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Die Ballade von Pretty Ramon - (5) Im Norden

Romane/Serien · Schauriges
„Wird hässlich“, rief er und zündete sich eine Zigarette an, „wird verdammt hässlich!“
Snyder nickte. Einen Zug und ein weiteres Husten später drückte er seine angefangene Zigarette im Aschenbecher des Chryslers aus. „Nur Schwuchteln rauchen“, meinte er.

(Wie immer der Hinweis, dass es sich hier um eine Webstory handelt, die in Mini-Kapiteln erzählt wird. Die Mini-Kapitel sind immer stark von meiner jeweiligen Stimmung beeinflusst, weswegen die "großen", zusammengefassten Kapitel hier seltsam wirken. Ich lade jeden Leser herzlich ein, die Entstehung der Story auf http://cyberzombiesattack.blogspot.de/ mitzuverfolgen. Wer das nicht möchte, braucht nur ein wenig warten, da ich die Zusammenfassungen regelmäßig hier veröffentliche. Vielen Dank fürs Lesen! Ab jetzt geht es los.)

Das Büro von Inspector Snyder lag versteckt hinter unzähligen Schreibtischen, auf denen sich Akten türmten. Menschen mit Ringen unter den Augen und mit Tassen schlechten Kaffees in den Händen versperrten den Weg. Ramon drängelte sich bis zu der Glastür, die das Büro des Inspectors von dem Großraumchaos trennte, durch und öffnete sie. Snyder brütete über einigen Papieren und nahm ihn nicht wahr. Ramon erkannte, dass die Situation ein höfliches Hüsteln erforderte. Daher steckte er sich eine Zigarette in den Mundwinkel, zündete sie an und inhalierte tief. Das Hüsteln, das er danach hervorbrachte war zwar immer noch gekünstelt, aber es wirkte wesentlich cooler mit einer Kippe zwischen den Zähnen.
Snyder blickte auf. "Ramon?“
„Du kannst auch Pretty sagen.“
„Pretty? Hm, okay. Ich werde das berücksichtigen. Du kennst dich mit Untoten aus?“
Ramon lächelte.
„Ich nehme das als ein ‚ja, verdammt’“, meinte Snyder und verschränkte die Arme auf seinem Schreibtisch.
Ramon grinste und zog an seiner Zigarette.
„Hier ist Rauchen verboten.“ Der Inspector wirkte entschlossen.
Ramon hörte nicht auf zu grinsen. Snyder wurde ein wenig lauter. „Seh ich aus, als würde ich Scherze machen?“
Ramon drückte die Zigarette auf dem Schreibtisch aus und warf den Stummel über die Schulter des Polizisten. Dann blickte er den Inspector an. „Okay so?“
Snyder nickte: „Blendend. Reden wir jetzt über das Geschäft.“

Während der Inspector sprach und von Jugendlichen erzählte, die sich aus purer Frustriertheit mit ihrem Leben in einen Zwinger mit aufs Töten abgerichteten kalifornischen Bulldoggen eingeschlossen beziehungsweise sich getrieben von Liebeskummer und einer gewaltigen Dosis Angel Dust mit einem Handbeil eine große Menge Fleisch von den Knochen geschabt hatten (in beiden Fällen hatte die Polizei Abschiedsbriefe gefunden, weswegen offiziell von Selbstmord ausgegangen wurde), verfluchte Carl Sherman zum einen den Umstand, dass er sein Turnzeug vergessen, und zum anderen, dass er Sportunterricht bei Ivan, dem Schrecklichen, hatte. Als Snyder auf das Verschwinden des Nachtwächters der Portland High School, welche die erwähnten Jugendlichen vor ihrem Tod quasi täglich besucht hatten, und auf das Blutbad in dessen Büro zu sprechen kam und Ramon langsam verstand, warum der Polizist seinen Kollegen nicht zutraute, die Fälle allein zu lösen, erkannte Carl, dass es weit größere Probleme gab, als den Sportunterricht in Unterwäsche zu bestreiten.

