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16 Seiten

Ahrok 2.Band - 7. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Siebtes Kapitel: Massaker

Ahrok balancierte den Abschlachter ungeduldig auf seiner Schulter, als die fünf Reiter in etwas mehr als einhundert Schritt Entfernung vor ihm ihre Pferde zügelten. Wenn er genau hinsah, dann konnte er im flackernden Schein der Fackeln die Gesichter der Soldaten erkennen.
Sie hatten die Fallgrube entdeckt. Sie mussten sie gesehen haben, warum würden sie sonst halten?
„Hey du!“, rief ihn einer der Männer.
Plötzlich bemerkte Ahrok, warum die Reiter ihren Vormarsch gestoppt hatten und welch gravierenden Fehler er begangen hatte. Sie hatten ihn gesehen, weil er mitten im Licht stand, welches durch eines der Tavernenfenster auf die Straße fiel. Wenn die Kerle jetzt ihre Armbrüste zücken würden, dann wäre er ein leichtes Ziel.
„Was ist?“, rief er und machte sicherheitshalber ein paar Schritte auf sie zu, um dem verräterischen Lichtkegel zu entgehen.
„Sind hier vor kurzem vielleicht ein paar junge Dinger vorbei gekommen?“
„Ja, sind sie. Ich hab sie hierher gebracht, nachdem ich dem Kerl im Zelt den Schädel eingeschlagen habe.“
Lautes Gelächter war die Antwort. Ahroks Atem ging schneller. Fröhlichkeit war die letzte Reaktion, die er auf diese Herausforderung erwartet hatte.
„Nun, ich hab dem Leutnant ja gleich gesagt, dass wir euch zwei lieber gleich umbringen sollten. Ich hab vom ersten Moment an gewusst, dass du Ärger machst. Tja, er hat nicht auf mich gehört und du hast ihn erschlagen. Vielleicht sollte ich dir danken, denn dadurch bin ich nun in unserer kleinen Gruppe ganz nach oben gerückt.“ Ahrok wusste nicht, was er darauf antworten sollte. „Ich mach dir einen Vorschlag. Ihr zwei, du und der Zwerg, ihr haut hier ab. Lauft einfach weg, so wie ihr es immer tut und wir lassen euch am Leben.“
„Ach ja? Wie wär es, wenn ihr abhaut! Dann lassen WIR euch vielleicht am Leben!“
Dieses Mal erklang kein Gelächter.
„Ihr werdet es niemals schaffen, uns alle aufzuhalten. Du bist vielleicht ein guter Kämpfer, denn sonst hättest du den Leutnant nicht so einfach besiegen können, aber gegen uns alle hast du nicht den Hauch einer Chance. Misch dich nicht ein, sondern lauf lieber, solange du noch kannst.“
„Halts Maul!“, brüllte Ahrok.
Als Antwort schleuderte einer der Männer seine Fackel auf ein nahe gelegenes Hausdach.
„Zum Angriff, Männer. Tötet ihn. Tötet alles und jeden in diesem verfluchten Dorf! Statuieren wir ein Exempel.“
Sofort gaben die Reiter ihren Pferden die Sporen und jagten mit lautem Gejohle im Galopp auf ihn zu.
Jetzt war es also soweit! Ahrok kramte noch hastig in seinen Erinnerungen. Was genau hatte Mia ihm über Kampf gegen berittene Gegner beigebracht? Wenn alles gut lief, brauchte er dieses Wissen ohnehin nicht zu benutzen.
Bis zur Fallgrube waren es für den vordersten Reiter nur noch ein paar Pferdelängen, dennoch erschien es Ahrok wie eine Ewigkeit, bis er endlich das erschrockene Wiehern vernahm, als die Hufe des Pferdes ins Leere traten. Mit einem erstickten Schrei stürzte der erste Reiter hinab in das Loch. Der Zweite wollte angesichts der Gefahr sein Pferd zügeln, doch es war schon zu spät, seine Geschwindigkeit einfach zu groß. Pferd samt Reiter jagten ebenfalls hinunter in die Fallgrube.
Schmerzerfüllte Schreie und furchtsames Wiehern drangen von dort unten hinauf. Ahrok konnte nicht genau erkennen, was genau mit den zwei Männern geschehen war, aber offensichtlich hatte diese Falle hervorragend funktioniert.
Im vollen Galopp dachten die drei anderen Banditen gar nicht erst daran, die Falle zu umgehen. Mit einem gewagten Satz sprang der erste über das Hindernis hinweg. In seinen Händen blitzte eine mehrere Schritt lange Saufeder.
