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3 Seiten

"Ach,..."

Spannendes · Kurzgeschichten · Experimentelles
Gerüche, vielfältige Gerüche; ein Geruchsmolekül links erregt kurz Aufmerksamkeit. Der Kopf neigt sich in diese Richtung. Dann plötzlich ein viel interessanterer Geruch von rechts, nun neigt sich der Kopf fast automatisch willenlos in diese Richtung. Ein Geräusch von dort, die Ohren stellen sich auf, ein Rascheln, intensiveres Schnüffeln. Der Geruch verstärkt sich, zwei Schritte. Ein weiteres raschelndes Geräusch, noch intensiverer Geruch. Ein Ducken, ein Schleichen, ein Heranpirschen. Die Augen starren, die Muskeln angespannt, das Herz rast.
Noch ein Rascheln, kurz innehalten, plötzlich ein Schatten! Die Muskeln angespannt, nun so hart wie Stahl. Kurz vor dem Sprung.
Noch ein Rascheln, warten, lauschen, bereit sein... - und... - da ist der Schatten plötzlich wieder! Jetzt geht es ganz schnell: ein Sprung nach vorne, gleichzeitig fahren Krallen aus, der Geruch so stark wie nie, unwiderstehlich, unaufhaltsam, BLUT-RAUSCH.
Ankommen, Krallen hacken sich in weiches Gewebe, rasiermesserscharfe Zähne ebenfalls, Genickbruch und dann... - Tot.
Es folgt ein fiebriger Leichenschmaus.
Danach sucht sich die Katze ein gemütliches Plätzchen, um die Maus zu verdauen, die sie gerade gierig gefressen hat. Die Katze gehört übrigens Jonathan, ein BWL-Student der kurz davor steht, sein Studium aufzugeben. Denn er hat jetzt endlich nach dem dritten Semester erkannt, dass solch ein Studium, vor allem solch ein Habitus, wie er dort verlangt bzw. gebildet wird, je nachdem was für eine Lösung man auf das Ei – Huhn – Problem gefunden hat, in keiner Weise seinem Wesen entspricht.
Er kommt gerade von einem langweiligen Seminar von der Uni zu seiner kleinen einsamen Wohnung irgendwo in der Altstadt zurück.
Was für ein Hundeleben, denkt er gerade so bei sich, als er bemerkt, dass seine Katze draußen am Fenster kratzt und hereingelassen werden möchte.
Gedankenverloren geht er zum Fenster hin, öffnet es und lässt die Katze zu sich herein. Diese schaut nun kurz verächtlich zu ihm hinauf, fast so, als wolle sie ihm damit mitteilen, dass das gerade viel zu lange gedauert hat, springt dann gemächlich vom Fenstersims in die Wohnung hinein und schleicht irgendwo in eine dunkle Ecke.
Derweil schaut Jonathan aus dem Fenster. Es ist ein regnerischer Tag, die ideale Kulisse für seinen derzeitigen Gemütszustand. Denn er hat Angst, Angst vor seiner Zukunft. Irgendwie scheint für ihn alles im Umbruch begriffen zu sein, da sein Traum, den er einmal geträumt hat, geplatzt zu sein scheint. Es war der Traum eines glücklichen Lebens gewesen, eines Lebens mit einem abgeschlossenen BWL-Studium und einem angemessen bezahlten Job. Ein Traum von Urlaub in der Karibik, einer wundervollen, schönen Frau an seiner Seite und einem großen Haus mit einem großen Garten. Diese Gedanken fühlen sich für ihn immer noch wie eine Überwältigung seiner Sinne an, und der Verlust dieses Traumes wie seine persönliche Menschlichkeit der Angst.
Er schaut den Regentropfen zu, wie sie an der Scheibe seines Fensters herunterlaufen. Was hat das alles überhaupt noch für einen Sinn?, denkt er dabei bei sich. Weshalb sollte er denn jetzt wieder ganz von Vorne beginnen? Ist es hierfür nicht schon viel zu spät für ihn?
Angesichts dieser neuerlicher Gedanken schleicht sich plötzlich ein Gefühl bei ihm ein, ein Gefühl des Entsetzens. Noch schlimmer wird es, als er bemerkt, dass er dieses Gefühl nicht abschütteln kann, genau so wenig wie diesen Gedanken. Aber irgendwie hat er sich nun an dieses neue starke Gefühl gewöhnt.
Schon erstaunlich, wie schnell so was gehen kann. Allerdings ist es wahrscheinlich nur deshalb so schnell bei ihm gegangen, weil sein vorheriges Gefühl noch viel schlimmer und noch viel unerträglicher gewesen war. Es war nämlich das Gefühl von Leere, unendlicher Leere – und ein Gefühl von Angst gewesen. Angst vor dem Ungewissen der Zukunft und vor allem Angst vor dem alleine-sein-müssen.
Das Entsetzen breitet sich weiter in ihm aus, als er den Stuhl an diese eine Stelle, die ihm schon öfters zuvor mal aufgefallen war, aufstellt. Eigentlich hatte er diese Stelle schon am ersten Tag seines Einzugs bemerkt gehabt. Da gibt es nämlich in seinem Esszimmer, direkt über einem der dortigen Balken an der Decke, einen sonderbaren Hacken. Er hatte schon immer mal wissen wollen, wofür dieser eigentlich dort angebracht worden war. Vielleicht genau für das, was er jetzt vor hat? Hatte hier vielleicht schon einmal jemand die gleiche Idee wie er gehabt?
Möglich, denkt er bei sich, als er in den Regalen in seiner Küche nach einem Seil sucht. Warum hatte er sich dieses Seil eigentlich gekauft gehabt?
>Komm schon, alter Junge<, sagt ihm plötzlich seine innere Stimme. >Du weißt es ganz genau. Was macht es für einen Sinn, sich jetzt noch irgendetwas vor zu machen?<
Jonathan schüttelt energisch seinen Kopf. „Nein!“, sagt er daraufhin laut in seine Küche hinein, so als würde er dies zu einer tatsächlichen Person sagen, und nicht nur zu sich selbst. „Es war für diese eine Sache! Für, Moment, gleich weiß ich es wieder, ach ja! - es war zum Klettern gewesen! Ich wollte damit klettern gehen! Das wollte ich schon immer mal machen! Und jetzt, wo es doch ganz hier in der Nähe diese Möglichkeit gibt, da wollte ich das auch mal ausprobieren! DESHALB habe ich mir dieses verdammte Seil hier gekauft!“ Und er hält es triumphierend in die Höhe, weil er es im gleichen Augenblick gefunden hat.
>Ach ja?<, fragt daraufhin seine innere Stimme, so als warte sie gar nicht auf eine Antwort.
„Ja, verdammt noch mal!“, brüllt Jonathan, geht dann mit dem Seil energisch in sein Esszimmer zurück, stellt sich entschlossen auf den Stuhl dort, fädelt das Seil durch diesen verdammten Hacken da oben ein, der jetzt noch mehr so aussieht, als sei er für ganz genau dies vorgesehen, und bindet anschließend gekonnt eine dieser Schlaufen, so als habe er in seinem ganzen Leben noch nie etwas anderes getan.
Als er sich die Schlaufe um den Hals legt, wackelt der Stuhl derweil bedrohlich unter ihm hin und her. Eigentlich war der Stuhl schon immer kaputt gewesen, schon als er ihn vom Sperrmüll mit nach Hause genommen hatte.
Plötzlich denkt er so bei sich, was wohl ein Mensch denkt, Sekunden vor seinem Tod? Im gleichen Augenblick bemerkt er seine Katze unter sich, die laut miaut. Wahrscheinlich möchte sie wieder hinaus gelassen werden.
Er versucht zu ihr herab zu schauen, wofür er sein Gewicht ein wenig verlagern muss. „Ach, wäre man doch nur eine Katze, dann wäre das Leben mit Sicherheit viel einfacher“, möchte er denken, allerdings bricht der Stuhl bei seiner Gewichtsverlagerung vollends unter ihm zusammen, woraufhin er nach unten saust und nur von seinem Seil um seinen Hals davon abgehalten wird, den Boden zu berühren. Sein Genick bricht dabei auf der Stelle, weshalb sein letzter Gedanke Sekunden vor seinem Tot lediglich „Ach,...“ ist.
 
