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Die Kinder von Brühl 18/ Teil 4/ Hammer Zirkel Ährenkranz/Episode 7/ Im August im August blühn die Rosen Fräulein Ziehe erzählt von den 3. Weltfestspielen der Jugend und Studenten in Berlin und Rosi fasst einen Entschluss

Romane/Serien · Erinnerungen
© rosmarin
Episode 7
Im August im August blühn die Rosen Fräulein Ziehe erzählt von den 3. Weltfestspielen der Jugend und Studenten in Berlin und Rosi fasst einen Entschluss

Kurz nach Erichs Beerdigung fuhren Rosi und Freia zurück nach Buttstädt. Das heißt, Rosi fuhr mit ihrem Fahrrad. Freia rannte hinterher. Und zwar ohne Aufenthalt.
„Ja“, sagte Rosi zu Freia, „mal sehen, was Else zu unserem Verschwinden sagt. Und zu Erichs Tod“, sagte sie traurig.
Else sagte gar nichts. Die anderen auch nicht. Alle schwiegen sich aus. Jeder tat so, als ob es das Natürlichste der Welt sei, dass Rosi und Freia verschwunden waren und nun wieder da sind.
Wally hatte Else ein Telegramm geschickt. So brauchte sie sich keine Sorgen zu machen. Auch über Erichs Tod war Else informiert. Die Kinder und Richard bestimmt nicht.
Else sah Rosi nur mit ihren großen graugrünen Augen aufmerksam an und sagte: „Schön, dass du wieder hier bist. „Morgen beginnt ja auch der Unterricht wieder.“
„Ein Glück“, sagte Rosi trotzig.
Am nächsten Morgen ging Rosi allein zur Schule. Sie hatte keine Lust, auf Jutta und Karlchen zu warten. Sie hatte überhaupt keine Lust mehr auf Familie. Sie war sowieso allein mit ihren Gedanken und Gefühlen. Und ihren Mätzchen und Extrawürsten, wie Else sich ausdrückte. Und sie hatte auch keine Lust mehr, sich um ihre Geschwister zu kümmern. Und dann immer der Buhmann zu sein. Wenn sie was ausgefressen hatten.
Noch unter den traumatischen Ereignissen der letzten Zeit stehend, beschloss Rosi, auf dem Weg zur Schule, ab sofort ihre eigenen Wege zu gehen.
*
„Wie ihr wisst, Kinder“, sagte Fräulein Ziehe nach der Begrüßung, „leben wir in einer ganz tollen, ereignisreichen Zeit. Doch bevor wir uns über die nächsten bevorstehenden Ereignisse, besser gesagt, das ganz besondere Ereignis, nämlich die 3. Internationalen Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin, unterhalten wollen, kann, wer möchte, über ein besonderes Erlebnis in den Pfingstferien berichten. Wer beginnt?“
Einige Kinder meldeten sich.
Wie aus weiter Ferne hörte Rosi sie berichten über Pfingstausflüge. Und Pfingstbraten.
Das waren ja die richtigen Themen.
Zusammengekauert, mit Tränen in den Augen, ohne sich zu regen, saß Rosi auf ihrem Platz. Erste Reihe. Links. Platz zwei.
Nachdem sich kein Kind mehr gemeldet hatte, sagte Fräulein Ziehe: „Na Rosi, „Hast du auch ein schönes Erlebnis gehabt? Über das du uns vielleicht berichten willst? Du kannst doch so gut erzählen“, fügte sie freundlich hinzu.
Bei diesen Worten sprang Rosi auf. Sie rannte zur Tür, riss sie auf und setzte sich auf den Boden in dem langen Schulflur. Mit aller Macht überfielen sie wieder die schrecklichen Geschehnisse. Alles war so, als würde alles, was passiert war, noch einmal passieren. Direkt und unmittelbar.
Rosi saß auf dem Boden und heulte Rotz und Wasser. Sie konnte nichts dagegen tun. Gefangen in ihrem Schmerz und ihrer Trauer, hielt sie sich die Hände vor das Gesicht, als wären sie ein Schutz, und ließ sich wegschwemmen von dem Meer der Tränen.
„Bin gleich zurück“, hörte Rosi Fräulein Ziehe sagen. „Ich sehe mal nach, wohin die Rosi gelaufen ist. Ihr singt solange das Lied der Weltfestspiele.“
„Sofort erklang das Lied:
„Lasst heiße Tage im Sommer sein“ , das die Kinder im Musikunterricht gelernt hatten. Wie auch die anderen neuen Lieder. FDJ- und Pionierlieder. Zum Beispiel „Jugend erwach“. Oder „Immer lebe die Sonne“.
Das sangen die Kinder auch in Russisch.
Darauf legte Herr Mikowitsch großen Wert.
Die Kinder liebten die Lieder des Friedens. Die Lieder der Neuen Zeit. Ihrer Zeit. „Bau auf. Bau auf.“
Aber auch Volkslieder. Eigentlich wurde immer gesungen.
Rosis Lieblingslied war:

Frieden klingt in unsern Liedern
Frieden sind die großen Werke,
die wir starken Armes baun.
Und wir trauen diesem Frieden,
weil wir uns auch selbst vertrauen.

