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Die Belfast Mission - Kapitel 45

Romane/Serien · Fantastisches
Kapitel 45 – In der Falle


Die Kontrolleure tasteten im strömenden Regen an den Gangways jeden Werftarbeiter einzeln ab und durchsuchten sie nach Waffen, beziehungsweise nach Gegenstände, die man als Waffen einsetzen könnte. Als der Schiffsbauerpolier mit allen Vorarbeitern im Schlepptau vor ihnen trat, drängten die Kontrolleure die Arbeiter zur Seite, damit die hohen Herrschaften unverzüglich an Bord der Titanic gehen konnten.
Baustellenstrahler erhellten die finsteren Gänge im Schiffsrumpf, wobei Ike und die anderen Vorarbeiter über verworrene Kabelstränge und durch Wasserpfützen treten mussten. Die Vorarbeiter folgten dem Schiffsbauerpolier hinterher, der sie zu einem der Aufzugsschächte zu führen beabsichtigte, weil dies zurzeit die einzige Möglichkeit war, bis hinunter zu den Kesselräumen zu gelangen.
Während das obere A-Deck, B- und C-Deck bereits Gestalt angenommen hatte und man dort wenigstens einen festen Boden unter seinen Füßen spürte, sowie auch die Decken schon teilweise verkleidet waren, befanden sich die unteren Decks ( D-G Deck) immer noch in einem chaotischen Bauzustand. Teilweise musste sogar über das Holzgerüst gestiegen werden und die Wände der Korridore waren bislang nur mit Schaltafeln provisorisch verkleidet. Äußerlich mochte das Schiff längst seetüchtig erscheinen, aber beim Anblick der inneren Baustelle zweifelte so mancher, ob der Titan tatsächlich schon im April nächsten Jahres termingerecht der White Star Line übergeben werden könnte.

Im inneren des Schiffrumpfes war es feuchtkalt. Ike, wie auch die anderen Vorarbeiter, hielt sich die Ohren zu, als sie an einer Gruppe von Nietern vorbeigingen, die mit ihren Vorschlaghämmern hantierten und die inneren Stahlwände vernieteten. Stahl hämmerte unbarmherzig auf Stahl und die beengte Räumlichkeit ließ diesen Krach widerhallen.
Überall schepperte und klopfte es. Der Lärm im Schiffsinneren war manchmal unerträglich. Mal kreischte eine Kreissäge von irgendwoher, dann ratterte ein Stahlbohrer in direkter Nähe und man musste aufpassen, dass man keine glühende Funken von einer Eisenflecks abbekam, die irgendwo überraschend aufsprühen konnten. Hin und wieder traf man auf einen Stromaggregat, der ebenfalls Lärm produzierte und dessen stinkende Abgase mit Blechrohren nach draußen abgeleitet wurde. Zwar herrschte in den Werkstätten ebenfalls Krach und Getöse, aber inmitten des Stahlungetüms klang eine eingeschaltete Kreissäge um einiges lauter.
Werftarbeiter balancierten über Holzdielen, die auf den Stahlträgern auflagen. Einer der Arbeiter stupste seinen Kollegen an und deutete mit einer Kopfbewegung hinunter in den offenen Korridor.
„Was haben die feinen Pinkel mit den Melonen hier zu suchen?“, fragte er abfällig. „Die sind doch nur ihre trockenen, warmen Werkstätten gewohnt und werden sich hier noch einen Schnupfen holen“, witzelte er hohnlächelnd.
„Hier entlang, Sirs!“, rief der Polier, schaltete seine Taschenlampe an und winkte die Vormänner zu einer Holzleiter, die zum darunterliegenden E-Deck führte. „Folgen Sie mir bitte!“
Die Vorarbeitergruppe bezwang zahlreiche Gänge, manchmal liefen sie über zwei nebeneinander gelegten Holzbohlen einfach quer durch das Schiff, von einem Stahlträger zum nächsten, wobei nur ein einziger Fehltritt der Sturz in die Tiefe und somit Sayonara bedeuten würde. Selbst der Polier, der sich täglich im Schiffsinneren aufhielt, musste hin und wieder seinen Konstruktionsplan auseinander rollen, um sich zu vergewissern, dass er die Herrschaften auch auf den richtigen Weg durch dieses Labyrinth aus Stahl führte. Das Schiff war einfach zu groß, zu unübersichtlich und einige Bereiche waren viel zu wenig beleuchtet. An einigen Kreuzungen hatte man sogar Schilder an Holzlatten genagelt, darauf Pfeile und die Wegbeschreibung geschrieben standen.

