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11 Seiten

Ahrok - 44. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Vierundvierzigstes Kapitel: Von Lichtenstein

„Wie es aussieht, hab ich dich gewaltig überschätzt, Bernhard.“
Der Hauptmann zuckte ängstlich zusammen.
Gerade erst waren seine beiden ärgsten Feinde an ihm vorbei in die Freiheit marschiert, besser gesagt getragen worden, und jetzt meldete sich auch noch der Dämon nach all der Zeit urplötzlich wieder.
Diese Schmerzen, als sich der Wurm um seine Hirnrinde schlängelte, waren kaum auszuhalten. Er hatte ganz vergessen, wie grauenhaft dieses Gefühl war. Verstohlen blinkte er nach links und rechts, ob ihn gerade niemand beobachtete.
„Oh Meister, wie gut von euch zu hören. Ich dachte schon ihr hättet euren treusten Diener vergessen“, säuselte Bernhard so demütig er nur konnte zwischen seinen zusammengepressten Zähnen hervor. „Mich trifft an all dem keine Schuld. Allein die unfähigen Nyoka´tuk haben diesen schönen Plan zunichte gemacht. Ich tat alles, so wie Ihr es mir aufgetragen hattet!“
Es war, als platzte Bernhards Schädel, als die dämonische Stimme zu lachen begann: „Tu nicht so naiv, Bernhard. Glaubst du deine Ausflüchte interessieren mich? Oder willst du damit sogar andeuten, dass ich es war, der einen Fehler gemacht hatte? Du hast wirklich Mut, kleiner Sterblicher! Wieso sind die beiden Krieger nicht tot, so wie du es schon hundertmal versprochen hast?“
„Sie hatten einfach nur Glück…“
„Hör auf Ausflüchte zu suchen, Bernhard!“, unterbrach ihn die donnernde Stimme. Der Schmerz war so unerträglich, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb. „Wir beide wissen ganz genau, dass es so etwas wie Glück nicht gibt. Nur die Gunst oder den Fluch der Götter.“
Der Hauptmann sank in sich zusammen.
Blut tropfte ihm aus der Nase in den weißen Schnee.
Nach kurzer Zeit begann die dröhnende Stimme wieder zu tönen: „Nun, Bernhard, ich muss dir zusprechen, dass deine Chancen, gegen sie zu bestehen, gering waren. Ich erkenne seine Art. In seinen Adern fließt mächtiges Blut. Und ich muss zugeben, dass mich die Ereignisse der letzten Monate trotz deines Scheiterns wahrhaft erheitert haben. So viele Tote zu meinen Ehren gab es schon seit Ende des letzten großen Krieges nicht mehr.“
Noch immer verharrte der Hauptmann regungslos vor Schmerzen auf seinen Knien. Konnte der verdammte Dämon nicht endlich zur Sache kommen? Jedes Wort krachte wie ein Hammerschlag in seinen Schädel.
„Jedoch… um bei der Wahrheit zu bleiben – du hast versagt. Erbärmlich, nicht wahr? Ich legte das Schicksal dieser Stadt in deine Hände und du hast nichts vollbracht. Es hat sich gar nichts verändert. Alles ist noch genau so, wie es schon vor einem Jahr war. Vielleicht wird es Zeit, dass ich mir ein nützlicheres Dienerlein suche.“
Ein paar Stadtwächter, die ihn dort im Schnee knien sahen, eilten ihm sofort zu Hilfe.
„Was ist mit ihnen, Hauptmann Schreiber? Geht es ihnen nicht gut?“
„Es… ist nichts…“, presste er hervor, als sie ihm aufhalfen. „Nur der Ärger und eine kleine Migräne.“
„Enttäusche mich nicht noch einmal, Bernhard. Die Konsequenzen für dich wären unvorstellbar.“
Endlich verstummte das Dröhnen in seinem Kopf, doch der stechende Schmerz, den der sich windende Hirnwurm hervorrief, wollte nicht verschwinden.
Er richtete sich langsam auf und schob die helfenden Hände beiseite. Sorgsam strich sich seine Kleidung gerade: „Männer, bitte verzeiht mein unziemliches Verhalten. Das macht die Aufregung der letzten Tage. Es war für uns alle doch etwas zu viel.“
Entschuldigend nickten ihm die Wächter zu: „Natürlich, Herr Hauptmann.“
Ohne ein weiteres Wort ließ er die Männer stehen und verließ das Grundstück des Bernsteinschlosses. Ihm zitterten die Knie und das Herz schlug ihm bis zum Hals.
Der Dämon in seinem Schädel würde niemals Ruhe geben, würde ihn niemals wieder freilassen, aber es gab keinen, der ihm aus dieser Patsche wieder heraushelfen konnte.
Die Hexenjäger hatten ein Auge auf ihn, dessen war er sich sicher.
Ab jetzt würde es nur noch komplizierter werden. Der Plan für die nächsten Wochen war es, einfach nur noch irgendwie am Leben zu bleiben.

