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10 Seiten

Die Frauen von Kampodia/Kapitel 20 – ABGESANG

Romane/Serien · Fantastisches
Kampodia, Morgan war lange nicht mehr dagewesen. Sie hatte anderes zu tun, wichtigere Dinge musste sie erledigen. Trotzdem wollte sie sich den Spaziergang durch das Dorf nicht nehmen lassen. Sie liebte es doch so sehr.
Sie schlenderte in Richtung Oberes Dorf, zuerst über die Brücke, die den Mittleren Teich von dem Unteren trennte. Dort wurde das Mühlrad der Kornmühle durch die Kraft des Wassers angetrieben. Langsam wanderte sie über die mit Bruchsteinen gepflasterte Hauptstraße und begrüßte freundlich die alten Leute, die vor ihren Häusern saßen. Bei manchen verweilte sie länger, denn es gab immer etwas zu erzählen. Je näher sie dem Oberen Dorf kam, desto reicher und größer sahen die Häuser aus.
Zu Morgans Rechten lag nun der Obere Teich, und hinter ihm erhob sich das Herrenhaus derer von Kampes. Sie erreichte den Mittelpunkt des Ortes, es war ein kleiner Hügel, auf dem sich der große Gasthof des Dorfes befand, er hieß Wagenrad, und tatsächlich wirkte seine Erscheinung fast wie ein umgekipptes Rad, behäbig und rund hockte das Rad auf dem Hügel.
Morgan ging weiter, irgendetwas geleitete sie, obwohl sie gar nicht wusste, wohin ihr Weg sie führte. Mittlerweile befand sie sich im Oberen Dorf, dort wo die reichen Bauern und Handwerker wohnten.
Vor einem stattlichen Haus machte sie Halt und wartete. Bald würde sie kommen…
Und tatsächlich, kurz darauf trat die Hanna aus der Haustür. Sie sah gut aus, so jung und so schön.
Die Hanna sah sie und fing an zu lächeln. „Frau Baronin, wie schön, dass Sie mal wieder da sind!“
Auch die Baronin lächelte. „Du hast ein wunderschönes Kleid an, liebe Hanna“, das stimmte, es sah wirklich wunderschön aus. Zwar ländlich und schlicht, aber trotzdem elegant.
„Es ist von mir selber entworfen worden“, sagte die Hanna.
„Ich wusste immer, dass du die perfekte Schneiderin bist. Und jetzt sehe ich dich in diesem Kleid… Ach meine liebe Hanna!“ Gerührt umarmte Morgan die nicht mehr ganz so junge Frau, die aber immer noch wie ein Mädchen wirkte.
Sie unterhielten sich. Ob sie es denn nun als Schneiderin getan hat, fragte Morgan. Nein, sagte die Hanna, aber sie wäre froh, dass sie die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Das wäre nicht jeder Frau zugänglich gewesen. Sie würde aber nun Entwürfe für Frauenkleider machen mit dazu passenden Schnittmustern, und diese kämen gut an im Journal.
Die Baronin nickte anerkennend. Sie hat sich in der Hanna nicht getäuscht, deren Geschick für einfache Kleider, die durch ein paar Details dennoch exklusiv wirken, das hat sie damals schon erkannt.
„Und haust ihr gut zusammen?“, fragte sie.
Die Hanna sah glücklich aus bei ihrer Antwort. „Ja“, sagte sie schlicht. „Er ist ein guter Mann, und er hat viel Verständnis für meine kleinen Marotten...“
„Ich weiß...“, die Baronin nickte – und erinnerte sich an vergangene Zeiten, an den Duft der Tannennadeln und wie sie auf ihrer Haut kratzten, an die Süße der Leidenschaft, als sie mit dem Karl unter den hohen Bäumen lag... Ja, er war ein guter Mann, in jeder Beziehung, und sie hat ihn auf den richtigen Weg geführt. Mit der Hanna ist er glücklich geworden.
