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Der weiße Hirsch

Nachdenkliches · Kurzgeschichten · Winter/Weihnachten/Silvester
© Waldkind
Jahrelang striff ich suchend
durch die schier unendlichen Wälder meiner Heimat.
Verstrickt in dem Verlangen
diesen einen Moment zu erleben,
diese Gnade zu erfahren, ihm zu begegnen,
ihm dem weißen Hirschen.
Er, verborgen vor der Menschheit durch das Unterholz streifend,
und nur den reinsten,
den nicht verlangenden Menschen die Güte erweisend,
sein Antlitz schauen zu dürfen.

Ich suchte und suchte.
Mir war seine Existenz bewusst,
ich konnte ihn fühlen.
Immer wieder kroch ich sogar im finstersten Dickicht umher,
weil ich mir sicher war,
er müsse doch zu finden sein.
Ich war schier verrückt nach dem Bild des Hirschen,
wie er in dunkelster Nacht
auf einer Lichtung stand und ein prächtiges Geweih trug
durch das der Mond sein kühles Licht schickte.
Berührt würde ich sein, geadelt,
wenn ich ihn erst erblickt hätte.
Der Hirsch musste doch zu finden sein.

Ich verrannte mich über die Jahre,
Ich sah die Hirsche durch die Bäume ziehen,
sah sie,
wie sie sich röhrend gebärdeten und
sich gegenseitig in ihrer Kraft und Macht zu überbieten gedachten.
Unter ihnen gab es hellere und dunklere Hirsche.
Über die Zeit ließen sich einige in meiner Nähe nieder.
Ich erlag in meinem Verlangen dem Irrglauben,
die helleren Felle wären weiß.
Und so blieb ich länger oder kürzer in Gesellschaft von Hirschen,
die nicht das waren,
was ich von ihnen glaubte.

Freundin Hollerbusch in strahlend weißem Gewand
raubte mir doch jedes Mal die Illusion.
Schonungslos funkelte sie in der Farbe reinsten Lichtes
und offenbarte mir mit schrecklicher Klarheit
das beige Fell meines Begleiters.
Ich hatte mir das weiß so sehr gewünscht,
das ich gewillt war,
dunklere Farben einfach wie weiß zu sehen.

Den Glauben an das reine Geschöpf,
nach dem ich immer auf der Suche gewesen war,
hatte mich in diesen Zeiten fast komplett verlassen.
Niedergedrückt von Ängsten und Selbstzweifeln
war ich versucht,
die Suche nach dem Hirschen
und auch mich selbst aufzugeben.

Ich war geschlagen.
Geschlagen mit meinem tiefen inneren Wunsch
nach der erhebenden Begegnung mit ihm
und geschlagen auch
von meinem immer weiter wachsenden Glauben
an seine Nichtexistenz.
Jeden Hirsch wollte ich fortan so genau betrachten,
das mir kein weiterer Irrtum mehr möglich wäre.

Dann fand ich den Weg aus dem Wald nicht mehr heraus.
Ich hatte mich bei all der Sucherei
schlussendlich nur selbst verloren.
Mein Orientierungssinn war verschüttet
unter der Last der Begierde.
Ich fand nicht nur den weißen Hirschen nicht, nein,
ich fand nicht einmal mehr zu mir selbst.

Frau Hollerbusch hatte ihre weißen Blüten
durch rote Beeren ersetzt,
ich setzte mich unter seine Äste und begann zu warten.
Ich wartete darauf,
dass seine Beeren schwarz würden
und genießbar.
Ich hatte Nahrung nötig.
Und den Weg zurück gab es einfach nicht mehr.
Ich war angekommen.

Ich saß also unter diesem Bildnis von Wandlung,
und hatte die Suche nach dem weißen Hirschen vergessen
auch die anderen Hirsche weckten mein Interesse nicht mehr.
Nähren wollte ich mich.
Geduld, eine Tugend,
die mir bis dato völlig fremd war
gewann an Raum in mir.
Ich konnte nichts tun.
Das Rot der Beeren dunkelte langsam nach.
Sie waren da,
doch brauchten sie einfach ihre Zeit.
Ich hörte auf zu warten und besann mich darauf,
das alles war.

Ich genoss den Gesang des Windes,
während er wehte streichelte er mich
und flüsterte mir alte Weisen ins Ohr.
Eine goldene Sonne wärmte die dunkelroten Beeren und
strahlte direkt in mein Herz.
Warmer Regen wusch mich rein und
gab dem Hollerbusch die Kraft zur Transformation.
Die Nacht legte sich nach jedem Tag schützend um uns
und hüllte in tiefen Frieden.

Mein Rücken,
der die lange Zeit an die Stämme gelehnt war,
tat mir nicht weh.
Meine Beine,
die die lange Zeit bewegungslos waren,
schliefen nicht ein.
Ich war ruhig in mir.
Und über einen weiteren Tag hinweg,
hatten die roten Beeren sich in schwarz gehüllt.
Ich erhob mich.

Ich hatte keinen Hunger mehr.
Aus mir selbst hatte ich mich bereits genährt.
Genau wie Mutter Hollerbusch hatte ich mich transformiert.
Eine Dolde mit glänzenden schwarzen Beeren
hatte der Wind mir zu Füßen gelegt,
ich hob sie auf und barg sie sicher in meinen Händen.

Dankend verließ ich den Ort meiner Wandlung.
Ich wusste nun um den Sinn eines jeden Schrittes
und in mir war Vertrauen gewachsen.
Die kleinen schwarzen Früchte hielt ich an mein Herz gedrückt
und war mir meiner gewiss.

Das Verlangen hatte ich hinter mir gelassen.
Die Suche war nicht mehr wichtig.
Ich war bereits angekommen.





Epilog


Ich trat auf die Lichtung.
Der weiße Hirsch stand einfach da.
Er blickte mich ruhig an.
Ich betrachtete ihn.
Seine Augen waren Sonnenlicht.
Er ging bedächtig auf mich zu.
Ich stand still.
Seine Schritte waren der Wind.
Er neigte sein Haupt über mir.
Ich schloss die Augen.
Seine Berührung war der Regen.


Die schwarzen Beeren,
die ich an meinem Herzen geborgen hatte,
hielt ich ihm entgegen.
Er fraß sie nicht.

Mit seinen Hufen scharrte er ein Stück des Waldbodens frei.
Ich legte die Beeren hinein.
Und verschloss die Stelle mit meinen eigenen Händen.
Er, der alles war wuchs mit den Beeren.
Ich, die alles war nährte mich daran.
 
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Kommentare  

Ich danke dir herzlich.

Waldkind (26.12.2015)

Das Bild des weißen Hirschen hast Du sehr gut geschaffen. Das Verhängnis, den eigenen Zielen / Illusionen hinterherzujagen schön herauskristallisiert. Die Erkenntnis, dass unser Weg kein Ziel hat, wir schon längst angekommen sind, einprägsam aufgezeigt.

Frank Bao Carter (25.12.2015)

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