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Souterrain der Seele, neunte Folge, Johanna Ringena

Romane/Serien · Nachdenkliches
Es war heiß und wogende, dottergelbe Sonnenblumenfelder breiteten sich vor ihren Augen aus, dehnten sich lang und schier unendlich über die sanften Hügel.
Was hatte das zu sagen, was sie da gefunden hatte? Was sollte sie damit machen? Der Zettel schien feucht gewesen zu sein, nun war er getrocknet und fühlte sich noch weich und modrig an. Er war weder uralt noch sehr frisch.
Sie bereute es zutiefst, dass sie dieses Schriftstück mitgenommen hatte und verbannte die dunklen Worte in eine entfernte Nische ihres Gedächtnisses.



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Zum Diner erschien Amanda, wie es von Hippokryte und Samira gewünscht wurde, in gemäßigter Eleganz. Da sie sehr schlank war, konnte sie bequem ihr leichtes, hell-graues langes Leinenkleid überziehen und sie sah darin "beautiful" aus, wie William, der sich wie selbstverständlich neben sie gesetzt hatte, ihr zuflüsterte.
Ihnen gegenüber saßen heute ganz junge Leute, Antoine und Céline, beide Kunststudenten. Antoine studierte Fotografie und Céline Bildhauerei in Tours. Sie kannten sich schon lange und waren ganz in der Nähe von Orfeuille, in Beauvais sur Matha, aufgewachsen. Amanda wunderte sich, dass zwei so junge Leute, er mit schwarzen, zusammen gebundenen Rasta-Locken, sie mit den langen hennaroten Haaren der 70ger Jahre, an diesem Tisch saßen, ihre bunten Hosen und Flatterhemden mit Würde trugen und die Atmosphäre sichtlich genossen.
An diesem Abend gab es als Entrée eine riesige Platte mit "Fruits de Mer", Austern, Krebsen, Muscheln und Meeresschnecken. Dazu Zitronenscheiben, gesalzene Butter und frisches Baguette.
Der Hauptgang bestand aus "Cote de Boeuf" und grünem Salat, zum Dessert gab es Eis mit Erdbeeren.
Die Gespräche flogen hin und her, das Lachen tanzte von einem Mund zum andern,die Wangen röteten sich, der Wein floss unentwegt in die Gläser, unermüdlich eingeschenkt von Hippokrytes schlanken, beweglichen Händen.
Amanda ließ sich anstecken und wunderte sich, wie sie Französisch mit Antoine und Céline und Englisch mit William gleichzeitig sprach und für Augenblicke vergaß sie den Grund ihres Hierseins, ihres Daseins überhaupt und die dunklen Worte von heute Nachmittag waren in den Souterrains ihrer Seele verschwunden.

William hatte nur Augen für sie und Amanda wusste, da würde wieder eine schwere Aufgabe auf sie zukommen. Er erzählte ihr von den Pflanzen und Tieren, die er auf seinem Botanisierungsausflug gefunden hatte, auf englisch natürlich, denn William sprach kein Französisch, was ihn auch nicht störte.
Antoine berichtete von seinem Ausflug in die umliegenden Dörfer, in denen er hunderte von Aufnahmen von deren Dornröschenschlaf gemacht hatte. "Wenn diese Dörfer wieder erwachen werden,"sagte er mit hochroten Wangen," dann werden wir ein blaues Wunder erleben."
"Wissen Sie, woher dieser Ausdruck kommt?" fragte Amanda, plötzlich hellhörig geworden. Antoine schüttelte den Kopf und sah sie neugierig an.
"Es gab da mal einen deutschen Dichter, Anfang des 19.Jahrhunderts, der hieß Novalis und der suchte mit seinen Dichterkollegen nach der "Blauen Blume", dem Geheimnis der Kunst und der Poesie."
"Also in diesen schlafenden Dörfer hier, die ich fotografiere",fragte Antoine," kann ich da die "Blaue Blume" finden?"
Amanda nickte und dachte an den Zettel, den sie in ihrem Koffer unter einem warmen Pullover versteckt hatte.
Der Wein war ihr zu Kopf gestiegen und sie beschloss nach dem Diner, wenn sie mit William gemeinsam zu ihren Zimmern gingen, diesen um Rat zu fragen, auch wenn ihr klar war, dass sie dadurch falsche Hoffnungen in ihm wecken könnte. Aber mit irgendjemandem musste sie über ihren Fund reden.
 
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