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Souterrain der Seele, dreizehnte Folge, Johanna Ringena

Romane/Serien · Nachdenkliches
William war enttäuscht, dass er Amanda nicht begleiten konnte und machte auch keinen Hehl daraus, was sich in seiner unendlich traurigen Miene zeigte, die für einen Augenblick der eines Cockerspaniels glich. Amanda strich ihm instinktiv behutsam über den Arm.
Armer William, dachte sie, stand von ihrem Frühstücksplatz auf und folgte Marguerite, die kurz zuvor den Tisch verlassen hatte und ihr zuwinkte, sie solle ihr folgen.
"Mich interessiert ihre Geschichte aus einem bestimmten Grund", sagte sie, als sie nebeneinander durch den langen Flur, der zu Amandas Turmzimmer und zu dem der Graffes führte, gingen.
Amanda hörte aufmerksam zu.
"Wissen Sie, mein Mann und ich verbringen hier unseren Urlaub, weil wir die Besonderheit der zahlreichen romanischen KIrchen so schätzen. So etwas gibt es in ganz Europa nicht noch einmal und gerade hier, im südwestlichen Frankreich, in der Charente und der Charente Maritime ist die Dichte dieser Kirchen unglaublich. Und ich habe entdeckt, dass es in diesen Kirchen erstaunlich unterschiedliche Marienfiguren gibt. Und ihre gefundene Botschaft weist auf eine tiefe Marienverehrung hin. Wissen Sie, wir kennen hauptsächlich die aus dem Barock und den darauf folgenden Epochen,also süße, engelgleiche Wesen, meistens in blaue Gewänder gekleidet. Hier sind es teilweise deftige Bäuerinnen, Königinnen, ja sogar eine Art Soldatin gibt es, in einer Kirche in Saintes,eine Stadt noch aus der Römerzeit, garnicht nicht weit von hier, die müssen Sie sich unbedingt ansehen. Also, welche Art Maria gibt es diesem Seigné? Welche Funktion hat sie? Ich habe nämlich auch festgestellt, dass die Anzahl der weiblichen Heiligen die der männlichen bei weitem übersteigt. Das heißt, dass die Weiblichkeit in dieser Gegend einen ganz besonderen Stellenwert hat.
Aber, ich möchte nicht herum spekulieren. Vielleicht ist dieser Zettel auch nur ein Scherz. Soetwas kommt oft genug vor. Halten Sie mich bitte auf dem Laufenden."

Sie waren bei Marguerites Zimmer angelangt und standen noch eine Weile davor. Marguerite wirkte mit ihren über siebzig Jahren frisch und appetitlich in ihrer weißen Seidenbluse und einem langen grauen Rock aus leichtem Sommerstoff. Ihre Haare, eisgrau, waren jungenhaft kurz geschnitten und ihre ebenfalls grauen Augen sahen sie freundlich an.
Amanda war erschöpft vom Zuhören, denn sie musste sich äußerst angestrengt konzentrieren, um Marguerites Ausführungen in der französischen Sprache folgen zu können. Fast war sie versucht, ihr von Fabius zu erzählen. Nur ihre Hemmung, einen längeren zusammenhängenden Text auf Französisch zu sprechen, hielt sie davon ab.
"Soll ich also wegen des Zettels nichts unternehmen?"fragte sie noch einmal.
Marguerite schüttelte den Kopf. "Ich würde erstmal abwarten", antwortete sie, "und vielleicht unsere Wirtin fragen, ob es in den letzten Jahren den ungeklärten oder mysteriösen Todesfall einer Frau gegeben habe."
Dann verabschiedete Marguerite sich und verschwand in ihrem Zimmer.
Amanda sah hinter ihr her. Sie hätte sich gerne noch weiter mit Marguerite unterhalten. Einfach fragen,wie Marguerite es vorgeschlagen hatte, das ging leider nicht. Und aus welchem Grund sollte sie Samira eine solche Frage stellen? Hatte sie überhaupt Lust dazu? Sie wollte sich um den Verbleib von Fabius kümmern, immerhin hatte sie ihre Briefe an ihn an eine Adresse in dieses Seigné geschickt.
Sie beschloss, mit dem Volvo in dieses Dorf zu fahren, um die Kirche noch einmal anzusehen. Ob der Zettel etwas mit dieser Marienfigur zu tun hatte? Immerhin war der handschrifliche Satz eine eindeutige Bitte an die Gottesmutter. Marguerites Erzählunge über die außergewöhnlichen Mariendarstellungen gingen ihr durch den Kopf, als sie ihr Turmzimmer betrat.

Dort war es angenehm kühl. Sie nahm einen breitkrempigen Strohhut aus ihrem Koffer,der, zwar etwas eingedrückt, die lange Fahrt gut überstanden hatte. Das leichte blaue Leinenkleid war kurz und ließ ihre schlanken braunen Beine sehen. Ihr dunkles Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz hoch gebunden, so dass ihr wohlgeformtes Gesicht mit den lebendigen braunen Augen, den Grübchen in den Wangen und dem weich geschwungenen Mund einen überaus angenehmen Anblick darbot, der ein paar Minuten später, als Amanda durch den Park zu ihrem Auto eilte, Lucien Fabre einen leisen Pfiff entlockte.
Er saß noch alleine auf der Terasse im Schatten einer großen Kastanie bei einem Kaffee, rauchte eine Zigarette und strich mit der freien Hand über sein schwarzes Oberlippenbärtchen.
Da muss ich ran, dachte er bei sich, koste es was es wolle.
 
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