„Wo willst du schon wieder hin, Ariane? Du sollst doch das Bett hüten, hat der Doktor gesagt. Außerdem kümmert sich Rosalinde um unsere beiden Gäste.“
„Onkel, ich bin doch kein kleines Mädchen mehr!“
„Und ob du das bist.“ Graf Herbert von Lichtenstein mochte es gar nicht wenn seine Nichte so aufsässig wurde. „Es ziemt sich nicht für eine Komtess, sich mit solchen Leuten abzugeben.“
„Aber er hat mir das Leben gerettet.“
„Und ich ihnen das ihre. Wir haben unsere Schuld beglichen. Mehr noch, ich hab sie sogar dir zuliebe in meinem Haus aufgenommen und die gute Rosalinde beauftragt, ihre Wunden zu versorgen. Obwohl das bestimmt keine Heiligen sind, die Typen sind gefährlich. Ich habe manchmal das Gefühl, mir meinen eigenen Untergang in das Haus gebracht zu haben. Bei allem was mir heilig ist, bitte halt dich fern von ihnen, mein Spätzchen.“
Wortlos verließ Ariane das Zimmer.
Herbert von Lichtenstein wusste genau wo sie hinwollte. Die Kleine war genau so stur wie ihre Mutter, der Namenlose habe sie selig.
Unschöne Erinnerungen an die Familiengeschichte quollen in ihm hoch.
Was hatten sie nicht schon alles durchmachen müssen.
August sein Halbbruder und einzig magiebegabter von Lichtenstein in einer langen Reihe von Ahnen hatte das Unheil damals über ihre Familie gebracht. Er, der den Tod seiner Frau am Kindbett nicht hatte verwinden können und sich daraufhin Wegen der Magie verschrieben hatte, die für niemanden zugänglich sein sollten.
August der Bleiche, August der Schwarze… etliche Beinamen hatte ihm die Dienerschaft schon zu Lebzeiten verliehen und es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die Inquisition auf die ganze Familie aufmerksam geworden war.
Die Ermittlungen hatten nur kurz angedauert und allein der Prozess war noch schneller vorbei gewesen. Bei Nekromantie kannte die heilige Inquisition kein Pardon. Man hatte August gehängt und danach gevierteilt. Der Rest seiner Familie, darunter auch Herberts Frau und Kinder sowie ein Großteil der Dienerschaft waren noch am selben Tage den läuternden Flammen übergeben worden.
Es war nur der Gnade der Götter zu verdanken gewesen, dass er sich zu dem Zeitpunkt mit der kranken Ariane in Bevertal bei einem Heiler befunden hatte. Großinquisitorin von Braun hatte in einem Anflug von ungewohnter Menschlichkeit nach seiner Rückkehr davon abgesehen, die verhängte Strafe auch auf sie beide auszuweiten und so führte er nun seit über zehn Jahren das Andenken seiner verfluchten Familie weiter.
Es hatte so viele Jahre gedauert, um in der Gesellschaft wieder Fuß zu fassen und wenn Ariane erst einmal verheiratet war, dann wäre auch der letzte Schritt zur Rehabilitation getan. Ein paar Monate nur noch, vielleicht ein Jahr, dann war sie unter der Haube und dieses ständige Ringen um Anerkennung würde dann zu Ende sein.
Herbert wusste nicht, ob Ariane ebenso unter der Vergangenheit litt wie er. Es war schwer für ihn zu sagen, an wie viel sie sich überhaupt aus ihrer Kindheit erinnerte, denn sie sprachen nie über ihren Vater und sein grausiges Erbe.
Wenn es sie überhaupt gab, dann waren ihre Erinnerungen sicherlich nur noch unschöne, verblasste Narben auf ihrer Seele und sie war in den letzten Jahren zu einer prächtigen Frau herangewachsen, auf die er sehr stolz sein konnte.
Bisher hatte er die Vaterrolle sehr gut gespielt und sie noch vor jeder Dummheit oder Schicksalswidrigkeit beschützen können. Er hoffte, dies würde auch nach den Ereignissen der letzten Tage so bleiben.
Jede erneute Aufregung könnte vielleicht alles wieder aufbrechen lassen. Wer wusste schon, wie ähnlich sie ihrem richtigen Vater wirklich war. Herbert selbst wachte schließlich noch jede Nacht schweißgebadet auf, weil ihn diese Monster vom Winterball bis in den Schlaf verfolgten. Nie in seinem Leben hatte er je eine solche Angst verspürt.
Es war ihnen so viel Schreckliches widerfahren und er wusste nicht, wie seine kleine Nichte damit fertig wurde. Ganz sicher fiel es ihr nicht leichter als ihm, das Grauen auf dem Fest zu überwinden.
Da half es sicherlich auch nicht, sich durch unvernünftige Schäkereien mit einem Schläger aus der Unterschicht die Zukunft zu verbauen. Ariane war zwar rechtmäßige Erbin des Titels Gräfin von Lichtenstein, jedoch bis zu ihrer Heirat oder Volljährigkeit war er ihr Vormund, der Herr der Ländereien und Verwalter des Jahr für Jahr schrumpfenden Familienbesitzes. Sein kleines Mädchen hatte noch so viel zu lernen. Sie wusste doch noch so wenig von der Welt.
Es war ganz sicher ein Fehler gewesen, diese Subjekte hier aufzunehmen. Herbert erkannte dies nun nur zu genau. Die vielen Anschuldigungen des Hauptmanns waren gewiss nicht aus der Luft gegriffen. Zweifelsohne waren die zwei ungemein gefährliche Zeitgenossen.
Seit er sie auf seinem Grundstück wusste, schlief er immer mit einem Dolch in Reichweite. Zwar bezweifelte der Graf, dass sie in ihrem geschwächten Zustand hier wirklich ernsthaft Schaden anrichten könnten, doch das ungesunde Interesse, welches seine Nichte für diesen blonden Kerl hegte, bereitete ihm schon genügend Magenschmerzen.