Carl Sherman war niemals gut in Sport gewesen. Seine Talente lagen eher darin, eine größere Menge Milchshake mittels Strohhalm in ein Nasenloch einzusaugen und durch das andere wieder auszustoßen. Er hatte außerdem eine beeindruckende Sammlung von Eco-Warriors Figuren. Seine Mitschüler nannten ihn meistens Blue-Eye Sherman, weil er es nicht leiden konnte, wenn die Bullies der Schule jüngere Schüler triezten. Carl war nicht unbedingt schlank und er war zu unbegabt, um seine Körpermasse gewinnbringend in einem Kampf einzusetzen, aber er hatte das Herz eines Löwen. Oftmals war er eingeschritten, wenn ältere Schüler die jüngeren gequält hatten. Beinahe jedes Mal war er dabei verprügelt worden. Er hasste das. Keine Frage. Was er aber noch mehr hasste, war der Sportunterricht bei Ivan Lucic.
Ivan Lucic, genannt Der Schreckliche, kam ursprünglich aus Tschechien und war ein Sadist. Er war Sportlehrer an der Portland High School und betrachtete alle Schüler, welche die hundert Meter nicht unter 13 Sekunden liefen als unwertes Leben. Außerdem war er einer dieser Menschen, die fehlendes Sportzeug als Ausrede ansahen. Zahlreiche Schüler hatten in seinen Kursen bereits den Unterricht in Unterwäsche bestreiten müssen. Man munkelte, dass sich mindestens ein Schüler deswegen (und vor allem aufgrund der nachfolgenden Hänseleien) von der Vista Bridge gestürzt hatte, aber Lucic kümmerte sich nicht um solche Gerüchte. Niemand, dessen Wort bei ihm etwas galt oder der wirklich etwas zu sagen hatte, hatte ihn je kritisiert.
Blue-Eye Sherman hatte tatsächlich sein Sportzeug vergessen. Es hatte vermutlich mit der Matheklausur zu tun, die um 12 Uhr anstand, aber es war selten dämlich. Ivan, der Schreckliche, hatte natürlich kein Verständnis gezeigt und ihn aufgefordert, sich eben bis auf die Unterwäsche zu entkleiden und dann so beim Unterricht mitzumachen. Dies hatte der Lehrer vor inzwischen 20 Minuten angeordnet. Carl saß noch immer in der Umkleide. Er hatte sich bis auf Unterhose und Hemd ausgezogen, aber er wagte es nicht, sich in die Halle zu den anderen Schülern zu begeben. Natürlich war ihm klar, welche Auswirkungen es auf sein Zeugnis haben würde, wenn er diese Art von stillem Protest wirklich durchzog, aber ihm war genauso klar, was ihm von seinen Mitschülern blühen würde, wenn er in seinen Batman Shorts und dem eine Spur zu knappen Unterhemd in die Sporthalle treten würde.

Künstliches Holz traf auf künstliches Holz, als die Tür zur Umkleide gegen eine der Bänke stieß. Carl wurde aus seinen Gedanken gerissen. Zuerst blickte er überrascht in Richtung Tür. Dann blickte er entsetzt.
Das Wesen, das in den Raum wankte, war irgendwann einmal menschlich gewesen. Die rechte Seite ähnelte einem Menschen immer noch sehr, die linke Seite erinnerte an Krieg, Mienen und Bomben. Blue-Eye rettete zwei Leben, indem er laut und schrill schrie und damit die Leute in der nahen Sporthalle warnte. Er fühlte sich aber dennoch ziemlich beschissen, als er von dem Zombie gefressen wurde.

