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Flirtversuch mit Traumfrau. Oder: Ein Fall von Dopamin und unserem Einbildungsvermögen

Kurzgeschichten · Romantisches
Oh, es hatte mich erwischt! Ich kann euch flüstern! Amors Pfeil traf mich wie der berühmte Blitz aus heiterem Himmel. Wie ein geheimnisvoller Engel hatte sie mich angelächelt. Nur Engel aus dem siebten Himmel oder noch ein paar Sphären höher können so verführerisch lächeln. Sie hätte tausend andere auf dieser lebhaften Straße anlächeln können, aber ICH war gemeint; davon war ich überzeugt wie nur ein geblendetes Mannsbild überzeugt sein kann.

Im offenen Cabrio war sie an mir vorbeigefahren. Ach, was heißt gefahren? Geschwebt war sie! Mit wehenden Haaren und einem duftig-weichen Schal um den schlanken Hals, wie ein vorbeirauschendes Geschöpf aus einer Parfüm-Werbung, untermalt mit Vivaldis Vier Jahreszeiten. Im Bruchteil einer Sekunde wusste ich: DAS ist meine Traumfrau! Eine jener Frauen, von denen man heimlich träumt und niemanden davon erzählt, um sich nicht als Spinner der Lächerlichkeit preiszugeben.

Ein Engel mit Charme und Natürlichkeit, ein Zauberwesen mit Ausstrahlung und Esprit. Einfach perfekt, wie sie den Kopf gehoben und gelächelt hatte, mit feinen, klugen Gesichtszügen und lebendigen Augen, die tieferes versprachen als nur ein banales Abenteuer.

Und warum sollte eine junge Frau mich nicht anlächeln? Ich war nicht übel, zwar schon älterer Jahrgang und auch bereits etwas angestaubt, aber an Tagen wie diesen schlugen die Triebe wieder aus und ich spürte die Säfte in mir hochsteigen wie vor vielen Jahren. Jetzt musste ich nur etwas aus der Situation machen, die Gunst der Stunde nutzen, denn – mein Herz verdoppelte den Rhythmus - sie bremste plötzlich hundert Meter weiter, fuhr an den Straßenrand, blieb im Wagen sitzen und wartete offensichtlich auf meine Initiative …

Geschickt eingefädelt, dachte ich und überschlug die Situation. Sollte ich winken? Auf mich aufmerksam machen? Ihr ein Zeichen geben, dass ich ihr Lächeln bemerkt hatte? Dass die Bedeutung ihres kurzen Augenaufschlags einem sensiblen Mann wie mir nicht verborgen geblieben war?!

Ich lief los; nicht zu schnell, damit es nicht peinlich oder aufdringlich wirkte, aber doch zügig genug, um mich ihr zu nähern, ohne dass man mich für einen Hampelmann auf Freiersfüßen halten konnte. Der Schein musste gewahrt bleiben!

Sie saß noch immer im Auto und tat so, als suche sie etwas im Handschuhfach. Erfindungsreich wie Frauen eben sind. Ach, ich liebte diese subtilen Spiele.
Wie sollte ich sie ansprechen? Der erste Satz musste ihrer Persönlichkeit angepasst, musste allumfassend sein und durfte doch nicht übertrieben wirken.
„Hallo, Sie haben ein wunderschönes Lächeln!“ werde ich mit einer lausbubenhaften Mischung aus Bescheidenheit und Wagemut sagen, das wirkt immer und schafft Vertrauen bei den Frauen. Und sie wird mir antworten „Sie aber auch! Sie sind mir angenehm aufgefallen!“ Und schon war das Eis gebrochen. Soo einfach kann das mit der Liebe sein…

Als ich auf halber Höhe war, stieg sie plötzlich aus, ging um das Auto herum, schwenkte ihre Handtasche und ging dann zielstrebig auf das Geschäftshaus zu, dessen Eingang von zig Hinweisschildern auf Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater und eine Model-Agentur gesäumt war.

Logisch! Jetzt kam mir die Erkenntnis!
Sie ist Model und hat ein Casting bei ihrer Agentur! Oder einen anderen wichtigen, unaufschiebbaren Termin. Und kann deshalb nicht auf mich warten. Wieso kam mir nicht gleich dieser Gedanke?

Abschätzend blickte ich die Hausfassade hoch, war aber nur für einen Augenblick verunsichert und beschloss sofort eine neue Strategie.
Ich werde ihr ein Briefchen schreiben, eine kurze Mitteilung an den Scheibenwischer stecken, und mich dann schräg gegenüber in das Terrassencafé setzen und einfach warten bis sie wieder heraus kommt. Es war ein sonnenwarmer Frühlingstag; die Gelegenheit für Liebeskontakte konnte kaum besser sein. Mir war nach Jugend, nach Frische und neuem Leben. Vögel übertönten mit ihrem Zirpen und Balzen sogar den Verkehrslärm und sangen das Lied von der Liebe. Für noch mehr Dopamin war kaum Platz in meinem Hirn.
Im Erdgeschoss war ein Schreibwarengeschäft; ich kaufte rosa Briefpapier und einen markanten Filzstift, der mir eine flüssige, überzeugende Handschrift erlaubte.

