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6 Seiten

Die Frauen von Kampodia/Kapitel 16a - DIE MAGIERIN

Romane/Serien · Nachdenkliches
Dieser bisher verschollene Teil - angesiedelt zwischen Teil 16 ‚Die LIEBENDEN’ und Teil 17 ‚Alles anders’ - ist zwar nicht sonderlich wichtig, aber dennoch aufschlussreich. Und ja, ich bin spät dran, der Roman erschien hier im Jahre 2013.

„Eve-Marie, komm doch mal her zu mir!“ Die Stimme ihrer Mutter klang ziemlich ernst. Die Eve-Marie wischte sich kurz die Hände ab, kehrte dem Tresen den Rücken zu und setzte sich dann neben ihre Mutter. Was wollte die wohl von ihr?
„Ich war doch letztens bei der Frau Baronin eingeladen“, die Maladessin schleuderte ihre Haube von einer Seite zur anderen, doch es sah ein wenig zaghafter aus als üblicherweise.
„Sag’ einmal, wie kommt denn die denn dazu, dich einzuladen?“, fragte die Eve neugierig.
Ihre Mutter schüttelte den Kopf und sah sie missbilligend an. „Das ist doch nicht außergewöhnlich. Wir sind beide Frauen, wir sind beide verwitwet, und wir stehen beide unseren Mann ...“
„Hmm ... Aber das ist doch nicht alles?“, mutmaßte die Eve.
„Und wir haben beide Kinder ...“
„Ja und?“ Die Eve wunderte sich sehr. Was wollte ihre Mutter von ihr? Mit diesen Leuten mochte sie nichts zu tun haben, auch wenn sie Kinder hatten.
Der Sohn der Baronin kam ihr in den Sinn. Was für ein arroganter Schnösel! Obwohl er ja im Grunde gut aussah, natürlich bei weitem nicht so gut wie der Karl Heuer. Doch den konnte sie sich abschminken, der war ja mittlerweile verlobt mit der Hanna, diesem groben unverschämten Ding.
Die Maladessin wand sich ein wenig auf ihrem Stuhl herum, aber bei ihrer Üppigkeit fiel das kaum auf.
Die Eve jedoch hatte es bemerkt und fragte sich nun ernsthaft, was mit ihrer Mutter los war. „Also liebe Mutter, was willst du mir eigentlich damit sagen?“
„Du solltest mal das Klosett im Herrenhaus sehen“, fuhr diese nun eifrig fort. „Es ist wunderbar, es besteht aus Keramik und es gibt ein Rohr, durch das alles fortgeschwemmt wird. Man kann sogar mit Wasser nachspülen, denn dahinter ist ein großes Fass mit einem Zapfhahn, den man nur aufmachen muss. Und das Papier erst einmal, das ist Luxus. So weich ...“ Die Maladessin blickte verträumt vor sich hin. „Es ist fast wie in Zonnzossie*. Dagegen ist unser altes Plumpsklo wirklich unmöglich.“
„Na ja, wenn die sich das leisten können“, sagte die Eve-Marie ein wenig neidisch und zuckte verächtlich mit den Schultern. Wir könnten uns das auch leisten, dachte sie bei sich, aber meine Mutter ist ja so bescheiden und gibt kaum Geld aus.
„Und die Öfen erst einmal! Morgan erzählte mir, dass es drei davon gibt, die Ofenrohre führen durch verschiedene Räume hindurch und heizen sie, bis sie dann in den Kamin gehen.“
„Was zum Geier redest du da? Wer ist Morgan? Sprichst du etwa von der Baronin?“
Die Maladessin ignorierte diese Frage und sprach stattdessen verträumt weiter: „Und sie haben einen, der nur für die Kamine und das Holz zuständig ist.“
„Und was macht der im Sommer?“, fragte die Eve und schüttelte den Kopf. Was für eine Verschwendung, das könnte man doch bestimmt anders regeln.
