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3 Seiten

Der Entschluss

Fantastisches · Kurzgeschichten
Dieser tragischer Zwischenfall blieb für Mukhtar nicht ohne Folgen. Schon kurze Zeit nach dem tödlichen Ereignis, kehrte sich die Wut von Tamima, der Witwe des Dorfältesten, mit aller Schärfe und Unbarmherzigkeit, gegen Mustafa N´Atter und die Jungen. Noch während sie schreiend am Leichnam ihres Mannes verharrte, suchte sie nach Steinen, die sie gegen die vermeintlichen Schuldigen schleudern wollte. Sie drehte sich jäh um, und warf den ersten Stein gegen Mustafa N´Atter, der ihn hart an der Schulter traf. Er richtete seinen Blick reumütig und ergeben nach unten, wich dennoch allen folgenden Steinen geschickt aus, schulterte in einem günstigen Augenblick blitzschnell seinen Schlangenkorb, lief mit schnellen Schritten die Düne hinauf und war bald allen Blicken entschwunden. Doch die Schuldzuweisungen der Witwe blieben! Sie kehrten sich nun gegen die, noch vor Schreck gelähmten, Jungen:
„Und ihr, ihr habt diesem Mörder noch das Leben gerettet! Das Leben gerettet, um meinen Mann zu töten. Oh, Schuld und Fluch über euch. Verschwindet aus meinen Augen!“ Sie weinte laut und schrie: „Oh, weh, wer soll denn nun mit mir shoppen gehen? Wer soll mir meine neuen Schuhe, und wer mein Collier, das ich eigens für mich bei SCORPIER, dem Hof-Juwelier des Sultans, habe anfertigen lassen, bezahlen? Wer soll mir nun jeden Wunsch von den Augen ablesen, wer mir mein weiteres Leben und meinen Altenteil versüßen? Oh, bei Allah, Schande über den Alten. Allah möge ihn den Weg zum Paradies versperren und ihn auf ewig im Höllenfeuer schmoren lassen! Ohhhhh, bei allen Höllen! Er war einfach zu geizig für seine Lebensversicherung zu meinen Gunsten, denn er sagte immer, dass ihm die Prämien bei der „SULTAN WÜSTEN-HEIMER“ zu hoch sei, und ich muss es nun büßen! Aber jedes Jahr ein neues Kamel der Oberklasse, das galt als Sport für den Alten, das war Pflicht! Und ich muss mich nun mit der Kür herumschlagen, die mehr als mager ausfallen wird!“
Dann kam sie zu sich und starrte die Jungen, die sie während ihres selbstmitleidigem Anfalls vergessen zu haben schien, aus stumpfen Augen an und murmelte bedrohlich:
„Vergesst, was ihr hier gesehen und gehört habt! Sonst…!“
Sie hob einen Stein an und machte einen entschlossenen Eindruck!
Die Jungen starrten die Witwe verständnislos an, schüttelten den Kopf und Achmed rief entsetzt: „Die Alte ist wahnsinnig geworden, schnell fort von hier!“
Sprachs und rannte gemeinsam mit den anderen wie vom Leibhaftigen getrieben, laut schreiend, davon.

