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7 Seiten

DER HIMMEL UEBER ROM, Teil 1 - SATURN

Romane/Serien · Spannendes
Vanadis saß in einer versteckten Ecke der Taverne, sie fröstelte ein wenig, obwohl es hier warm war. Dennoch fühlte sie eine Kälte in und an sich, die unmerklich zunahm jeden Tag, auch schien diese Kälte immer feuchter zu werden. Der Himmel verschwamm in Nässe, kaum jemals war die Sonne durch die finsteren Wolken zu sehen. Und die dichtbevölkerte Stadt kam ihr vor wie ein riesiger Sumpf, der immer mehr versank im beizenden Geruch der Kohlebecken, die in den Häusern vor sich hinglühten.
Das sollte man eine zivilisierte Stadt nennen? Da war es bei ihr zuhause ja besser gewesen - und vor allem wärmer, es gab dort einen richtigen Kamin, nicht nur Kohlebecken, die vor sich hinqualmten und das ganze Haus verräucherten.
Vanadis musste lächeln, sie nannte es zuhause, obwohl sie auch dorthin verschleppt worden war. Gut, es war besser gewesen als hier, aber auch dort war sie gefangen in dem uralten System von Freien und Unfreien. Wie hier. Doch dort lief es anders ab: Nach einer gewissen Zeit, in der man sich bewährte als Mitglied der Familie, wurde man darin aufgenommen. Man hatte die gleichen Rechte wie die anderen, man wurde respektiert...
Ach ja, und jetzt? Sie errötete unwillkürlich, jetzt war es schlimmer, jetzt war sie nicht nur unfrei, sondern sie war eine Sklavin im Römischen Reich. Und obwohl für sie die Sklaverei ganz normal sein müsste - so war es nun mal im jetzt und hier - fühlte sie dennoch ein unbestimmtes Verlangen nachâ?¦ Sie wusste nicht, wie sie es bezeichnen sollte, es war nicht der Drang, eine Freigelassene zu sein. Oder gar eine richtige römische Bürgerin. Doch was wollte sie, was schwebte ihr vor? Sie wusste es nicht.
Gedankenverloren nippte sie an ihrem Weinbecher. Heute wurde unverdünnter Wein eingeschenkt, und sogar den hochprozentigen Mulsum gab es â?? wenn man ihn bezahlen konnte.
Um sie herum erklangen Tamburine und grelle Flötenmusik. Würfel knallten auf Tische, wüstes Gegröle ertönte, trunkene Schreie, irres Gelächter, die Fackeln warfen diffuse Schatten auf die Wände und erhellten nur unzureichend den Raum.
Nein, nicht unzureichend, für sie war es ausreichend genug, sie wollte gar nicht sehen, was dort passierte, sie wollte die Augen schließen, aber es ging nicht, etwas trieb sie dazu, alles zu beobachten, zu analysieren und abzuschätzen...

