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Beate, eine deutsche Angelegenheit in Paris - 22. Kapitel der "Französischen Liebschaften".

Romane/Serien · Spannendes
Vorletztes Kapitel der "Französischen Liebschaften": 22. Kapitel: "Beate, eine deutsche Angelegenheit in Paris".
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Anfang Oktober Neunzehnhundertvierundachtzig. Paris im Herbst. Draußen am Quai d’Orsay war das Defilieren der schwarzen Renommierkarossen beendet. Im Uhrensaal des französischen Außenministeriums standen die Geladenen in Frack und Abendkleidern, darunter zahlreiche Männer mit der jüdischen Kippa als Kopfbedeckung. Gedämpft und zurückhaltend die Gespräche. Vorwiegend wurde Französisch gesprochen. Nur gelegentlich, wenn von den wenigen Deutschen sich jemand in kleiner Gruppe unbeobachtet fühlte, wurden auch deutsche Wortfetzen geflüstert. Der französische Außenminister Claude Cheysson war noch nicht durch die Tür getreten. Unter den Ehrengästen befanden sich der israelische Botschafter in Frankreich und der Gesandte der DDR. In einer der hinteren Reihen unterhielt sich Tobias Topmaier gedämpft mit dem Pariser Polizeichef. Der dicke Topmaier war noch mehr in die Breite gegangen; er hatte Haare verloren und sich ein gutmütiges, fast jovial wirkendes Doppelkinn zugelegt.

Beate Klarsfeld stand neben ihrem Mann Serge und unterhielt sich mit den beiden Vorsitzenden der deutschen und der französischen Jüdischen Gemeinden. In einer Stunde des stillen Triumphes habe sich die fünfundvierzigjährige Deutsch-Französin „unangenehm berührt“ gefühlt, berichtet der SPIEGEL einige Tage später.

„Herr Botschafter Schoeller ist nirgends zu sehen?!“ Nur völlig Unwissende hätten diese Frage laut und offen gestellt. Der bundesdeutsche Botschafter in Frankreich, Franz Joachim Schoeller, hatte erklärt, er könne die Einladung des französischen Außenministers zum Ehrentag von Beate Klarsfeld aus Termingründen nicht persönlich wahrnehmen; er habe sie an den deutschen Generalkonsul weitergeleitet. Aber auch der Generalkonsul oder andere Vertreter der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland waren nicht gekommen. Später wurde der Fauxpas damit erklärt, die Übermittlung der Einladung sei zwischen Botschaft und Generalkonsulat verloren gegangen. Wie hätte man eine Frau ehren können, die man Jahre zuvor wegen ihren kritischen Äußerungen beim deutsch-französischen Jugendwerk entlassen, als "Terroristin" bezeichnet und unter Geheimdienstbeobachtung gestellt hatte. Wie konnte Deutschland eine Frau ehren, die einen deutschen Bundeskanzler geohrfeigt hatte?

In der Laudatio wurde Beate Klarsfelds Weg der vergangenen zwanzig Jahre seit ihrer Ankunft in Frankreich nachgezeichnet. Sie arbeitete zunächst in Paris als Aupairmädchen, später als Sekretärin beim deutsch-französischen Jugendwerk. Dann veröffentlichte sie Berichte über die schlechten Arbeitsbedingungen deutscher Frauen in Paris und wurde deshalb beim deutsch-französischen Jugendwerk bzw. vom zuständigen deutschen Außenministerium entlassen. Sie heiratete den Rechtsanwalt Serge Klarsfeld; gemeinsam begannen sie, versteckte Nazis weltweit aufzuspüren. Bereits 1974 bekam sie von Israel die Tapferkeitsmedaille der Ghettokämpfer verliehen. Zwei Jahre später, und noch einmal vor wenigen Monaten hatte das israelische Parlament die Deutsche für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Staatschefin Golda Meir hatte eine ausführliche Würdigung verfasst.