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Kommentare  

@ Petra
Vielen Dank für deine Kommentare. Es ist interessant: ohne Dich gäbe es diesen Text gar nicht, sondern nur das Gedicht. Dieses Experiment hat mir sehr viel Spaß gemacht, auch wenn die Geschichte letztendlich ein wenig düster geraten ist. Kommt mir fast so vor, als könnte ich gar nix dafür. Denn manche Texte schreiben sich fast wie von ganz alleine.

@ Geminus
Auch Dir danke ich für deinen Kommentar. Es freut mich, dass Dir dieser Text gefällt.

Und auch ein Dank an Sabine (siehe Kommentar zu dem Gedicht, auf dem dieser Text beruht). Ohne sie käme in dieser Geschichte gar keine Katze vor, was schade gewesen wäre, weil gerade dieser Teil mir zu schreiben den meisten Spaß bereitet hat.


Siebensteins Traum (02.08.2011)

Wer kennt sie nicht, die Stimme im Kopf, die hin und wieder daran erinnert, was für ein hoffnungsloser Looser man doch ist.

Da hilft nur der imaginäre Stinkefinger im eigenen Kopf!

Toll geschrieben!


Geminus (02.08.2011)

Übrigens, eine schöne eindringliche Kurzgeschichte. Und passt sehr gut zu deinem vorherigen Gedicht.

Petra (02.08.2011)

Furchtbar, aber du machst mit deinem Text sehr gut verständlich, weshalb es manchmal zu so einer Irrsinnstat kommen kann.

Petra (02.08.2011)

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