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3 Seiten

Böses Bärchen X

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
Böses Bärchen
Was schert uns das Geschwätz anderer Leute?


Als ich nach Hause kam, hörte ich die Musik schon im Treppenhaus. Es war als poltere mir der Beat von „Fight for your right to party“ Stufe für Stufe entgegen und wurde dabei mit jeder noch lauter. Als ich an der Wohnungstür der Nachbarin unter mir vorbeikam, öffnete sich diese und sie trat mir mit einem wutverzerrten Gesicht entgegen. „So geht das aber nicht“, motzte sie aufgebracht, „Bei dem Lärm versteht man ja sein eigenes Wort nicht mehr. Ich habe auch schon bei Ihnen geklingelt, aber sie hören ja nichts.“ Wie sollte ich auch, wenn ich nicht da war?
Natürlich gab ich mich demütig, entschuldigte mich wortreich und eilte dann die letzten Stufen hinauf, um den wahren Schuldigen zur Rede zu stellen. Er saß im Wohnzimmer, die Stereoanlage voll aufgedreht, vor sich eine fast leere Chipstüte und ein Bier. Ein fetter Joint hätte die groteske Szenerie perfekt gemacht, doch der fehlte glücklicherweise. Lag wahrscheinlich bloß daran, dass ich nichts da hatte und er zu faul war, das Haus zu verlassen.
Als er mich bemerkte, sprang er auf und fragte gut gelaunt: „Sag mal, hast du zufällig Chips mitgebracht? Sind nämlich keine mehr da. Auch 'n Bier?“ Es dauerte ein paar Augenblicke bis ich meine Fassung zurückerlangt und mich entschieden hatte, ob ich fluchen oder gleich handgreiflich werden sollte. Ich entschied mich für letzteres und drehte erst einmal die ohrenbetäubende Lautstärke runter. „Was geht denn hier ab?“, fragte ich.
„Mir war langweilig“, erklärte er lakonisch, „erwartest du, dass ich den ganzen Tag hier sitze und auf dich warte?“ Wäre zumindest angenehmer als jeden Tag ein heilloses Chaos vorzufinden. „Die Nachbarn beschweren sich schon“, mahnte ich. „Die Alte von unten? Ja, die hat auch schon dreimal geklingelt. Hab' aber nicht aufgemacht. Dachte mir schon, dass die nicht so gut drauf ist.“ Nicht gut drauf? Kein Wunder, wenn er hier schon den ganzen Nachmittag für sein Recht auf Party kämpfte.
„Das geht so nicht“, versuchte ich es im Guten, „Du kannst hier nicht machen, was du willst, so dass sich alle Nachbarn beschweren. Die von nebenan haben mich neulich auch schon gefragt, was denn immer bei mir los ist.“ Seine typische Unschuldsmiene verriet mir nach all der Zeit immer noch nicht, ob er wirklich nicht kapierte, was ich ihm sagen wollte oder ob es ihm schlicht egal war. „Warum ist euch Menschen eigentlich so wichtig, was andere von euch denken?“, fragte er.
„Darum geht es gar nicht. Sondern vielmehr darum, dass wir in einer sozialen Gemeinschaft leben, in der man Rücksicht auf andere nehmen muss.“ Er bewegte den Kopf hin und her als könne er den Gedanken damit besser verstehen. „Bären sind Einzelgänger“, meinte er schließlich, „das ist viel praktischer.“ Vielleicht hatte er damit sogar Recht. Und vielleicht erklärte es auch, warum es so schwer war, mit ihm unter einem Dach zu leben. Leider half uns das im Moment keinen Schritt weiter.
„Du lebst aber nun mal nicht einsam im Wald, sondern hier. Und da solltest du langsam mal lernen, etwas Rücksicht auf andere zu nehmen.“ Wieder wackelte er mit dem Kopf hin und her, bevor er nachhakte: „Auf die Alte von unten? Die den ganzen Tag an ihrem Fenster sitzt, Falschparker aufschreibt und die Polizei ruft? Und an die beiden von nebenan? Die in ihrem Garten Rattengift streuen, weil sie sich über die Katze des alten Mannes von gegenüber ärgern?“ Was? Woher wusste er sowas überhaupt? Na gut, er hatte eben viel Zeit, wenn ich nicht da war, und wenig zu tun. Trotzdem erinnerte mich das Ganze ein wenig an 'Das Fenster zum Hof' und war mir unheimlich.
„Warum nehmt ihr Rücksicht auf Menschen, die das überhaupt nicht verdient haben?“, hakte er nach und kam jetzt so richtig in Fahrt. „Bei uns würde es einen Revierkampf geben, einer müsste gehen und schon hätten alle wieder ihre Ruhe.“ Zugegeben, es gab Situationen und Menschen, bei denen auch ich das als bessere Alternative erachten würde. Ein wirkungsvoller Prankenhieb und schon war eine Situation geklärt und man ging sich gegenseitig nicht mehr auf den Keks.
„Bei uns Menschen funktioniert das nun mal nicht so. Wir sind nicht dazu gemacht, ganz allein durchs Leben zu gehen und es würde uns vermutlich schnell langweilig werden.“ Er wackelte jetzt nicht mehr mit dem Kopf, sondern stützte ihn auf seine Tatze als sei ihm plötzlich eine große Erkenntnis gekommen. Die wollte ich natürlich gerne hören. „Du meinst also, ihr braucht den täglichen Stress mit Nachbarn, Arbeitskollegen und anderen weil es nun mal eure Natur ist?“ „So würde ich es vielleicht nicht formulieren, aber ich fürchte, ganz falsch liegst du damit gar nicht“, gab ich nach kurzem Nachdenken zu. Er stützte seinen Kopf jetzt auch auf die zweite Tatze und blickte auf den mit Chipskrümeln bedeckten Boden. „Das erklärt dann wohl auch, warum ihr die einzige Art auf diesem Planeten seid, die gegen sich selbst Krieg führt.“


Mehr vom Bösen Bärchen und einige andere Geschichten gibt es auch auf meinem Youtube-Kanal: https://www.youtube.com/channel/UC1qj34_LZR50FBjRrLNP8XA
 
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