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Morgensonne

Trauriges · Kurzgeschichten
Du grinst über das ganze Gesicht, als ich dir die Tür öffne.
„Komm mit runter, ich will dir was zeigen.“
Lachend läufst du die Treppe runter, lässt mich in meinem Schlaf-T-Shirt in der Tür stehen.
Ich schüttle den Kopf und gehe zurück in die Wohnung, ziehe mir eine Hose und einen Pulli über und laufe nach unten. Die Kälte dringt mir sofort in die Knochen.
Es ist 4 Uhr morgens, niemand ist auf den Straßen unterwegs, außer dir.
Du stehst vor einem schwarzen Cabrio mit heruntergelassenem Verdeck.
„Woher hast du das?“, gähne ich, ich weiß, dass du es mir erzählen willst.
„Geklaut“, erklärst du mir stolz grinsend.
Ich wundere mich nicht mal mehr, so bist du halt.
„Und jetzt willst du mitten in der Nacht in einem offenen Auto mit mir durch die Stadt fahren, ja?“
Du ignorierst den Sarkasmus lächelnd, deine braunen Augen blitzen jungenhaft.
„Nein, wir fahren aus der Stadt raus. Und du kannst über dir den Morgenhimmel sehen, auf dem die letzten Sterne verblassen, während uns die aufgehende Sonne entgegenkommt“
Deswegen liebe ich dich. Du erklärst das, als wäre es selbstverständlich.
Du hältst mir die Beifahrertür auf und läufst zur anderen Seite des Autos, springst hinein, ich sehe, dass du vor Energie nur so übersprudelst.
Ich habe vor zehn Minuten noch geschlafen, doch du wirkst, als wäre es mitten am Tag.
Ich weiß nicht, wie du das anstellst, immerzu wach zu sein, immer aufgeregt, immer voller Vorfreude. Ich hoffe es liegt nur an deiner Natur, aber ich fürchte, dass es nicht so ist.
Du startest den Motor, und mein Sitz wird warm. Das ist schön, von unten dringt die Wärme hoch, während es um mich herum noch kalt ist, kalt wie es ein Märzmorgen nun mal mit sich bringt.
Wir fahren los, anfangs langsam, du fährst, als müsstest du auf andere Personen im Straßenverkehr achten, obwohl die Stadt wie ausgestorben scheint. Ich höre nichts, außer dem Auto, indem wir sitzen. Ab und zu singt ein Vogel, aber ansonsten ist es ruhig. Ich sehe wirklich noch ein paar Sterne am gelbgrauen Himmel über uns und der Horizont färbt sich golden, während wir der Schnellstraße näher kommen. Als wir sie erreichen und du den Wagen immer weiter beschleunigst, fängt die Sonne an aufzugehen. Die Strahlen erhellen den gesamten Himmel, alles wirkt vergoldet und frisch und jung und schön. Ich kann kaum noch atmen, bin wie erstarrt vor solcher Schönheit.
Du lächelst mich an, ich sehe wie du dich freust, weil du mir einen solchen Moment schenken konntest.
„Danke“, murmle ich. Meine Haare wehen im Wind und du wirst immer noch schneller, als wolltest du abheben und auf den Sonnenaufgang zufliegen.
Du siehst mich an, löst deine Hand vom Lenkrad und umfässt meine Finger, beugst dich zu mir rüber und küsst jeden einzeln.
„Ich liebe dich“, flüsterst du und ich merke, wie ich weine, wie Tränen über mein lächelndes und vor Glück strahlendes Gesicht fließen.
Im nächsten Moment krachen wir in den Laster.
Der Wagen fliegt zur Seite, die Vorderbank des Cabrios wurde komplett eingedrückt.
Blut, überall Blut. Und Scherben. Schreie.
Der Laster kippt um, es knallt und in seinem Laderaum explodiert etwas.
Das Cabrio hat längst Feuer gefangen.
Die Sonne steht hoch am Himmel, alles wirkt vergoldet und frisch und jung und schön.
 
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Oh je, was ist das für ein schrecklicher Autounfall genau in dem Moment eines Liebesgeständnisses. Eine Romanze verkehrt sich in einen Alptraum; Liebe und Tod gehen Hand in Hand. Das schockiert. Das regt zum Nachdenken an. Ich mag es, wenn Geschichten zum Nachdenken anregen. Deshalb mag ich Deine Geschichte.

Viele Grüße


Frank Bao Carter (06.03.2015)

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