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Mission zum Deltatal 1/2

Spannendes · Kurzgeschichten · Experimentelles
Johnny runzelte seine Stirn. Es gab nicht viel, das ihn erschüttern konnte, denn er hatte wirklich schon sehr vieles in seinem Leben gesehen, und manches davon war so erstaunlich gewesen, so erschreckend, so abseits von der Norm, dass es einen normalen Verstand sehr wahrscheinlich in den Wahnsinn getrieben hätte, und wenn nicht in den Wahnsinn, dann hätte es doch zumindest lebenslange, psychische Probleme auslösen können. Doch Johnny hatte es immer ertragen gehabt; hatte es immer einfach akzeptiert, so als sei es das Menschlichste, das nur geschehen könnte. Doch das, was ihm nun bevorstand, wäre auch für ihn fast zu viel gewesen. Denn er sollte eine Expedition zum Deltatal begleiten.
Nach der Einsatzbesprechung, nachdem ihnen diese Expedition angekündigt worden war, hatte er sich in seine privaten Räumlichkeiten zurückgezogen, und sich einen Scotch genehmigt. Gäbe es keinen Scotch auf dieser Raumstation, Johnny wäre wohl nie zu diesem Beruf fähig gewesen, denn Johnny gehörte zur Besatzung der legendären Raumstation „Lutetia“ auf dem fast noch legendäreren Planeten Tristan.
Es war eine grosse Station, eine der man ansah, dass sie für eine längere Mission gebaut worden war. Für eine Mission weit draußen in den Tiefen des Weltalls, wo man niemanden schreien hören konnte; wo es niemanden interessierte, wie man sich gerade fühlte. Denn der Job musste einfach erledigt werden, ob man dies nun wollte oder nicht.
Ihre Aufgabe bestand darin, auf Tristan so genante „seltene Erden“ zu finden, Bodenschätze also, die auf der Erde profitabel verkauft werden konnten. Machten sie so etwas hier in ausreichender Menge ausfindig, wurden diese dann später von Bergbauarbeitern abgebaut. Die Firma, die sie angeheuert hatte, hieß „Starfinder“ und war fast überall im für sie erreichbaren Universum tätig.
Johnny ließ sich in seinen Sessel plumpsen. Sein Whiskeyglas hatte er in seinen Händen. Er betrachtete es, betrachtete den Inhalt. Es sah edel aus. Er ließ das Licht in seinem Privatraum ein wenig dimmen, wodurch der Inhalt irgendwie noch edler aussah. Es war sein Lebenselixier.
Er bestellte sich beim Computer seine Lieblingsdame. Sie war schwarzhaarig, er stand auf schwarzhaarige; sie war gebildet, er stand bei Frauen auf Bildung; sie kannte sich mit Existenzialismus aus, er mochte diese philosophische Richtung sehr gerne. Es war schon öfters mal vorgekommen, dass er mit ihr ganze Nächte lang durchdiskutiert hatte, ob, und falls ja, in wiefern das Leben einen Sinn ergeben könnte, insbesondere hier, weit draußen im Weltall. Tracy, so nannte er sie, hatte ihren ganz eigenen Standpunkt bei dieser Sache. Und das mochte er erstrecht bei einer Frau. Ja, sie war seine Traumfrau. Zwar lediglich vom Computer erschaffen, aber dennoch. Weit draußen im Weltall reichte ihm diese Projektion seiner Wünsche, die er an eine Frau hegte, zumindest für den Moment völlig aus.
Tracy setzte sich auf seinen Schoß. Er trank einen weiteren Schluck aus seinem Whiskeyglas. Heute wollte er mal nicht mit ihr über ein philosophisches, bestenfalls existenzialistisches Problem diskutieren. Heute reichte es ihm schon völlig aus, dass er nur eine weibliche Gesellschaft hatte; dass er nicht alleine war.
