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Steigender Marktwert

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Ich stellte mich bei ihren Eltern vor. Sie waren höflich, aber distanziert. Ich war aus dem Nichts aufgetaucht, war Künstler, konnte wenig Sicherheiten für ihre Tochter mitbringen. «Und womit verdienen Sie ihr Geld?» «Mal dies, mal das», sagte ich. Schweigen. Sie hatten sich für ihre Tochter eine andere Partie gewünscht. Einen erfolgreichen Geschäftsmann, gutaussehend, mit Einfluss.

Einige Monate später waren wir nicht mehr zusammen. Meine Ex hatte eingesehen, dass ihre Eltern Recht gehabt hatten. Ich hatte ihr zu wenig bieten können. Liebe allein genügt nicht, das ist ein komplexes Konstrukt, an dem vieles mit dranhängt. Ich wollte frei sein von diesen Anhängseln, ich wollte einfach nur lieben. Aber was denn, wenn man sich von all diesen Konstrukten freimachen möchte? Was liebt man eigentlich, wenn alles rundherum wegfällt, Geld, Macht, Einfluss, Vitalität, Kreativität, Perspektiven usw., wenn nur der Mensch übrigbleibt, wenn nur der Kern übrigbleibt?

Einige Jahre später hatte ich es geschafft. Ich war ein berühmter Künstler. Ich war in einem Flow drin, ich produzierte wie im Rausch, eines ergab das andere, ich stellte meine Bilder in Zürich, Basel, Miami und New York aus. Ich hatte es geschafft. Man schrieb über mich. Ich verdiente gut. Reiche Wirtschaftsführer wollten meine Bilder kaufen, sie stiegen im Preis.

Eines Tages hatte ich eine Ausstellung in Zürich, wichtige Investoren und Käufer waren an der Vernissage anwesend. Auch ein Mann, den ich von früher kannte, war anwesend, der Vater meiner Ex, mit der ich vor Jahren kurz zusammen gewesen war. Er begrüsste mich sehr freundlich, sagte: «Du hast es geschafft.» Ich fragte nach dem Befinden seiner Tochter. «Sie ist verheiratet, steckt aber in der Scheidung, sie hat alles, ist aber unglücklich.» «Sagen Sie ihr einen Gruss von mir, wenn Sie sie das nächste Mal sehen.» «Mache ich», sagte er und wandte sich anderen einflussreichen Männern zu.

Und wer jetzt glaubt, dass die Ehe meiner Ex noch gerettet werden konnte, irrt sich. Genauso irren sich die, die glauben, dass ich nach dieser Vernissage mit der Ex wieder zusammenkam. Vielmehr kaufte ihr Vater ein teures Selbstporträt von mir und schenkte es seiner unglücklichen Tochter, als Investition in die Zukunft.
 
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