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3 Seiten

Böses Bärchen VII

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
Böses Bärchen
Wer verschwendet seine Zeit sinnvoller?





Eigentlich hätte ich noch einen Artikel schreiben müssen, den ich schon den ganzen Tag vor mir herschob. Doch er saß seit Stunden vor dem Computer und guckte sich irgendein Video mit viel Geballer auf Youtube an. „Was siehst du dir da eigentlich an?“, fragte ich mit deutlichem Missfallen in der Stimme. „Och, nur ein Let's Play“, kam es knapp zurück, bevor er sich wieder ganz dem Monitor zuwandte. Nicht nur, dass er mich von der Arbeit abhielt, nein, er sah sich auch noch ein Video an von Leuten, die ein Computerspiel zockten. Einen effektiveren Weg, Zeit zu verschwenden, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Also sortierte ich geschäftig einige Stapel Papier auf dem Schreibtisch und hoffte, ihm damit deutlich zu machen, dass ich selbst noch an den Computer musterte. Dabei musste ich inzwischen doch wissen, dass diplomatische Andeutungen an ihm ebenso vorbeirauschten wie die Zeit auf Youtube, wenn man sich von einem Video zum nächsten klickte. „Wenn du deine Zeit wenigstens sinnvoll verplempern könntest“, rutschte es mir heraus.
„Sinnvoll? Was ist denn sinnvoll? Immer nur arbeiten und Dinge tun, die du im Grunde nicht tun möchtest, ist das sinnvoll?“, gab er spitz zurück. Jetzt hatte er mich, hatte einen wunden Punkt getroffen und mich langsam wirklich sauer gemacht. „Das habe ich nicht gemeint und das weißt du auch. Ich bin ganz bestimmt kein Workaholic oder eine Spaßbremse, aber zuzusehen, wie fremde Leute ihre Zeit verdaddeln ist nun wirklich das dümmste, was man mit seiner Zeit anstellen kann.“ Er zuckte nur mit den Schultern und entgegnete: „160 000 Aufrufe innerhalb von zwei Wochen sagen etwas anderes.“
Wieder wandte ich mich erst einmal anderen Dingen zu, doch nach einer Weile platzte es erneut aus mir heraus und ich zischte: „Wenn du wenigstens ein Buch lesen würdest oder sonst etwas mit zumindest einem Hauch von Kultur.“ In dem Moment als ich es aussprach, merkte ich zwei Dinge: Erstens hörte ich mich jetzt an wie meine eigene Großmutter und zweitens hatte er offenbar auf genau diesen Satz gewartet und sich seine nächste Frage schon zurechtgelegt. „Entschuldige, ich bin nur ein Bär. Woher soll ich denn bitte wissen, was Kultur ist?“
„War ja nicht böse gemeint“, versuchte ich einzulenken, doch es war bereits zu spät. „Na los, sag mir doch mal, was es mit eurer berühmten Kultur auf sich hat. Wir haben sowas nun mal nicht. Also, was ist Kultur?“ Ich musste einen Moment lang überlegen, denn die Frage war alles andere als leicht zu beantworten. Noch dazu würde er sich sowieso nicht auf eine ernsthafte Diskussion einlassen. „Kultur ist etwas, das den Menschen ausmacht, etwas Schöpferisches, etwas, das andere begeistert und beflügelt“, versuchte ich wider besseren Wissens meinen Standpunkt zu untermauern.
„Das Spiel haben Leute geschaffen, es begeistert eine ganze Menge Leute und immerhin beflügelt es Gronkh und Sarazar, daraus ein Let's Play zu machen. Also ist es ganz eindeutig Kultur.“ Seinem Argument war leider nicht viel entgegenzusetzen. Somit musste ich es mit seiner Art zu diskutieren versuchen. „Gronkh und Sarazar?“, sprach ich die Namen bewusst verächtlich aus, „Nicht dein Ernst, oder?“ Doch selbst das brachte ihn nicht aus dem Konzept und er hielt mir vor: „Aha, wenn also jemand Goethe, Grimm oder Grass heißt, dann ist es Kultur, heißt er Gronkh, dann ist es keine?“
