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Gespräche eines Zeitreisenden V

Romane/Serien · Fantastisches
Bild V
[Ein bürgerliches Zimmer vor dem ersten Weltkrieg in Österreich. Es ist das Behandlungszimmer Sigmund Freuds. Der Zeitreisende, sichtlich gealtert, auf der Couch, Freud sitzt daneben auf einem Sessel.]

FREUD: Also, beginnen wir nochmal mit dem Tag ihrer Geburt.
Z: Es war ein herrlich lauer Sommerabend des Jahres Zweitausendachthundertneunundfünzig. Zumindest, irgendwo auf der Erde. Auf dem Mars, meinem Geburtsort, sind die Jahreszeiten sehr... bunt angeordnet.
F: Sie sind also eine Lebensform von einem anderen Planeten?
Z: Sehe ich für Sie etwa so aus, Herr Doktor Freud? Nein, ich bin natürlich ein Mensch, aber in der Zukunft, also meiner Gegenwart, da war der Mensch schon auf jedem Planeten des Sonnensystems, wenn eine Landung dort überhaupt möglich war.
F: Wie genau ist das zu verstehen?
Z: Die Planeten, die nach dem Mars folgen, sind Gasplaneten, sie haben keine feste Oberfläche, auf der man landen könnte.
F: Und wie kommt es, dass sie ihre Form behalten? Etwa durch ihre Atmosphäre, die sich um sie gebildet hat?
Z: Vereinfacht gesagt, ja.
F: Jupiter bis Pluto bestehen also nur aus Gas?
Z: In gewisser Weise schon, aber Pluto ist kein vollwertiger Planet.
F: Aha. Was macht sie da so sicher?
Z: Das war schon lange vor meiner Geburt bekannt. Als wir die erste Sonde dort hinschicken konnten erhielten wir schließlich die absolute Bestätigung. Pluto ist ein extrem kleiner Planet und zählt deswegen nicht zu den anderen bekannten Planeten unseres Sonnensystems.
F: Ich verstehe... Lassen sie uns diesen kleinen Exkurs verlassen und auf ein anderes Thema kommen.
[Pause. Freud blättert in Unterlagen.]
Ich muss ihnen nicht die Einzelheiten, weswegen sie in meiner Behandlung sind erklären, Sie haben sie nicht abgestritten. Aber ist Ihnen wirklich bewusst, was sie da behauptet haben?
Z: Es ist mir vollständig bewusst, Herr Professor Freud. Ich irre schon sehr lange durch die Zeit, viel zu lange. Ich weiß nicht, was mich dazu trieb, nach all den Beweisen, die ich erhielt, zu glauben, diese Katastrophe verhindern zu können.
F: Welche Katastrophe?
Z: Einen Krieg. Einen Weltkrieg.
[Freud muss schmunzeln.]
F: Wo sehen sie genau Anzeichen für einen Krieg?
Z: Sicherlich sind ihnen die offensichtlichen geläufig und es ist verständlich, dass sie ihnen nicht viel Bedeutung beimessen, aber die unbekannten Gründe setzen letztendlich die Kette in Bewegung. Wenn der Thronfolger Wilhelms erschossen wird, dann wird Krieg wohl unvermeidlich sein.
F: Sie sprechen von der Ermordung Franz Ferdinands? Sie meinen also, es würde einen Krieg rechtfertigen? Aus Rache etwa?
Z: Machen wir es uns nicht zu einfach. Das Attentat in Sarajevo wird nur Vorwand sein, um in den Krieg zu ziehen. Der Patriotismus und der geschürte Hass der Treibstoff, der die Soldaten vorantreibt. Das deutsche Volk hat nicht aus seinen Fehlern gelernt, so wie die ganze Menschheit nie aus ihren Fehlern lernt, oder lernen wird, bis zum Tage meiner Geburt und darüber hinaus. Aber dieses mal ist es zu spät, um die Fehler wieder gut zu machen.
F: Nun gut. Wissen sie was? Geben sie mir ein wenig Zeit und ich attestiere Ihnen vollständige geistige Gesundheit. Sie fahren nach Sarajevo und bewahren die Welt vor einer Katastrophe. Wäre Ihnen das genehm?
Z: Das wäre mir sehr genehm.
[Freud beginnt ungläubig zu schmunzeln.]
Z: Doch Sie können sich die Mühe sparen, Herr Professor.
F(neugierig): Sie überraschen mich.
Z: Dachten Sie, Sie könnten mich so leicht überführen, wie einen ihrer üblichen Patienten? Wenn es mir möglich wäre, diese Katastrophe zu verhindern, oder überhaupt eine zu verhindern, dann säße ich gar nicht hier mit Ihnen. Das Problem an der Geschichte ist, dass ich die Vergangenheit nicht beeinflussen kann. Ich könnte sie in die Zukunft mitnehmen und es hätte keinen Einfluss auf die Vergangenheit. Ich könnte versuchen den Homo Sapiens zu erschlagen und es würde mir partout nicht gelingen wollen. Es ist, als wäre die Vergangenheit festgeschrieben, wenn sie einmal geschehen ist; bis auf kleinste Ausnahmen.
F: Sie sind zu der Erkenntnis gelangt, das Schicksal nicht beeinflussen zu können.
[Der Zeitreisende verzieht das Gesicht.]
Z: Bitte nennen sie es nicht so! Es ist kein Schicksal. Die Zeit ist eine Linie flüssigen Zements, die, einmal festgetrocknet, nicht mehr verändert werden kann.
F: Und dennoch sind sie hier?
