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5 Seiten

Mortal Sin 1995- Daddy`s Little Girl

Romane/Serien · Spannendes
© JoHo24
Ich war schon anders in frühesten Kinderjahren; Ich sah nicht das, was andere sahen.
- Edgar Allan Poe


Der Regen prasselte seit Stunden erbarmungslos gegen die Fenster und nahm den Bewohnern des Hauses die letzte Hoffnung auf einen warmen, angenehmen Frühling. Die vergangenen Wochen hatte man eher das Gefühl, dass der Herbst Einzug in Saint Berkaine hielt, denn die Temperaturen waren frostig und der stürmische Wind unerbittlich. Dem achtjährigen Mädchen war also, wie vielen anderen Kindern, nichts anderes übrig geblieben, als in seinem Zimmer zu spielen und von der wärmenden Sonne zu träumen.
Aber das Mädchen mit dem seidigen dunkelbraunen Haar und den großen Augen sehnte sich nach so viel mehr, als nach gutem Wetter. Es wollte ausbrechen; ausbrechen aus ihrem goldenen Käfig in Form einer prächtigen, imposanten Villa außerhalb der Stadt, doch warum?
Jeder, der das große Kinderzimmer sah, fragte sich, warum dieses Mädchen alles dafür tun würde, um zu fliehen; um weit wegzulaufen und ihr Leben hinter sich zu lassen.
Die Wände in altrosa, die aufwendigen Stuckverzierungen an der meterhohen Decke und der funkelnde, opulente Kronleuchter demonstrierten den Reichtum der Familie, genau wie die weißen edlen Möbel nach denen jeder Antiquitätenhändler letzte.
Die gesamte Einrichtung schien jedem, der das Zimmer betrat, unter die Nase reiben zu wollen, wie viel Geld investiert worden war. Schaute man aber genauer hin, dann suchte man vergebens nach Fotos, Einzelstücken oder anderen liebevollen Details. Daher wirkte der Raum kalt und herzlos. Diese sicht- und spürbare Gefühllosigkeit, die das ganze Haus infizierte, entlarvte die scheinbare Perfektion. Sie war bloß Fassade. Eine Fassade, die die schreckliche Wahrheit verbarg.
Ophelia Cecilia Dahlia Monroe saß gelangweilt auf der Matratze ihres Himmelbettes und spielte gedankenverloren an ihrem filigranen Platinarmband, an dem ein Diamant baumelte. Am Liebsten wäre sie aufgesprungen und aus dem Haus gestürmt, um so viel Zeit wie möglich alleine und ohne ihre Eltern zu verbringen, doch sie hatte, wie so oft, Hausarrest. Die fünfte Woche in Folge durfte sie die riesige Villa nur verlassen, um zur Schule zu gehen.
Ein gequälter Seufzer kam über ihre Lippen. Wieso hatte sie auch die Lieblingsohrringe ihrer Mutter gestohlen und an eine Mitschülerin verkauft?
Natürlich hatte Ophelia gewusst, dass sie eine Strafe erwarten würde, wenn ihre Eltern sie erwischten und sie wurde immer erwischt.
Trotzdem kam sie nicht auf den Gedanken zu gehorchen und den Befehlen ihrer Eltern Folge zu leisten. Dabei fürchtete sie die Bestrafungen, vor allem die ihres Vaters, mehr als den Tod, der im Vergleich zu dem, was er Ophelia antat, bloß ein Witz war.
Aber ich habe es nicht anders verdient, dachte sie ernüchternd. Niemand zwingt mich dazu etwas Verbotenes; etwas Böses zu tun. Das Böse, das sich in mir verbirgt; das wuchert und sich stark und unaufhaltsam an die Oberfläche kämpft.
Wie zur Bestätigung nickte sie heftig, bis ihr schwarzer Haarreif nach vorne rutschte und in ihrem Schoß landete. Zuerst starrte Ophelia bloß wie hypnotisiert auf dieses dünne Stück Plastik, als sei ihr Haarschmuck das Interessanteste, was sie jemals gesehen hatte, aber dann nahm sie ihn in die Hand und kletterte vom Bett herunter.
Auf Socken schlurfte sie zu der Tür, hinter welcher sich ihr begehbarer Kleiderschrank verbarg, und öffnete sie. Sogleich kam ihr ein feiner, aromatischer Duft entgegen, den sie nicht einordnen konnte. Wonach riecht es nur?