Ahrok war für einige Augenblicke völlig überrascht, dass es tatsächlich ein Reiter über die Grube geschafft hatte. Und so konnte er nur noch mit einem verzweifelten Sprung zur Seite hechten, als der Reiter auf ihn zuraste. Nach einer schnellen Rolle gelangte er sofort wieder auf die Beine und behielt den fröhlich lachende Angreifer im Auge, der die Straßen weiter entlang ritt und seine Fackel auf das Dach der Schmiede schleuderte.
Urplötzlich bohrte sich ein weiterer Speer von hinten in Ahroks linke Schulter. Stahl zerriss sein Fleisch und schrammte über seine Knochen. Die Wucht des Aufpralls war so gewaltig, dass er noch mehrere Schritt weit mitgerissen wurde, bevor er nach einigen Überschlägen endlich zum Halten kam. Vor Überraschung hatte Ahrok ganz vergessen zu Schreien und ehrlich gesagt tat der aufgerissene Muskel nicht einmal weh, nur der ganze linke Arm fühlte sich taub an.
Sein Schwert war ihm bei diesem Angriff aus der Hand geschleudert worden und lag mehr als zehn Schritt von ihm entfernt im Staub der Straße. „Immer den Rücken frei halten.“ Es war doch eine so einfache Regel. Dass er auch nie richtig aufpassen konnte, wurmte ihn gewaltig. Rasch sprang er wieder auf und verschaffte sich einen Überblick über seine Lage.
Drei der Briganten hatten es über die Fallgrube geschafft. Während der erste noch höhnisch brüllend durch die Stadt ritt und herausfordernd nach den Einwohnern rief, hatte der Zweite sein Pferd gewendet, er senkte sein Speer erneut und gab dem Gaul die Sporen. Der Dritte hingegen hielt kurz hinter der Fallgrube und wartete dort auf eine günstige Gelegenheit ihn niederzureiten.
Ahrok musste schnell zu seinem Schwert. Ohne auch nur einen weiteren Augenblick zu verlieren rannte er auf seine Waffe zu. Er hoffte nur, er würde sie schneller erreichen als sein Gegner ihn. Dieser hatte Ahroks Plan längst durchschaut.
Noch einige Schritt von seiner Waffe entfernt wusste Ahrok, dass er zu langsam war. Abrupt stoppte er seinen Sprint und warf sich zur entgegengesetzten Seite.
Haarscharf rasten die eisenbeschlagenen Hufe an ihm vorbei. Sogleich lief er wieder los, doch da sah er schon den nächsten Reiter, der mit wildem Kampfschrei auf ihn zustürmte.
Mit einem weiteren Hechtsprung rettete sich Ahrok erneut aus der Gefahrenzone. Die blitzende Spitze des Speers riss ihm nur einen kleinen Fetzen Stoff vom Hosenbein. Noch im Fallen ergriff Ahrok sein Schwert.
Kaum war er nach seiner Rolle wieder auf den Beinen gelandet, erspähte er sofort, wie sich erneut einer der Banditen auf einen Sturmangriff vorbereitete. Wie ein Besessener jagte er sein Pferd auf Ahrok zu, den Körper dicht an das Tier gelehnt und seinen Speer zum Stoß gesenkt. Binnen eines Herzschlags verkürzte das Tier die Distanz zwischen ihm und Ahrok um gut zehn Schritt.
Doch dieses Mal hechtete Ahrok nicht davon.
Er riss sein massiges Schwert von der Seite nach oben. Der zolldicke Stahl des Abschlachters fraß sich begierig durch die Brust des Pferdes und gleichsam den Oberschenkel des Reiters, aber auch der Speer des Soldaten verfehlte sein Ziel nicht. Er glitt an Ahroks Klinge nach unten ab und die Spitze der langen Waffe brannte sich heißt durch sein Fleisch und riss ihm eine Wunde kurz unter den linken Rippen.
Sein Gegner hingegen kippte schreiend von seinem gefällten Reittier. Eine wahre Flut roten Blutes spülte aus Ross und Reiter auf die Straße. Doch der zweite Angreifer ließ sich dadurch nicht beeindrucken. Er spornte seinen Gaul weiter an.
Ahrok hatte weder die Zeit, seine Wunden zu begutachten, noch nahm er sie überhaupt wahr und so riss er seine blutverschmierte Waffe wieder hoch. Der linke Arm pochte und puckerte wie wild. Selbst die Finger dort wollte ihm immer weniger gehorchen, hoffentlich war er dadurch nicht zu langsam.
Mit einem langen Sprung setzte der Bandit über seinen hilflos schreiende Kameraden und die Pferdeleiche hinweg, der Spieß funkelte blutrot im Schein der überall aufkommenden Flammen.

