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DER HIMMEL UEBER ROM, Teil 17 - IN DER FREIHEIT

Romane/Serien · Nachdenkliches
Es war natürlich viel leichter zu fliehen, als ein neues und vor allem ein sicheres Zuhause zu finden…
Vanadis eilte verstört durch die Straßen, sie war jetzt eine Entsprungene, und wenn man sie jemals finden würde, dann…
Sie musste innerlich stöhnen. Es war bekannt, dass die Römer nicht zimperlich mit entflohenen Sklaven umgingen. Manchmal wurden sie getötet, manchmal in Freudenhäuser gesteckt, egal ob sie nun männlich oder weiblich waren.
Nein, sie wollte nicht daran denken! Sie hatte sich entschieden, sie konnte in dem Haus Colonius nicht mehr bleiben. Sie musste an ihre Herrin, die Caenis denken. Was würde die nun tun? Sie suchen lassen? Nein, sie wollte nicht daran denken, sie schämte sich für das, was sie getan hatte, die Caenis würde es nicht verstehen, sie war so eine vernünftige Person. Und vor allem war sie so gut.
Wieder tummelte sich einiges in ihrem Kopf herum. Warum hatte sie das getan? Nein, nicht das Fliehen, sondern das mit dem Herrn des Hauses? Weil sie ihn hasste natürlich. Weil sie wollte, dass er auch noch den Rest von ihr kennenlernen sollte, also alles was sie als Frau zu bieten hatte. Oh je, sie hatte ihm einiges geboten…
Verschämt strich sie sich über die Augen, während sie in der Morgendämmerung daher ging. Sie wagte einen kurzen Blick zum Himmel. Er war strahlend blau, nur ein paar weiße Wolken streiften in ihm umher und machten ihn noch blauer, und das passte so gar nicht zu ihrer Verfassung. Der Frühling war ein blenderischer Kerl. Er versprach einem so viel und hielt nichts davon, langsam aber unaufhaltsam würde er zum Hitze bringenden Sommer werden, in dem alles Grün vertrocknete, nach ihm kam der Herbst, der eigentlich in Ordnung war, weil er keine Versprechungen machte und die auch nicht halten musste – und am Ende erreichte man wieder einmal die Saturnalien.
Wie würde sie diese wohl verbringen? Sie erinnerte sich an das vorletzte Jahr, als sie ausgelassen mit den anderen Sklaven gefeiert hatte. Dann an das letzte Jahr, als sie mit dem Thumelicus alleine zu Hause geblieben war. Sie hatten sich nur unterhalten und sich dabei manchmal zart berührt. So unschuldig berührt.
Wo waren ihre Gefühle für ihn? Einfach weg? Das konnte nicht sein.
Dennoch spürte sie es: Sie war verändert. Eine Zeitlang hatte sie gedacht, den Thumelicus zu lieben und ihn damit vor sich selber retten zu können. Doch dann kam der Schock, als sie ihn mit der Kaiserin und der Sidonia sah. Mittlerweile hatten die vormals entsetzlichen Bilder ihren Schrecken verloren. Natürlich liebte sie den Thumelicus immer noch, aber mehr wie einen Bruder, den man beschützen sollte.
Und dann drängte sich Marcus unaufhaltsam in ihre Gedanken. Sie stöhnte auf, was musste er von ihr halten? Sie hatte sich benommen wie eine läufige Hündin, sie hatte Worte von sich gegeben, die abscheulich waren, bestimmt hatten Sidonia und Messalina diese auch gebraucht bei ihren Liebesspielchen. Aber sie selber? Sie hatte immer gedacht, sie wäre anders, nicht so triebhaft wie die römischen „Damen“. Aber sie war es nicht, sie war wohl genauso geil wie diese.
