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4 Seiten

Unsichtbar/Kapitel 3/Heiner und Rolfi und Lisa und Menschen

Romane/Serien · Schauriges · Experimentelles
© rosmarin
Kapitel 3

Heiner und Rolfi und Lisa und Menschen

He. Ich bin es. Ich. Die durch die Stadt taumelt. Schmutzig. Stinkend. Verwahrlost. Gedemütigt. Verlassen. Sähe mich jemand, er würde denken, ich stünde unter Drogen.

Heiner liegt auf der Wiese. Unter der Schleiersonne. Zwischen all den anderen sonnenhungrigen Menschlein.
Plötzlich springt Heiner auf, lacht, tanzt, verbiegt seine langen Arme, die dürren Beine. Heiner tanzt. Tanzt seltsame Figuren, rauft sich die Haare, klatscht in die Hände, springt über die verschreckten, knusprig braunen Menschlein.
Heiner singt:
„So ein Tag, so wunderschön wie heute ...“
Leidenschaftlich schwenkt Heiner seine Gitarre. Das Wertvollste, das er besitzt. Sein ganzer Stolz. Seine einzige Liebe. Sein Leben. Die teure Gitarre.
Heiner kratzt die Saiten. Schlägt sie. Bespuckt sie. Streichelt sie. Küsst sie zärtlich. Singt:
„So ein Tag, so wunderschön wie heute … ach, verreckt doch alle! Idioten!“
Die Gitarre schmettert auf eine rote Glatze.
„Nimm deinen Fuß da weg. Idiot!“
Die Glatze brennt. Heult. Die Gitarre schmettert weiter. Ungerührt.
„Verdammter Wichser. Du bist das! Standest doch an der Mauer. Gewehr im Anschlag. Verräter! Hurensohn! Nazischwein!“
Heiner haut noch immer die Glatze.
Kein Mensch rührt sich.
Heiner johlt:
„So ein Tag …“

Heiner tanzt zwischen den Leibern. Heiner. Der King. Einmal im Leben. Einmal im Leben der King zu sein. Was für ein Gefühl! Welch Erhabenheit.
„Über sieben Brücken musst du geeehn, sieben dunkle Jahre übersteeehn…“
Heiner haucht den Worten Leben ein. Heiner tanzt den Totentanz. Den Totentanz der Vergessenen.
„Ich bin Asche. Ihr seid Aaasch …“
Die Menschlein starren. Starren zu Heiner, der seinen letzten Tanz tanzt. Den Totentanz. Die Menschlein starren stumm.

Menschen
Menschen
Menschen überall
Menschenschädel
Menschenfleisch
Aasiges
Menschenmäuler
Starren
Menschenaugen
Glotzen
Menschenherzen
Kalt
Dummheit
Krankheit
Missbrauch
Schändung
Tot
Tod
Tot

Heiner rutscht zusammen. Spuckt Blut. Übrig bleibt eine leblose Hülle. Die Gitarre ans Herz gedrückt. Das überquellende. Leidvolle. Unverstandene. Herz. Das Menschenherz.

Die Wiese erstarrt. Vom Himmel fällt Asche.
Über sieben Brücken musst du geeeeh’n.
Und dann für immer Asche sein.

*

Lisa kommt auf mich zu, stolpert fast vor meine Füße, beachtet den Drogentoten nicht. Den Heiner. Nicht die erstarrten Sonnenhungrigen auf der dürren Wiese. Nicht die Asche, die noch immer vom Himmel fällt.
Lisa flüchtet. Aus dem Haus. Dem schönen Haus. Vierstöckig. Der Eingang ein Portal. Geflügelt. Wohnungen rechts und links. Ein Turm vor dem Haus. Sechseckig. Rundes Fenster im Turmdach. Erker. Fenster mit sechs kleinen Scheiben. Alles restauriert. Renoviert. Lisa gruselt es. Vor ihr das grauenvolle Bild.