Sie wird dem Meeken, automatisch musste sie lächeln, sie sagt immer noch Meeken zu einer mittlerweile siebenunddreißigjährigen Frau, die zudem Mutter von drei schon recht großen Kindern ist, wo war sie, ach ja, sie wird dem Meeken etwas vermachen, ein besonderes Schmuckstück. Und sie hat noch eine große Bitte an die Hanna, aber die wird sie jetzt noch nicht vorbringen, sondern… später.
In diesem Augenblick kreuzte ein junger gutaussehender Mann ihren Weg, er blickte sie hasserfüllt an, bevor er eilig in Richtung Unteres Dorf ging. Er erinnerte sie an jemanden. Aber an wen?
„Wer war das?“, sie wandte sich wieder der Hanna zu.
„Das ist der Thomas, er ist heimgekehrt nach Kampodia und wohnt nun im Haus seiner Großmutter. Seine Mutter ist tot, gestorben in der Großstadt. Ihr kennt sie vielleicht noch, die Lena Lakosta.“
Thomas… Morgan stockte der Atem. Sie hat gerade ihren Enkel gesehen, jetzt wird ihr auch klar, warum er ihr so vertraut vorkam. Er ähnelt ihrem Sohn Thomas sehr, er trägt auch seinen Namen. Und anscheinend weiß er, wer sie ist. Und er hasst sie dafür.
„Ja, ich kenne sie, die Lena“, sagte sie kraftlos. Mit dieser Begegnung hatte sie nicht gerechnet, und auf einmal überschwemmte sie wieder alles: Die Skrupel in bezug auf diesen illegitimen Enkel – woran mochte seine Mutter wohl gestorben sein – der Hass auf die alte Lakosta, die Zweifel an Frederics Liebe. Hat sie alles falsch gemacht?
Sie wusste es nicht. Doch dann beruhigte sie sich. Alles ist vergangen und vorbei und nicht mehr zu ändern.
Morgan schickte sich zum Gehen an, sie wollte noch einmal zur Familiengruft der von Kampes. Denn sie ist die Letzte, die dort bestattet sein wird. Ihre Schwiegertochter Eve-Marie hat schon verkündet, dass sie den Bau eines Mausoleums plant, und zwar im Park hinter dem Herrenhaus. Die Eve ist keine Schlechte, sie behandelt den Archie gut, und es sieht nicht aus, als hätte sie einen Liebhaber. Dafür ist sie zu kühl. Sie widmet sich lieber der Brauerei, den neuen Maschinen und versteht sich ausgezeichnet auf Geschäfte, im Gegensatz zum Archibald.
Die Tür zur Gruft lag immer noch versteckt hinter einem Efeuvorhang, sie bestand aus Eisen und ließ sich schwer öffnen, aber Morgan schaffte es, obwohl ihre Kräfte stark nachgelassen hatten.
Sie trat zögernd in das dunkle Verlies hinein, nur ihre knisternde Fackel erhellte es ein wenig.
Und wieder hörte sie das Gemurmel der Alten, aber sie achtete nicht darauf, sie wollte nur eine einzige Stimme hören.
Frederic, mein Geliebter, bist du da?
Natürlich, meine Geliebte! Ich bin immer für dich da.
Ich weiß nicht, ob ich dir glauben kann.
Du musst mir nur verzeihen können, dann kannst du mir auch glauben.
Sie wartete begierig auf mehr, aber es kam nichts.
Nur Stille... Nichts...
Aber gut, nun wusste sie immerhin, dass sie ihm verzeihen sollte. Aber das hat sie doch schon getan. Und ihr kam der Tag in den Sinn, als sie ihn zum ersten Mal traf…