Auf dem Flur kam Ariane auch schon ihre beleibte Magd entgegen.
„Wie geht es ihnen heute, Rosi?“.
Diese verzog das Gesicht wie beim Anblick eines unaufgeräumten Zimmers: „Ach, fragt lieber nicht, meine Liebe. Dieser Zwerg ist selbst für einen Valr äußerst unsozial – also so wie immer in den letzten Tagen. Den müsste man nur einmal ordentlich übers Knie legen, aber der Graf sieht das natürlich völlig anders. Dabei kennt der sich mit Zwergen so wenig aus, wie ich mich mit Hokuspokus. Es ist eine Frechheit, was der junge Kerl sich erlaubt, nur weil er den Todesschwur geleistet hat. Wenn er es damit so ernst meint, warum ist er denn nicht längst tot und säuft stattdessen nur? He? Kann mir der Graf vielleicht auch darauf eine Antwort geben?“
„Ich glaube nicht“, schmunzelte Ariane
„Ja, wie auch immer, dem scheint es also wieder ganz gut zu gehen, Fräulein Ariane. Auch wenn ich hiermit ganz offen die Empfehlung ausspreche, den Kerl mal ein paar Monate trocken zu legen. Der Knabe hingegen ist immer noch ziemlich angeschlagen, aber das ist auch kein Wunder, bei all den Blessuren, die er davongetragen hat. Die Wunde an seinem Bauch ist erst heute wieder aufgebrochen, aber sicher nur, weil diese Gestalten sich nicht an die Bettruhe halten können. Ich rede hier anscheinend gegen Wände! Das Schlimmste dabei ist aber, dass der auch noch redet wie ein Wasserfall. Quakquakquakquakquakquakquak! Und in welch rüder Sprache die sich unterhalten…“, Rosi schüttelte den Kopf, „So etwas hab ich noch nicht erlebt. Das sind ganz schlimme Gesellen. Ich kann wirklich nicht verstehen, warum der werte Graf solche Gestalten zu uns ins Haus einlädt.“
Ariane lächelte ihrer alten Dienstmagd zu, die Zwergin legte immer besonders viel Wert auf Etikette, sicher hätte nicht einmal der König selbst vor ihrem prüfenden Blicken bestehen können.
„Ihr solltet doch nicht zu ihnen gehen. Der Graf hat es doch verboten.“
Aber Ariane war schon durch die Tür in die Schlafquartiere verschwunden.