Seit Edwin sich hier mit seinen Freunden in den Schatten der Krämerladens gekauert hatte, waren allerlei Dinge geschehen. Einige der Räuber waren in die frisch ausgehobene Grube gestürzt, ein anderer hatte gleich beim ersten Ansturm den blonden Jungen weggefegt.
Zumindest hatten sie alle dies gedacht, als der Speer ihn getroffen hatte, doch dann war er wieder aufgestanden. Jeglicher Mut, der aus ihnen gewichen war, war wieder zurückgekehrt, als dieser Krieger dann auch noch das Pferd des Einen aufgeschlitzt hatte. Doch es war unübersehbar, dass sich ihr Helfer nicht mehr lange gegen die ständig brandende Flut seiner Gegner halten konnte.
Er blutete nun schon aus mehreren bösen Wunden und bewegte sich weit langsamer und kraftloser als noch einige Minuten zuvor. Sie mussten ihm helfen! Friedrich hatte sie vor wenigen Augenblicken verlassen und war samt seinem Bogen auf das Dach der Taverne geklettert.
Ohne Zweifel war der alte Mann noch viel wütender als der Rest von ihnen, hatten die Dreckskerle doch sein Haus gleich als erstes in Brand gesteckt. Hoffentlich würde sein Freund von seiner erhöhten Position aus einen guten Überblick und vor allem ein gutes Schussfeld auf die Banditen haben.
Bei aller Zuneigung für den guten Mann zweifelte jedoch Edwin daran, dass der graue Schafhirte mit seinen immer schlechter werdenden Augen bei diesem ungenügenden Licht etwas treffen würde, das kleiner als ein Scheunentor war.
Heftig rüttelte Ruvor an seinem Arm. Erst dachte Edwin, er müsste seinen guten Freund beruhigen, schließlich hatten sie alle genügend Angst, doch Ruvor wies mit ausgestrecktem Arm auf die Fallgrube, aus welcher sich soeben einer der Banditen herausarbeitete.
Dieser zusätzliche Gegner würde ihrem blonden Retter nun ganz sicher das Genick brechen.
Edwin sah sich zum hundertsten Mal heut Abend seine sechs Mitstreiter an, seine Hand krampfte sich entschlossen um den Stiel seiner Sense: „Schnappen wir uns den Mistkerl!“
Einige nickten ihm zu, was Edwin aber schon gar nicht mehr beachtete, denn er stürmte mit wildem Gebrüll auf den verhassten Räuber zu.
Vom Sturz benebelt und völlig verdutzt betrachtete der Mann die sieben wütenden Bauern, die soeben mit zum Kampf erhobenen Feldwerkzeugen zum Angriff übergingen.
Sofort trieben sie ihn mit ihren ausdauernden Angriffen in die Defensive.
Edwin war zuversichtlich. Ihr Gegner kam gar nicht zur Ruhe. Die Dreschflegel und Heugabeln donnerten gegen sein Schild oder den schweren Harnisch und der Mann hatte alle Mühe die gefährlichen Streiche von Edwins Sense abzuwehren.
„Strengt euch an, Freunde, wir haben ihn gleich!“, rief er seinen Kameraden zu.
Diese verdoppelten auch sogleich ihre Anstrengungen. Ein wahrer Hagelsturm von Schlägen prasselte auf Schild und Rüstung des Briganten und drängte ihn Stück für Stück weiter zur Grube. Jetzt bekamen sie alles zurück! Jetzt erhielten sie ihre gerechte Strafe für all die Verbrechen!
Der Kopf des Monsters war in Reichweite und so holte er zu einem mächtigen Schlag aus.
Kreischend glitt das frisch geschärfte Blatt der Sense über die Rückenpanzerung ihres Gegners, doch als Edwin seine Waffe zurückziehen wollte, verhakte sich das Blatt in einem Scharnier der Rüstung. Zwar zog er weiterhin kräftig, aber die Sense wollte einfach nicht losreißen.
Zu spät sah Edwin das höhnische Grinsen im Gesicht seines Gegenübers. Zu spät erkannte er, dass er seine Waffe längst hätte loslassen müssen.
„Hab ich dich“, lächelte der Mann ihm aus dem Schatten seines Schildes zu.
Ein hübsch gearbeiteter Säbel drang unterhalb seiner Achseln tief in den Körper ein.
Erschrocken blickte Edwin auf die Waffe, die sich bis zum Heft in ihn bohrte. Seine zittrigen Hände ließen den Stiel der Sense fahren. Als er nach hinten taumelte, wurde etwas wieder aus ihm herausgerissen.
Alles war so schön warm, selbst das hämisch grinsende Gesicht vor seinen Augen verschwand und wurde durch einen wunderschönen Nachthimmel ersetzt.
Eigentlich sollte er doch bestimmt vor Schmerzen schreien, aber es tat ihm gar nichts weh.
Fiel er? Ihm war als liege er auf dem Rücken, sein ganzer Körper war warm und feucht als bade er in frischer Milch. Durch die geschlossenen Augen konnte er nichts mehr erkennen. Doch er hörte von ganz weit weg das panische Geschrei seiner Freunde.
„Habt keine Angst!“, wollte er ihnen zurufen, doch sein Mund war voller warmer Flüssigkeit und seine Stimme wollte ihm einfach nicht gehorchen. Es war einfach so gemütlich. Selbst die kreischenden Stimmen wurden immer leiser.