Frieden ist kein Waffenstillstand,
das ist Leben ohne Krieg!
Frieden, das ist unsre Waffe
in dem Kampf um unsern Sieg.
*
Während die Kinder das Weltfestlied sangen
„Im August, im August blühn die Rosen und schon beim Refrain angelangt waren :
Und es singt die Ukraine ihr blühendes Lied
Und Jungafrika lacht in der Sonne
Das siegreiche China ins Stadion zieht
Und die Warschauer Mauerkolonne
Klatscht beim Spaniertanz
Kim aus Korea grüßt die Kitty aus Mexiko ihn
Reichen Hände sich Jimmy und Thea
im August im August in Berlin,

setzte sich Fräulein Ziehe kameradschaftlich neben Rosi auf den Boden.
„Aber Rosi. Was ist denn los?", fragte sie mitfühlend. „Warum weinst du denn? Ist es so schlimm?“
Rosi nahm die Hände vom Gesicht und wischte sich mit ihrem Kleid die Tränen ab.
„Ich, ich", stotterte sie. Doch sie konnte nicht weiter sprechen.
„Gut“, sagte Fräulein Ziehe. „Wenn du willst, kannst du mir ein andermal erzählen, was dich so bedrückt.“ Fräulein Ziehe stand auf. Sie reichte Rosi die Hand und sagte: „Komm, wir gehen wieder in die Klasse. Sie wird sonst unruhig.“
Die Klasse war noch nicht unruhig. Die Kinder sangen noch immer begeistert: „Lasst heiße Tage im Sommer sein …“

Rosi setzte sich wieder auf ihren Platz. Sie hatte sich etwas beruhigt. Aufmerksam hörte sie jetzt zu, was Fräulein Ziehe sagte.
„Es lebe die Freundschaft der Jugend aller Nationen, es lebe der Frieden, der der Jugend aller Völker eine glückliche Zukunft sichert“, sagte Fräulein Ziehe begeistert. „Das hat Willhelm Piek, unser Präsident, gesagt. „Und, ‚Es lebe der große Führer im Weltkampf für die friedliche Zukunft der Völker, Josef Wissarionowitsch Stalin‘.“
Fräulein Ziehe machte eine Pause und ging langsam durch den Gang. Einmal hin. Einmal zurück. Dann sprach sie weiter:
„Wir, als junge DDR, können so stolz sein, dass die 3. Weltfestspiele der Jugend - und Studenten auf unserem Territorium, in Ostberlin, stattfinden. Dass sich die Jugend der Welt bei uns trifft. Mit uns singt, tanzt und lacht und feiert. Unter der Fahne der Deutschen Demokratischen Republik. Unserer DDR. Das Symbol für die Völkerfreundschaft und den Frieden in der ganzen Welt.“
*
Nachdem Fräulein Ziehe ihre lange Rede beendet hatte, setzte sie sich zufrieden auf ihren Stuhl vor dem Lehrertisch. Hinter ihr, an der Wand, an der in der Kriegszeit der Hitler gehangen hatte, lächelte jetzt der Präsident der DDR, Wilhelm Piek, in die Klasse.
Heinrich schnipste ungeduldig mit den Fingern.
„Ja Heinrich, was ist denn?“, fragte Fräulein Ziehe. Wie es schien, nicht gerade begeistert. Bestimmt wollte sie nach der langen Rede ihre Ruhe haben. Doch das kümmerte Heinrich nicht.
„Ich habe mal eine Frage“, sagte Heinrich.
„Dann frag doch“, sagte Fräulein Ziehe.
„Also“, begann Heinrich, „ich wollte mal fragen, „ob aus unserer Schule auch einige Pioniere zu den Weltfestspielen fahren dürfen? Ich wäre da natürlich gern dabei.“
„Ich auch. Ich auch“, riefen mehrere Schüler durch die Klasse.
Fräulein Ziehe trat wieder in den Gang. „Beruhigt euch“, sagte sie. „Das kann ich gut verstehen. Ich wäre auch gern dabei. Aber leider müssen wir hier bleiben. Wir sind eine kleine Stadt. Unsere Pionierorganisation ist noch im Aufbau. Ebenso die FDJ an der Oberschule. Also, kurz gesagt, es ist kein Geld da. Die Teilnehmer müssten eingekleidet werden. Für Unterkunft und Essen müsste auch gesorgt werden. Sogar der Teilnehmerausweis müsste finanziert werden.“
„Schade“, raunte es durch die Klasse.
„Ja, schade“, sagte Fräulein Ziehe. „Aber bestimmt gibt es noch mehr Weltfestspiele. Und dann sind wir bestimmt dabei. Und in der achten Klasse bilden wir dann erstmal einen Gruppenrat. Also gleich nach den Sommerferien“, lachte sie.
„Alles schön und gut“, dachte Rosi. „Aber ich werde schon einen Weg finden, um dabei zu sein.“

Else hat ihr ja oft genug den Vers vorgeträllert:

Du bist verrückt mein Kind
Du musst nach Berlin
Wo die Verrückten sind
Da gehörst du hin

Und Else muss es ja wissen.

***

Fortsetzung folgt
 
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