„Hahaha, oh Mann, denen haben wir aber ganz schön den Arsch aufgerissen, wie? Bäm!“
„Hast du geseh´n, wie ich dem den Unterkiefer weggetreten habe? Das war der Oberhammer! Ich mein, ich hab schon so einige Dinger abgezogen, aber das war wirklich mal richtig geil. Ich hab grad zwei von denen glatt gemacht und dann seh ich da so ´nen anderen Weißen draußen rumstehen. Der will grad unsere Ariane hier abmurksen, also leg ich noch mal alles in den Spurt rein. So richtig volle Kanne und ich bin bestimmt noch zwei Schritt weit weg von dem, da heb ich schon ab. Und RUMMS mitten in die hässliche Fresse rein. Der hat vielleicht blöde geguckt, haha.“
Ahrok lachte vergnügt und hielt sich den Bauch, das Lachen tat ihm tierisch weh, aber er konnte nicht aufhören.
„Ja, das Ganze war ein riesen Spaß. Und erst dieser Schamane von denen. Das hättest du sehen müssen. Der steht da oben und denkt sich nichts dabei. Schickt ständig seine Blitze runter und freut sich ´n Loch in den Arsch. Ich dachte die ganze Zeit, er müsste sehen, wie ich auf ihn zusprinte, aber nichts war. Der ist hoch konzentriert und guckt die ganze Zeit nur nach unten. Erst im letzten Moment dreht der sich um und ZACK hau ich dem die Schulter in die Rippen und runter ging’s mit uns. Der hat keinen heilen Knochen mehr in seiner Brust gehabt, ich schwör´s dir. Und das Beste dann, als er da auf der großen Geige aufgespießt hing ´Gurgelgurgelzischgurgel´! Mann, das vergess´ ich mein Lebtag nicht, wie blöde das Viech aus der Wäsche geschaut hat.“
Der Valr schlug sich vor Lachen auf den Oberschenkel.
„Scheiße, wir sind wirklich die besten Monsterjäger in ganz scheiß Märkteburg!“, rief Ahrok enthusiastisch.
„Ja…“, Ragnar wurde etwas stiller, „dummerweise kamen dann Sigurds Schüler und haben uns unseres heldenhaften Todes beraubt. Scheiße, ich schwöre dir, ansonsten hätten wir an demselben Abend noch an der Seite der Götter gestanden und die hätten uns ehrfürchtig die Eier gekrault.“
„Ach, nu hab dich nicht so. Du bekommst noch deine Chance und die wird dann noch größer und noch besser mit noch viel mehr Eierkraulen!“
Ariane beobachtete still vom Türrahmen aus, wie sich die beiden Krieger unterhielten. Es war, als würde sie in eine andere Welt hineinblicken. So fremdartig und abstoßend und trotzdem ungemein faszinierend. Der Zwerg hatte sich auf die Bettkante des jungen Mannes gesetzt und sie hatten tagein tagaus nichts Besseres zu tun, als sich immer wieder angeregt über das Gemetzel von vor vier Tagen zu unterhalten.
Es war verstörend, wie ein Ereignis, dass ein jeder, den sie kannte, so schnell wie möglich vergessen wollte, diese Leute hier so belustigte.
Sie klopfte leicht gegen den Rahmen: „Hallo! Störe ich euch etwa?“
„Oh.. äh… nein! Natürlich nicht.“ Ahrok lief sogleich ein bisschen rot an. „Komm doch rein.“
Ragnar knurrte genervt und spuckte aus: „Nein, du störst überhaupt nicht. Ich glaub ich hab vorhin da draußen was vergessen“, murmelte er sich in den Bart und schob sich an der kleinen Komtess vorbei nach draußen.
Ariane kam das keineswegs ungelegen. Sie war weitaus lieber in Gesellschaft des blonden Jünglings.
„Hallo.“
„Hallo“, lächelte Ahrok ihr zu. „Setz dich doch.“
Verlegen trat Ariane ein. Sie war hier zwar zu Hause, aber in der Gegenwart des barschen, wilden Kriegers fühlte sie sich immer so unsicher. Wie der Zwerg vor ihr setzte sich nun auch die junge Gräfin vorsichtig auf die Bettkante, dabei achtete sie sorgsam darauf, ihre eigenen Verletzungen zu schonen.
Es roch nach Schweiß und Blut und durch den stechenden Geruch der Kräuterumschläge wurde ihr ein bisschen schwindelig.
Nach einer kleinen Weile begann das Schweigen zwischen ihnen ernsthaft peinlich zu werden und der junge Krieger schien dieses Mal nicht so drauf erpicht, das erste Wort zu ergreifen. Besorgt betrachtete sie den Bauchverband, der schon wieder neue, rote Flecken aufwies und sich direkt unter der breiten, unbekleideten, vernarbten Brust des Jungen erstreckte.
„Ja, also... wie geht es euch denn heute?“
„Ähm, ganz gut würd ich sagen. Ich bekomm ja richtig tolle Pflege hier. Danke.“
Wieder herrschte diese ungemütliche Stille.
„Du musst dich nicht jedes Mal bedanken.“ Nun war es an Ariane, rot zu werden. „Immerhin hast du mir das Leben gerettet, da ist das doch das Mindeste.“
Ahrok betrachtete fasziniert, wie sie eine störrische Strähne hinter ihr Ohr strich. Ihr kastanienbraunes Haar wellte sich leicht und reichte bis zu den schmalen Schultern des Mädchens, die von einem himmelblauen Kleid umrahmt wurden.
Sie war ziemlich genau fünfeinhalb Fuß groß und reichte ihm damit bis zur eigenen Nasenspitze. Ihre zierliche Statur, hatte er damals auf dem Ball unter ihrem ausladenden Kleid gar nicht bemerkt. Eine kleine, süße Stupsnase ruhte über den immer leicht geöffneten Lippen. Ahrok kam nicht umhin, sie mit Sandra zu vergleichen. Ihre Haltung, ihre Haare, einfach alles war besser. Na ja, zugegeben, bei der Oberweite hatte Sandra sicherlich einen klaren Vorteil, aber das war nicht weiter schlimm, denn man konnte herrlich mit Ariane reden. Sie hörte einem immer zu, wenn er davon erzählte, wie es ihm die letzten Monate ergangen war. Das Monsterjagen, die Probleme mit der Arbeit in der „Pinkelnden Sau“, die Krankheit und all diese hochinteressanten Geschichten. Sie verurteilte ihn nicht. Rief ihm nicht zu, endlich erwachsen zu werden, sondern sah den gleichen Helden in ihm, den er selber gern sehen wollte.
Es war eine sehr angenehme Zeit.
Ruhe, feinstes Essen und eine bezaubernde Gesellschaft. Jetzt und hier war er wirklich ein Held wie in all diesen Geschichten. Ab jetzt konnte es nur noch bergauf gehen.
Beinahe die Hälfte des Nachmittages verbrachte sie hier bei ihm in den Quartieren der Dienstboten und unterhielt sich mit Ahrok über dessen Vergangenheit.
„Erzähl mir doch heute mal was von dir. Du hast bestimmt auch ein sehr interessantes Leben als Mädchen aus reichem Hause. Ich mein, wie ist das denn so?“
„Wenn du dich da mal nicht irrst. Ich finde es hier nämlich stinklangweilig“, begann Ariane.