Mukhtar, in der Hütte seines verstorbenen Vaters angekommen. Er überlegte lange, was nun zu tun sei, und plötzlich spürte er, was schon lange überfällig war. Nämlich, dass er nicht länger in diesem Dorf bleiben konnte.
„Was hilft es mir Trübsal zu blasen!
Habe ich etwa Hassan Ibn Odd Set, den Dorfältesten umgebracht? Nein!
Bin ich Schuld an seinem Tod? Nein!
Wird man das hier im Dorf verstehen oder verstehen wollen? Nein!
Ich glaube, meine Zeit hier im Dorf ist jetzt erfüllt! Das Maß ist voll, es reicht! Mein Vater der alte Schuhflicker ist tot, es ist niemand mehr da, bei dem ich mir mein Herz ausschütten und der mir beistehen kann! Zu dem üblichen Spott und Hohn im Dorf, werden nun noch die Anfeindung und die Verachtung kommen! Oh, das kann ich mir gut vorstellen!
Muss ich das haben? Nein!
Mein Vater der alte Schuhflicker sagte außerdem immer: An dem Ort, an dem die Münze geprägt wird, taugt sie nichts! Was mag das bedeuten? Wahrscheinlich, dass es nun an der Zeit ist, diesen Ort, meine geliebte Geburtsoase zu verlassen, weil es bestimmt an einem anderen Ort besser ist, denn schlechter kann es nicht werden! So werde ich jetzt in die Welt hinausgehen müssen, um dort mein Glück zu machen. Aber Glück, was ist das? Für mich bedeutet Glück, ein Stückchen Brot und ein Schlückchen Wasser, eine trockene Bleibe und keine Gefahren von Banditen und wilde Tiere auf meinen Wegen. Wenn mir Allah dann auch noch Mut und Kraft für mein neues Leben verleiht, will ich damit zufrieden sein. Wenn mich Allah noch weiter begleitet und nicht aufhört mir gnädig zu sein, so werde ich mein Glück in der Fremde finden! Mein Vater der alte Schuhflicker sagte immer: „Niemand weiß, was er in der Fremde vorfindet!“ Ich weiß: Er findet Fremde! Ich glaube: Ein Fremder ist immer ein Feind, wenn man es nicht schafft, dass er sein Freund wird! Aber was mache ich mir hier für Gedanken? Bin ich nicht wie geschaffen für die Fremde? Wer mir etwas tun will, der hat keinen Verstand! Zugegeben, mit meiner krummen Gestalt bin ich wahrlich kein Adonis. Aber dafür schenkte mir Allah kein Spatzenhirn, ein nicht gerade hässliches Gesicht und meine liebenswürdige Art. Wer glaubt, dass er mit meiner liebenswerten Art nicht zurechtkommt, kann mir als Freund auch gestohlen bleiben!“
Er grunzte zufrieden, wie ein satt gefressener Igel und schloss seine Betrachtungen mit folgender Quintessenz:
„Nun weiß ich wenigstens, wie ich einem Fremden begegnen kann und wie ich ihn zu nehmen habe!“
Dann schulterte er sein Marschgepäck und resümierte erneut:
„Wohlan mit viel Geschwätz ist noch keiner an sein Ziel gekommen, denn mein Vater der alte Schuhflicker sagte immer: „Nur wer den ersten Schritt tut, kann auch sicher sein, dass er irgendwann sein Ziel erreicht!“
Sprachs, kontrollierte den Sitz seines Marschgepäcks auf dem Rücken und verließ, bewaffnet mit einem kräftigen Wanderstab, die Hütte seines Vaters und den Ort seiner Jugend. Nichts hielt ihn mehr an diesem Platz, der ihm den Abschied, nach den jüngsten Erfahrungen auch nicht sonderlich schwer machte.
 
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Kommentare  

Ich finde Mukhtars Entscheidung richtig. Was soll er noch da? Schön lebendig geschrieben. Bin gespannt was er nun erleben wird.

Else08 (18.01.2012)

Hallo Gerald, nun die Geschichte um Omar und Latifa ist nun zu Ende. Sie dienten nur im übertragenen Sinne als Mobile, soll heißen: für die Geschichte mit der Wette um Hasan, dessen bösen Charakter ich mit deren Hilfe rausstellen wollte. In der Geschichte Mukhtars erfährst du, dass Omar überlebt und wahrscheinlich auch den Gewinn, den sich Latifa ausmalte, kassiert hat.
Ich freue mich,dass Du so viel Anteil an der Geschichte nimmst und kann Dir auch weiterhin (in den folgenden 70 Geschichten ca.) viel Spass und gute Unterhaltung garantieren.


Andreas Tröbs (18.01.2012)

Und nun geht es wohl mit den Abenteuern
Mukhtars los. Aber was ist aus Omar und Latifa geworden? Hat er überlebt und wie sieht es mit den Wetteinnahmen für ihn und seine Familie aus? Ich denke mal, dass du auch etwas geschrieben haben wirst, was wir bald erfahren werden.


Gerald W. (17.01.2012)

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