Ahrok hielt sich an der immer schwerer werdenden Waffe fest. In den nächsten Augenblicken kam es erneut drauf an, schneller zu sein als sein Gegner. Der Soldat setzte soeben mit einem langen Sprung über seinen verstümmelten Kameraden hinweg. In einer einzigen Bewegung tauchte Ahrok unter dem Angriff der Mannes hindurch und hieb kräftig nach den Beinen des Pferdes.
Harter Stahl traf auf nachgiebige Knochen und riss die Läufe des Tieres unter seinem Körper fort.
Es stürzte ängstlich wiehernd zu Boden und schleuderte den Reiter in hohem Bogen aus dem Sattel, aber auch Ahroks verwundeter Arm konnte das viel zu schwere Schwert nicht mehr halten. Der Treffer prellte es ihm aus der Hand und ließ ein kleines Stück durch die Luft segeln.
Fluchend erhob sich sein Gegner wieder aus dem Staub der Straße und hielt sich benommen den Kopf. Mit einem energischen Kampfschrei stürzte sich Ahrok auf ihn und warf ihn mit einem kräftigen Schulterstoß in die gepanzerten Rippen wieder zu Boden.
Sofort riss er dem Mann unter sich dem Dolch vom Gürtel. Dieser durchschaute sofort Ahroks Absicht und packte den Arm des Jungen Kriegers. Mit aller verbliebenen Kraft versuchte er Ahrok daran zu hindern, ihm die Klinge in die Brust zu rammen, doch selbst in seinem geschwächten Zustand war ihm der blonde Junge an roher Kraft überlegen. Zoll für Zoll näherte sich die scharfe Klinge seinem Fleisch. Er hatte keine Chance.
„Du hast gewonnen.“, stöhnte er. „Ich gebe auf! Gnade! Bitte verschone mein Leben!!!“, flehte er mit rauer Stimme.
„Gnade ist nur etwas für Schwache!“, lautet die grimmige Antwort.
Ahrok bleckte im Zorn die Zähne. Nie zuvor hatte er Mias Regeln so geliebt wie heute. Wie konnte dieser Abschaum ihn um Vergebung anbetteln? Er verlagerte sein ganzes Gewicht nach vorn, um noch mehr Druck aufbringen zu können. Langsam drang der spitze Stahl durch die Panzerung und färbte sich in frischem Rot. Schmerz und Todesangst verliehen dem Banditen unter Ihm nie geahnte Kräfte. Er wand sich wie eine wild gewordene Schlange unter Ahrok, doch mit einem kräftigen Ruck glitt die Klinge bis zum Heft in sein Fleisch hinein und die Gegenwehr des Mannes erlosch augenblicklich.
Rotes Banditenblut rann dem Soldaten aus dem Mund und die glanzlosen Augen waren starr vor Angst weit aufgerissen. Ahrok nahm sich nicht einmal die Zeit für einen kleinen Jubelschrei.
Ruckartig erhob er sich und suchte nach neuen Gegnern.
Wenige Schritt rechts von ihm lag noch immer sein erstes Opfer schreiend unweit der Pferdeleiche und umklammerte verzweifelt den Stumpf seines Beines, aus dem das Blut noch immer nur so herausschoss. Dieser dort hatte es auch bald hinter sich. An der Fallgrube stand indessen noch ein weiteres Mitglied dieser ruchlosen Bande. Ahrok erkannte in ihm den Sprecher von vorhin. Trotz aller warnenden Worte hatten sich die Bauern in den Kampf eingemischt und bedrängten den Mann mit ihren härtesten Schlägen. Sie umringten ihn, nahmen ihm die Möglichkeit Gegenangriffe zu starten, aber standen sich oftmals nur selbst im Weg.
Der erste verheerende Fehler ließ nicht lange auf sich warten.
Soeben stieß der Bandit einen der Dörfler mit dem Stiefel von seinem Säbel herunter. Ohne zu Schreien fiel der dumme Kerl mit weit ausgebreiteten Armen nach hinten um und sofort wichen alle anderen Bauern zurück.
Ahrok rannte umgehend zu seinem Schwert, welches im dunklen Schatten der Taverne lag und sprintete auf die Kämpfenden zu.
Ein weiterer Streich riss dem nächsten tapferen Bauern den Kopf vom Rumpf und die anderen ergriffen mit wildem Geschrei die Flucht. Doch ihr Verfolger erwischte den Langsamsten von ihnen am Schlafittchen und riss ihn wieder zu sich zurück.
„Lass ihn sofort los!“, schrie jemand und Ahrok war überrascht, dass es nicht er war, der diese Worte rief.
Auch der andere Mann war von der unerwarteten Aufsässigkeit überrascht und suchte den Sprecher im Dunkel der Nacht.
„Loslassen, hab ich gesagt“, kommandierte eine zittrige Stimme.
Ob sie nun vor Angst oder vom Alter her dünn und wenig furchteinflößend war, konnte Ahrok nicht erkennen. Das Einzige was er sah, waren die schwachen Umrisse des Rufenden, welcher auf dem Dach der Taverne mit gespanntem Bogen kniete.
Lachend hielt der Soldat in der schweren Rüstung den zitternden Bauern vor sich und hob seinen Säbel bereit zum Stoß: „Und warum sollte ich auf dich hören?“, er stieß leicht zu. Der blutbeschmierte Stahl bohrte sich ein kleines Stück in das Fleisch des hilflosen Dörflers. Dieser quiekte weinerlich und war völlig unfähig ein Wort zu sagen.
„Weil du es sonst mit mir zu tun bekommst!“, rief ihm Ahrok zu während er sich seinem Gegner vorsichtig näherte.