„Oh, Roooooooosiiii!“, flötete Ragnar.
Genervt drehte sich die alte Zwergin um: „Nein! Es gibt heute kein Bier mehr.“
„Och, komm schon, Rosilein. Sei doch nicht so. Du kannst mich doch nicht verdursten lassen. Bitte!“
Selbst wenn der Valr versuchte, charmant zu wirken, sah er geradezu gemeingefährlich aus. Der Hauptmann hatte ihm bei der Gerichtsverhandlung einen der Schneidezähne ausgeschlagen, was Ragnars ohnehin grausiges Lächeln nicht unbedingt freundlicher erscheinen ließ.
„Ragnar, Sohn des Rango!“ Ihre donnernde Stimme erinnerte den Zwerg nur zu gut an seine eigene Mutter. „Du hast gestern die doppelte Ration erhalten, weil du versprochen hattest, heute auf Bier zu verzichten.“
Ach ja, er hatte sich ja gestern schon was einfallen lassen.
„Ja, aber das war doch gestern, Rosalindchen… jetzt mal so unter uns. Willst du mich wirklich diesem schrecklichen Durst überlassen?“
„Natürlich nicht“, entgegnete sie heimtückisch grinsend und Ragnars Gesicht erhellte sich. „Du kannst Wasser trinken wie alle anderen auch.“
Ragnar schüttelte sich vor Abscheu: „Wasser? Wasser?! Ich bitte dich, Rosi! Wir beide leben zwar schon eine ganze Weile hier oben, aber du wirst doch nicht vergessen haben, was richtige Zwerge trinken. Wasser ist etwas für das Vieh. Nicht für hart arbeitende Männer.“
„Du nennst dich selbst einen hart arbeitenden…“
„Gib ihm, was er verlangt, Rosalinde.“ Der Graf war unbemerkt an die beiden Zwerge herangetreten. „Er ist mein Gast und es soll ihm an nichts mangeln.“
Herbert hielt es für besser, dem Valr einfach alles zuzusprechen und ihn nicht aufzuregen, so würden sie alle friedlich und lebendig aus dieser Situation herauskommen. Was hatte ihn nur dazu bewegt, einen dieser Todeskultisten bei sich im Haus aufzunehmen. Hätte Rosi ihm nur schon einmal früher von diesem zwergischen Kult erzählt, so wären einige Entscheidungen der letzten Tage anders ausgefallen.
„Wie ihr wünscht, mein Herr“, fügte sich die Magd widerwillig.
„Herbert“, Ragnar schlug ihm freundschaftlich auf den Rücken, „du bist ein wirklich edler Mann. Ich bin wieder mal froh, dass wir dich retten konnten.“
Freudig folgte der Zwerg Rosalinde hinab in den Keller.