„Sie haben ein wunderschönes Lächeln!“ schrieb ich. „Danke, dass Sie es mir geschenkt haben! Darf ich Sie zu einer Tasse Kaffee einladen? Ich warte gegenüber auf der anderen Straßenseite im Café auf der Terrasse!“ Für alle Fälle schrieb ich noch meine Handynummer dazu. So, das war deutlich und doch nicht zu aufdringlich. Welche Frau kann so viel charmanter Kreativität widerstehen…?

Von der Caféterrasse aus hatte ich den Hauseingang und das Auto im Blick. Ich tat ein bisschen gelangweilt, als würde ich mich lässig auf eine Zeitung konzentrieren, dabei schielte ich immer wieder nervös über die breite Straße mit dem lebhaften Verkehr.

Wie würde ich mich verhalten, wenn sie aus der Tür kommt und zum Auto geht?
Aufspringen?
Mit den Händen gestikulieren?
Über die Straße laufen?
Laut rufen?
Wie ein Bauarbeiter, der vom Gerüst allem, was irgendwie nach Frau aussieht, ordinär nachpfeift? Kein Risiko eingehen und sie nicht entkommen lassen?

Unsinn!
So etwas macht man nicht mit einer Klassefrau wie dieser! Die Sache ist doch sowieso klar und vorbestimmt. Sie wird das rosa Briefchen vom Scheibenwischer nehmen, wird es interessiert und dann auch ein wenig amüsiert lesen, sie wird lächeln und zu mir herüberschauen, und ich werde winken, ein kurzes, unaufdringliches Zuwinken; die Hand, nein, nur den Finger kurz heben, fast weltmännisch, wie ein Mann mit Selbstbewusstsein und Souveränität, und der Rest ergibt sich von selbst…

Und dann?
Dann werden wir reden. Über sie, über ihre Arbeit, über den letzten Film und vielleicht auch über die gesellschaftliche Entwicklung und die neuesten Wirtschaftsdaten oder sonst etwas, was nach Intelligenz und Wissen und Offenheit ausschaut und sich vom üblichen Smalltalk abhebt.

Nicht mit der Tür ins Haus fallen, aber doch mit Bedacht abtasten, wie weit die gemeinsamen geistigen Interessen gehen könnten, die letztlich auch zu jener Vereinigung führen werden, die, - hmm -, das Wasser floss mir im Mund zusammen. Meine Fantasie schlug Purzelbäume.

Nach einer weiteren halben Stunde trat sie aus dem Haus. Endlich! Befreites Aufatmen und Herzflimmern zugleich!
Aus der Nähe war sie noch schöner! Dieses Kleid! Diese Haltung! Diese Eleganz! Und diese Weiblichkeit! Sie schaute sich um. Aha, sie sucht mich, hofft auf den verpassten Kontakt von vorhin! Kann ihn aber noch nicht entdecken. Kein Wunder! Aber gleich, gleich werde ich mich zu erkennen geben!

Sie ging auf das Auto zu und schloss die Wagentür auf. Jetzt! Jetzt musste sie das Liebesbriefchen sehen! Aufdringlicher und unübersehbarer als ein Verkehrsknöllchen klebte es an der Windschutzscheibe. Aber Liebe macht blind – sie sah es nicht, setzte sich ans Steuer und ließ den Motor an.
Nun musste ich reagieren!

Abrupt stand ich auf. Unschlüssig und ratlos blickte ich über die Straße. Sollte ich mein Glück einfach so davonfahren lassen? Ich hob den Arm. HALLO HIER! Aber sie hatte die Parklücke verlassen und war bereits auf die Straße und auf den fließenden Verkehr konzentriert. Wieder flatterten ihre Haare und der seidenweiche Schal im Fahrtwind. Noch immer klebte die rosa Botschaft unter dem Scheibenwischer. Es musste ihr die Sicht nehmen. So etwas kann man nicht übersehen! Jetzt, spätestens jetzt wird sie aufmerksam werden! Sie wird anhalten, aussteigen, das Briefchen lesen, und die ganze Situation war gerettet…
Sie gab Gas, fügte sich, schneller werdend, geschickt und souverän in den Verkehr ein und betätigte die Scheibenwischanlage. Unbarmherzig rasten die Scheibenwischer über die Windschutzscheibe. Boshaft wie aus giftigen Schlangenhälsen spritzte das Wischwasser auf das rosa Briefchen. Es löste sich, wirbelte durch die Luft über die Straße; andere Autoreifen erfassten es, schleuderten es erneut hoch, bis es verloren wie ein kleiner, verschmutzter Papierflieger im Staub der Straßenrinne landete.

In diesem Moment klingelte mein Handy. Es war meine Frau. "Wo bleibst du denn?" fragte sie mit unverkennbarem Vorwurf in der Stimme. "Das Essen wird kalt!"
"Ich bin hängengeblieben!“ log ich. „Mehrere U-Bahnen sind ausgefallen! Ein richtiges Chaos in der Stadt!" und ich versicherte ihr: "Aber in einer Viertelstunde bin ich zu Hause!"
 
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Kommentare  

*lach* Sehr süß! Amüsante kleine Schmunzelstory.

doska (30.09.2012)

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