Verträumt schloss sie die Augen, in der Hoffnung, somit ihren Geruchssinn zu schärfen und das Geheimnis des Duftes zu entschlüsseln. Zart schnupperte sie in der Luft. Minutenlang, bis Ophelia enttäuscht aufgab und mit hängenden Schultern an ihren unzähligen, wertvollen Kleidungsstücken bekannter Designer vorbeiging. Sie hatte jedoch nur Augen für den überdimensionalen Spiegel direkt vor sich.
Ophelia Monroe betrachtete ihr Spiegelbild. Nicht zum ersten Mal fiel ihr die Ähnlichkeit zu einer Puppe auf. Die blasse ebenmäßige Porzellanhaut, das Gesicht mit den hohen Wangenknochen, die Augen mit den langen dichten Wimpern, all das verlieh ihr ein zerbrechliches und unschuldiges Aussehen. In den nächsten Jahren wird dieses kleine Mädchen zu einer bildschönen Frau heranwachsen, die ihre Attraktivität zu nutzen weiß. Männer werden sich reihenweise nach ihr umdrehen, sie anbeten und vor ihr auf die Knie fallen…
„OPHELIA.“ Die dröhnende, gewaltige Stimme von Nathaniel Monroe bohrte sich förmlich durch die Wände, bis tief in ihre Knochen. Hart musste sie schlucken, denn sie wusste, dass es Ärger gab. Hektisch wirbelte sie herum und folgte augenblicklich dem Ruf ihres Vaters.
Auf dem Weg nach unten dachte sie darüber nach, was sie falsch gemacht haben könnte. Hatte sie vielleicht etwas Wichtiges vergessen? Oder hatte sie ihren Rucksack mit den Schulsachen in der Eingangshalle liegen lassen? Panisch riss sie die Augen auf und ihr Puls erhöhte sich.
Mist, den dämlichen Rucksack hatte sie völlig vergessen.
Sie hatte ihn nach der Schule lustlos neben den kleinen runden Mahagonitisch geschmissen. Mit erheblichem Kraftaufwand bemühte sich Ophelia den riesigen Kloß in ihrem Hals herunter zu schlucken, doch er hing einfach fest.
„OPHELIA!!!“ Der Ton wurde aggressiver. Jetzt würde ihr Vater sie nicht nur bestrafen, weil sie ihren Rucksack nicht ordnungsgemäß weggeräumt hatte, sondern auch, weil sie nicht schnell genug bei ihm war.
Obwohl es bereits zu spät war, um einer Strafe zu entgehen, hetzte Ophelia die Treppe herunter. Noch bevor sie unten ankam, entdeckte sie ihren Vater.
Nathaniel Monroe strahlte Autorität und Strenge aus. Mit seiner großen, kräftigen Statur und den seelenlosen, stechend blauen Augen wirkte er gefährlich und furchteinflössend. Auf den ersten Blick erkannte man, dass er ein Mann war, der niemals einen Fehler tolerierte. Niemand würde auf die Idee kommen respektlos ihm gegenüber zu sein oder Widerworte zu geben. Am Wenigsten seine kleine Tochter, die die letzten Jahre das ganze Ausmaß seines unbändigen Zornes zu spüren bekommen hatte.
Zu jedem weiteren Schritt musste sich das dunkelhaarige Mädchen mit aller Macht zwingen, da die grenzenlose Angst ihre Muskeln lähmte. Der hasserfüllte Blick ihres Vaters hing unentwegt an ihr, wie ein Schatten. Als Ophelia vor ihm stehen blieb, hob er wortlos seine rechte Hand und verpasste ihr eine saftige Ohrfeige. Ihr Kopf wurde mit gewaltiger Kraft zur Seite geworfen. Der laute Knall hallte an den meterhohen Wänden wider und betäubte ihre Ohren. Der heiße Schmerz zog durch ihre Wange, bis in den Nacken.
Ohne es kontrollieren zu können, fing Ophelia an am ganzen Körper zu zittern. Das leise Wimmern, das über ihre vollen Lippen kam, veranlasste Nathaniel zu einem herablassenden, entwürdigenden Blick auf seine Tochter. Zumindest übergab sie sich nach seinen Schlägen nicht mehr, so, wie sie es bei seinen ersten Übergriffen vor zwei Jahren getan hatte.
„Wieso hast du so lange gebraucht, huh? Bist du taub oder einfach nur zu dumm, um meinem Befehlen Folge zu leisten?“, fuhr er sie ungehalten an. Ophelia spürte die ersten heißen Tränen, die ihr in die Augen schossen, doch sie riss sich zusammen. Wenn sie jetzt auch noch anfing vor ihm zu weinen, dann würde ihr Vater einen weiteren Grund finden sie zu verprügeln.