Snyder fuhr fort: „Und dann gibt es auch noch Arthur Leighton. Einer der besten Schüler in all den Jahrgängen. Zumindest soweit meine Informationen stimmen. Er….“
„Ich will es nicht wissen.“ Ramon stand auf. „Wir sollten uns an die Arbeit machen.“

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Pater Flaherty sah zu, wie Ramon die Kästen mit der geweihten Munition zu seinen Waffen in die Sporttasche packte. Er nahm einen guten Schluck aus seinem Glas und betrachtete den Mexikaner durch die hellbraune Flüssigkeit, welche die untere Hälfte des Gefäßes füllte. Es handelte sich um einen sehr teuren, irischen Whiskey. Die Flüssigkeit war so klar, dass sie die Umrisse des Monsterjägers zwar verzerrte, er aber immer noch gut zu erkennen war.
„Bevor du aufbrichst, sollte ich dir noch etwas sagen“, meinte der Priester.
Ramon schulterte die Tasche und setzte die ersten Schritte in Richtung der gewaltigen, aus zwei hölzernen Flügeln bestehenden Tür, welche die Grenze zwischen Kirche und Geschäft bildete. „Ich höre.“
„Du weißt, dass die Abbilder der Heiligen zu mir sprechen. Meistens sprechen sie über dich.“
Ramon stiefelte durch das Kirchenschiff. „Und?“
Flaherty leerte sein Glas: „Sie reden von einem Meer aus Blut. Und sie sprechen von einem Anfang.“
Ramon blieb stehen und drehte sich um. „Ein Anfang wovon?“
„Von Liebe, Freundschaft und dem Ende der Welt.“
Der Mexikaner zuckte mit den Schultern und setzte seinen Weg fort. „Ich werde daran denken, Taschentücher einzupacken, bevor ich nach Portland fahre. Danke für den Hinweis.“
Flaherty lachte. „Wir sehen uns.“ Ramon öffnete die Tür und schaute sich noch einmal um: „Mit Sicherheit. Hab Dank, Pater.“ Dann schlugen die Türflügel hinter ihm zu.
Der Priester griff nach der Whiskeyflasche und füllte sein Glas nach. „Vielleicht hätte ich ihm von der Tochter des Teufels erzählen sollen.“ Er stellte die Flasche ab und hob sein Glas. „Auf der anderen Seite war das ‚Liebe und Freundschaft’-Zeug vermutlich schon unwahrscheinlich genug für ihn.“
Er erhob sich und deutete mit seinem Glas nacheinander auf alle Statuen und Bilder von Heiligen, die seine Kirche zierten. Dann leerte er es in einem Zug. Seine Stimme war einigermaßen schwer als er sagte: „Er kriegt das schon hin. Vertraut ihm. Ich kenne ihn besser als ihr.“

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Das Wasser um ihren Füßen war rot, sogar bevor die aufgehende Sonne Gelegenheit bekam, sich in ihm zu spiegeln. Das Schmatzen einiger Nachzügler, deren Hunger groß genug war, um den Sonnenstrahlen zu trotzen, nervte. Sie blickte auf den Ozean und dachte an den Tod.

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Das Mädchen war bereits verschwunden als Timothy aufwachte. Ihr Geruch klebte allerdings noch an ihm, dem Bett und zumindest halbwegs in dem Zimmer, in dem er sich befand. Ansonsten roch das Zimmer nach Kalk und Mangel an Leben. Ein wenig Schimmel steuerte seinen Duft von den Fetzen verfaulender Tapete bei. Es gab keinen Teppich, es gab keine Möbel außer der Matratze, auf der er und diese junge Frau, von der er glaubte, dass sie blond gewesen war, die Nacht verbracht hatten. Er erinnerte sich an einen großen Elch auf einem Thron und an Leute mit bunt geschminkten Gesichtern, die ihm eine große Menge Wodka eingeflößt hatten. Bei dem Gedanken an Alkohol wollte er sich wieder unter die fleckige Decke verkriechen, die er heruntergerutscht in Höhe seiner Knöchel ausmachte. Das Gesicht eines Haifischs voller Zahnlücken, das plötzlich über seinem auftauchte, verstärkte diesen Wunsch. „Hey Alter! Biste wach? Der Präsi will dich sehen.“