„Du?“, ehrlich verwundert blickte ihn der Mann an und brach dann in schallendes Gelächter aus. „Du lebst noch? Na, komm doch her, wenn du ihn retten willst!“
„Lass ihn los! Lass ihn endlich los!“, kreischte der Alte auf dem Dach.
Von hinten näherte sich rasend schnell Pferdegetrappel. Ahrok wirbelte herum, doch es war schon viel zu spät. Direkt vor ihm erhob sich wie aus dem Nichts die mächtige, gepanzerte Brust eines Streitrosses.
Der Aufprall war vernichtend.
Als die stahlgepanzerte Brust des Pferdes auf seinen Arm traf, war es ihm, als brachen ihm alle Knochen. Er selber wurde gute drei Schritt durch die Luft geschleudert und prallte gegen eine Hauswand. Das war heute echt nicht sein bester Kampf, schoss es ihm durch den Kopf, als er endlich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte.
Seine ganze linke Körperhälfte schien durch den Angriff zerquetscht worden sein. Reglos hing sein Arm vom Körper herunter und war zu keiner Bewegung fähig. Ahrok traute sich gar nicht, hinzusehen. Dem fehlenden Gefühl nach zu urteilen, war nicht viel mehr als ein blutiger Brei von seinem einst so schönen Arm übrig.
Mühsam schüttelte er Sterne und Verwirrung ab. Der Mann, der ihn niedergeritten hatte, wendete soeben sein Pferd und bereitete einen neuen Angriff vor. Rasch verfiel das Streitross wieder in den Galopp. Er würde nie rechtzeitig auf die Beine kommen, um dem Angriff auszuweichen.
Aus den Augenwinkeln sah er noch, wie der neue Anführer der Soldaten dem vor Angst starren Bauern seine Waffe von unten durch die Rippen stieß und die Leiche einfach fortschleuderte. Dann fixierte Ahrok wieder seinen Angreifer, der nun auf ihn zu galoppierte.
Er musste sein Schwert hoch bekommen, musste es zwischen sich und den Angreifer bringen.
Unter dem schweren Kriegshelm funkelten ihn geweitete Augen voller Vorfreude an. Der Mann beugte sich vor, um den tödlichen Stoß besser auszuführen. Plötzlich zuckte er zurück und sein Körper richtete sich leicht auf. Erst bei genauem Hinsehen erkannte Ahrok den dünnen Pfeil, der im Hals des Reiters zitterte. Unsicher kippelte der Räuber auf dem Pferderücken hin und her.
Sein Pferd änderte die Richtung und beschrieb einen Bogen vor Ahroks Position.
Langsam, so als hätte er Angst davor, zu fallen, glitt der Reiter aus dem Sattel und das herrenlose Reittier trabte die Straße entlang.
Völlig erstaunt stellte Ahrok fest, dass sein linker Arm keineswegs so zerschmettert war wie es sich anfühlte. Er sah sogar noch ganz normal aus und hielt noch immer das Schwert in festem Griff. Unter widerlichen Schmerzen tastete er sich an der Hauswand nach oben.
Sein Gegenüber vor der Grube beobachtete ihn dabei geradezu amüsiert. Zu den Füßen des Banditen lagen nun schon drei tote Bauern. Ein Pfeil surrte einige Handbreit an seinem Gesicht vorbei.
„Bleib du nur ruhig schön da oben sitzen. Dich hol ich mir als Letztes“, rief er dem alten Mann zu und wie zur Salzsäule erstarrt blieb der Bogenschütze reglos auf dem Dach hocken.
Vor Freude glucksend begutachtete der Anführer Ahroks Bemühungen, sein Schwert zu heben. „Ich bin wirklich beeindruckt, Junge. Du hast zwei meiner Männer getötet und ich hätte nun wirklich nicht erwartet, dass du nach diesem harten Treffer jemals wieder aufstehen würdest.“
Ahrok schleppte sich keuchend auf den Mann zu. Sein Schwert schleifte wie ein Pflug über die Straße und zog eine tiefe Furche in den blutgetränkten Boden.
„Du hast mir einen prächtigen Kampf geliefert, Junge. Ich kann gute Leute wie dich in meiner Truppe gebrauchen, hauptsächlich weil du mich ohnehin gerade gezwungen hast, die Hierarchie neu zu strukturieren.“
Mit der Rechten nahm Ahrok das Schwert aus der linken Hand, denn der malträtierte Arm hing ihm noch immer nur schlaff und nutzlos vom Körper hinab.
„Wir führen ein verdammt gutes Leben. Feinstes Essen und leckere Frauen wann und wo du willst. Gold in Massen und überall wo du hinkommst wirst du entweder geachtet oder gefürchtet. Mehr kann ein Mann vom Leben doch echt nicht erwarten.“
Ohne ein Wort zu erwidern spuckte Ahrok das Blut aus, welches sich in seinem Mund angesammelt hatte. Mit einem schmerzlichen Kraftschrei wuchtete er sich den riesigen Zweihänder auf die Schulter.
„Dachte ich mir schon.“ In gespielter Enttäuschung schüttelte sein Gegenüber den Kopf. „Schade. Dann wirst du hier sterben, Junge.“
„Mein Name ist nicht ´Junge´. Ich heiße Ahrok!“, bellte er wütend. „Merk dir diesen Namen, dann kannst du Than erzählen wer dich zu ihm geschickt hat!“
Mit lautem Gebrüll mobilisierte er alle verbliebenen Reserven und stürmte auf seinen Gegner zu.