Und dann noch mit dem, ausgerechnet mit dem! Wieder stöhnte sie vor sich hin und schüttelte hilflos den Kopf.
Sie spürte, dass es dunkler geworden war und schaute zum Himmel empor. Er war immer noch wunderbar blau, aber er hatte an Größe verloren, es lag daran, dass hohe Häuser die Aussicht auf ihn versperrten – sie hatte den Viminal-Hügel hinter sich gelassen und die engen Gassen der Subura erreicht. Den Ort der Zuflucht, oder den des Verderbens. Vielleicht war er beides.
Was nun? Sie musste eine Wohnung finden, oder zumindest einen Unterschlupf. Sie lief in Richtung des kleinen Forums – und hoffte, dass der Backwarenladen schon geöffnet war.
Er war es, dem Himmel sei Dank! Vanadis atmete tief durch, Schemuel, der Inhaber des Geschäfts, packte gerade Brote in die Regale seines Verkaufsstands.
Er bemerkte sie und lächelte sie freundlich an. „Nun, meine liebe Vanadis“, sagte er. „Du bist ja früh unterwegs.“
Vanadis empfand auf einmal Angst. Sie wusste zwar, dass der Schemuel ihr freundschaftlich zugetan war, aber das bezog sich auf ihre Eigenschaft als gute Kundin, als Sklavin, die für ein reiches Haus eingekauft hatte. Was würde er jetzt wohl von ihr halten?
„Ich, ääh... ich…“, stotterte sie herum, sie konnte es nicht sagen, sie hatte Angst, wie er auf ihre neue Situation reagieren würde.
„Bist du etwa abgehauen?“, fragte der Schemuel sie aus Scherz, doch als er ihr betroffenes Gesicht sah, stutzte er. „Oh je, es ist wahr“, sagte er schließlich mit leiser Stimme.
Er brüllte es nicht hinaus, gut war das, sehr gut, oh Schemuel, du bist ein netter und gütiger Mann.
„Ja“, sagte sie mit fester Stimme. „Ich bin abgehauen und brauche nun eine Unterkunft. Die kann ganz schlicht sein. Nein, sie muss ganz schlicht sein, denn mehr kann ich mir auf Dauer nicht leisten.“
Der Schemuel überlegte sichtlich angestrengt. „Natürlich…“, meinte er dann nachdenklich. „Und ich glaube, ich weiß etwas für dich. Ist zwar nicht so schön wie da, wo du bis jetzt gelebt hast, aber wenigstens stellt man dort keine dummen Fragen.“
„Das wäre perfekt!“ Vanadis lächelte ihn an. „Du bist ein guter Freund, und ich danke dir sehr!“
„Da wäre noch etwas“, der Schemuel räusperte sich, und Vanadis fürchtete schon, er würde Bedingungen an sie stellen, aber so war es nicht.
„Du brauchst eine Schriftrolle, in der du als Freigelassene erwähnt wirst. Das ist wichtig, denn ab und zu werden sogar hier am Arsch von Rom Kontrollen durchgeführt, meistens dann, wenn ein Adeliger in der Subura umgekommen ist. Wenn aber einer von uns verreckt, ist denen da oben das egal. Hier in Rom gibt es keine Gesetze, außer man zeigt etwas an, das dürfen aber nur die Großen…“, der Schemuel blickte grimmig vor sich hin. „Aber wie gesagt, du brauchst dieses Dokument, und ich kann dir jemanden nennen, der so etwas anfertigt.“
Vanadis starrte ihn erleichtert an – und schämte sich gleichzeitig für ihr Misstrauen. „Du bist sehr großzügig zu mir, und ich weiß nicht, ob ich dir das jemals danken kann!“
„Ach lass mal!“, der Schemuel winkte ab. „Wir sind doch alle nur ein Rädchen in diesem riesigen Rom, und vielleicht kannst du mir auch mal helfen…“
„Danke Schemuel! Es ist schön, jemanden wie dich zu kennen.“