Okay, so kam ich nicht weiter. Also beschloss ich, meine Taktik komplett zu ändern und fragte ihn, ob ich mitgucken durfte. Spätestens in zehn Minuten hätte ich ein Dutzend gute Argumente, warum das keine Kultur, sondern pure Zeitverschwendung war, sagte ich mir.
In dem Spiel ging es darum, dass ein Flugzeug über den endlosen Wäldern Kanadas abgestürzt war und die Spieler nun einerseits sich retten als auch nach anderen Überlebenden suchen mussten. Natürlich waren die Kanadischen Wälder nicht einfach nur groß und undurchdringlich, sondern auch von düsteren Wesen bevölkert, die gnadenlos Jagd auf den Verunglückten machten. Ich biss mir auf die Zunge, sagte erst einmal nichts und sah weiter zu. „Hey, mein Freund, hast du gesehen, wie ich die plattgemacht habe“, freute sich der, der sich Sarazar nannte, gerade. Auch hierzu schwieg ich und verkniff mir alle sich aufdrängenden Kommentare.
Im Spiel ging gerade die Sonne auf und tauchte den Monitor in ein warmes Licht, das die eben noch düsteren Wälder in eine idyllisch scheinende Landschaft verwandelte. „Alter, guck dir mal an, wie schön das hier aussieht“, kommentierte der andere Spieler, „da möchte ich am liebsten sofort das Spiel beenden und selbst nach Kanada fliegen.“ „Vorher solltest du aber aufpassen dass der riesige Bär dich nicht frisst, pass auf, da, direkt hinter dir. Warte, ich versuch mal, ihn abzuschießen“, entgegnete sein Mitspieler. „Nein, auf keinen Fall. Die Wesen kannst du töten, aber auf keinen Fall die Geschöpfe des Waldes, das wirkt sich auf dein Karma im Spiel aus.“
Ich schluckte schwer, ignorierte seinen Seitenblick auf mich und schwieg weiterhin. Das Spiel nahm seinen Lauf und allmählich stellte sich heraus, dass die Wesen den Wald einst aus Profitgier hatten abholzen wollen und dafür verflucht worden waren. Die Spieler hingegen konnten sich nur retten, indem sie in Einklang mit der Natur lebten und nicht mehr zerstörten als sie unbedingt zum Überleben brauchten. „Was würdet ihr eigentlich machen, wenn ihr plötzlich in der Wildnis landen würdet“, kommentierte dieser Gronkh etwas später, „Würdet ihr erst einmal versuchen, so viel Zivilisation wie möglich herzustellen oder würdet ihr euch auf das neue Leben einlassen? Schreibt mal in die Kommentare, wie ihr das seht und dann sehen wir uns in der nächsten Folge wieder.“
Noch immer schwieg ich und wich auch nach wie vor seinem Blick aus. Doch auch er sagte nichts, lehnte sich zurück und wartete ganz offensichtlich auf meine Moralpredigt. Als die Stille im Raum immer schwerer wurde und mir fast schon die Luft zum atmen nahm, fragte ich: „Gibt's noch eine Folge?“ Er nickte. „Na los, mach an.“ Mit gespieltem Entsetzen wandte er sich zu mir, riss die Augen übertrieben weit auf und sagte voller Empörung: „Aber es das wäre doch das dümmste, womit man seine Zeit verplempern kann!“ „Halt die Klappe und mach das Video an, sonst verschlechtere ich gleich ganz massiv mein Karma.“ Es gelang mir, seinen triumphierenden Blick zu ignorieren, doch meinen Artikel schrieb ich schließlich erst am nächsten Morgen.
 
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