Weitere fünf Tage später hatte sich nun auch endlich die Wunde am Bauch geschlossen und der Wundarzt hatte die Fäden entfernt. Trotz aller Verletzungen entstanden ihm keine bleibenden Schäden. Jetzt, da er ein Held war, wurde es langsam klar, dass die Götter ihn liebten.
„Das wurde aber auch endlich Zeit, dass du aufhörst, so bettlägerig zu sein“, maulte Ragnar. Der Zwerg schien mit jedem Tag schlechtere Laune zu bekommen. „Wir müssen raus hier. Wir müssen weiter. Irgendwo dort draußen ist er, mein heldenhafter Tod und ich will ihn nicht verpassen, nur weil du hier mit der Kleinen anbändelst. Selbst Umti langweilt sich schon.“
„Du hast deine Waffe wieder?“, Ahrok war überrascht.
„Ja. Der Graf hat dafür gesorgt, dass ich meinen Hammer wieder habe und er hat auch dir eine neue Waffe besorgt. Natürlich unter der Voraussetzung, dass wir so schnell wie möglich wieder verschwinden.“
„Jetzt schon?“, Ahrok würde die kleine Komtess vermissen.
„Was heißt hier ´schon´? Hey, jetzt pass mal auf. Wir müssen hier eh weg. Das ganze hier... das passt nicht. Überleg doch mal. Es ist doch total für´n Arsch, sich an die Gräfin ranzumachen. Schlag dir so was aus dem Kopf. Immerhin ist das ´ne Gräfin und du bist… na ja, sieh dich doch mal an… das geht eben nicht.“
Ragnar war charmant wie immer und sicherlich der letzte Mann auf Erden, den er in Frauenfragen um Hilfe bitten würde, aber er konnte ihm da schlecht widersprechen.
„Aber muss das wirklich schon heute sein?“
Schritte lenkten seine Aufmerksamkeit zur Tür, aber zu seiner Enttäuschung stand dort nicht Ariane, sondern ihr Onkel.
„Wie geht es dir? Hat dir dein Ragnar schon die gute Nachricht überbracht?“
„Die mit dem Hammer? Ja, hat er.“
„Und…?“
„Was und?“
„Na gut, ich mach es dir einfach. Was willst du noch von mir, damit ihr endlich wieder von hier verschwindet? Gold?“
„Was? Nein! Wir wollen dein Gold nicht.“
„Halt, halt. Lass den Mann doch erst einmal ausreden“, mischte sich Ragnar in das Gespräch ein.
„Aha, ich sehe schon, wer hier der Vernünftige von euch ist. Also, werter Zwerg. Wie viel Gold verlangt ihr, damit ihr noch heute abzieht?“
„Tja, ich weiß nicht… das müsste schon so einiges sein. Mein Hammer muss einmal neu poliert werden und dann sind wir noch mit der Miete im Rückstand. Außerdem wird es Ahrok sicher schwer fallen, die Gräfin einfach so im Stich zu lassen.“
„Ja, das glaub ich gern. Ich biete euch zwanzig Goldstücke, wenn ihr in dieser Stunde noch verschwindet.“
„Abgemacht!“, schlug Ragnar ein, noch bevor Ahrok ein Wort dazu sagen konnte.
„Wohlan, ich lass umgehend den Kutscher rufen, um euch fortzubringen.“
Ahrok schmollte säuerlich.
Klar konnte es dem alten Sack gar nicht schnell genug gehen, sie wieder aus dem Haus zu haben. Der hatte es nie gern gesehen, wenn sich seine hübsche Nichte mit ihm unterhalten hatte.
Sogleich unterbrach er die fröhliche Aufbruchsstimmung der anderen beiden.
„Hey, einen kleinen Moment noch. Ich würde mich aber noch gern von Ariane verabschieden.“