Kurz darauf besaß Vanadis die Adresse einer winzigen Wohnung. Sie lag im vierten Stock eines baufälligen Mietshauses. Der Besitzer der Bruchbude zeigte ihr den Raum, der sich direkt unter dem undichten Dach befand. Das mit dem undichten Dach konnte jeder Idiot erkennen, denn der Fußboden des Raums war in der Mitte schon halb verfault und teilweise löchrig, so sehr hatte der Regen ihm zugesetzt. Und natürlich war die Miete total überhöht. Kein Wunder, denn hier suchten bestimmt viele entlaufene Sklaven Unterschlupf. Sie brauchte hier auch nichts vorzeigen, es schien dem Vermieter egal zu sein, ob sie frei war oder unfrei, Hauptsache, sie konnte die Miete bezahlen.
Vanadis schaute sich angeekelt um. Doch was sollte sie machen? Sie musste diesen Raum mieten, etwas anderes war nicht in Sicht. Sie würde Tonschüsseln auf dem Boden verteilen, um den Regen aufzufangen, sie würde Bretter über den löchrigen Holzfußboden nageln, damit sie nicht im Stockwerk darunter landete. Sie würde eine Matratze hineinlegen, da wo das Dach noch dicht war und eine Truhe für ihre Sachen daneben stellen. Und vielleicht konnte sie sich ein paar zusätzliche Wolldecken leisten, einen kleinen Teppich und im Winter dann vielleicht ein Kohlebecken. Es würde ihr neues Zuhause sein. Und das ihres Kindes, wie sie zögerlich dachte.
Also gab sie dem Vermieter einen Teil ihrer Ersparnisse. Sie hatte ihre wenigen Sesterzen und Asse durch geschicktes Feilschen auf dem Forum erlangt, dem Koch war es egal, wie viel sie für die Lebensmittel bezahlte, Vanadis hatte den Verdacht, dass er der Sidonia noch viel höhere Preise in Rechnung stellte. Der größere Teil allerdings bestand aus all den kleinen Honoraren, die sie durch Abschriften in der Straße der Verleger verdient hatte.
Es war eine große Summe, die sie dem Vermieter geben musste, die Summe würde zwar die Miete für drei Monate abdecken, aber sie riss ein gewaltiges Loch in ihre Ersparnisse. Ihr wurde klar, dass diese nicht lange reichen würden, und zudem brauchte sie unbedingt diese Freigelassenen-Schriftrolle. Sie sollte sich etwas einfallen lassen. Worin war sie gut, was konnte sie? Sie grübelte und grübelte vor sich hin, während sie ihre winzige Wohnung einrichtete. Im Grübeln war sie gut, aber leider tauchte beim Grübeln immer wieder der Marcus auf und lenkte sie ab. Sie durfte nicht mehr an ihn denken, das war von nun an oberste Priorität. Er störte sie nur, und sie bezwang die Gedanken an ihn.
Also grübelte sie weiter: Noch besser allerdings würde es sein, wenn niemand sie suchte. Sie hoffte auf die Caenis, die war so eine gütige Herrin. Die würde sie nicht verfolgen lassen. Oder doch? Wo war der Unterschied vom Bürger zum Freigelassenen, wenn es um deren Besitz ging? Klar, es gab bestimmt keinen Unterschied. Aber die Caenis war anders, und sie entschied sich dafür, der Caenis zu vertrauen. Hoffentlich die richtige Entscheidung, aber was anderes blieb ihr ja nicht übrig.
Trotzdem brauchte sie dieses blöde Dokument!
„Wie teuer ist denn so eine… Fälschung?“, fragte sie den Schemuel. Sie hatte es sich angewöhnt, bei ihm altes Brot zu kaufen, denn mehr wollte sie sich nicht leisten. Sie wusste ja nicht, was für Ausgaben noch auf sie zukommen würden, außer Miete und Essen, und bald auch würde das Kind da sein, dieses Kind, zu dem sie noch kein Gefühl hatte entwickeln können. Doch es war da und bestimmte ihr Vorgehen.
„Vier Sesterzen“, sagte der Schemuel, und sie konnte ihm ansehen, wie peinlich ihm dieser doch sehr hohe Preis war.
„Vier Sesterzen? Verdammt!“ Vanadis überlegte. Das war viel zu teuer, doch blieb ihr eine Wahl? Und auf einmal kam ihr eine Idee: Vielleicht konnte sie dieses Freilassungsdokument selber anfertigen, denn sie war gut im Nachmachen von Schriften. Das war es, was sie beherrschte, darin war sie gut. Sie atmete erleichtert auf.
Nur brauchte sie dazu eine Vorlage. Wo konnte man einen Freigelassenen-Brief sehen? Bestimmt in einer der zwei großen öffentlichen Bibliotheken der Stadt. Schnell verwarf sie den Gedanken. Dort würde sie nie hineinkommen, die waren nur für freie Bürger Roms zugänglich oder für wohlhabende Freigelassene, die man an ihrer guten Kleidung erkannte. Und sie musste schon selber hinein, um die Schriftrollen sehen zu können – und das als Frau! Es war schier unmöglich. Alle Bürger Roms und auch wohlhabend aussehende Freigelassene brachten zwar Sklaven mit in die Bibliothek, weil diese ihnen aus den Schriftrollen vorlesen mussten, doch all diese Sklaven waren männlich. Sie hatte sich zwar schon dort hineingeschlichen als Knabe verkleidet, aber jetzt war das Risiko sehr viel höher, sie war eine entlaufene Sklavin und auch noch schwanger…
„Ich muss überlegen“, sagte sie zu Schemuel, und ihre Stimme klang so verzweifelt, dass dieser sie mitleidig ansah.