Das Deltatal. Tracy streichelte ihm sanft durch sein Haar. Es galt als die gefährlichste Gegend auf dem Planeten Tristan. Tracy küsste ihn liebevoll auf seine Stirn. Bisher hatte es lediglich eine einzige Expedition zu dieser abgelegenen Gegend auf Tristan gegeben. Tracy graulte ihn auf seiner behaarten Brust. Warum, verdammt noch mal, war die Firma auch zu der Einschätzung gelangt, dass die meisten Bodenschätze auf Tristan ausgerechnet in dieser gottverlassenen Gegend vergraben sein könnten? Tracy küsste ihn liebevoll auf seinen Mund. Würde er auch diese Mission überleben? Hoffentlich, denn es war seine letzte Mission auf diesem Planeten, die Letzte, bevor er mit der Besatzung zurück zu seinem Heimatplaneten fliegen würde, zurück zur Erde. Gott, wie lange hatte er diesen wunderbaren Planten nicht mehr gesehen? Das musste jetzt schon mindestens zwei Jahre her sein, wahrscheinlich aber länger.
Die Männer der letzten Mission zum Deltatal waren seit dem nie wieder aufgetaucht, und das war immerhin schon sechs Monate her. Sie mussten tot sein, wie sollte es auch anders sein? Schließlich gab es außerhalb der Raumstation keinerlei Möglichkeiten auf Tristan überleben zu können.
Tracy machte sich nun daran, weiter zu gehen. Sie wollte gerade Johnnys Hosenschlitz öffnen, als er sanft ihre Hand nahm, und sie liebevoll daran hinderte. Sie schaute enttäuscht zu ihm auf. „Heute nicht, Schätzchen“, sagte er zu ihr. „Wenn ich wieder zurück bin.“ Daraufhin lächelte sie ihr bezauberndes Lächeln. Sofort wurde ihm warm ums Herz, und er geriet in Versuchung. Aber heute nicht. Heute mal nicht. Es ging einfach nicht. Er wollte nicht. Er brauchte nur weibliche Gesellschaft, das war gerade alles. Nur eine wundervolle Frau, die ihn liebkoste; die ihn streichelte; die ihm das Gefühl gab, begehrt zu sein. Und darin war Tracy wirklich gut. In manchen Dingen war sie vielleicht sogar besser, als so manch echte Frau, die Johnny in seinem Leben kennen gelernt hatte.

Johnny schwitzte in seinem Raumanzug. Es war einer diese neueren Modelle, hyperbequem, hyperbelastbar, hypermodern und noch viele weitere Adjektive mit hyper. Dennoch empfand er ihn als unbequem, denn er schwitzte darin. Nicht etwa, weil ihm heiß war. Denn der Raumanzug war so konstruiert worden, dass er stets von selbst für das für Menschen beste Klima sorgte. Johnny schwitzte viel mehr, weil er Angst hatte.
„Bleibt alle zusammen“, ertönte eine Stimme in seinem Helm. Es war die Stimme des Einsatzleiters. Dieser Befehl wäre nicht nötig gewesen, zumindest nicht für Johnny. Er hatte absolut nicht die Absicht, die Gruppe zu verlassen. Die Mission erschien ihm eh schon als gefährlich genug. Er wollte nicht auch noch zusätzlich eine gefährliche Situation provozieren.
Sie waren jetzt schon zwanzig Minuten unterwegs. Die Landschaft war der Marsoberfläche ziemlich ähnlich. Alles sah irgendwie rötlich aus, es gab viele Hügel und Krater, vermutlich verursacht durch diverse Kometeneinschlägen, so wie wahrscheinblich auch das Deltateil einmal entstanden war. Aber dies war ja gerade eine dieser Fragen, die ihre Mission beantworten sollte. Denn es konnte durchaus sein, dass die Kometen, die auf dem Planeten einschlugen, die begehrten seltenen Erden enthielten. Sollte dies tatsächlich so sein, würde es ihre Suche danach erheblich erleichtern. Denn sie müssten dann lediglich nach Kratereinschlägen suchen, um so die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, die begehrten Bodenschätze finden zu können. Wahrscheinlich war es diesmal auch Teil der Mission, nach den vermissten Astronauten der ersten Mission zu suchen, wobei aber diese Frage eher ungestellt im luftleeren Raum zu stehen schien.