Somerset im Jahre 1815

<-><-><-><-> Glastonbury in Somerset, einst war es wohl eine Insel mitten im Marschland, obwohl der Inselstatus heute nicht mehr erkennbar ist.
Die recht flache Gegend besticht durch weitläufige grüne Felder und Wiesen, der englische Regen bewerkstelligt dies. Durch besonders nasse Wetterbedingungen kann es in frühen Morgenstunden zu aufsteigenden Nebeln kommen, aus denen sich das Wahrzeichen von Glastonbury, nämlich 'the Tor' herausschält...
Es handelt sich um einen hundertfünfzig Meter hohen Hügel, der von einem spätmittelalterlichen Turm gekrönt wird - und den man über einen Serpentinenweg zu Fuß erreichen kann. <-><-><-><->

So stand es im Reiseführer. Seltsam, dieser Hügel war ihr im Traum erschienen, und sie wollte ihn nun auch in der Wirklichkeit sehen. Es war wie ein Zwang, dem sie sich nicht entziehen konnte. Sie überredete ihre Mutter, mit ihr dorthin zu fahren. Warum? Sie hatte keine Ahnung.
Morgan schritt an der Seite ihrer Mutter daher. Was tat sie eigentlich hier? Was hatte sie sich davon versprochen? Die Landschaft war flach und langweilig. Und obwohl sie die wogenden Kornfelder schön fand, fühlte sie sich nicht beeindruckt. Diese Vergnügungsreise nach Glastonbury war reine Zeitverschwendung und sie wünschte sich, bald wieder zu Hause zu sein in ihrem gewohnten Umfeld, denn sie verspürte ein seltsames Gefühl, das ihr sagte: Dort wird etwas geschehen und du darfst es nicht verpassen. Doch jetzt war sie hier und wusste gar nicht, was sie hier sollte...
„Hast du den jungen Mann bemerkt?“, tönte die Stimme der Mutter in ihre Gedanken hinein.
„Was, wie, welchen jungen Mann?“
„Im Gasthof gestern Abend, er sah dich an, meine Liebe, er sah dich ganz intensiv an...“
„Und warum hat er mich dann nicht angesprochen?“ Morgan musste lächeln, natürlich wusste sie, dass niemand von Stand sie ohne weiteres ansprechen würde, und sei es auch der hässlichste Adelige von England. Es lag erstens an der Etikette und zweitens wohl daran, dass sie selber ein wenig streng wirkte. Warum sonst hatte sie noch nie einen richtigen Verehrer gehabt? Und mittlerweile war sie schon ein altes Mädchen mit ihren dreiundzwanzig Jahren. Demnächst würde sie sich um die Kinder ihres ältesten Bruders kümmern müssen als alte unverheiratete Schachtel. Und um ihre Eltern, wenn sie alt wären. Sie würde ... wahrscheinlich nie richtig glücklich sein.
Trotzdem wollte sie lieber unglücklich sein, als einen dieser Dummköpfe zu heiraten. Ja, sie hatte schon Anträge erhalten. Einmal von einem Witwer, der so alt war, dass er kaum noch stehen konnte – und ein anderes Mal von einem seltsamen Mann, der sie als Frau überhaupt nicht wahrnahm, sondern sie wohl nur als Deckmantel für seine seltsamen Vorlieben benutzen wollte.
Es gab solche Vorlieben, Morgan wusste es, obwohl nie jemand in ihrem Umfeld darüber gesprochen hat. Seltsam, sie wusste soviel, von dem sie gar nicht wusste, woher sie es wusste.
Sie schüttelte unmerklich den Kopf und sagte: „Mom, du musst doch mitbekommen haben, dass ich junge Männer nicht mag. Und alte auch nicht.“
Mittlerweile waren sie oben auf dem Hügel angelangt, der alte Glockenturm aus dem Mittelalter schien nicht sonderlich spektakulär zu sein und Morgan näherte sich ihm unbekümmert.
Doch als sie durch den offenen Torbogen ging, überkam sie auf einmal ein seltsames Gefühl, es war als ob ihr Körper sich kurz auflösen und dann wieder zusammenfügen würde. Unsinn das, sie ging weiter.
Und als sie neben sich schaute, war ihre Mutter verschwunden, und die Landschaft wirkte verändert. Wie unter einem feinem Schleier schien die Sonne herab, vorhin hatte sie noch heiß heruntergestochen. Auch der Himmel wirkte anders als sonst, nicht so blau wie ihr gewohnter Himmel.