In der Nacht darauf weinte sie, sie weinte um ihre Zukunft, sie weinte um ihr Kind und um dessen Zukunft – und seltsamerweise tröstete sie das. Sie hatte ihr Kind akzeptiert, und sie freute sich darauf. Trotzdem wusste sie nicht weiter, doch es würde ihr etwas einfallen. Es musste ihr etwas einfallen! Denn aus Rom heraus konnte sie nicht, es war viel zu gefährlich. Als alleinstehende Frau, ob nun ohne verbriefte Rechte oder mit verbrieften Rechten – nein, das ging nicht, sie wäre Freiwild für jeden und würde mit Sicherheit in einer neuen Sklaverei landen.
Am Morgen danach klopfte sie an die anderen Türen des Wohnblocks. Nach und nach nahm sie sich die vor. Die meisten der Bewohner machten gar nicht erst auf, aber das war ihr egal, sie klopfte dann an den nächsten brüchigen Holzverschlag.
Irgendwann machte doch jemand auf, aber es war nicht der Richtige. Vanadis suchte nämlich nach einem ehemaligen Sklaven, der eine echte Freilassungsurkunde besaß. Und das wollte sie sich einiges kosten lassen. Dieses Dokument war die einfachste Möglichkeit, einem Sklaven die Freiheit zu beurkunden. Zeugen mussten es unterschreiben, und danach erhielt der Freigelassene das latinische Bürgerrecht. Dabei handelte es sich nicht um das richtige römische Bürgerrecht, für dieses gab es kompliziertere Prozeduren: 1.) Eintragung durch einen Zensor in die Bürgerrolle als freier Bürger, 2.) ein Rechtsakt vor dem Magistrat und 3) natürlich eine Verfügung im Testament. Auf alle diese Prozeduren hatte sie keinen Einfluss, Also lief es auf die einfache Freilassungsrolle hinaus.
Nach weiteren Anläufen – sie blickte in angstvolle Gesichter und wusste instinktiv, dass es sich um keine Freigelassenen handelte, sondern um entlaufene Sklaven wie sie selber – traf sie schließlich auf jemanden, der in Frage kam. Dem Himmel sei Dank hatte der Schemuel ihr diesen Hinweis verschafft und den Mann schon kontaktiert. Nach vorsichtigem Abtasten lief es folgendermaßen ab:
„Du hast etwas, das ich brauche…“
„Das habe ich. Was ist es dir denn wert?“
„Eine Sesterze.“ Oh nein, war das jetzt zu viel oder zu wenig?
„Zu wenig, ich glaube, da ist mehr drin…“
„Wir können das auch lassen“, sagte Vanadis und wandte sich zum Gehen. Es kostete sie viel Kraft, das zu tun, aber es musste sein. Sie wollte nicht als schwache Bittstellerin erscheinen. Doch das Risiko war groß, vielleicht zu groß.
„Mach mir einen neuen Vorschlag!“, ertönte es hinter ihr.
Vanadis drehte sich um und sagte mit fester Stimme: „Ich gebe dir immer noch eine Sesterze für die Rolle, was heißt, ich will sie nur sehen, um sie mir einzuprägen – und außerdem noch neun Anteile von allen Geschäften, die ich damit machen werde…“