Swari, die kleine schlanke Syrierin tanzte in ihrem kurzen Kleid. Sie wiegte ihren Körper hin und her, sie ließ ihre Hüften lasziv und verführerisch kreisen, ihre Brüste bebten verlangend, an ihren Fesseln trug sie grüne Glasperlenketten, und diese klingelten aufreizend, wenn sie sich bewegte.
Wie eine Prostituierte, musste Vanadis denken. Aber waren sie nicht alle Prostituierte? Egal, in welcher Form sie der Herrin des Hauses dienen mussten?
Ja natürlich, aber was war mit dem Herrn? Vanadis lachte verächtlich auf, der Herr war ein Witz, und sie verachtete ihn. Wenn das der römische Mann sein sollte ... Damit konnte sie nur Mitleid haben, nein, Mitleid war zuviel, Verachtung war das richtige Wort. Wie konnte sich jemand so aufführen, so... lasch, so unwürdig! Wie konnte er das Treiben seiner Frau nur dulden?
Im Chattenland wäre eine Frau, die sich so aufführte von ihrem Ehemann getötet worden. Und eigentlich war es auch hier so üblich, aber Marcus liebte anscheinend seine Frau. Er ließ sich alles von ihr bieten und verschloss permanent die Augen vor ihrem Treiben. Er musste doch wissen, was sie trieb, auch wenn er nicht oft da war, so dämlich konnte doch kein Mann sein. Vanadis schüttelte den Kopf. Dieser verdammte Kerl, dieser römische Kerl! Sie hasste ihn einfach!
Wieder klebten ihre Blicke an der Syrierin. Die hatte sich mittlerweile einem jungen Mann genähert, mit den Hüften wackelnd, die Brüste zurückgenommen berührte sie ihn sanft und kurz mit den Händen und schaute ihm verlangend in die Augen...
Das war gut, das war so gut! Vanadis klatschte in die Hände. "Mach weiter so", rief sie der verführerischen Frau zu. "Du bist fast so gut wie SIE!"
Und die Syrierin ließ sich das nicht zweimal sagen, sie verdoppelte ihre Anstrengungen, ihre Glieder wanden sich wie Schlangen um den robusten Körper des Mannes, und wie in Trance streckte er seine Arme nach ihr aus, doch Swari nahm sich leicht zurück und seine Hände fassten ins Leere. Doch das stachelte seine Lust noch mehr an.
Ja wirklich, Swari verhielt sich fast genauso wie die Herrin.
Natürlich war diese unübertroffen, keine Sklavin würde jemals das Ausmaß ihres Verlangens und der damit verbundenen Rücksichtslosigkeit nachfühlen können. Es würde immer bei einer plumpen Imitation bleiben.
Aber Swari, die Syrierin kam dem schon recht nahe. Zumindest was die Erweckung von Begierden betraf. Wie eine Prostituierte, Vanadis nickte begeistert, welch ausgezeichnete Imitation: Das war die Herrin, das war sie, wie sie lebte und liebte. Schlampe! Hure!
Vanadis wusste nicht, warum sie die Herrin so verabscheute, sie sollte ihr doch eigentlich egal sein, zumal sie von ihr verschont wurde. Sie schlug sie nicht, und sie bot sie auch nicht ihren Gästen als Vor- oder Nachspeise an.
Und das hatte seinen Grund. Mittlerweile hatte Vanadis erkannt, dass sie nicht dem Haus Colonius gehörte, sie hatte Glück gehabt. Alles war besser als die Frau des Hauses Colonius zur Herrin zu haben.
Und auf den Herrn des Hauses konnte sie auch gut verzichten, verächtlich lächelte sie vor sich hin.
Terehasa, die üppige Schwarzhäutige aus dem afrikanischen Land Nubien tanzte mit schwellenden Hüften an ihr vorbei. Vanadis roch den leisen Duft von Datteln, Terehasa hatte sich mit einer Essenz eingerieben, die es nur auf dem Sklavenmarkt zu kaufen gab, es handelte sich um eine Mischung aus Ziegenbutter und verschiedenen Ölen. Damit salbten sich in ihrer Heimat die Frauen ein, bevor sie ihre Hochzeitsnacht erlebten.
