braun sah ihn an.
„Ich werde ihn einen Laptop in sein Zimmer stellen lassen. Gleich um acht.“
Near strafte ihn mit einem verständnislosen Blick..
„Mr. Braun. Glauben sie, ich bin den ganzen Weg nach Japan gereist, um dann lediglich über einen Laptop mit Mr. Mogi zu sprechen? Ich habe vor, ihn zu besuchen.“
Nun war es Braun, dem Unverständnis im Blick lag.

**

Lauras Gewicht drückte ein wenig auf seiner Schulter, aber er wagte nicht, sie zu wecken. Seid sie ihren Posten bezogen hatten...
Er sah auf die Uhr...
...vor fast genau vier Stunden..
war nichts weiter passiert. Der Balkon, von dem aus sie in die neu angemietete Wohnung des Japaners gucken konnten, bot genug Platz, damit sich einer von ihnen ausstrecken konnte. Und das war nun Laura. Sie hatte sich an seine Schulter gelehnt war eingeschlafen. Selbst die Zigarette zwischen ihren Lippen brannte noch.
Er nahm sie an sich, zog ein paar Mal und warf sie in die Nacht, die sich mittlerweile friedlich über Japan gelegt hatte.
Umständlich musste er sich dann aus seinen Mantel puhlen und legte ihn seiner neuen, ungewöhnlichen und sympathischen Bekannten, die mittlerweile zu einer Partnerin geworden war, über den Rücken. Es machte ihm nichts aus, dass sie schlief. Er selbst war noch hellwach. Wieder sah er Souta vom Sofa aufstehen, zum Fernseher gehen, drauf rum schlagen und sich schließlich wieder setzen. Die Ärmsten schienen offensichtliche Probleme mit dem Empfang zu haben. Er beobachtete sogar, wie er aufstehen musste, um das Programm zu wechseln. Souta schien außerdem seine Situation zu teilen. Denn Mattie hatte sich schon lange nicht mehr geregt. Sie war wohl ebenfalls eingeschlafen.
Nun verband ihn etwas mit seinem Klienten. Im Grunde mochte er das. Es war wie ein unsichtbares Band, dass den Jäger mit dem Gejagten verknüpfte. Rheiner gähnte. Er glaubte nicht, dass Mattie und Souta das Haus noch verlassen würden. Aber er würde warten. Und wenn es die ganze Nacht sein würde.

**

Nun, es war nicht die ganze Nacht. Er war eine halbe Stunde später eingeschlafen.

**

Near schüttelte sein Bettzeug auf. Er war in einem weißen Schlafanzug gekleidet und seine nackten Füße platschten auf dem Boden, als er um das Bett herumlief, um aus seinem Koffer ein Buch zu holen, dass er sich für die Abende mitgebracht hatte. Sein momentaner Anblick erinnerte den jungen Todesgott auf schmerzhafte Weise an L.
„Bist du sicher, dass du kein Bett möchtest? Ich habe extra eine Schlafcouch hier reinbringen lassen.“, sagte er in einem beiläufigem Tonfall.
Dabei nickte er auf das eben erwähnte Sofa. Sein Todesgott wandte den Blick ebenso dorthin, zuckte aber mit den Schultern. „Ich häng mich wieder an die Decke.“
Near drehte sich zu ihm um.
„Das mit dem Schlafen an der Decke ist wirklich interessant. Ich beobachte dich manchmal dabei.“
„So? Tust du das?“
Near nickte.
„Ja. Wenn ich meine üblichen Wachphasen habe. Dann sehe ich dich an der Decke hängen. Zusammen gerollt wie ein Embryo. Ist dir bewusst, dass du in der embryonal Stellung schläfst?“
Der Todesgott schüttelte den Kopf.
„Nein, wenn ich schlafe, wie sollte ich mir dessen bewusst sein?“
Darauf wusste der Nachfolger des Legendären keine Antwort.
Aber eine neue Frage hatte er.
„Schlafen alle Todesgötter in solch einer Stellung?“
„Weiß ich nicht. Ich bin gegangen, sobald ich konnte.“
Near blickte ihn an.
„Wie bist du dahin gekommen?“
„Auch das weiß ich nicht. Keiner von ihnen weiß es, Nate. Das ist ein Teil des Puzzles, das man nicht finden kann. Erst das Erwachen. Ja....erst das Erwachen bringt die ersten Erinnerungen an das Dasein eines Todesgottes.“
Near setzte sich auf das Bett. Das Buch hatte er locker in den Händen liegen.
„Und wie war dein Erwachen?“
Light schloß die Augen. Er erinnerte sich an jede Sekunde. An jeden Augenblick, so gerne er auch vergessen würde wollen.
Er...