Der Mann überlegte lange, man konnte ihm ansehen, wie er mit Zahlen jonglierte. „Gut“, meinte er schließlich, „der Schemuel bürgt für dich, also musst du vertrauenswürdig sein. Eine Sesterze, zehn Anteile von all deinen Geschäften, und ich schlage ein!“
Als der Handel abgeschlossen war, musste Vanadis heftig aus- und einatmen. Sie hatte auf volles Risiko gespielt, und sie hatte furchtbare Angst gehabt, dass es vergebens wäre. Doch nun würde sie Einsicht bekommen in einen echten Freigelassenen-Brief – aber leider auch einen Teilhaber. Es war egal, sie musste das Beste draus machen, denn ihr Erspartes schmolz unaufhaltsam dahin.
Von einem Teil davon kaufte sie Papyrus-Rollen, Tinte und Federkiele. Auf einer Wachstafel übte sie das offizielle Schreiben, um das kostbare Papyrus nicht zu verschwenden, und schon nach kurzer Zeit gelang es ihr, eine ausgezeichnete Imitation eines Freigelassenen-Briefes anzufertigen. Und zwar für sich selber. Darin war ein gewisser Livius Laventius als ihr letzter Eigentümer angegeben. Es handelte sich bei ihm um den ehemaligen Liebhaber und Kerkermeister des Thumelicus, und er hatte den Vorteil, dass er schon länger tot war…
Vanadis lächelte vor sich hin: Vor ein paar Wochen wäre allein schon der Name Thumelicus bitter für sie gewesen, doch nun nutzte sie den Namen seines Peinigers für ihren eigenen Werdegang. Sie verdrängte den Gedanken an den Thumelicus, es fiel ihr nicht schwer, es war vorbei, sie musste nun für ihr Kind sorgen und konnte keine Rücksicht auf frühere Befindlichkeiten nehmen. Fast musste sie lachen: Befindlichkeiten… Sie hatte gedacht, ihn zu lieben. Aber nun war sie allein, und niemand würde ihr beim Überleben helfen. Spontan kam ihr die Idee, die verstorbene Sidonia als ehemalige Besitzerin von Sklaven bei zukünftigen Aufträgen anzugeben. Keine schlechte Idee, mit Toten zu arbeiten. Die konnten nichts mehr abstreiten, und die Zeugen würde sie erfinden. Sie musste lachen. Zukünftige Aufträge? Das war vermessen, aber durchaus im Bereich des Möglichen, wie sich herausstellen sollte.
Sie zeigte ihren Brief dem Schemuel, und der war begeistert davon.
„Du bist ein talentiertes Mädchen, und ich werde dir jede Menge Kunden zuführen. Am besten schreibst du die Briefe alle verschieden, ich meine in der Formulierung, sie sollen ja nicht alle gleich aussehen.“ Er lachte in sich hinein, und Vanadis stimmte in sein Lachen ein.
„Stimmt, das wäre wirklich viiiel zu einfach“, sagte sie immer noch lachend.