Sechs Pferde lagen tot oder sterbend an der Westseite des Dorfes. Ragnar hatte die meisten der berittenen Soldaten zu Infanteristen gemacht, indem er mit dem scharfen Blatt seiner Axt Reittier um Reittier gefällt hatte. Der stechende Geruch, des überall auslaufenden Blutes lag penetrant in den Nasen der Kämpfer.
Gerade setzte Ragnar zu seinem gefürchteten Falletan Rôg an.
Der Angriff trieb die Axt von der rechten Schulter des Mannes bis zur Körpermitte. Dann riss der Zwerg noch einmal kräftig nach und das Drachenfeuerblatt schnitt weiter bis zur linken Hüfte, trennte somit den oberen Teil des Soldaten vom Rest seines Körpers. Eine kleine Fontäne schoss aus dem leblosen Rumpf, bevor dieser schlaff zu Boden sackte.
Mit der Moral seiner Gegner stand es wahrlich nicht zum Besten.
Jeder, der noch ein Pferd besessen hatte, war entweder an Ragnar vorbei in die Stadt hinein geritten oder hatte sich gar gänzlich aus dem Staub gemacht, doch die drei Männer, die ihm noch gegenüber standen, wagten es nicht, dem wild gewordenen Zwerg den Rücken zu zukehren und die Flucht zu ergreifen.
Um sie herum lagen die zerstückelten Reste ihre qualvoll verendenden Kameraden im Blut ihrer toten Schlachtrösser. Männer mit denen sie etliche Schlachten für ihren geliebten Grafen geschlagen und überlebt hatten, Männer mit denen sie gemeinsam nach dem Krieg als Geächtete durch die Mark gezogen waren, Männer die im Umkreis von mehrere Tagesreisen überall gefürchtet waren, wurden einer nach dem anderen von einem einzigen Zwerg gefällt.
Was hatten sie im Gegenzug schon erreicht?
Ein paar Häuser des aufsässigen Dorfes brannten, doch das erhoffte Gemetzel unter den Bauern war ausgeblieben und hatte sich zu einem unvorstellbaren Massaker in ihren eigenen Reihen entwickelt.
Ein einzelner Zwerg hatte sie aufgehalten und wo um alles in der Welt blieb ihr Feldwebel mit der Verstärkung?
Schon wieder duckte sich der leicht verletzte Zwerg unter einem Angriff hinweg und riss seine grausame Axt nach oben. Das Knirschen, als sich das scharfe Blatt zwischen den Beinen hinauf in den Unterleib fraß, nahm allen Anwesenden fast den Verstand.
Es war als träfe der Angriff auf keinerlei Widerstand, die Waffe glitt gleichsam leichtfertig durch Kettenhemd und Körper ihres Kameraden bis hinauf zur Brust. Er hatte nicht einmal mehr Zeit für einen überraschten Aufschrei gehabt, da fiel er schon mit gespaltenem Körper nach hinten.
Erneut schreckten die letzten Beiden zurück. Der Zwerg war ganz sicher kein feiger Deserteur, so wie er es ihnen erzählt hatte. Er kämpfte mit einer Erfahrung und Wildheit, der sie in ihrem angeschlagenen Zustand nichts entgegenbringen konnten.
Erst als kurz darauf in einiger Entfernung erneut Pferdegetrappel zu vernehmen war, schöpften sie neuen Mut. Tatsächlich handelte es sich bei dem Reiter um einen ihrer Kameraden, der noch vor kurzer Zeit vom Schauplatz des Gemetzels geflohen war.
Der von gerechtem Zorn beflügelte Stoß des berittenen Korporals ließ Ragnar wie einen Spielball durch die Luft segeln.
Diesen harten Treffer würde der vermaledeite Zwerg nicht so einfach wegstecken! Diesmal hatte sich das Blatt zugunsten der Soldaten gewendet.