Vanadis seufzte auf, sie selber würde genauso wenig heiraten wie Terehasa. Und wenn doch, dann einen Mann, den man für sie aussuchen würde. Ihre Kinder würden Sklaven sein und vielleicht woandershin verkauft werden. Nein danke, dann besser nicht heiraten. Andererseits konnte man auch ohne Heirat Kinder kriegen. Aber noch war niemand da, der ihr etwas bedeutete, und das war gut so. Liebe konnte man sich als Sklavin nicht leisten, denn die ging immer übel aus.
Wieder hefteten sich ihre Blicke auf die schlanke Syrierin, die mittlerweile auf die Knie gegangen war und ihren Oberkörper hin und her wiegte, während ihre Lippen sich auf laszive Art dem Unterkörper des Mannes näherten. Der Mann machte einen leicht benommenen Eindruck, kein Wunder, Swari war überaus anziehend, und obwohl Vanadis nicht der gleichgeschlechtlichen Liebe zugetan war, das glaubte sie zumindest, fand sie das Verhalten der Frau sehr aufreizend, es versetzte ihr einen leichten Stich irgendwo unterhalb der Taille ...
Sie wollte dieses Gefühl vertreiben, indem sie einfach an den Herrn des Hauses Colonius dachte. Marcus war Stabsoffizier bei einer dieser kaiserlichen Legionen - und zum Glück selten im Hause. Doch dummerweise blieb das Gefühl, nein, es blieb nicht nur, sondern es verstärkte sich noch. Vanadis atmete heftig aus. Was war los mit ihr? Sie verachtete den Kerl, wie konnte man sich als Mann so von seiner Frau demütigen lassen! Nein, sie empfand bei dem Gedanken an ihn nur Wut und keine Lust. Der Wein war es, nur der Wein - und sie zwang sich weiter, dem Schauspiel zuzusehen, es war wie in einer dieser Straßenaufführungen, wo Geschehnisse aus dem Kaiserhaus dargestellt und lächerlich gemacht wurden, nur hier handelte es sich um die Wirklichkeit, Sklavenwirklichkeit.
Bobum näherte sich der Szenerie, der drahtige Gallier fing an zu tanzen. Es war ein wilder Tanz. Bobum war bestimmt schwer berauscht. Terehasa wackelte üppig heran und baute sich vor ihm auf in all ihrer körperlichen Pracht. Bobums Augen traten fast aus ihren Höhlen heraus, und mit einem Stöhnen versuchte er Terehasa ganz zu umfassen. Sie wehrte es ihm nicht, nur hatte er zu kurze Arme, und so tanzten sie zusammen, ihre Unterkörper eng aneinander gepresst.
Vanadis schaute weg von dem ungleichen Paar. Es verführte sie nur zu weiteren seltsamen Empfindungen und das war nichts für sie.
Aber wohin sie auch schaute, überall geschah es. Wieder fiel ihr Blick auf die Syrierin, die immer noch auf den Knien lag und ihren Oberkörper aufreizend vor ihrem Partner hin und her wand wie eine Schlange, während er ihr wie hypnotisiert dabei zuschaute.
Bis sie schließlich sein hoch erhobenes Glied in ihre Hände nahm und es kurz küsste und streichelte, um dann ihre Lippen unaufhaltsam darum zu verschließen, es gab keine Entrinnen für ihn, und er genoss es. Das konnte jeder sehen und keinen störte es. Ach Rom! Verfluchtes Rom, wo auch die Kinder schon alles sehen konnten, was die Erwachsenen trieben. Diese Menschen hatten keinerlei Scham.
Vanadis wandte ihren Blick ab, sie wollte das nicht sehen und auch nicht hören! Dennoch fühlte sie sich erregt, verlegen schaute sie in ihren Becher und atmete tief durch, bevor sie wieder aufblickte.
Die beiden Haussklaven lagen eng beieinander, sie streichelten sich zärtlich und küssten sich dann. Beide waren groß, kräftig und schön. Sie hatten keine Namen, sie wurden von der Herrin nur als "Sklave komm her" betitelt. Die anderen Bediensteten vermuteten, dass es sich bei den beiden um Brüder handelte. Aber genau wussten sie das auch nicht, die 'Brüder' waren nämlich stumm. Vanadis wollte nicht dran denken, wie so etwas geschehen konnte, sie hoffte immer noch, dass es angeboren war. Aber bei beiden? Nein, sie wollte nicht dran denken.