„Mein Kind ...“, fing die Maladessin behutsam an. „Diese Leute können es sich leisten, sie haben einen anderen Lebensstil als wir. Und sie sind immer noch sehr reich, allein das Land ist schon viel wert.“
„Quatsch! Land gibt es in Hülle und Fülle! Es kommt nur drauf an, was man drauf anbaut. Wenn die zum Beispiel Hopfen anpflanzen würden, dann wäre es vielleicht was wert.“
„Eve, du bist ein Mordmeeken“, die Maladessin lächelte ihr anerkennend zu. „Und du weißt, ich will nur das Beste für dich. Du bist doch jetzt mein einziges Kind“, sie strich sich über die Augen und wischte ein paar Tränen weg. „Die Zeiten sind unsicher. Die Gesetze sind wieder verschärft worden unter dem neuen König, ein furchtbarer Mensch ist das! Wie Morgan mir erzählte, kursieren Gerüchte – nicht zu Unrecht, wie sie sagt. Er soll einen Bediensteten zu Tode geprügelt und seine eigene Schwester Prinzessin Sophia vergewaltigt haben. Auch seine Frau hat keinen guten Ruf. Sie soll einen ihrer früheren Ehemänner ermordet haben. Oder sogar beide. Und nun hat dieser Unhold den Adel wieder privilegiert und man weiß nicht, wie das enden wird ...“
„Pah!“, die Eve sah sie widerspenstig an. „Die sind doch am Ende! Nur wer gute Geschäfte macht, nur wer Handel mit Gewinn betreibt, der ist auf der Siegerstraße.“
„Recht hast du, mein Mordmeeken, trotzdem möchte ich dich absichern, es kann nicht schaden. Und vor allem möchte ich, dass du keinen Nichtsnutz heiratest, einen der unser Geschäft herunterzieht, es läuft doch so gut – und das ohne Kerl.“
„Von mir aus kann’s auch so bleiben“, lachte die Eve. „Die Kerle saufen einfach zuviel, und wenn sie dann noch eine eigene Wirtschaft hätten... Nee danke, das brauchen wir nicht.“
„Du bist ein Schelm, mein Kind“, die Maladessin schüttelte den Kopf, und ihre Haube wackelte ein wenig zur anderen Seite hin. „Aber wir sollten jetzt die Tatsachen besprechen. Du musst heiraten, und ich weiß auch schon wen. Nur er verspricht die Sicherheit, die ich für dich und unseren Besitz anstrebe, außerdem sieht er gut aus, und er ist ein nachgiebiger Kerl. Der Archibald von Kampe.“
Das Mordmeeken Eve schaute die Mutter fassungslos an und schüttelte die blonden Locken. Das glaubte sie einfach nicht. SIE sollte den Archibald von Kampe heiraten? Den? Nee, datt kunt se nich glöven ...
Sie fing an zu lächeln und sagte hinterlistig: „Was will der denn mit mir, Mutter?“
„Er hat sich wohl in dich verkiekt“, entgegnete ihre üppige Mutter entgegen ihrer sonstigen Natur ziemlich kleinlaut.
„Ach! Hat er das? Datt kun ick ook nich glöven. Bis jetzt hat er sich nämlich einen ... na ja, er hat sich nicht viel um mich geschert, der hochnäsige Kerl. Für den war ich unsichtbar!“
„Das musst du dir einbilden, mein Kind.“ Die Maladessin schien etwas verlegen zu sein. „Du bist doch hübsch und jung und gesund, und du bist doch ein Mordmeeken!“
„Hast du da nicht was vergessen, Mutter?“
Die Maladessin starrte ihre Tochter an, und ihre Haube schien ein wenig zu erzittern. Schließlich sagte sie: „Natürlich bist du auch ein reiches Mädchen. Aber was zum...“, sie verschluckte den sündigen Ausruf und fuhr fort: „Was erwartest du denn? Der Heuers Karl hat sich nun mal ein armes Meeken genommen. Wenn du auf den immer noch spitz bist, dann kannste das vergessen! Du hast was Bess'res verdient, meine Eve! Also was willst du, mein Mordmeeken? Liebe?“ Verächtlich prustete die Maladessin in sich hinein. „Liebe geht verloren im Laufe des Alltags, zurück bleibt nur das Geld und der Wohlstand. Und die Kinder vor allem.“
„Ich und mit DEM Kinder haben?“ Die Eve-Marie schüttelte sich ein wenig, aber es sah geziert aus.