„Ich weiß nicht, Sir.“ Sir, so musste sie ihn nennen, denn das Wort Dad war in diesem Haus strengstens verboten. Nathaniel Monroe verengte seine Augen zu Schlitzen.
„Natürlich weißt du das nicht, schließlich bist du eine nichtsnutzige, verwöhnte Göre, die mein Leben ruiniert.“
Die emotionslosen und harten Worte gegen seine eigene Tochter würden viele Menschen schockieren, aber nicht sie. Sie kannte es nicht anders. Für sie waren seine Schläge und Erniedrigungen Normalität, denn seit ihrer Geburt wurde sie mit Missachtung und Hass gestraft, auch von ihrer Mutter. Diese hatte bloß oberflächliches und liebloses Interesse an ihr. Sie war sich selbst am Wichtigsten und wollte sich nicht mit den Problemen ihrer Tochter beschäftigen. Darum schaute sie weg, wenn ihr Vater sie physisch und psychisch misshandelte. Lieber kleidete sie Ophelia ein und sorgte dafür, dass sie sich ordentlich benahm.
Ihre Mutter Annabelle war auch der Grund, warum sie Klavier- und Turnunterricht hatte, Ballett tanzte und Reitstunden bekam. Seit Jahren baute sie für die Gesellschaft; für die höheren Kreise von Saint Berkaine mit allen Mitteln das Bild einer perfekten Familie auf und das mit Erfolg. Ihre Eltern verfügten über ein ausgeprägtes, schauspielerisches Talent und wussten, wie man sich präsentierte. Also wurden bei etlichen Cocktailpartys und Diners gekonnt die Eheprobleme und der Hass gegen ihr Kind überspielt und weggelächelt. Und da sie Ophelia genau dasselbe beigebracht hatten, hatte niemand eine Ahnung davon, was wirklich in der Villa am Stadtrand geschah…
„Es wird nicht wieder vorkommen, Sir“, versprach sie ihrem Vater verzweifelt, welcher abschätzig schnaubte. Ophelia wusste, dass sie in seinen Augen bloß ein schwaches, dummes Kind war, das er nie gewollt hat, denn er machte keinen Hehl daraus, dass er damals für eine Abtreibung gewesen war.
„Das wird es nicht. Dafür werde ich höchstpersönlich sorgen“, spie er ihr entgegen und schlug sie ein weiteres Mal. Sie jaulte herzergreifend, als ein heißer Schmerz unter ihrem Schädel explodierte.
„Deine ständigen Verfehlungen; deine Menge an Fehlern kann ich dir nicht austreiben und das bringt mich zur Weißglut.“ Nathaniel Monroe packte sie am Kragen ihres petrolfarbenen Kaschmirpullovers. „Meine Schläge sind anscheinend noch nicht kräftig genug!“ Keine Sekunde später prasselten bereits unzählige Hiebe auf sie ein, die ihr die Luft zum Atmen nahmen. Das dunkelhaarige Mädchen sah ihr eigenes Blut, das auf den exquisiten Maßanzug und in das Gesicht ihres Vaters spritzte. Sie bemühte sich die Qualen lautlos über sich ergehen zu lassen, aber sie war nun mal ein Kind; ein kleines, schmales Mädchen, das die grenzenlose Stärke eines gewalttätigen Psychopathen nicht dauerhaft ertrug. Irgendwann streikte ihr Körper und sie sackte zusammen. Geschwächt und unter Tränen warf sie sich vor seine Füße und bettelte um Gnade.
„Du bist ein jämmerlicher Anblick, Ophelia.“ Als sie zu ihm hoch schaute, rümpfte er angewidert die Nase. „Wie sehr ich dich verachte“, presste ihr Vater hervor und trat ihr gegen Rippen und Kopf.
„AHHHHH!“ Ihre schrillen Schreie betäubten sie, als sie sich zitternd auf dem Parkett krümmte. Ihr Blick war dabei starr auf ihren Haarreif gerichtet, den sie verloren hatte und nicht unweit von ihrem rechten Arm in einer klebrigen Blutlache lag. Es schien, als würde das dunkle Rot ihn verschlucken. Es riss den Reif in die Tiefe und nahm ihn fort, so wie ihr Vater es mit ihrer Kindheit tat.
 
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