**


….erwachte schreiend, nass und nackt.
Er lag auf der Seite und die rechte Hälfte seines Gesichtes hatte sich in feinen, ascheähnlichen Staub gebohrt, der auf seinem blassem Gesicht wie eine Kriegsbemalung anmutete. Light brüllte immer noch, als er sich auf den Rücken rollte und seinen Oberkörper krampfartig aufbäumte. Der Himmel über ihn schien so fremd, dass es schmerzte. Sein Atem brannte in seinen Lungen und mit jedem Atemzug sog er mehr Staub ein.
Er japste, schluckte und hustete stark. Nur mir Mühe schaffte er es, sich auf alle Viere zu begeben. Er kotze in den Staub. Unter ihm färbte sich der ausgetrocknete Boden dunkel und sein Erbrochenes vermengte sich mit dem Dreck dieser Erde.
Nicht nur sein Magen machte sich selbstständig. Obschon in dieser Situation, war er peinlich berührt, als seine Blase dem Beispiel seines Magens folgte.
Er konnte nichts dagegen tun. Es lief an seinem Oberschenkel entlang und bildete eine Pfütze zwischen seinen Knien. Automatisch versuchte er, jammernd aus seiner eigenen Lache aus Urin zu entkommen, aber sein Magen war noch lange nicht soweit. Ein neuerlicher Würgereiz übermannte ihn und während er auf seine Hände kotze, und seine Blase offensichtlich immer noch nicht vollständig geleert war, musste er mit haltloser Panik und völliger Verzweiflung heraus finden, dass auch sein Darm einer automatischen Entleerung entgegen sah.
Sein nach Minuten schon völlig entkräfteter Körper schien Erbarmen mit ihm zu haben. Seine Arme knickten ein, als er bewusstlos wurde und er fiel mit dem Gesicht in seinen Mageninhalt.



Er wachte Stunden später wieder auf. Das Gemisch seiner Körperflüssigkeiten und des staubigen, sandigen Boden war auf seiner Haut getrocknet. Er brauchte eine Weile, bis er wieder völlig klar war. Langsam und zittrig schaffte er es, sich wieder auf seine Knie zu begeben. Er kroch ein paar Meter, blickte sich dann um und schüttelte sich. Er ließ sich mit dem Hintern auf seine Fersen nieder und hockte wie ein Kind. Die Arme um den Körper geschlungen suchte er nach Orientierung.
Ein scharfer Wind wirbelte den Teil seines Haares auf, der nicht von seiner Kotze verklebt war.
Sein Verstand arbeitete hart und versuchte, das, was seine Augen sahen, zu verarbeiten.
Zunächst einmal fiel auf, dass das Licht anders war. Man konnte nicht mal sagen, ob es Tag oder Nacht, Nachmittag oder Mittag war. Das Licht schien eine immer währende, gleiche, fast chamois-farbene Frequenz zu besitzen, dass bei Light den Eindruck erweckte, als schaue er auf ein altes, vergilbtes Foto. Die Landschaft, in der er sich wieder fand, glich einem apokalyptischem Endzeit Szenario. Auf dem kargen und vertrocknetem Boden, durch dem sich tiefe Risse wie klaffende Wunden zogen, wuchs in vereinzelten Büscheln etwas, das wie verdorrtes Gras aussah. Grau und fad gab es dem Wind nach, raffte sich aber trotzig wieder auf und streckte die jämmerlichen Ähren dem sonnenlosen Himmel entgegen.
Light tat es ihnen gleich. Tatsächlich schien es hier keine Sonne zu geben. Und er war sich nicht sicher, ob er die Schatten, der er am Himmel sah, Wolken sein könnten. Wenn es Wolken waren, so waren sie nicht geformt, sondern zogen lediglich wie Nebelschwaden über ihn hinweg.
Light senkte den Blick und folgte der Horizontlinie. Obschon das Land aussah, als würde man sich in einer sich endlos erstreckenden Ödenei befinden, ragten am Horizont Gebilde auf, die sich vereinzelnd wie verwitterte und zerfallene Gebäude aus dem Boden gegraben hatten. Auch konnte er eine Hügelkette ausmachen.
Ein neuerlicher Schüttelanfall jagte durch seinen Körper. Es war kalt. Aber es war eine eigenartige Kälte. Keine schneidene Kälte, die ihn durch den Wind auskühlte, sondern eine Kälte, die von innen zu kommen schien. Light sah an sicher herunter und nahm das erste Mal wahr, dass er nackt war. Splitterfaser nackt.
„Ach du...Scheiße..“ seine Stimme klang rau und ausgedörrt. Seine Kehle war trocken und seine Zunge schmeckte nach Sand.
Er stand auf, versuchte sich auf den Beinen zu halten, schaffte es auch und schlug die einzige Richtung ein, die ihm sinnvoll erschien. Gen Horizont.