„Kinder sind das Salz in der Suppe des Lebens!“ Die Maladessin schaute grimmig drein, denn mittlerweile hatte sie es satt, sich mit dieser widerspenstigen Tochter herumzuärgern. Was wollte die haben? Einen reichen Herzog, der prächtig anzuschauen war und sie auch noch liebte? Das war lächerlich! Doch da sie ihr Mordmeeken kannte, ging sie das Thema vorsichtig an.
„Du bist nicht nur ein reiches Meeken, du bist auch schlau. Und hier sitz ich und sag ich: Heirate den Archibald! Was Besseres wird sich für dich nicht finden. Er ist von Adel, und er ist gutmütig“, die Maladessin lachte kurz auf. „Will heißen, du kannst dich ihm gegenüber durchsetzen, aber du solltest es ihn nicht spüren lassen. Sei kein Drachen! Die Männer mögen es nicht, wenn eine Frau klüger ist als sie. Du bist stark, mein Mordmeeken. Du kannst ein Rittergut führen, und du könntest jetzt die freie Hand dazu haben! Immerhin ist das Gut und vor allem der Landbesitz noch sehr viel wert, auch wenn sie jetzt stöhnen ...“
Die Eve musste nachdenken. Es hörte sich alles nicht übel an, schiet auf die Liebe, schiet auf die unnützen Hoffnungen. Und bei Lichte gesehen war der Archibald wirklich eine annehmbare Erscheinung, er sah nicht schlecht aus und war wohl auch ein guter Kerl. Wohl nicht unbedingt einer, vor dem man Respekt haben musste, aber dieser Wunsch war sowieso fehlgeleitet. Männer hatten zwar die Macht, aber Respekt vor ihnen haben? Ha! Da war es doch besser, man gab seine ureigensten weiblichen Wünsche auf - von wegen Liebe - und heiratete einen, den man nicht liebte. Einen den man zurechtbiegen konnte. Oh ja, die Eve fühlte sich ihrem zukünftigen Gatten ziemlich überlegen, denn sie stammte aus dem Volk und war durch ihre Familie trotz aller Widerstände durch die Stände – bei diesem Wortspiel musste sie lächeln – reich geworden. Und in dieser Ehe konnte sie all ihre Fähigkeiten voll zur Geltung bringen.
Sie grübelte vor sich hin, die Brauerei lief zwar gut, sie könnte aber noch besser laufen, vielleicht konnte man auf dem Land der von Kampes Hopfen und Gerste anpflanzen, das würde die Kosten des Transports aus anderen Ländern vermindern. Nein, nicht auf dem Land der von Kampes, dachte sie auf einmal versonnen, auf MEINEM Land ...