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Der vorletzte Mann, der Henrick Andrews geheißen hatte, nannte sich jetzt Paul Martin und flegelte sich auf der letzten Bank eines sehr leeren Busses. Der letzte Henrick Andrews war ursprünglich unter dem Namen Fred Stoertebecker auf die Welt gekommen. Er hatte auch niemals gewusst, dass er seinen eigentlichen Namen irgendwann aufgegeben hatte. Er hatte es als so genannter Tippelbruder auf ein beachtliches Vorstrafenregister aufgrund von kleineren Diebstählen, erfolglosen Einbrüchen, sehr erfolgreicher Erregung öffentlichen Ärgernisses, wiederholter Beamtenbeleidigung und Exhibitionismus gebracht. Seine letzte Erinnerung war die an eine relativ geschützt stehende Parkbank und an einen Schatten, der plötzlich auf ihn gefallen war. Als er mit einer ihm völlig unbekannten Frau und einem ihm ebenfalls nicht bekannten Mädchen beerdigt wurde, hatte er neben seinem Namen auch sein Gesicht (letzteres aufgrund sehr präziser Messerarbeit des jetzigen Paul Martins) verloren.
Der Bus war eigentlich nicht wirklich leer. Neben Martin saßen oder lagen noch vierzehn andere Passagiere in dem Gefährt. Allerdings war keine dieser Personen noch im Stande zu atmen. Sie alle hatten entdeckt, dass Paul Martin in der Lage war, sich wesentlich schneller als andere Menschen zu bewegen. Außerdem hatten sie bemerkt, dass er extrem gut mit Schneidwerkzeugen umgehen konnte. Die einzige lebendige Person im Bus, die nicht grinsend auf der Rückbank saß, war der Fahrer. Sein Funkgerät lag zertrümmert auf dem Boden. Das Handy hatte Martin ihm gelassen, da der Fahrer eh nicht mehr in der Lage war, es zu bedienen. Jeder Finger war gebrochen worden. Es hatte ein wenig gedauert, bis der Mann nach Martins Behandlung wieder zu Bewusstsein gekommen war, aber jetzt zeigte er, wie gut man Lenkrad und Gangschaltung mit den Handballen bedienen konnte.
„Sind wir bald da?“ rief Paul Martin und lachte, als er sah wie der Fahrer zusammenzuckte. Es war ein guter Tag.

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Keiko biss in ihr Brötchen. Es war mit Butter und Erdbeermarmelade bestrichen. Das war okay. Sie bevorzugte Marshmallow Fluff Vanille aber sie war zu alt, um in diesen Dingen wählerisch zu sein. Ihr Gegenüber war allerdings noch wesentlich älter. Das Frühstück ihres Großvaters bestand aus einer großen Tasse Kakao. Er besaß nur noch einen Zahn und er weigerte sich, den Verlust von diesem zu riskieren, indem er feste Nahrung zu sich nahm. Kein Haar war auf dem Kopf des alten Mannes zu erspähen. Keiko ertappte sich bei dem Gedanken, dass ihr Großvater nur noch aus Falten bestand. Aber da waren immer noch diese Augen, die sie wach und fröhlich anblickten.
Erdbeermarmelade. Gar nicht so schlecht, wenn sie ehrlich war.

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Wenn man den Flug einer Kugel in Zeitlupe verfolgt, wird man unweigerlich gefangen von der Schönheit der rohen aber eleganten Gewalt, die dieser Flug verkörpert. In Zeitlupe wirkt sogar ein aufplatzender Schädel ästhetisch. Die Aktion dauerte circa zwei Sekunden und der Schütze wurde sofort von den Leibwächtern niedergeschossen, aber in Zeitlupe betrachtet wirkte all dies wirklich elegant.
Es passierte vor dem Haus des Bürgermeisters und die Kugel traf den offiziell wichtigsten Mann von Seattle direkt in die Stirn, aber leider war kein Kameramann vor Ort, um den Schuss einzufangen und später in Zeitlupe abzuspielen. Die Leute, die Zeuge dieses Ereignisses waren, hätten allerdings niemals widersprochen, dass dieser Moment etwas Erhabenes und Elegantes an sich hatte.