Alle in diesem Haus hatten gewisse Ängste und Wünsche. Swaris Angst war, dass die Herrin sie an ein Freudenhaus verkaufen könnte, einfach nur weil sie Lust dazu hatte. Und wenn die Herrin jemals von dieser Darbietung erfuhr, dann waren die Chancen groß dafür.
Terehasa hatte Angst, nie den einen zu finden, der für sie bestimmt war. Sie befürchtete, dass sie niemals ihre Hochzeitsnacht erleben würde, niemals dem Bräutigam in ihrer magischen Salbung gegenüber stehen würde.
Bobo, der Gallier war schon in der dritten Generation Sklave, er hatte nicht genug Fähigkeiten, jemals seine Freilassung zu erleben - genauso wenig wie seine Eltern und Großeltern diese gehabt hatten. Der Wunsch, irgendwann sein Ursprungsland Gallien zu sehen oder gar dort zu leben, verblasste allmählich und hatte Stumpfsinn Platz gemacht.
Und die beiden namenlosen Stummen? Wovor fürchteten die sich wohl am meisten? Dann fiel es Vanadis plötzlich ein: Natürlich, sie hatten Angst, voneinander getrennt zu werden. Die Armen, sie taten ihr leid, sie waren so schön und deswegen so vielen Übergriffen ausgesetzt. Schönheit war in Rom gefragt, vor allem männliche Schönheit. Sie war noch gefragter als kindliche Schönheit.
Doch wovor hatte sie selber Angst? Sie wusste es nicht. Ins Chattenland zurück wollte sie nicht, was sollte sie auch da? Eine Zeitlang hatte sie dort Sicherheit gefunden, doch ihre Leute lebten nicht mehr, sie waren gewiss bei dem Überfall ums Leben gekommen.
Sie hatte manchmal diffuse Träume von einem Mann, der sie aus diesem Sklavenleben befreien würde, aber der Mann war ohne Gesicht, und alles war nur Einbildung. Bis jetzt hatte sie in Rom noch keinen Mann gesehen, der aufrecht und ehrlich war. Auf die Männer hier konnte man sich nicht verlassen, die waren alle seltsam veranlagt, grausam, untreu sowieso, und sie mochten meistens Jünglinge mehr als Frauen.
Also konnte man sich nur auf sich selber verlassen. Sie musste lächeln. Sie war noch jung, keine achtzehn Jahre alt, und vielleicht würde sich irgendwann ihr Schicksal ändern. Vielleicht durch einen irrwitzigen Zufall, vielleicht durch Flucht. Also konnte sie nur hier ausharren und sehen, was die Zukunft brachte. Bis jetzt hatte sie Glück gehabt. Sie wurde verschont, hatte eine kleine Sonderstellung. Aber wenn das irgendwann nicht mehr galt ... Sie wollte nicht daran denken, wollte nur den Augenblick genießen, wollte ihre Gefährten glücklich sehen, denn ihr Glück würde vielleicht nicht mehr lange dauern.
Jeden Tag konnte es geschehen: Man wurde verkauft, verheiratet, getötet, Carpe diem! Das dachte sie in der latinischen Sprache, die sie perfekt beherrschte. Ihre Mutter hatte sie diese Sprache gelehrt. Ach Mutter, du bist schon so lange tot, und ich weiß kaum noch, wie du aussahst, manchmal sehe ich ein Gesicht, es ist so lieb, ist es dein Gesicht? Ja. Du hast dich in der Bretagne in einen römischen Krieger verliebt und bist ihm nach Gallien gefolgt. Dort hast mich zur Welt gebracht. Kurz darauf fiel mein Vater in einer Schlacht, das hast du mir erzählt.
Würde sie selber auch einem Mann folgen, nur weil sie ihn liebte? Es erschien ihr unvorstellbar. In dieser Beziehung unterschieden sie sich bestimmt sehr, ihre Mutter und sie.
Wieder musste sie lächeln. Alle waren hier berauscht, auch sie selber. Der Wein floss bei den tagelangen Feierlichkeiten in Strömen, und selbst sonst strenge Herren billigten ihren Sklaven eine Extraration davon zu.
Außerdem hatten die Sklaven genug Geld, um sich noch mehr Wein zu kaufen in den Tavernen. Dort konnte auch das sonst verbotene Würfelspiel offen gespielt werden. Dort konnte man alles tun, was einem in den Sinn kam, niemand kümmerte sich drum.
Und genau darin bestand das Sklavenvergnügen: Einmal im Jahr durften sie sich voll auslassen über ihre Herren und Herrinnen, sie durften sich als sie verkleiden, sie durften ihren Lebenswandel imitieren, sie durften sprechen wie sie und lieben und betrügen wie sie.
Leider gelang ihnen das nur unzulänglich, wie Vanadis dachte. Niemand konnte die Adeligen Roms - sie hielten sich tatsächlich für die Nachkommen des griechischen Helden Äneas - übertreffen in ihrem Lebensstil, in ihren Begierden und ihren Perversitäten. Sie nippte wieder an ihrem Becher.
Das alles wurde mit noch mehr Wein begossen, und deshalb trugen die Saturnalien, mit dem man die Wintersonnenwende begrüßte, auch einen anderen, einen recht doppeldeutigen Namen, nämlich 'Die Feuchten Tage' ...
 
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Kommentare  

danke doska! ich hoffe nur, dass ich dich nicht enttäusche. ich mein' ja, dass ich - zumindest in die ersten teile - zuviel information eingefügt habe. ;-)

Ingrid Alias I (21.09.2014)

Ich bin ja ein Fan deiner wunderschönen Romane. Auch dieser Anfang enttäuscht wieder mal nicht. Schöne atmosphärische Dichte. Man kann sich sehr gut die Lage Vanadis und die damalige Zeit hinein versetzten und ich bin sehr gespannt, was noch alles passieren wird.

doska (20.09.2014)

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