Lisa liegt halb auf dem Bett. Über ihr ein Himmel aus weißem Tüll, drei rosa Kissen am Rücken, im rosa Neglige.
Rolfi sitzt auf der Bettkante. In voller Montur. Schlips und Kragen. Vertreter. Versicherungen. Müsste eigentlich arbeiten.
„Was soll's.“ Lisa kichert.
„Diese Frau ist ein Albtraum.“ Rolfi nestelt an seiner Krawatte. Meint die letzte Helga. „Wir sind Freunde. Dir kann ich alles erzählen. Du hast Verständnis.“
„Die heißen in dem Jahrgang wohl alle Helga.“ Lisa kichert.
„Die wollte mich erziehen. Ich durfte dies nicht. Ich durfte das nicht. Neulich hatte ich so einen schönen Schobskasalat gemacht. Und dann beim Essen sagte sie, sie wolle lieber Tomaten mit Zwiebeln. Dabei weiß sie, dass ich nach Zwiebeln immer Blähungen bekomme.“
„Du musstest pupsen.“ Lisa kichert.
„Ja. Aber sie ging in die Küche und machte Tomaten mit Zwiebeln.“
„Witzig.“ Lisa kichert und streckt ein schlankes Bein in die Höhe.
„Und dann noch was.“ Rolfi sieht in Lisas helle Augen. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich Probleme habe.“
„Ich weiß.“ Lisa kichert.
„Der Arzt hat mir Potenzmittel verschrieben. Viagra. War sauteuer.“
„So?“
„Ja. Sauteuer. Für die Potenz des Mannes kommt die Krankenkasse nicht auf.“ Rolfi lacht bitter. Schweigt. Sagt dann: „Ich habe meine Potenz ja auch versoffen.“
„Soso.“ Lisa kichert, rekelt sich wollüstig in die Kissen. „Potenz versoffen.“
„Jedenfalls stand mein Pullermann.“ Rolfi grinst zufrieden. „Nach den Tabletten.“
„Pullermann?“
„Der Schniepel. Ist auch egal. Jedenfalls stand er. Wir haben es gemacht.“
„Wie oft?“
„So ein, zweimal.“
„Und wo liegt das Problem?“ Lisa kichert.
„Das Problem?“ Rolfi schaut Lisa beleidigt an. „Das Problem?“
„Das Problem.“ Lisa schaut Rolfi herausfordernd an.
„Es war ihr nicht genug. Die hat gesagt, sie braucht einen Mann, der sie so richtig durchfickt.“
„Na, na.“
„Ansonsten könne sie es sich auch selbst machen.“ Rolfi wackelt beleidigt mit dem Kopf. „Bei mir bekäme sie nicht mal einen Orgasmus.“
„Oh.“ Lisa spreizt lüstern ihre Beine. „Steckst du ihn etwa nur rein? Oder berührst du sie auch?“ Lisa schiebt ihre Finger in ihre nasse Möse. „So?“
„Ja. So. Und noch anders.“ Rolfi schaut fasziniert auf Lisas Finger. „Aber sie ist nicht so nass wie du. Vielleicht sind das Frauen in dem Alter nicht mehr?“
„Glaube ich nicht.“ Lisa kichert, leckt ihre Finger ab. „Deine Helga hatte nur keine Lust auf dich.“
„Wieso das?“ Rolfi nuckelt genüsslich an Lisas Fingern.
„Sie will einen Mann mit Geld.“ Lisa kichert.
In Rolfis Augen glitzert die Gier. „Das habe ich.“ Er steckt seine Finger in Lisas offene Möse. „Und Lust auf dich.“
„Ich will auch einen, der immer kann.“ Lisa stöhnt. Sie steckt ihren Daumen in Rolfis Mund. „Geld ist mir nicht wichtig.“ Lisa bäumt sich auf. Stößt spitze Schreie aus.
Rolfi fickt Lisa derb mit der Hand.
„Viagra! Es lebe hoch!“, protzt er siegessicher. „Geiles Vorspiel.“
„Nicht so heftig!“, wimmert Lisa. „Mach es richtig.“
Rolfi zieht seine Finger aus Lisas Möse. Reißt sich die Sachen vom Leib, nagelt Lisa auf die Matratze. „Teufelszeug!“

