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ER kommt wieder übers Land

Nachdenkliches · Poetisches · Winter/Weihnachten/Silvester
Es ist schon seltsam. Oder besser gesagt beinahe befremdlich. Früher ist es mir nie aufgefallen. Dabei muß es schon immer seit Anbeginn der Zeit so gewesen sein, wenn es auf das Ende zu ging.
Es stinkt.
Es stinkt nach Verwesung. Nach Untergang und Tot.
Und ER muß es auch riechen, da das Jahr sich seinem Ende zu neigt, bereit zu gehen.
Doch noch niemals kam ER so spät. Immer in den letzten Tagen schlich ER gierig und erwartungsvoll umher.
Man munkelte schon, ER werde dieses Jahr überhaupt nicht erscheinen, um zu tun, wofür die Welt ihn hervorgebracht hatte. Alle einhundertfünfzig Zyklen – wir würden es Jahre nennen, kam ein Neuer hervor und der Alte mußte den Weg allem vergänglichem gehen.
Niemand fragte sich je, was geschehen würde, käme ER einmal nicht auf die Welt um seinen Dienst zu tun.
Einmal – vor vielen Jahren habe ich ihn gesehen. Tief vergraben in meiner Erinnerung stieß ich vor ein paar Tagen wieder darauf, als ich von ihm geträumt hatte.
ER war ein verhutzelter Gnom. Und ER mochte es nicht, wenn man ihn zu Gesicht bekam, was allerdings nur sehr selten der Fall war. Eigentlich nur dann, wenn er zu unvorsichtig war um ungesehen zu bleiben.
In meinem Traum fragte ich ihn, was denn seine Aufgabe sei und warum ER jedes Jahr zum Ende des selben erschien und umher schlich?
Und ER sagte mir ich würde es wissen, wenn auch ich – wie viele andere es konnten – dieses Gefühl für das Ende bekäme. Dann würde ich es wissen.
Und tatsächlich, ich kann es fühlen, wie das Jahr stirbt. Und ich weis nun, warum ER in den letzten Tagen des Jahres erscheint.
ER heißt der Siech. Und seine Aufgabe ist es, um Mitternacht am 31. Dezember dem alten, kranken Jahr den Gnadenstoß zu geben. Es zu erlösen um dem neuen Platz zu machen. Der König ist tot. Es lebe der König!
Und kommt er einmal nicht, der Siech, kann das alte Jahr nicht gehen.
So jedenfalls erzählen es sich die Alten seit jeher am Kaminfeuer. Ob man es nun glaubt oder auch nicht, sei jedem selbst belassen. Ich jedenfalls glaube an den Siech. Und ich freue mich jedesmal wieder, wenn ich ihn als huschenden Schatten aus dem Augenwinkel erhasche, in den letzten Tagen des Dezembers.
Und mit dem ersten Knall des Feuerwerks entschwindet er unter Glockengeläut in die Nacht. Das alte Jahr ist tot!
Es lebe das neue!
Hoffen wir, es bringt uns mehr Frieden als das nun dahin scheidende.
 
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Kommentare  

Hallo Irmgard,
freut mich, dass Dir meine kleine Gesschichte zum Jahreswechsel gefallen hat.


Rüdiger Honk Jones (07.01.2018)

Ich rede kein Blech, wenn ich dir sage, dass diese hier eine ganz entzückende kleine Story ist.

Irmgard Blech (05.01.2018)

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