*~*~*

Es ließ sich leben in der Subura. Niemand schien nach ihr zu suchen, und nie musste sie ihre Freilassungs-Rolle vorzeigen. Natürlich gab es auch viel Sonderbares, das sie irritierte: Unter ihr wohnte eine Frau, jedenfalls hörte sich ihre Stimme an wie die einer Frau, sie schrie manchmal im Schlaf, sie war sehr scheu und mied den Kontakt zu den anderen Hausbewohnern. Vanadis hörte es natürlich. Sie war ja nur einen morschen Fußboden von ihr getrennt. Alles war hier zu hören, egal ob sich jemand mit jemand anderem paarte, oder ob jemand einen anderen verprügelte. Nur von oben drang nichts durch. Dort war nur der Himmel, den Vanadis durch eine winzige Öffnung sehen konnte.
Manchmal, wenn der Lärm der Fuhrwerke für einen Augenblick verstummte, stellte sie sich in der Nacht hin und betrachtete durch diese Luke den Himmel. Tiefschwarz war er, kleine Lichter schimmerten durch die Schwärze hindurch, die Sterne, sie funkelten und stellten Bilder dar. Am besten gefiel ihr der Adler, er verkörperte die Freiheit des Fliegens, er ließ sie die Hitze des Sommers vergessen, der mittlerweile unbarmherzig herrschte. Hier oben unter dem Dach wurde es nie kühler, selbst in der Nacht war kaum ein erfrischender Luftzug zu spüren.
Der Adler, er schwebte am Himmel, so friedlich und frei, so schön. Er ließ sie die Angst vor der Zukunft vergessen, und die Angst vor der Geburt ihres Kindes.
Und sie fand tatsächlich eine Freundin in diesem übelbeleumdeten Viertel. Es handelte sich um eine ältere Frau, die direkt neben ihr wohnte. Sie war sehr nett und sehr lieb. Und auch sehr allein. Es stellte sich heraus, dass es sich nicht um eine entlaufene Sklavin handelte, sondern um eine richtige Bürgerin Roms, allerdings um eine ziemlich vernachlässigte Bürgerin. Sie hieß Ladonia, ihr Mann hatte sich von ihr scheiden lassen, um eine Jüngere zu heiraten, sie hatte keinen eigenen Besitz, ihre Söhne kümmerten sich nicht um sie, und nun lebte sie von den Gaben des Staates. Sie war sehr vom Kaiser angetan, denn dieser hatte den Anbau von Gemüse in der näheren Umgebung von Rom gefördert, so dass es ganz billig in der Stadt verkauft werden konnte, neue Aquädukte waren entstanden, und jeder besaß Zugang zu frischem Wasser, sogar die Ärmsten in der Subura. Und auch Wein ließ er den Armen zukommen, Wein war wichtig, mit Wasser vermischt förderte er die Gesundheit.
„Sogar Fleisch erhalten wir jetzt günstig, wenn auch nicht oft. Obwohl die im Senat den Kaiser ausbremsen wollten. Die dummen Säcke sagten doch tatsächlich: Was denn, Claudius, jetzt haben die Armen schon das frische Gemüse und das gute Wasser! Warum sollen sie verwöhnt werden und auch noch Fleisch und Wein dazu bekommen?“
Vanadis lächelte dazu. Der Kaiser war kein übler Mann. Und er war ein Freund des Marcus. Obwohl, das hatte nicht viel zu sagen. Sie schob den Gedanken an Marcus weg, mit dem hatte sie nichts zu schaffen. Sie musste sich auf ihr eigenes Leben konzentrieren, ein römischer Ritter ging sie nichts an! Obwohl sie manchmal von ihm träumte. Diese Träume waren erschreckend, seltsame Träume voller Zärtlichkeit und Leidenschaft, aber alles war nur Lug und Trug. Träume eben…
Jedenfalls war die Ladonia eine freundliche und hilfsbereite Frau, doch hatte sie zu Vanadis’ Entsetzen zweierlei sofort erkannt, nämlich dass sie eine entlaufende Sklavin war – es schien sie nicht zu stören - und ihre Schwangerschaft. Sie bot ihr daraufhin an, das Kind in Zukunft zu hüten, wann immer Vanadis dies brauchte. Vanadis fühlte sich unsicher, so leicht war ihr Zustand zu erkennen? Nein, das konnte nicht sein, es war sicher nur, weil die Ladonia selber schon Kinder zur Welt gebracht hatte. Sonst hatte nämlich noch niemand gemerkt, dass sie schwanger war. Und das war auch gut so.
 
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Kommentare  

der undurchschaubare marcus wird fürs erste nicht mehr auftreten, er ist in der ägäis, um piraten zu jagen. ein gefährliches unterfangen...
liebe doska, danke schön für all deine kommentare und überhaupt. ;-)


Ingrid Alias I (26.02.2015)

Überzeugend geschrieben. Man kann sich vorstellen, dass alles so oder ähnlich hätte geschehen können. Und was macht nun Marcus? Ich bin sehr gespannt.

doska (21.02.2015)

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