Und jetzt waren auf einmal Bäume da, blühende Bäume. Apfelbäume, deren Blüten wunderbar dufteten. Eine Art Treppe sah sie, große Steine wanden sich um einen Hügel herum. Wie in Trance folgte sie den Steinen und blickte während ihres Ganges auf einen See hinunter. Auch er war von einem leichten Nebel verhüllt.
Auf dem Gipfel des Hügels fand sie einen gemauerten Brunnen, er musste uralt sein.
„Du bist gekommen“, sagte eine Stimme zu ihr.
„Wohin bin ich gekommen? Wo bin ich hier?“ Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, denn die Stimme war nur in ihrem Kopf.
„Wir sind hier, und du bist hier. Hier ist ein uralter Ort, ein verlassener Ort, und es passiert selten, dass jemand wie du hierhin gelangt. Schau’ in den Brunnen.“
Sie schaute genauer in den Brunnen. Das klare Wasser, das zuerst nur ein Spiegelbild von ihr zeigte, teilte sich etwas, und seltsame Kreise erschienen vor ihr. Verschwommen und dennoch klar. Da war… nichts. Sie strengte ihre Augen an. Was sollte das bedeuten? Doch dann erkannte sie es, hinter dem Wasser sah sie schemenhafte Bilder. Sie zeigten einen Mann, er war schon älter, aber er sah gut aus. Er war da, er war der, auf den sie gewartet hatte. Warum hatte sie auf ihn gewartet? Sie wusste es nicht, doch er war da.
„Erschrecke nicht vor deinen Fähigkeiten“, sagte die Stimme neben ihr. „Du kannst sie nicht verhindern, also musst du dich mit ihnen abfinden und das Beste daraus machen. Du bist eine der wenigen Auserwählten. Dein Leben wird gut sein, aber auch bitter. Du wirst viel Schlimmes sehen, doch verfluche dein Schicksal nicht, du wirst vielen Menschen helfen können durch deine Gabe, nur dir selber nicht. Das hast du mit den anderen Menschen gemein.“
„Aber warum...“
„Du wirst Visionen haben, und du musst sie akzeptieren, du kannst nicht anders, als sie hinzunehmen, sie zu deuten und versuchen, sie nach deinem Willen zu gestalten. Doch manchmal sind die Visionen so fest gemauert wie dieser Brunnen, nicht änderbar, egal was du tust. Manchmal sind sie aber so flüchtig wie das Wasser in ihm. Finde dich damit ab. Manchmal kannst du das Schicksal ändern, meistens jedoch nicht. Deine Gabe ist meistens Fluch und manchmal Segen. Und nun geh’ zurück in deine Welt, Morgan.“
... „Ich weiß nicht, warum du keine jungen Männer magst – oder überhaupt Männer...“ Neben sich hörte Morgan die Stimme ihrer Mutter.
Wo war sie gewesen? Es hatte mit einem See, mit Apfelblüten und einem Brunnen zu tun. Und mit einer Gabe, die sie angeblich besaß. Oder war es ein Fluch? Morgan war so verwirrt, dass sie keine Antwort darauf hatte, aber ihre Mutter plapperte weiter drauf los und kümmerte sich nicht um ihr Schweigen. Ihr Plappern hielt den Rest der Reise über an. Ihr eigenes Schweigen aber auch.
Als sie nach Hause kamen, war Besuch da.
Sie hörte aus dem Salon Gesprächsfetzen: „Der Krieg ist zu Ende, dem Himmel sei Dank.“ – „Wir haben uns tapfer geschlagen.“ – „Ja, die gute alte King’s German Legion...!“ – „Es war eine aufregende Zeit, doch ich bin froh, dass sie vorbei ist!“
Die Stimme, die den letzten Satz von sich gab, klang angenehm sonor und sehr männlich.
Morgan ging in den Salon, um den Besitzer dieser Stimme kennenzulernen. Es handelte sich um einen älteren Mann, trotzdem war er gutaussehend, sehr gut aussehend auf eine männlich soldatische Art. Sein kurz geschorenes Haar stand ihm, sein Gesicht wirkte markant, sein Körper straff – und seine Augen musterten sie anerkennend.
„Das ist Frederic, mein Kriegskamerad“, sagte ihr Vater, „wir haben beide in the King’s German Legion gekämpft. Und wir haben uns gegenseitig oft das Leben gerettet in dem verdammten Krieg gegen Napoleon.“
Morgan war es egal, wo er und dieser Frederic zusammen gekämpft hatten, denn vom ersten Augenblick an liebte sie den Fremden.
~*~