Lisa schreit. Eine Stunde wird gerammelt. Zwei. Drei? Das Gefühl für die Zeit schwindet. Lisa liegt unter der Sexmaschine Rolfi. Die Sexmaschine schreit, stöhnt, wimmert. Rolfi hat den Knopf zum Abschalten vergessen. Sein Köper schwimmt in Schweiß und Sperma. Seine Birne ist knallrot. Wird blau. Verfärbt sich violett. Sein Atem stockt. Ein gurgelnder Laut.
Lisa starrt Rolfi an. Sein Körper ist schlaff. Leblos. Seine Augen starr. Der Mund offen. Voll Sapper.
Rolfi sackt auf Lisa.

*

Der Penner hockt auf dem Brunnenrand, starrt in das leere Becken.
Der Penner träumt.
Kleine Fontänen plätschern in Kreisen von einer Schale in die nächste, dann in das runde Becken, verkleidet mit farbigem Emaile. Das Wasser fließt durch viele, winzige Öffnungen in das Außenbecken, überschwemmt das Pflaster des Bodens. Kinder kreischen. Spielen mit den Kristallen, die das Sonnenlicht in den Tausenden Wassertröpfchen reflektiert und Blumen, Bäume, Schmetterlinge erstrahlen lässt in purem Gold.
Der Penner knallt mit dem Kopf auf den verschmutzten Beckenrand.

*

Ich tauche in die Menschenmasse. Menschen überall. Überall Menschen. Menschenaugen. Menschennasen. Menschenohren. Menschenmünder. Menschenhaut. Menschengestank. Mir wird übel. Menschen. Überall. Auf der Wiese. Auf dem Platz. Im Kaufhof. Überall.

Die Schließer haben die Türen geöffnet. Detektive stehen wartend neben ihnen. Menschen strömen in den Kaufhof. Wie Bäche. Strömen rauf die Rolltreppen. Strömen runter die Rolltreppen. Verharren. Manchmal. Bewundern. Verwundern Könnten alles kaufen. Wenn sie könnten. Lauter wundervolle Dinge, die man nicht braucht. Lockende Dinge. Verlockende Dinge. Schöne Dinge. Hässliche Dinge. Alles Dinge. Menschen und Dinge.
Ich habe nichts. Brauche nichts. Bin nichts. Ströme raus aus dem unnützen Ding. Diesem Blender. Diesem Verschwender. Diesem Abzocker. Ströme mit den Menschen auf den Platz. Blicke in jedes Gesicht. Es gibt dieses Gesicht. Muss es geben. Erkenne es. Würde es erkennen. Das Gesicht. Unter Tausenden. Bin mir sicher. Wo ist es? Und die Hände. Wie Schaufeln. Ströme zurück zum Platz.

*

Lisa im rosa Neglige. Stiert den Penner an. Dreht seinen Kopf. Leere Augen stieren Lisa an. Drogen. Lisa schaudert es. Sie denkt an Rolfi. Seine leeren, toten Augen. Was soll nun werden. Lisa strömt in den Kaufhof. Wird wohl auch unsichtbar.

*

Der Mann in Weiß beugt sich über mich. Mit Augen, die lächeln. Mit weißen Augen. Alles ist weiß. Blendend weiß. Verschwunden das Dunkel. Der Mann ist ein Engel. Kein Müllmannengel. Ein Himmelsengel. Er hat die Flügel eingezogen, streift mir das weiße Hemd vom Körper, wäscht mich zärtlich. Es ist angenehm. Seine Hände sind weich und warm. Der Engel lächelt mit weißen Augen. Dann verschwindet er. Mit ihm das Lächeln. Das blendende Weiß. Ich bin allein.


***

Fortsetzung folgt
 
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