Nahezu spielerisch parierte Ahroks Gegner seinen Angriff mit dem leichten Säbel und landete einen Tritt in Ahroks Bauch, der ihn gleich wieder um einige, hilflose Schritte zurücktaumeln ließ. Sein Zorn machte alles nur noch schwieriger. Aus der Tiefe seiner Erinnerungen wollten Sigurds Lehren zu ihm durchdringen, aber die Wut lag wie ein undurchdringlicher Schleier über ihnen.
Dieses Monster, was Frauen entführte, Kinder ermordete und Dörfer nieder brannte spielte mit ihm. Wie konnte er da nicht zornig sein.
Wieder und wieder stieß er vor. Einen jeden von Ahroks Angriffen ließ der Mann jedoch leicht von seiner Waffe abgleiten, ein jedes Mal verpasste er Ahrok einen Schlag mit der offenen Hand, einen Tritt oder einen winzigen Kratzer im Gesicht. Der Kerl schien seine Überlegenheit offensichtlich sehr zu genießen. Er machte keinerlei Anstalten Ahrok mit einem einzigen präzisen Angriff aufzuspießen, obwohl er sicherlich dazu in der Lage gewesen wäre.
Wenn Ahrok sein Schwert nur mit beiden Händen führen könnte.
Aber der linke Arm hin ihm nur nutzlos von der schmerzenden Schulter.
„Ist das alles was du kannst, Junge?“ Er ließ Ahrok ins Leere taumeln und verpasste ihm einen kräftigen Tritt in den Hintern. „Du langweilst mich. Ehrlich. Wenn du es darauf anlegst, mich zu Tode zu langweilen, dann gibst du dein Bestes, ansonsten ist das eine ziemlich jämmerliche Vorstellung.“
Ahrok kniete keuchend im Staub und funkelte den Mann wütend an. Er nahm seinen Gegner nur noch als verschwommenen Umriss hinter einem Schleier aus Blut wahr. All die kleinen Schnittwunden im Gesicht waren zwar nicht schmerzhaft, aber das Blut brannte in seinen Augen. Die vielen Treffer machten sich schon seit einer Weile bemerkbar. Die Lunge arbeitete nicht mehr mit voller Kraft und auch seine Muskeln waren am Ende ihrer Leistungsfähigkeit angelangt. Gedanken flossen ihm einfach davon. Er konnte sie nicht festhalten, es drehte sich alles um ihn herum.
In diesem Moment schien es ihm gar nicht so abwegig, einfach aufzugeben. Einfach hinzufallen und liegen zu bleiben. Der Schmerz und die nie enden wollenden Anstrengung würden dann bestimmt einfach verschwinden.
„Schmerz ist eine Illusion des Geistes!“, hämmerte es von irgendwoher in seinen Schädel. „Solange du noch atmest kannst du auch töten!“ Die Erinnerung an Mias Stimme riss ihn aus seiner Verwirrung. „Du kannst töten und überleben oder du kannst sterben und dann holt dich der Weizen. Eine andere Wahl gibt es nicht. Willst du leben, Ahrok?“
Die verwaschenen Umrisse fügten sich wieder zu einem festen Bild zusammen.
Sein Gegner hob die Waffe zum Angriff.
„Heb dein Schwert! Hoch damit!“, befahl die Stimme von Mia.
Im letzten Moment kam Ahroks Schwert zur Deckung hoch und der Säbel glitt kreischend an seinem Kopf vorbei. Überrascht hob sein Gegner die Augenbraue. Langsam kam Ahrok wieder auf die Beine.
„Es sieht aus, als hätte ich dich schon wieder unterschätzt“, grinste sein Gegenüber.
Üblicherweise hätte Ahrok mit einer ausfallenden Bemerkung geantwortet, aber im Moment brauchte er jedes bisschen Kraft, um sich auf den wackeligen Beinen zu halten.
„Sag mir... sag mir einfach, warum? Warum die Kinder?“
Schon hieb der Mann auf ihn ein. Sein Säbel prallte gegen den massiven Stahl von Ahroks Bidenhänder. Unter dem Druck ging Ahrok in die Knie und sein Gegner drückte erbarmungslos weiter. Ahroks Widerstand schwand mehr und mehr, sein eigenes Schwert wurde immer weiter nach unten gepresst und die Klinge seines Gegners arbeitete sich Zoll für Zoll auf Ahroks Gesicht zu.
„Die kleine Unannehmlichkeit meinst du? Das war nichts Geplantes, nichts Persönliches. Es ist einfach passiert. Ein Wort ergab das nächste und dann war plötzlich schon eines der Bälger tot... Da konnten die anderen nicht leben bleiben. Drauf geschissen, ist ja mittlerweile eh alles egal. Hier werden dank dir jetzt ohnehin alle sterben.“
Urplötzlich ließ auch die Kraft seines Gegners nach.
Ahrok konnte nicht erkennen, was dieser nun schon wieder vorhatte. Der Anführer der Soldaten blickte ihn verwundert an, aus seinem geöffneten Mund rann ihm ein dünner Speichelfaden. Sein Säbel fiel zu Boden und er versuchte krampfhaft etwas an seinem Rücken zu erreichen.
Ohne ein weiteres Wort sank der Mann vor ihm auf die Knie und fiel dann der Länge nach in seine Arme. Erst jetzt erblickte Ahrok die gewaltige Axt, die zwischen den Schulterblättern seines Gegners steckte.
Krampfhaft zittrigen Hände krallten sich in einem letzten Aufbäumen um Ahroks Hals: „Sei verdammt du… Mist... kerl...“, flüsterte er noch. Dann riss Ragnar die Axt aus dem Sterbenden.
In einem letzten qualvollen Moment bäumte sich der Bandit noch auf, dann sank er wieder reglos auf Ahrok.
Angewidert schüttelte dieser die Leiche von sich.
„Jetzt kannst du Than vollquatschen, du Stück Scheiße!“ Ahrok blickte sich um, konnte jedoch kaum etwas erkennen. „War´s das, Ragnar?“, presste er zwischen einigen Atemstößen hervor.
„Das war´s“, nickte der Zwerg und wischte das Blut von seiner Axt.
„Gut…“ Ahrok ließ sein Schwert fallen. „Dann brauchst du mich hier ja nicht mehr.“
Wie ein grün und blau geschlagener Schlafwandler schlurfte er auf die Taverne zu. Er fühlte sich wie gemartert. Die schmerzende Schulter raubte ihm fast den Verstand, doch selbst für einen gerechtfertigten Schmerzensschrei fehlte ihm jetzt die Kraft. Leise stöhnend arbeitete er sich vorwärts. Jeder Atemzug stach wie ein glühender Dolch in seiner Lunge.
Hinlegen. Ein Bett. Ruhe. Dunkelheit.
Das war alles was er jetzt wollte. Irgendwo in dieser Richtung musste die Taverne liegen. Hoffentlich war es dieser riesige Schatten direkt vor ihm.