„Die Morgan ist eine sehr nette Frau, liebe Eve, sie hat mir da Sachen erzählt vom englischen Hofe ... Weißt du, dass sie den alten Georg „Farmer George“ genannt haben, weil er die Gartenarbeit liebte und dass er in den letzten Jahren total verrückt geworden war? Nein, davon weißt du sicher nichts. Und weißt du, wie sie seinen Sohn genannt haben? Prince of Whales haben sie ihn genannt, weil er so dick war wie ein Wal ... Ich finde das herrlich! Und der nach ihm hieß Sailor Bill, weil er Admiral vorher war, damit meinten sie Wilhelm den Vierten, der ja leider vor einem Jahr gestorben ist und uns dieses Monstrum von Ernst August hinterlassen hat. Das war der fünfte Sohn vom Farmer George. Meine Güte, der hatte so viele Söhne, nur hatten die selber keine Nachkommen, nur der eine - der aber gestorben ist - hatte eine Tochter, die Victoria und die ist jetzt Königin von England. Das hat mit den Thronfolgegesetzen zu tun. In England darf eine Frau Herrscherin werden, in Hannover aber nicht. In England gibt es aber Gerüchte, dass ihre Mutter eine Affäre mit einem Grafen hatte und dass die Victoria gar nicht die wahre Thronfolgerin ist ...“
Die Maladessin erkannte, dass sie ihr Mordmeeken mit dieser Tirade zu Tode langweilte und befleißigte sich hinzuzufügen: „Die Baronin würde dich gerne in die Gesellschaft einführen, natürlich nur wenn du das willst. Und sie wird ein Jahr nach deiner Hochzeit nach Helligenthal ziehen, denn sie hält es nicht für gut, wenn Schwiegermutter und Schwiegertochter im gleichen Hause leben ...“
Das war natürlich ein Argument! Die Eve fing an, ihre zukünftige Schwiegermutter zu lieben. Diese arrangierte Ehe war wirklich kein schlechter Einfall und sie freundete sich allmählich damit an, denn die Möglichkeiten, die sie dadurch hätte, überwältigten sie schier.
„Träumst du, mein Kind?“ Die Stimme ihrer Mutter hörte sich zärtlich an. „Diese Frau ist außergewöhnlich. Du solltest ihre Macht nicht unterschätzen, aber ihre Güte auch nicht.“
Diese Worte fielen bei der Eve auf fruchtbaren Boden. Sie hatte die Baronin insgeheim immer schon bewundert, obwohl sie dies nie zugegeben hätte. Dann fiel ihr ein, dass sie ihre Nachfolgerin werden würde. Eve-Marie, Baronin von Kampe ... Das hörte sich wunderbar an! Sie würde dieses heruntergewirtschaftete Rittergut wieder zu seiner alten Größe führen. Sie war die Zukunft und sie hatte Ideen!
Eves Blick ging durch ihre Mutter hindurch, die wie ein großer Fels vor ihr saß. In Gedanken versunken murmelte sie vor sich: „Tja, wenn du das meinst, Mutter ...“
Welche Aussichten! Es gab so viele Möglichkeiten, sie würde das Rittergut nicht nur zu seiner alten Größe, sondern zu neuen Höhen führen. Natürlich würde alles Alte dabei auf der Strecke bleiben, aber so war nun mal die Zeit. So viele Vorhaben schlummerten in ihr und alle waren gut. So viele Möglichkeiten gab es für sie als neue Baronin von Kampe. Es würde natürlich nicht für alle Einwohner von Kampodia gut ausgehen, aber es war der Lauf der Zeit, egal ob nun sie die neue Baronin wäre oder eine andere Frau, eine von Adel vielleicht.
Warum wollte die Baronin ausgerechnet sie als Schwiegertochter? Sie dachte darüber nach. Würde ihre Vorgehensweise bei ihrer künftigen Schwiegermutter auf Verständnis stoßen? Nun denn, die Baronin war nicht dumm, sie wusste bestimmt, worauf sie sich einließ. Denn die Zeiten änderten sich nun mal und man musste zumindest mit der Zeit gehen, oder besser noch, ihr vorauseilen.
„Ja, ich werde die neue Herrin von Kampodia sein!“ Ein bisher unbekanntes Gefühl überkam die Eve, es fühlte sich großartig an und sie schwelgte darin.
„Ich wusste, dass es dir gefallen würde, meine kleine Mordbaronin!“ Die Maladessin breitete ihre Arme aus und zog die Eve liebevoll an ihre üppige Brust.

*Zonnzossie = Vermutlich meint sie damit das Schloss Sanssouci in Potsdam. Es war ab 1747 der Sommersitz der preußischen Könige.
 
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