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Themenwechsel.

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Er war Ende November pensioniert worden. Sie wussten beide, dass dies eine neue Ära in ihrer Ehe einläuten würde. Sie hätte sich gerne etwas darauf vorbereitet.
„Das geht doch nicht,“ hatte er gesagt, „das muss man wachsen lassen, sehen, was entsteht.“
„Wie du meinst,“ hatte sie geantwortet, nicht sehr überzeugt.
„Wie geht es euch in eurer neuen Situation,“ hatten die Freundinnen schon nach wenigen Wochen gefragt, man weiss ja, dass da nochmals sehr vieles neu erfunden werden muss.
„Das kann ich noch nicht sagen, die Adventszeit, die Vorbereitungen auf Weihnachten, das ist ja jedes Jahr etwas speziell und das machen wir nun eben zu zweit.“
Das war im Dezember gewesen, jetzt war Februar. Februar, ganz normaler Alltag. Sie hatte es genossen, sich über die Festtage von ihm kulinarisch verwöhnen zu lassen, er hatte mit Begeisterung für die verschiedensten Gäste gekocht, hatte sich in den berechtigten Komplimenten gesonnt. Er hatte ihr die Arbeit in der Küche abgenommen und erst jetzt begann sie zu begreifen, dass er ihr klammheimlich ihren langjährigen Arbeitsplatz weggenommen und selber besetzt hatte. Noch immer wurde sie täglich mit Mehrgang-Menüs beglückt, die, zugegeben, beinahe schmeckten wie in einem Haubenrestaurant. Auch den Einkauf für die Nahrungsmittel hatte er ihr abgenommen, der machte ihm ganz besonders Spass.
„Ist doch toll,“ meinten die Freundinnen, „dann seid ihr nun eben Beide pensioniert, er von seinem Job, du von einem Teil deiner Hausarbeit. Freu dich doch!“
Aber sie freute sich nicht.
Sie hatte sich ein Familienleben lang Mühe gegeben, ihren Mann, die beiden Söhne und sich selbst in jeder Beziehung bewusst zu ernähren, was, wie jede Hausfrau weiss, recht anspruchsvoll sein kann. Besonders, wenn das Resultat dem Geschmack einer anspruchsvollen Familie genügen muss. Wie hatte sie sich den Kopf zerbrochen, schmackhaft, saisongerecht, gesund und nahrhaft, trotzdem aber möglichst kalorienarm zu kochen. Und nun hatte sie bereits zwei Kilo zugenommen - und ihr Mann, trotz der dringenden Empfehlungen des Hausarztes, drei.
Die Themen am Tisch wurden andere: “Woher kommen denn diese Spargeln im Februar,“ fragte sie kritisch, „aha, aus Mexiko, nicht gerade ökologisch.“
„Aber fast ohne Kalorien. Du hast doch gesagt, dass wir darauf achten sollten. Und die Sauce, finde ich, ist mir wirklich gelungen.“
„Und hat fast keine Kalorien,“ hätte sie beinahe gesagt, aber sie wollte ihn in seinem Glück nicht stören, sie wollte nicht immer die Spielverderberin sein.
Es war auch nicht so, dass er ihr dann die schmutzige Küche und den Abwasch überliess. Sie durfte ein wenig helfen, sie räumte die Geschirrmaschine ein, so wie sie es immer getan hatte, und er ordnete um. Sie stellte das Salz an seinen Platz zurück und er platzierte es dort, wo es ihm praktischer erschien. Vielleicht hatte er ja recht, schliesslich sah er alles mit ganz frischen Augen.
Nein, sie freute sich nicht. Etwas nagte an ihrem Selbstverständnis als Hausfrau. Da bröckelte seit einiger Zeit immer mehr ab. Es hatte mit dem Auszug des älteren Sohnes begonnen, kurz darauf mit jenem des jüngeren. Das hatte sie verkraftet, das musste so sein, dass die Kinder erwachsen und selbständig werden, zu dieser Selbständigkeit erzieht man sie.
Dass ihr nun aber ungefragt ein weiteres, ihr wichtiges Arbeitsfeld, die Küche, einfach so entzogen wurde, das würde sie nicht zulassen. Da musste sie sich mit ihrem neu pensionierten Ehemann zusammen raufen, Spielverderberin hin oder her. Da mussten Kompromisse gefunden, neue Spielregeln aufgestellt werden.
Das Thema musste auf den Tisch, noch heute.
 
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