Z: Es war ein letzter Funken Hoffnung. Sehen Sie, wenn sie Zement schlecht gießen, entstehen kleine Löcher im Fundament, das sie errichten wollen. Anfangs dachte ich erst, diese Löcher wären der Schlüssel zu einer besseren Zukunft. Aber ich musste resignierend feststellen, dass diese Löcher nicht willkürlich entstehen und dazu bestimmt sind, ausgefüllt zu werden.
F: Es tut mir leid, ich kann Ihnen da nicht ganz folgen.
Z: Einfach gesagt: Jedes mal, wenn ich dachte auf den Lauf der Zeit Einfluss zu haben, war dies nichts weiter als eine Vorsehung, deren Erfüllung durch mich vorprogrammiert war.
F: Können wir Sie also als den Anonymus begreifen, der der Geschichte all die schönen kleinen Werke hinterlassen hat, die unsere Geschichte so bereichert haben?
[Er schmunzelt.]
Z: Ich nehme es Ihnen nicht übel, dass es Ihnen schwer fällt, die Dinge glaubhaft aus meiner Perspektive zu sehen. Aber wussten Sie, dass die Foliavariationen des Christoph Philipp Emanuel Bach am Anfang nur zehn waren und nicht zwölf? Wissen sie, von wem das Klopfen an der Tür stammt, dass Ludwig van Beethoven das Motiv zu seiner fünften Sinfonie gab?
F: Von Ihnen also.
Z: Es war alles so vorgesehen. Ich dachte, es wäre mein Werk, aber ich war nur Werkzeug der Vorsehung.
[Freud macht sich eilige und vielfältige Notizen.]
Z: 'Der Patient zeigt deutliche Symptome eines Traumas durch seine Verdrängung ins Unbewusste.'
F: Wie bitte?
Z: Ist das in etwa der Wortlaut Ihrer Notizen?
F: Nun, ich kann Ihnen wohl nichts vormachen.
Z: 'Seine erfundenen, sehr bunten Erinnerungen deuten auf dieses Trauma, das wohl die Erlebnisse einer großen persönlichen Katastrophe verdrängen will.'
F: Sehr gut. Sie interessieren sich für Psychoanalyse?
Z: Es dürfte Sie erfreuen zu hören, dass die Psychoanalyse der Teils scharfen Kritiken und selbst geschaffenen Irrtümern zum Trotz selbst in hunderten von Jahren ein bedeutender Zweig der Psychologie geblieben ist. Und sie faszinierte mich sosehr, dass ich nach Lektüre Ihrer Schriften und denen ihrer Nachfolger, wie zum Beispiel Erich Fromm, oder Kirnberger selbst Psychologe werden wollte und schließlich Neuropsychologie und Astronomie studiert habe.
[Freud misstrauisch.]
F: Die Neurologie ist Ihnen in der Zukunft also hilfreich?
Z: Sie werden es wohl nicht unbegreiflich finden, dass auch die Neurologie über die Jahre große Fortschritte gemacht hat, sogar so weit, dass sie die Psychoanalyse überholt hat. Wir haben Erkenntnisse gewonnen, welche die Psychoanalyse befruchtet haben, welche wiederum die Neurologie befruchtet haben. Haben sie nicht eines Tages mal gesagt, die Psychoanalyse sei ein Überbau, den man über ein noch nicht geschaffenes Gebäude stülpen kann? Nun, das ist geschehen.
F: Anscheinend haben sie wirklich meine Schriften gelesen, wenn Ihnen mein Standpunkt zur Neurologie und dem Konstrukt der Psychoanalyse bewusst ist.
Z: Ich kenne auch Ihre Anschauung zu Bewusstem und Unbewusstem, womit sie übrigens eine der wichtigsten Entdeckungen in der Psyche des Menschen gemacht haben. Es ist bloß ein Jammer, dass sie nicht von ihrem dualistischen System ablassen wollen.
F: Sie sind damit nicht einer Meinung?
Z: Nennen Sie es, wie Sie wollen, Libido und Selbsterhaltungstrieb, oder Eros und Todestrieb, aber das Modell reicht nicht aus, um die Psyche des Menschen in seiner Gänze zu beschreiben. Bereits einer ihrer unmittelbaren Nachfolger, Erich Fromm, fügt daran noch den Charakter des Menschen an, der eben nicht ausschließlich von Trieben geformt wird und schon gar nicht ausschließlich von sexueller Energie, sondern vor allem von äußeren Einwirkungen.
F: Sie meinen, der Charakter wäre also die dritte Komponente in diesem System?
Z: In etwa, ja. Und nicht jeder Trieb ist von unseren Grundbedürfnissen oder sexuell motiviert. Ich verstehe Ihre Faszination für die Sexualität hinsichtlich der Gesellschaft, in die sie hineingeboren wurden; ich bedauere vor allem, dass ich Ihnen nicht das Gegenteil beweisen kann, indem ich Ihnen zukünftige Gesellschaftsformen zeige, die ohne gesellschaftlich aufgezwungene Prüderie die gleichen seelischen Probleme aufweisen.
[Freud betrachtet seinen Patienten genau, eindrücklich und nachdenklich.]
F: Ich muss zugeben, dass sie sich in diesem Gebiet anscheinend wirklich gut auskennen, wenngleich sie auch ein paar laienhaften Irrtümern erliegen, aber ich bin dennoch der festen Überzeugung, dass mir die Zeit früher oder später Recht geben wird. Natürlich lasse ich Ihnen ihren Widerspruch.
[Der Zeitreisende seufzt.]
Z: Das wird sie. Das wird sie.
[Vorhang.]
 
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