Sie kam zurück aus ihren Erinnerungen. Es waren wunderbare Zeiten gewesen: Sie hatte Frederic geliebt, und er hatte sie auch geliebt. Daran gab es keinerlei Zweifel. Egal was vorher oder danach gewesen war: Sie hatte ihn geliebt, und sie liebte ihn immer noch.
Sie war jetzt dreiundsechzig, und sie wusste, dass sie bald sterben würde. Ihre Kurzatmigkeit hatte sich verstärkt, und manchmal hatte sie Aussetzer im Kopf. Natürlich konnte sie ihr eigenes Schicksal nicht erkennen, aber es gab Anzeichen dafür, dass sie den nächsten Sommer nicht erleben würde.
Denn im Traum sah sie ihren Sohn Archie und ihre Schwiegertochter, die Eve-Marie: Beide standen in der Familiengruft und hielten sich an den Händen gefasst. Hinter ihnen die Kinder, auch sie wirkten traurig und ernst. „Wer hätte gedacht, dass es so schnell gehen würde“, sagte die Eve leise. „Sie war so eine großartige Frau. Ich habe sie immer bewundert, und ich werde sie vermissen.“ Archibald nickte bei ihren Worten und wischte sich über seine Augen.
So schnell wird es passieren? Viel zu schnell… Dennoch hat sie lange gelebt – und gut gelebt im Vergleich zu vielen anderen. Doch es gibt noch so viel zu tun! Ihr ältester Bruder, der wider Erwarten kinderlos geblieben ist, hat ihr eine Summe Geldes vererbt, und die Zinsen daraus kommen der Stiftung zugute, die sie eingerichtet hat. In ihrem Haus wohnen immer einige Mädchen, die sie unterrichtet, alle sind schwanger, alle wissen nicht wohin sie gehen sollen, sie versucht, ihnen das nötige Rüstzeug beizubringen und vermittelt ihnen dann Arbeitsstellen bei Leuten, die sie persönlich kennt – aber nur, wenn man dort auch Kinder aufnehmen will.
Vielleicht ist es ihre Entschuldigung für das, was die Lena erleben musste. Woran ist sie wohl gestorben? Morgan schüttelt kraftlos den Kopf. Das arme Mädchen hat von Anfang an keine Chance gehabt, ohne Ausbildung und mit einem unehelichen Kind… Ist sie Prostituierte geworden und vielleicht an der Syphilis gestorben? Wie entsetzlich!
Doch auch sie wird bald sterben, und dann? Sie braucht einen Ersatz für sich selber, eine geeignete Person, die ihr Werk fortführt. Und sie hat diese schon gefunden. Die Hanna wird es sein. Sie Die Hanna kann eine neue Note in die Stiftung einbringen, etwas Künstlerisches. Natürlich verlangt sie viel von ihr, es wird auf Kosten der Zeit gehen, die sie mit ihrem Ehemann verbringen sollte, aber der Karl kann und wird es verstehen.
Morgan schickt sich an, ihr Testament aufzusetzen. Während sie dies formuliert, meldet sich ihre Ururur–Enkelin Morgaine. Das Kind ist jetzt fast zwanzig, und es lebt im Jahre 2015. Also in ferner Zukunft.
„Hi Grandma.“
„Hi, mein Urururenkelchen“, sagt die Baronin.
„Du klingst etwas traurig.“
„Ach Kind, ich werde wohl bald den Löffel abgeben, so sagt man doch bei euch, oder?“
„Ach was, du bist unsterblich, Grandma. Ich weiß noch genau, wie ich dir zum ersten Mal richtig begegnet bin, es war in dieser kalten Gruft. Ich hab’ immer gedacht, eine Tote spricht mit mir, so war es einfacher zu verstehen.“
„Das stimmt, mein Kind. Ich wollte es dir nicht zumuten, diese Vorstellung von dem Abgrund über die Zeiten hinweg, also habe ich ein bisschen geflunkert.“
„Ich weiß...“, lacht Morgaine. „Und von wegen Löffel abgeben – es muss nicht das Ende sein. Ich hab’ da nämlich eine Idee...“
„Und was soll das für eine Idee sein?“
„Wir tun uns zusammen. Du beziehst eine Wohnung in meinem Kopf, ich nenn’s mal Oberstübchen, du könntest es mit Erinnerungen möblieren – und vor allem könntest du mir helfen. Natürlich nur, wenn du Lust dazu hast.“
„Kind, was für Ideen du hast! Und wobei könnte ich dir wohl helfen?“
„Ach weißt du, Grandma, hier geht mittlerweile alles den Bach runter, es hat mit der Politik zu tun, mit den Unternehmen, es hat mit den Banken zu tun und mit Finanzkrisen, aber ausbaden muss alles der kleine Mann. Mittlerweile fürchten viele schon für die Demokratie, wie sie bisher bestand. Es wird schlimm werden, und ich brauche jede Hilfe, um die Familie und auch andere Leute zu retten.