Durch Beate Klarsfelds Nachforschungen konnte Klaus Barbie, der Gestapo-Chef von Lyon, in Südamerika aufgespürt, nach Frankreich ausgeliefert und abgeurteilt werden (Foto). 1974 hatte Westdeutschland als Ergebnis der Klarsfeld-Veröffentlichungen und nach internationalem Druck endlich das Zusatzabkommen zur Aburteilung von Naziverbrechern unterzeichnet. Zuvor konnten abgeurteilte Nazis jahrelang unbehelligt in Deutschland leben. Kurt Lischka, den Klarsfeld-Freunde drei Jahre zuvor von Köln nach Frankreich entführen wollten, wurde endlich verurteilt. Eine Genugtuung für Frankreich und ein persönlicher Erfolg für Beate Klarsfeld.

Topmaier dachte an den Tag zurück, als Beate Klarsfeld auf dem Berliner CDU-Parteitag Bundeskanzler Kiesinger geohrfeigt und „Nazi-Nazi“ gerufen hatte. Und er erinnerte sich an die Pläne seiner Dienststelle, diesen Deserteur Stehauf als Spitzel gegen Klarsfeld und Cohn-Bendit einzusetzen.
„Ein interessanter Weg bis heute!“ bemerkte der Pariser Polizeichef. „Gab es nicht Anfang Neunzehnhundertsiebzig Bestrebungen von deutscher Seite, Madame Klarsfeld beobachten zu lassen und sie zu diskreditieren!?“ Der französische Offizier hatte sich an Topmaier gewandt und seine Ironie hinter einem süffisanten Lächeln versteckt.

„Es waren wohl auch französische Dienststellen darin verwickelt?! Oder irre ich mich?“ erwiderte Topmaier spitz. Der Franzose in Gardeuniform mit Litzen und Auszeichnungen hatte ein Pokerface aufgesetzt. Er wusste, Topmaier arbeitete nicht mehr für den Geheimdienst sondern für das Bundeskriminalamt. Seit Jahren war er Verbindungsmann zwischen den politischen Abteilungen der deutschen und der französischen Kriminalpolizei. Wenigstens auf dieser Ebene schienen die deutsch-französischen Beziehungen zu funktionieren.

„Möglicherweise!“ sagte der Offizier. „Aber Sie sehen ja, chèr ami, die Zeiten ändern sich!“ Dann konzentrierte er sich wieder auf die Zeremonie.
„Es lebe die deutsch-französische Zusammenarbeit!“ antwortete Topmaier trocken.
"Ja!" stimmte der Franzose zu. "Und diese politische Zusammenarbeit lässt sich auch durch den einen oder anderen Querschläger nicht torpedieren, egal ob er Maurice Papon, Klaus Barby oder Beate Klarsfeld heißt...!" Worauf Topmaier verschmitzt lächelte und so tat, als würde er sich nur noch für die Zeremonie interessieren.

Kurz darauf hatte Außenminister Claude Cheysson Beate Klarsfeld zum Ritter der französischen Ehrenlegion geschlagen und die Zeremonie mit zwei Wangenküssen abgeschlossen. Die französische Nationalhymne war verklungen, die Gratulationstour begann.
Beate Klarsfeld stand neben ihrem Mann, drückte Hände und nahm Wangenküsschen entgegen. Topmaier verließ vorzeitig den Saal. Er drückte sich hinter Beate Klarsfeld vorbei, die ihn überhaupt nicht bemerkt hatte.

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Dies war ein Auszug aus
Michael Kuss
FRANZÖSISCHE LIEBSCHAFTEN.
Unmoralische Unterhaltungsgeschichten.
Romanerzählung.
Überarbeitete Neuauflage 2013
ISBN 078-3-8334-4116-5.
14,90 Euro.
Als Print-Ausgabe und als E-Book erhältlich in den deutschsprachigen Ländern, in Großbritannien, USA und Kanada.
Im Web: www.edition-kussmanuskripte.de
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Aktuell auch hier bei Webstories das letzte Kapitel der Französischen Liebschaften (23): "Epilog einer unfertigen Geschichte".
 
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