Der Mörder war schnell zu finden. Er lag tot unweit des Tatorts in einem Gebüsch. Das Gewehr war ihm aus den Händen gerutscht. Seine nackte Brust zierte eine tätowierte 18. Auf dem übrigen muskulösen Oberkörper stand mit roter Farbe „Sayonara Bitches“ geschrieben. Polizeianwärter Stevenson, der zufälligerweise mit dem Verfassen des Presseberichts zu beiden Fällen beauftragt wurde, bei dem dieser Schriftzug eine Rolle spielte, meinte später, dass ihn das Hinterlassen dieser Botschaft an einen Hund erinnerte, der sein Revier markierte. Er sagte außerdem, dass dieser Hund vermutlich halbtot war, da ihm offensichtlich alle für Kreativität verantwortlichen Gehirnzellen abhanden gekommen waren.

Stevenson war ein sehr intelligenter Mann, der es noch weit bringen würde.

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Carl Sherman war niemals gut in Sport gewesen. Dennoch wollte er jetzt nirgendwo anders sein als in der Turnhalle der Portland High School. Er hatte zusammen mit einigen Leuten, die er nicht kannte und eigentlich auch kaum wahrnahm, die aber nicht nach Nahrung rochen, Ivan Lucic eingekesselt und schließlich zu Fall gebracht. Der Lehrer schrie lange. Er brüllte, als seine Bauchdecke geöffnet wurde, er kreischte als jemand einen Arm von seinem Rumpf riss. Wenn Carl noch in der Lage gewesen wäre, einen Gedanken zu fassen, wäre er vermutlich beeindruckt gewesen. Dies war aber nicht mehr der Fall. Er wurde nur noch von Instinkten getrieben. Alles andere zurück drängend beherrschte ihn der Hunger.
Blue-Eye hatte Ivan Lucic gehasst. Größer als dieser Hass war nur die Furcht vor dem Sportlehrer gewesen. Dennoch erwies er dem Mann nun die größte Gnade, indem er seine Zähne in den Hals des gebürtigen Tschechen trieb und ihn somit die Schmerzgrenze überschreiten ließ. In dem Moment, in dem Der Schreckliche starb, schloss sich Carls Kiefer um Lucics Kehlkopf. Er riss ihn aus dem Hals des Lehrers und kaute genüsslich. Hätte der Junge eine Spur von Restverstand besessen, hätte er sich vielleicht an Fruchtgummis erinnert. So aber dachte er nur: „Mehr!“

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„Hallo!