Der Graf von Lichtenstein war offensichtlich gar nicht erfreut, welch vertraulichen Ton er gerade hier anschlug. Seine Augenbrauen zuckten kurz, dann hatte er seine fachmännische Beherrschung wieder erlangt: „Für dich immer noch ´Komtess von Lichtenstein´, Bursche! Aber es ist dir ohnehin nicht möglich, dich zu verabschieden, denn sie ist heute Morgen aufgebrochen, um mit ein paar Freunden das Schneefest zu feiern. Sie wird also so schnell nicht zurückkehren. Ich werd ihr ausrichten, dass du sie grüßen lässt.“
Der Graf förderte mit einer eleganten Handbewegung einen kleinen Beutel aus seiner Hosentasche zu Tage und warf ihn dem Zwerg zu: „Hier sind eure zwanzig Goldstücke. Seht es als eine Entschädigung für all eure Mühen und Ausfälle. Das sollte dafür sorgen, dass wir nun endgültig Quitt sind und ihr euch somit hier nie wieder blicken lasst. Es ist das Beste für alle Beteiligten und ich denke wir haben uns da verstanden.“
Ragnars Augen leuchteten, als er die Goldmünzen im Beutel betrachtete: „Alles klar, Herr Graf. Wir sind schon weg und kommen auch nich wieder.“
Ohne auch nur einen Wimpernschlag weiter zu verweilen, griff er Ahroks Arm und zog ihn mit sich in Richtung der wartenden Kutsche.
Ahrok starrte das weiße Gefährt missmutig an. Zwei majestätische Schimmel mit lustigem Kopfputz scharrten erwartungsvoll mit ihren Hufen und verärgerten Ahrok damit nur noch mehr. Nicht einmal den Pferden konnte es schnell genug gehen. Auf dem Kutschbock saß dann noch ein ebenfalls weiß gekleideter Fahrer, was stimmte nur nicht mit diesen Leuten? Weiß, weiß, weiß, weiß, weiß! Als ob es keine anderen Farben gab. Auf den natürlich weißen Türen der Kutsche war das Familienwappen angebracht worden. Es war… ein Fels im hellen Sonnenlicht. Wie unheimlich einfallslos.
Ragnar stapfte ohne Umschweife auf ihre Abreisegelegenheit zu und riss die Tür auf.
„So, Herbert, dann mach´s mal gut. Bist´n guter Mann!“, rief der Valr noch, als er in den Wagen stieg.
„So… ja, dann danke noch mal für alles, Herr Graf. Bitte grüßen Sie Ariane von mir.“
Ahrok reichte dem Grafen die Hand. Herbert von Lichtenstein tat so als hätte er diese Geste nicht bemerkt.
„Machen wir nicht mehr daraus, als es ist. Johann! Bring die beiden dorthin, wo sie es wünschen und kehre dann schnellstmöglich wieder hierher zurück. Keine Spritztouren“, befahl er dem Fahrer.
„Jawohl, Herr Graf!“
Die Tür schloss sich hinter Ahrok und er nahm auf der samtenen Sitzbank Platz. Ragnar deutete auf ein eingewickeltes Paket zu ihren Füßen, welches der Form nach einen Zweihänder enthielt, aber er war nicht in der Stimmung, sich darüber zu freuen.
Noch bevor er teilnahmslos mit den Schultern zucken konnte, knallte auch schon die Peitsche und ihre Kutsche setzte sich rumpelnd in Bewegung. Mit einem hämisch fröhlichen Wiehern galoppierten die Pferde vom Anwesen derer von Lichtenstein und begruben damit all seine schönen Hoffnungen für den heutigen Tag.
 