Nach weiteren zehn Minuten des Laufens und, zumindest im Falle Johnnys, des kalten Angstschwitztens, erreichten sie endlich den Kraterrand und schauten nun besorgt hinab. Allerdings war dort zumindest mit bloßem Auge erst einmal nichts Ungewöhnliches zu sehen.
„Freiberg, was zeigen Ihre Geräte an?“, ertönte es nun im Johnnys Helm. Der Einsatzleiter wollte dies von einem ihrer mitgebrachten Wissenschaftler wissen.
„Nichts Besonderes, Sir“, entgegnete dieser.
„Die erste Mission begann ihren Abstieg exat an dieser Stelle“, sagte daraufhin der Einsatzleiter. „Ich schlage vor, dass wir eine andere Stelle suchen, damit wir deren Abstiegsstelle im Auge behalten können. Vielleicht gibt es weiter unten irgendetwas Ungewöhnliches zu sehen. Die automatische Übermittlung der Informationen über deren Mission brach nach etwa fünfundvierzig Minuten ab. An dieser Stelle muss also irgendetwas passiert sein.“ Auch alle Daten und Funksprüche, die nun von ihnen getätigt wurden, wurden automatisch zu ihrer Station übermittelt. „Freiberg, scannen Sie bitte möglichst gründlich den Grund dieses Kraters ab.“
„Schon erledigt, Sir“, gab dieser prompt etwas streberhaft wirkend zurück.
„Und?“
„Nichts Besonderes. Es scheint alles so zu sein, wie es sein sollte. Unsere Satelitenfotos haben ja auch nichts Besonderes hier entdecken können. Meine Daten stimmen damit überein.“
„In Ordnung. Suchen wir nun nach einer Abstiegsstelle für uns“, sagte daraufhin der Einsatzleiter bestimmend, und sie taten, wie Ihnen befohlen worden war.
Nach weiteren zwanzig Minuten hatten Sie endlich eine hierzu geeignete Stelle gefunden. „Mr. Sleiber“, damit meinte der Einsatzleiter Johnny, „schicken Sie die Drohne los.“ Und Johnny tat, wie ihm geheißen. „ Schicken Sie sie zunächst zum Kratergrund und zeichnen Sie auf ihrem Weg unseren Weg, den wir zu gehen haben, auf. Ich möchte bei unserem Abstieg auf keine unerwarteten Überraschungen stoßen müssen.“
„In Ordnung, Sir.“ Und die Drohne flog geschmeidig los und zeichnete den gesamten Weg auf. Johnny hatte einen kleinen Bildschirm an seinem Handgelenk befestigt, mit dem er die Bilder, die nun aufgezeichnet wurden, sehen konnte. Die Drohne war seine Konstruktion gewesen. Er hatte sie für die speziellen Anforderungen dieser Mission konzipiert.
Nach fünfzehn Minuten erreichte die kleine Drohne, die ein wenig wie ein kleines UFO aussah, den Kratergrund. Daraufhin meldete Johnny in seinen Helm: „Habe den Kratergrund erreicht.“
„Und?“, wollte nun der Einsatzleiter von ihm wissen.
„Es sieht alles so aus, wie es sein sollte“, vermeldete Johnny.
„In Ordnung. Holen Sie die Drohne wieder herauf und lassen Sie sie unseren Abstieg filmen. Sollte uns tatsächlich etwas zustoßen, wovon ich selbstverständlich nicht ausgehe, dann möchte ich, dass unsere Station dieses Mal Videoaufzeichnungen davon erhält, um rekonstruieren zu können, was da, verdammt noch mal, vor sich gegangen ist.“
Und Johnny ließ seine Drohne wieder aufsteigen, und als sie wieder bei ihnen angekommen war, begannen sie nun ihrerseits mit dem Abstieg. Dieser wurde nun von der Drohne in einem relativ geringen Abstand zu ihnen aufgezeichnet und die dabei entstandenen Videoaufzeichnungen direkt an ihre Station übermittelt.
 
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