Ich heiße Michael und ich bin schon sechs und mein Papa repariert Flugzeuge. Und wenn ich groß bin werde ich Astronaut.
Meine Mama kocht gut Nudeln aber meistens Gesundheit und das mag ich nicht so sehr. Aber es ist gut für mich. Und vielleicht werde ich doch kein Astronaut weil, dann muss man gut sein in der Schule und ich bin in der Vorschule und die ist doof. Deshalb werde ich vielleicht doch nur Pilot.
Ich mag die Vorschule nicht so, weil ich die Lehrerin nicht mag und weil ich deswegen lieber weg gehe und Sport gucke. Sport machen die Älteren in der anderen Schule und die ist nah dran und wenn man heimlich ist, kann man sich da rein schleichen und zwischen den Treppen verstecken. Nämlich, die gehen rum um die Halle und keiner guckt da. Dann kann man da schauen, wie die Älteren Sport machen und die sind sehr, sehr gut. Und manchmal spielen sie Volleyball und manchmal Basketball und manchmal machen sie gymnisiastische Übungen.
Heute machten sie Hochsprung und das sieht gar nicht schwer aus aber immer wen mein Papa Hochsprung im Fernsehen sieht sagt er, dass gleich Wettlauf kommt und wir werden schon sehen. Ich freu mich schon auf Wettlauf, weil darin sind wir besser als die Europäer. Und das sind alles Komnisten.
Und jetzt kommt einer in die Halle und der sieht ganz seltsam aus und der läuft nicht richtig.
Und alle gucken ihn komisch an. Jetzt beißt er einen und alle schreien. Und da kommen noch mehr rein und alle sehen komisch aus. Alle schreien jetzt und ich glaube, da ist Blut.
Ich gehe jetzt. Ich weiß nicht, was da passiert aber es ist eklig. Die sollen aufhören, aber sie machen das nicht.
Ein Mann ist jetzt da und er sieht auch komisch aus und er ist mir im Weg. Er kann nicht richtig laufen. Und er kann nicht sprechen und er stöhnt ganz komisch. Er macht mir Angst.
Hinter mir ist eine Frau und die ist ganz genau so wie der Mann. Papa hat gesagt, ich soll sagen, dass…

Zu spät.

Sie tun mir weh und sie stinken. Sie tun mir sehr weh. Ich glaube, ich werde noch nicht mal mehr Pilot. Ich glaube, ich geh zu Opa in den Himmel."

-

Als gläubiger Katholik wusste Ramon, dass der Vergleich von Gott mit einem DJ nicht nur keineswegs blasphemisch sondern auch absolut zutreffend war. Natürlich beeinflusste Gott nicht lediglich eine kleine Tanzfläche und selbstverständlich war er nicht nur auf Musik angewiesen. Der „Club“, in dem Gott „auflegte“, nannte sich „das Leben“ oder alternativ „die ganze verdreckte Welt“. Für Ramon und Snyder hatte er als Soundtrack zu ihrer Fahrt vom Polizeirevier zu der Portland High School einen echten Klassiker namens „leichter Nieselregen und viel Wind“ aufgelegt. Der Regen hatte exakt in dem Moment eingesetzt, als der Mexikaner den Beifahrersitz erklommen und die Wagentür zugezogen hatte.
Der Verkehr war angenehm. Wer nicht bereits in seinem Büro saß oder hinter einer Maschine stand, suchte im Kühlschrank, auf Regalen oder in der Schachtel mit dem versteckten Drogenvorrat nach Gründen, die heimischen vier Wände nicht so schnell verlassen zu müssen. Nur wenige Autos teilten sich die Straßen mit dem schweren Chrysler, den der Inspector mit sicherer Hand und grimmiger Miene steuerte.
Als sich eine aufgeregte Stimme aus dem Empfänger des am Armaturenbrett angebrachten Funkgeräts mit einer Meldung, die um die Worte „Portland High, Übergriffe, Panik" und "alles absperren“ kreiste, in das Schweigen von Snyder und Ramon zu drängen versuchte, schaltete der Mexikaner das Gerät aus. Der Polizist sah Ramon aufgebracht an, ließ sich aber schnell durch eine abwinkende Handbewegung des Monsterjägers beschwichtigen.

