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Autoscooter, Hotdog und die erste Liebe

Kurzgeschichten · Romantisches
Als wir Kinder waren gehörte der Jahrmarkt zu den Highlights des Jahres. Zweimal im Jahr kamen die Schausteller zu uns ins Dorf, bauten Buden und Karussells auf und ließen uns für einige Tage in diese bunte Welt aus Musik, Popcornduft, Hupen, Klingeln und anderer spannender Eindrücke eintauchen. Von Oma gab es großzügige fünf Mark Jahrmarktsgeld, die immer schon nach der ersten halben Stunde auf dem Rummel aufgebraucht waren. Doch wir hatten natürlich unser Taschengeld gespart, denn die Mädchen zu einer Fahrt im Autoscooter einladen war für uns Jungs damals der Inbegriff von Männlichkeit. Je mehr Mädchen eine Runde mit dir drehten, desto angesehener warst du für die kommenden paar Wochen in der Klasse. Mädchen aus der Parallelklasse zählten sogar doppelt.
Ich gehörte nie zu denjenigen, die sich besonders viele Fahrten leisten konnten. Allerdings störte es mich nicht, denn schon bald gab es für mich etwas Wichtigeres. Es muss in der fünften oder sechsten Klasse gewesen sein. Die Schausteller brachten damals ja nicht nur ihre Buden und Fahrgeschäfte mit, sondern auch ihre Familien. Und die Kinder gingen dann jeweils für eine oder zwei Wochen bei uns zur Schule. So auch Viola. Ihre Eltern hatten einen Hotdog-Stand und eine Pizzabude, so dass Viola und ihr Bruder bei uns in der Klasse selbstverständlich schnell Anschluss fanden. Weit mehr als die Gratis-Hotdogs faszinierte mich allerdings Violas Leben, dieses ständige Herumreisen und die große weite Welt, die sie im Gegensatz zu mir zu kennen schien. Umgekehrt gab es anscheinend auch irgendetwas, was sie an mir faszinierte. Jedenfalls zeigte sie mir als einzigem aus der Klasse auch den Wohnwagen ihrer Eltern und im Schein der blinkenden Lichter redeten wir, wie es mir schien, die halbe Nacht hindurch.
Gefühlt hatten wir beide die Grenzen von Zeit und Raum durchbrochen und waren in eine erwachsenere Dimension eingetaucht, in der es mehr zwischen Mädchen und Jungen gab als Autoscooter und Pizza. Tatsächlich musste ich ja leider um neun zuhause sein und traute mich damals noch nicht, diese strenge Regel zu brechen. Tags darauf zogen Viola und ihre Familie weiter und ich musste ein halbes Jahr warten, um sie wiederzusehen. In dem Alter war das länger als die Ewigkeit, doch als es schließlich so weit war, hatte sich zwischen uns erstaunlicherweise nichts geändert. Wieder war ich es, mit dem sie einige Nachmittage auch abseits des Rummels verbrachte und diesmal, so nahm ich mir fest vor, wollte ich sie nicht mehr einfach gehen lassen, sondern handeln. Wie genau das aussehen konnte, wusste ich leider nicht, am Ende lief es darauf hinaus, dass ich ihr ein Kuscheltier kaufte. Ein kleines Lämmchen, weil sie mir erzählt hatte, wie sehr sie Schafe mag. Außerdem passte das zum Frühlingsfest und würde sie für immer an unser... an uns erinnern.
Am Abend nahm ich also das Lämmchen und all meinen Mut zusammen und machte mich auf den Weg zum Wohnwagen. Der Bratwurstduft und das Quietschen der Berg-und-Talbahn, die damals gerade zum ersten Mal bei uns auf dem Jahrmarkt war, interessierten mich nicht. Ich hatte nur Viola im Kopf und malte mir immer wieder ihre Reaktion auf mein Geschenk aus. Schließlich klopfte ich, trat ein und erstarrte zur Salzsäule. Dort saß Viola mit Jens aus der Parallelklasse, jener Typ, der sonst ständig am Autoscooter abhing. Und zwischen ihnen stand ein großes Schaf aus Plüsch. Viel größer als mein armseliges Lämmchen jedenfalls.
Wenn ich mich richtig erinnere knallte ich mein Päckchen auf den Tisch, drehte mich um und lief weg. Diesmal war ich froh über die Ewigkeit bis der Jahrmarkt erneut ins Dorf kam, denn bis dahin waren wir alle ja viel erwachsener geworden und es war Gras über die Sache gewachsen. Viola sah ich natürlich wieder, auch wenn es zwischen uns nie wieder so wurde wie damals. Später zog sie mit ihrer eigenen Bude in die Gegend um Berlin. Noch heute muss ich auf Jahrmärkten an sie denken und ich bin überzeugt, auch wenn noch so viel Gras über eine Sache gewachsen ist, kann immer ein großes Schaf kommen und alte Wunden wieder aufreißen.


Die Geschichte ist übrigens auch auf meinem Youtube-Kanal zu finden: https://www.youtube.com/watch?v=pFVQtZi_zbQ
 
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Kommentare  

Ich hab`deine Story, nachdem ich sie hier gelesen habe, auch auf Youtube angeklickt. Du hast eine schöne Stimme und liest den Text deutlich. Eine sehr gelungene Erinnerungs-geschichte. Nur eines stört mich. Hast du nicht ein altes Foto direkt aus jener Zeit? Das wäre noch das Tüpfelchen auf dem "i" !

Irmgard Blech (16.07.2018)

Ganz, ganz tolle Geschichte. Ist mir sehr zu Herzen gegangen. Wunderbar die erste junge Liebe beschrieben. Ich hatte alles bildhaft vor Augen, so bin ich mitgegangen.

Marco Polo (14.07.2018)

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