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2 Seiten

Souterrain der Seele, siebte Folge, Johanna Ringena

Romane/Serien · Nachdenkliches
Das Fahrrad war gut geölt, die Sattelhöhe passend, nur an die fehlende Rücktrittbremse, wie bei französischen Rädern üblich, musste sie sich noch gewöhnen.
Sie fuhr auf einem schier endlosen weißen Weg, dessen Untergrund aus feingemahlenen Kalksteinen bestand. Durch schimmernde Sonnenblumenfelder gelangte sie auf eine schmale asphaltierte Straße, an deren Rändern tunnelförmige Heckengewächse das Sonnenlicht nur zögernd hindurchließen.

Der nächste Ort, den sie erreichte, hieß Cressé und dort, vor einer romanischen Kirche, die wie ein wuchtiger Teil von etwas Großem wirkte, gab es eine solide Holzbank, die zum Picknick einlud und Amanda stellte ihr Fahrrad an eine daneben stehende uralte Zeder und packte ihr Lunch-Paket aus.
Es hätte eine friedliche kleine Mahlzeit werden können, wenn da nicht diese Aufregung gewesen wäre. Ihr Ziel war dieser Ort Seigné und sie hatte sich bewusst dieses Ziel ausgesucht. Nur noch ungefähr fünf Kilometer trennten sie von diesem Ort. Irgendwo da in der Nähe musste Fabius' Mutter wohnen. Er hatte immer viel von ihr erzählt, er musste sie sehr geliebt haben.
Manchmal schrieben sie sich Briefe, denn beiden genügte die Sterilität eines E-Mailverkehrs nicht. Und diese Briefe gingen an eine Adresse in Seigné,Frankreich, denn Fabius hatte wegen seines Auslandssemesters, das er vielleicht verlängern wollte, sein Studentenzimmer in Tours gekündigt und so schickte sie die Briefe nach Seigné, wo er während der Semesterferien seine Mutter besuchte. Sie kannten sich noch nicht lange, aber für Fabius war es beschlossene Sache, dass Amanda so bald wie möglich seine Mutter kennen lernen sollte und die Reise war schon fast geplant, als er so plötzlich verschwand.

Amanda hatte damals versucht, die Telefonnummer seiner Mutter herauszufinden, denn auf seinem Handy war er nicht mehr erreichbar. Es war ihr auch gelungen, aber die angegebene Telefonnummer galt nicht mehr. Sie hatte versucht, Briefe an diese Adresse zu schicken, aber auch das war erfolglos, die Briefe kamen zurück. Die Adresse in Seigné war allerdings unprofessionell mit einem Papier überklebt und darauf stand in schwungvollen Schriftzügen Amandas Adresse.
In ihrer ersten Trauerphase über Fabius' Verschwinden war sie verletzt und wurde dann wütend.
Das half ihr über die schlimmste Zeit hinweg. Aber allmählich wurde aus der Wut Sorge, aus der Sorge Angst. Die Angst ging aber nicht soweit, dass sie die Behörden einschaltete, wie auch? Sie hatte als Kurz-Geliebte kein Anrecht auf das Erstellen einer Vermisstenanzeige, jedenfalls glaubte sie das. Ihr Freundeskreis gab ihr den Rat: Vergiss ihn.

Sie versuchte es und es misslang ihr.

Fabius war in ihr und blieb dort. Lange, zu lange. Und jetzt war sie dabei, etwas zu unternehmen.

In der Zeder sang ein Vogel. Es hörte sich so schön an und Amanda wünschte sich, sie könnte dem Gesang unbeschwert zuhören. Ein kleiner orangefarbener Traktor fuhr vorbei und ein Mann unbestimmbaren Alters in geripptem Unterhemd winkte ihr freundlich zu. Amanda winkte zurück und packte dann die Reste ihres Mittagsmahls in ihren Rucksack.
Der Weg führte sie nun durch weite, schon abgemähte Kornfelder, über die ein leichter Wind fegte und einige vergessene Ähren aufwirbelte. Und Amanda war mit der Stille des Himmels und der Erde allein.
 
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