„Der Feind hat die Heimlichkeit aufgegeben. Anstatt erst die Angelegenheit zu untersuchen und dann Untote zu erledigen, räumen wir erst auf und befragen dann die, die danach noch am Leben sind.“ Ramon steckte sich eine Zigarette in den Mundwinkel. Aus Respekt vor Snyder verzichtete er allerdings darauf, sie anzuzünden.
Der Inspector beschleunigte den Wagen. „Dir ist klar, dass niemand hier Erfahrungen mit derlei Geschichten hat, ja?“
Der Mexikaner nickte: „Deswegen bin ich ja hier. Sorg du einfach nur dafür, dass niemand das Schulgelände betritt. Ich kümmere mich um den Rest.“
„Was ist, wenn sich die Sache ausbreitet?“
„Das wird nicht passieren. Wer auch immer hinter der Geschichte steckt, wird das nicht zulassen.“
Der Chrysler überholte einen rot lackierten Ford. Snyder drückte das Gaspedal noch ein wenig weiter durch. „Und das weißt du, weil…?“
„Weil ich weiß, wie die Hölle funktioniert.“
„Weil du…?“
„Keine Fragen zu dem Thema.“
Snyder nickte. „Okay. Wir sind gleich da.“
Ramon blickte auf die Rückbank des Chryslers und auf das beruhigende Bild seiner Tasche mit den Waffen und den Magazinen voll geweihter Munition. „Könntest du einen deiner Kollegen darum bitten, den Kofferraum meines Wagens zu öffnen?“
Der Monsterjäger erklärte, wo sich die Voodookarre befand und wie der notwendige Code für die Fernsteuerung lautete, Snyder aktivierte das Funkgerät wieder und gab die Informationen durch. Dann blickte er den Mexikaner an. „Noch eine Minute, dann sind wir angekommen. Von mir aus kannst du deine Zigarette jetzt anstecken.“
Ramon grinste und fischte nach seinem Feuerzeug.

Als der Wagen vor den Mauern der Portland High School zum Stehen gekommen war, wendete sich der Monsterjäger noch einmal an den Polizisten. „Warum lässt du mich all das so einfach machen? Warum stellst du keine Fragen, warum pochst du nicht auf die verfickten Polizeiregeln?“
Snyder lächelte schwach. „Ich bin ein guter Polizist. Aber kein blinder.“
Ramon nickte, griff nach seiner Tasche und stieg aus. Bevor er die Tür zuschlug, warf er seine halbleere Schachtel Zigaretten in den Wagen. „Für den Fall der Fälle“, meinte er.

Inspector Snyder schüttelte eine Zigarette aus Ramons Schachtel und steckte sie mit Hilfe des Zigarettenanzünders seines Chryslers an. Er hustete beim ersten Zug. Der zweite Zug war bereits ein wenig angenehmer. Aus dem Fenster sah er, wie Ramon Münzen in den nahe der Schule stehenden Automaten warf, um sich mit einer neuen Ladung Nikotin zu versorgen.
Dann richtete er den Blick auf die Schule selbst. Ein Mädchen befand sich auf dem Platz vor dem Hautgebäude. Sie humpelte, was vermutlich daran lag, dass ihr rechter Fuß fehlte. Ihre Augen waren blass. Einen Augenblick später knallte ein Schuss. Das Mädchen wurde umgerissen. Eine rote Wolke verschwand dort, wo sich vor einer Sekunde noch ihr Kopf befunden hatte. Ramon trat in Snyders Blickwinkel. Der Mexikaner blickte den Polizisten in seinem Wagen an. „Wird hässlich“, rief er und zündete sich eine Zigarette an, „wird verdammt hässlich!“
Snyder nickte. Einen Zug und ein weiteres Husten später drückte er seine angefangene Zigarette im Aschenbecher des Chryslers aus. „Nur Schwuchteln rauchen“, meinte er.

(Und damit lag er falsch. Die Wahrheit ist, dass nur Idioten rauchen. Ich muss es wissen. Ich rauche selbst.)

-

Sie setzte ihre Sennheiser Kopfhörer auf, suchte in ihrem Musikplayer nach Tom Waits und tanzte dann über den Strand. Den feuchten Sand unter ihren Füßen bemerkte sie kaum. Sie flog beinahe. Gigantische Monster und menschengroße Dämonen, die fast nur aus Zähnen zu bestehen schienen, verfolgten ihre Bewegungen. Sie scherte sich nicht darum. Ihr Haar flog im Wind, ihr Lächeln durchbrach den grauen Himmel. Sie war die Tochter des so genannten Fürsten der Finsternis und sie liebte das Leben.
 
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