Die Baronin kennt sich mittlerweile gut aus in Morgaines Welt. Sie hat die Kleine zum ersten Mal vor dem Millennium kontaktiert – und ihr Wissen über die Zukunft ist in den letzten fünfzehn Jahren enorm gewachsen – durch Morgaine. Vieles kann sie nicht verstehen, aber den in der Zukunft Geborenen ist sicher auch nicht alles klar.
Sie weiß aber, dass in ein paar Jahren ein Krieg stattfinden wird: Der deutsche Krieg. Österreich wird sich mit Hannover und den anderen deutschen Kleinstaaten zusammentun, um gegen Preußen zu kämpfen. Preußen wird gewinnen und damit die Weichen für das Deutsche Reich stellen unter der Herrschaft der Hohenzollern.
Sie weiß auch, dass bald ein anderer Krieg folgen wird, nämlich der gegen Frankreich. Und danach der sogenannte 1.Weltkrieg, verursacht durch die „Blutstreue“ zu den Österreichern, die zwar mittlerweile ein eigenes Kaiserreich haben, aber sie sind nun mal Deutsche. Damned! Deutschland verliert und muss hohe Reparationen zahlen. Die daraufhin folgende katastrophale Wirtschaftskrise ist der Nährboden für den Demagogen, dem alle mehr oder weniger blind ins nächste Verderben folgen.
Der 2.Weltkrieg… Alle ihre Visionen sind Wirklichkeit geworden: Der Schrecken der Verblendung, des Hasses und der Vernichtung. Wieder verliert Deutschland, es wird geteilt und lebt fortan unter strikt voneinander getrennten verschiedenen Gesellschaftssystemen.
Der Krieg zu dieser Zeit wird der „Kalte Krieg“ genannt. Er ist geprägt von der Androhung schrecklicher Waffen.
Viele Jahre später erfolgt die Wiedervereinigung der Deutschen. Doch ihre Nachbarländer fürchten sich vor dem ehemaligen Feind – der fast seine ursprüngliche Größe wiedererlangt hat und außerdem als Wirtschaftsriese auftrumpft – und erzwingen die Europäische Union, welche die Deutschen streng einbindet und die sich nach kurzer Zeit als reine Lobbyisten–Vereinigung präsentiert. Wie wird es weitergehen? Was wird die Zukunft bringen?
Wieder hat sie den Faden verloren. Was hat ihre Ur-ur-ur-Enkelin gerade gesagt? Irgendetwas mit Löffel abgeben und es muss nicht das Ende sein.
„Ich weiß es nicht...“, erwidert Morgan. „Es hört sich verlockend und erschreckend zugleich an – und mal abgesehen von dem moralischen Aspekt – dürfen wir das überhaupt?“
„Wir haben unsere Gabe, und wir sollten sie nutzen“, Morgaines Stimme klingt ernst. „Ich hätte dich gerne bei mir, du darfst auch bei meinem Liebesleben zuschauen. Blöd, dass ich keins habe, denn dummerweise weiß ich immer, ob und was die Kerle für mich empfinden...“
„Ich werde drüber nachdenken...“
Ach, die arme Morgaine, sie weiß so viel, man sollte nicht so viel wissen… Dennoch hat ihr Vorschlag mit dem Hinterstübchen und der passenden Möblierung etwas Verlockendes. Man hätte Macht über die Zukunft, wenn auch nur im kleinen Rahmen, man könnte die Macht sogar ausweiten, wenn man andere seiner Art finden würde. Aber Macht ist immer verwerflich, sie kann entarten, egal wie edel ihre Grundprinzipien einst waren.
Was soll sie nur tun? Ein bisschen bedauert sie es, nicht unsterblich zu sein. Doch das ist dumm: Ohne eigenen Körper ist man gefangen in sich selbst. Könnte langweilig werden und auch furchtbar. Und was ist, wenn die Seele sich nie mehr befreien kann, wenn sie wirklich unsterblich ist ohne Aussicht auf den Tod? Ohne Körper taugt die beste Unsterblichkeit nichts, ohne Augen, ohne Ohren, ohne Mund. Entsetzlich!
Aber… vielleicht ist die Seele von Natur aus unsterblich. Niemand weiß es. Und sie, die unbedeutende Baronin von Kampe hätte die Möglichkeit, es zu erfahren. Diese Option muss sie sich offenhalten. Eigentlich will sie doch gar nicht sterben, ihre Seele ist noch nicht müde. Kann eine Seele denn müde werden? Ja, natürlich! Sie erinnert sich an das Murmeln in der Gruft; viele der Toten waren stumm, haben sie ihr Restleben beendet? Geschieht es freiwillig, dieses endgültige Aufgeben? Das könnte sein...
Sie wendet sich wieder ihrem Testament zu und schreibt als letzten Satz:
„Hiermit vermache ich mein Haus in Helligenthal der Hanna Heuer – und lege außerdem die von mir ins Leben gerufene Stiftung namens „Mädchen mit Kindern“ in die Hände der Vorgenannten. Möge sie damit verfahren, wie sie denkt.“