Ragnar sah Ahrok wortlos nach.
Sein Freund schleppte sich mit letzter Kraft vorbei an den blutenden Körpern und Pferdeleichen, die hier auf der Straße lagen wie in einem Freiluftschlachthaus. Für jeden einzelnen Schritt schien er eine Ewigkeit zu brauchen. Es musste ihn hart erwischt haben, um ihn so aussehen zu lassen. Der Zwerg grinste grimmig.
Schon wieder hatten sie ein unmögliches Gemetzel überlebt. Verdammte Scheiße, mussten die Götter ihn hassen.
Fast alle Angreifer lagen zerhackt oder aufgespießt im Dorf, die Wenigen, die entkommen konnten, würden sich bestimmt nie wieder in diesem Landstrich blicken lassen. Vermutlich würden sie eher ihre Pferde zu Tode reiten, bevor sie auch nur ein einziges Mal zurückblickten. Leises Wimmern erweckte Ragnars Aufmerksamkeit.
Vorsichtig humpelte er zur Fallgrube hinüber. Beim dritten Schritt gab sein verletztes Knie nach und er fiel der Länge nach hin. Seiner Erfahrung nach hatte ein Angriff ihm vorhin einige Sehnen im Kniegelenk zerrissen. Diese Verletzung war ihm unschön vertraut.
Vor Schmerz und Ärger gleichsam stöhnend stützte sich Ragnar auf seine Axt und erhob sich wieder.
Als er nach einigen unbeholfenen Schritten den Rand der provisorischen Fallgrube erreichte, sah er die Ursache des Gewimmers. Eines der Pferde war durch den Sturz schwer verletzt worden und hatte sich im Todeskampf auf seinem Reiter hin und her gewälzt. Nun lag der Mann halb unter dem zitternden Pferd. Seine Beine samt Unterleib waren durch das Gewicht seines Rosses zerquetscht worden und er rief mit letzter Kraft leise um Hilfe. Als er jedoch statt seiner Kameraden den Valr erblickte, verstummte er und stierte Ragnar nur mit großen Augen an. Teilnahmslos betrachtete Ragnar den Sterbenden eine Weile und humpelte dann auf seine Axt gestützt davon.
Er stoppte kurz bei den Leichen einiger Bauern, die sich entgegen all seiner Anweisungen mit in den Kampf gestürzt hatten.
Diese dummen Menschen! Konnten ja nie hören, wenn ein Zwerg ihnen etwas befahl. Nur weil sie längere Beine hatten, hieß das noch lange nicht, dass sie einen besseren Überblick über das Leben besaßen. Ihre Sturheit hatten sie mit einem hohen Preis bezahlt.
Einer von ihnen lächelte selbst im Tode noch friedlich. Für einen winzigen Augenblick zog Ragnar in Erwägung, dass auch Menschen in ihrer Kultur eine Art Valrkult besaßen und dieser Mann endlich sein wohlverdientes, ruhmreiches Ende gefunden hatte, doch er verwarf den Gedanken beinahe ebenso schnell wie er gekommen war. Menschen hatten einfach nicht genug Ehrgefühl, um solch Traditionen zu besitzen.
Dennoch kam er nicht umhin, den Mut dieser dummen Bauern anzuerkennen. Sie hatten sich mit Stöcken bewaffnet gegen ein ganzes Dutzend schwer bewaffneter, kampferprobter Soldaten geworfen.
Tapfer.
Dumm, aber tapfer.
Sehnsüchtig blickte er zur Taverne, die soeben von innen geöffnet wurde.
Ein kühles Bier nach der Schlacht wäre jetzt so wunderbar, aber er konnte die Körper der ehrenhaft Gefallenen nicht einfach so hier zwischen all dem Abschaum liegen lassen. Sie hatte etwas Besseres verdient. Wären sie Dwawi gewesen, dann würden sie jetzt als Einherier an der großen Festtafel in Hadwins Hallen sitzen und mit den Helden der Vorzeit trinken und feiern.
Sicherlich hatten die Götter der Menschen ein ähnliches Schicksal für solch ungehorsame und tapfere Männer bereit.
Während er diesem Gedanken nachhing, stürmten einige Frauen aus der Taverne und suchten laut und verzweifelt rufend nach ihren Männern.
Nur die Hälfte von ihnen konnten ihre Ehemänner wieder unversehrt in die Arme schließen. Drei Frauen brachen schreiend oder schluchzend vor leblosen Körpern zusammen. Eine von ihnen war diejenige, welche schon gestern ihre Tochter verloren hatte. Luise hatte sie geheißen. Der Name des Mädchens sprang Ragnar an wie ein hungriger Wolf und er erinnerte sich nur ungern an den geschändeten Körper, aber das Bild wollte einfach nicht aus seinem Kopf verschwinden.
Nun kniete die Mutter neben der kopflosen Leiche ihres Ehemannes und weinte bitterlich.
Die Götter des Krieges waren beschissen gehässig, was seinen Tod anbetraf, dafür umso unnachgiebiger zu den kleinen Leuten. Der Ruhm einer Schlacht verblasste aus der Nähe betrachtet nur allzu oft neben den viel zu großen Opfern, die sie forderte. Ein schaler Geschmack legte sich auf Ragnars Zunge.
Mit tränennassen Augen sprang sie auf. „Warum hast du ihn nicht beschützt?!“, fuhr sie Ragnar an. „Er war kein Kämpfer, er war nur ein einfacher Gerber! Er hätte nicht hier draußen sein dürfen. Es war deine Aufgabe ihn zu beschützen!“ Wütend trommelte sie mit ihren Fäusten gegen Ragnars blutverschmierte Brust. „Du hättest ihn beschützen müssen! Du hättest…“
Tränen erstickten den Rest ihrer Worte.
Hilflos blickte Ragnar auf sie herab, was nur möglich war, weil die Frau vor zusammengebrochen war. Zögerlich hob er seine Hand, dann strich er ihr mit der schwieligen Pranke über den Kopf. Betroffen standen einige der Dorfbewohner herum, doch die Freude nahm einfach überhand. Selbst angesichts der schmerzlichen Verluste brach unter den meisten von ihnen vorsichtiger Jubel aus.
 
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Kommentare  

wie der titel schon sagt: ein massaker, und zuerst sah es ganz übel für ahrok aus, und wenn ragnar mit seiner axt nicht gewesen wäre, dann... ragnar mag ich irgendwie. ;-)

Ingrid Alias I (04.05.2012)

´Vorsichtiger Jubel` ist wirklich gut ausgedrückt. Ragnar ist einfach süß.

Petra (28.04.2012)

Schön, dass du das so empfindest, denn die Kämpfe sind schließlich ein bedeutender Bestandteil - wär schade, wenn sie jetzt den Schwachpunkt ausmachen würden.

Jingizu (27.04.2012)

Beim Lesen ist mir wieder alles eingefallen. Die Dörfler hatten keine Glück und Ragnar und Ahrok konnten das berittene dutzend an räuberischen Soldaten besiegen. Aufgefallen ist mir, dass Ahrok diesmal viel überzeugender in seiner Art zu kämpfen rüberkommt als damals.

Jochen (27.04.2012)

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