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Kommentare  

Dieser Ausspruch des Dämons ist schon so alt wie die Geschichte selbst und du bist bisher die Einzige, die dem bislang jemals Aufmerksamkeit gezollt hat. Das finde ich klasse. Eine Erklärung dafür wirst du aber leider noch viele, viele Kapitel nicht bekommen.

Jingizu (01.03.2012)

ein typisches übergangskapitel, aber gewürzt mit sehr guten einzelheiten.
dem herbert, wie ragnar ihn nennt, ist es ja einen haufen gold wert, die beiden los zu werden. kann ich irgendwie verstehen, was ich aber nicht verstehen kann, ist der ausspruch der dämonenechse in bernards gehirn : ich erkenne ihn. in seinen adern fließt mächtiges blut... ja!


Ingrid Alias I (01.03.2012)

Huhu Petra.
Ich danke dir für deine fleißigen Kommentare und ich finde es besonders schön, dass auch Bernhard so viel Beachtung bekommt und er nicht einfach nur der eindimensionale Bösewicht ist, der er in der vorherigen Fassung war.

Ich hoffe dir gefällt, was demnächst mit Ahrok und Ariane geschieht - mal sehen.


Jingizu (01.03.2012)

Irgendwie tut einem Hauptmann Bernhard fast leid. Mir kommt auch keine Idee wie er sich befreien könnte. Aber da steckt Wahrheit dahinter. Wer sich erst einmal damit abgefunden hat, der "Böse " zu sein, kommt da schwer wieder raus. Mönsch, das ist aber auch schade, dass Ahrok und Ragnar so schnell das gräfliche Anwesen wieder verlassen müssen. Sie sind doch kaum gesundet und die zarte Schwärmerei von Ariane für Ahrok war so vielversprechend. Aber ich habe ja noch in Erinnerung, dass die beiden sich wieder begegnen. Aber wirst du das diesmal auch wieder so machen?

Petra (01.03.2012)

Ja Jochen das was du da beschreibst kommt tatsächlich noch an anderer Stelle. Obwohl die Geschichte ab diesem Zeitpunkt eine etwas andere Wendung nimmt, als in ihrer ursprünglichen Form.

Meiner Meinung nach merkt man insbesondere diesem Kapitel noch den alten Schreibstil an, vielleicht bilde ich mir das aber auch nur ein, weil ich immer etwas zu meckern habe :)

Ich danke auch dir Francis für deine Meinung und das positive Feedback.


Jingizu (29.02.2012)

Dieses Kapitel hatte ich von damals anders in Erinnerung. Ich glaube so schnell wurden Ahrok und Ragnar da nicht "rausgeworfen." Habe da noch ein Attentat auf die beiden Kranken in Erinnerung, was wahnsinnig spannend war. Aber vielleicht kam das ja an einer anderen Stelle und ich verwechsele das. Dennoch spannend und sehr gut die Charaktere beschrieben. Du gibst uns einen kleinen Einblick in Arianes Vergangenheit und so begreift man auch, weshalb sie einen Hang zu abenteuerlichen Männern hat. Warte mit Freude auf den nächsten Teil.

Jochen (29.02.2012)

Ich durchforste deine Kapitel gerne. Will ehrlich sein, habe jetzt nicht alles von dir gelesen und kann deine Story insgesamt nicht beurteilen. Hast aber, wie ich es bisher mitbekommen habe, sie schon einmal eingestellt und nun überarbeitet. Von diesem Blickwinkel kann ich dir gratulieren. Finde du schreibst wirklich gut. Deine fremdartig klingende Namen und Bedeutungen machen deine Geschichte ebenfalls aus.

Gruß F.


Francis Dille (29.02.2012)

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