Die Baronin lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und überlegt. Soll sie Morgaine sofort „anrufen“ oder darauf warten, dass sie sich bei ihr meldet? Es ist egal, es wird so kommen, wie es kommen wird.

Ende?

Zum Anfang:
http://webstories.eu/stories/story.php?p_id=116422
 
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Kommentare  

ich hab's verbessert und denke: nun ist's verbessert. ja hoffentlich. ;-)

Ingrid Alias I (12.12.2013)

erstmal danke für deinen kommentar, francis. ja, ich bin erleichtert und trotzdem unzufrieden mit diesem letzten teil. der... widersetzt sich allen änderungen, und vielleicht sollte ich ihn ganz neu schreiben, irgendwann einmal.
lieben gruß an dich


Ingrid Alias I (20.11.2013)

Hi Ingrid. Ja, ich finde, du solltest es unbedingt umschreiben und dein Roman deiner Erzählweise anpassen. Herzlichen Glückwunsch zum letzten Kapitel, welches du sicherlich erleichtert aber auch zugleich etwas traurig abgeschlossen hast.
LGF


Francis Dille (19.11.2013)

manchmal schreibe ich gerne in der gegenwartsform, es wirkt dann lebendiger, kann sein, dass ich's diesmal übertrieben habe. *gg* soll ich's umschreiben? vielleicht tu ich das, wenn ich wieder zeit habe, im moment habe ich aber andere sorgen, leider leider...
liebe doska, ich danke dir fürs lesen und dafür, dass du bei der stange geblieben bist.
einen lieben gruß sende ich dir


Ingrid Alias I (10.11.2013)

Oh - nö! Bitte nicht schon ein Ende, das wäre zu rasch. Wieder ein schönes Kapitel, aber so ein bisschen Gemecker kommt nun doch mir. Weshalb schreibst du plötzlich fast alles in der Gegenwart? Außerdem wechselst du die Zeiten. Das macht das Lesen anstrengend. Ansonsten spannend und wie gesagt bitte noch keinen Schluss.

doska (10.11.2013)

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