Er lief eine gute Stunde. Es war, als würde er auf der Stelle treten. Er fiel oft, raffte sich wieder auf und blickte sich um. War er tatsächlich schon vom Fleck gekommen? Waren die Gebäude, die er sah, denn überhaupt näher gekommen? Er dachte schon daran, einfach um zu drehen. Es war eigenartig. Wenn der Mensch nicht mehr weiter wußte, trieb es ihn an seinen Ursprungsort zurück. So sinnlos einem Dieser auch vorkommen mochte. Vor allem der Durst machte ihm zu schaffen. Er sammelte Speichel in seinem Mund und schluckte ihn dann auf einmal herunter, damit sein Mund und sein Hals sich nicht so trocken und rau anfühlten. Aber natürlich half es nichts.
Wenn es hier Pflanzen gab, dachte er, während er an den Büscheln von Gras vorbei ging, musste es auch irgendwo Wasser geben.
Nun, es hatte auch etwas gutes. Der Wind hatte nachgelassen.
Er schaffte ein Lachen. Etwas gutes, hm?
Lights Lachen ging in ein Kichern über, das wiederum in ein Schluchzen. Er war so ausgedörrt, dass er nicht mal mehr Tränen hatte. Dennoch wischte er sich mit den Händen über die Augen. Er holte ein paar mal tief Luft und …..etwas blinkendes erweckte seine Aufmerksamkeit.
Light musste einen kleinen Schwenk nach rechts machen, um es zu erreichen. Es waren nur ein paar Meter. Auf den Boden, teilweise vergraben von Dreck, lag ein Knopf.
Ein kleiner, runder, metallfarbener Knopf.
Light neigte den Kopf und bückte sich danach. Fasziniert drehte er ihn in den Händen.
„Guck an. Ein Knopf.“
Wo ein Knopf war, musste es auch Kleidung geben, zu der eben jener Knopf gehören musste.
Light grinste.
Das hier war nicht das Nichts, das Ryuk so angepriesen hatte. Das hier war ein „Etwas.“
Mit dem Knopf in der Hand setzte er seinen Weg fort und.....

**

...“ ...hast du noch mehr gefunden?“
Light blinzelte.
Near hatte ihn mit seiner Frage völlig aus seinen Erinnerungen geholt.
Der junge Todesgott war im Laufe seiner Erzählung im Schneidersitz etwa einen Meter über den Boden verweilt und nun blickte er seinen Menschen in Augenhöhe an.
„Ich glaube, das sind genug Geschichten für heute Nacht.“, beschloss er.
„Vielleicht werde ich dir morgen etwas mehr erzählen.“
Near nickte. Er würde gerne mehr hören, aber er wusste, dass er ihn nicht dazu drängen konnte.
Also kroch er mit den Füßen unter seine Decke und knüllte sein Kissen zurecht.
„Ich weiß nicht, was du träumst.“, sagte er. „Aber ich wünsche dir angenehme Träume.“
Light nickte.
Er kannte seine Träume.
Und letzte Nacht hatte er von ihm geträumt. Von den dunklen Augen, die ihn aus ihren Schatten heraus betrachteten. Er hatte von L geträumt.
Seid er hier war, seid er wieder in Japan war, konnte er ihn förmlich schmecken.
Er wusste nicht, wieso sich dieses Gefühl in ihm breit machte. Dieses wissende, alles beherrschende Gefühl.
L war tot. Er war in seinen Armen gestorben...aber bei Gott und allen Göttern...er würde ihn wieder sehen.
Davon träumte er.
Und er wünschte sich, er würde nicht mehr daraus erwachen müssen.
 
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Kommentare  

So, jetzt habe ich mich bis zu diesem Kapitel durchgearbeitet und muss sagen: Eine sehr spannende Fanfictionstory, bei der ich dranbleiben werde.

Gerald W. (16.07.2011)

Schön, dass Mogi lebt. Ich hätte ihn vermisst. Aizawa ist wirklich ein Fiesling, aber Mogi lässt sich nicht unterkriegen. Auch Ryuzaki zeigt sich kämpferisch. Immer mehr hat er den Dreh raus ins Leben einzugreifen. Schön, dass die Fieslinge, Laura und Rheiner auch ihre Schwächen haben.

Else08 (14.07.2011)

Light tut einem so als Todesgott, schon fast leid. Aber wie ich von dir erfahren habe, ist mit dem "nicht so gut Kirschen essen!" Near fügt sich völlig Brauns Anweisungen. Was genau die drei vorhaben ist mir noch nicht klar. Aizawa will jedenfalls Mogi "weich kochen" aber so schnell lässt sich dieser nicht einschüchtern. Schön, dass sowohl Laura als auch Rheiner Souta und Mattie nicht auf ewig beobachten konnten. Es ist alles sehr spannend.

Dieter Halle (13.07.2011)

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