Der Polier führte die Vorarbeiter durch einen Korridor der 3. Klasse Kabinen, die noch dunkle Stahlkammern waren ohne jegliche Einrichtungen. Lediglich spendeten dort Öllampen ein schummriges Licht, die oberhalb an den Abwasserrohren hingen. Schweißfunken sprühten, feiner Staub lag in der Luft und es roch nach verbrannten Eisen.
Plötzlich huschte der Schiffsarchitekt Mr. Andrews um die Ecke; unter seinem Arm klemmten etliche eingerollte Pläne und hinter seinem Ohr steckte ein Bleistift. Der Ärmel seines braunen Herrenanzuges war mit Schmierfett verschmutzt, dies er offenbar gar nicht bemerkte. Der Polier, genauso wie die Vorarbeitergruppe blieben sofort stehen, machten ihm Platz und grüßten nacheinander, indem sie ihre Bowler anhoben: „Guten Tag, Mister Andrews!“
Thomas Andrews nickte nur kurzgebunden und ging zügig an ihnen vorbei. Mr. Andrews war ganz und gar nicht darüber erfreut, dass seine Titanic praktisch aus dem Trockendock verjagt wurde, weil das Schwesterschiff Olympic repariert werden musste. Die geplante Montage der Schiffsschrauben für die Titanic sowie die Arbeiten am Steuerruder mussten aufgrund dessen verschoben werden. Mr. Andrews war vom Stress geplagt, weil die ohnehin knappe Zeit nun noch mehr drängte. Seine Gedanken drehten sich nur noch darum: Die Titanic muss Ende März, allerspätestens am 1. April seetüchtig sein. Egal wie!

Die Aufzugsschächte waren derzeit die einzige Möglichkeit schnellstmöglich im Inneren des Schiffes hoch hinauf bis zum A-Deck, wie auch tief hinunter zu den Kesselräumen zu gelangen, wobei beinahe dreißig Meter Höhenunterschied die Decks voneinander trennten. Die Lifte waren noch nicht in den Aufzugsschächten montiert worden. Lediglich lehnte eine etliche aufeinander verschnürte Holzleiter gegen die dunkle Schachtwand bis zum nächsten Deck, diese hinunter bis zum Kiel die Vorarbeiter steigen mussten, um in die Kesselräume und in den Maschinenraum zu gelangen. Der Abstieg sowie auch der Aufstieg waren nicht unbedingt angenehm sowie auch ungefährlich und verlangten einen gewissen Mut, zumal eine zusammengebundene Holzleiter unweigerlich etwas wackelte.
Regenwasser plätscherte im Aufzugsschacht von oben herab. Die Vorarbeiter blickten nacheinander in den tiefen Schacht hinunter. Auf jeder Etage waren Lichtstrahler aufgestellt worden, somit konnten sie etwas bis hinunter zum untersten Deck blicken. Ike schaute vorsichtig hinunter, zuckte mit seinen Augenbrauen und musste sich bei diesem Anblick daran erinnern, wie er letztes Jahr auf das Holzgerüst und wieder runter geklettert war, als Jeffersons Sohn tödlich verunglückt war.
Der Schiffsbaupolier wies jeden Vorarbeiter persönlich ein, wohin er gehen musste und beteuerte, dass es dort unten etwas ruhiger zuginge.
„Die wasserdichten Schotten werden das erste Mal ungefähr in zwanzig Minuten schließen! Steigen Sie bitte nacheinander vorsichtig die Leiter hinunter! Gentlemen, willkommen auf der Titanic!“, frotzelte er. Dann stiegen die Vorarbeiter nach und nach vorsichtig hinunter in die Tiefe, hinunter zu den Kesselräumen.

Dort unten angekommen spendeten ihnen wenigstens provisorische Lichtanlagen, die manchmal zuckend blinkten, etwas Sicht und es klang wie in einer Tropfsteinhöhle. Ein paar Arbeiter und Lehrlinge waren gerade dabei, das knöchelhohe Wasser mit Eimern und Schaufeln aus einem überschwemmten Raum in die Schubkarren zu schöpfen, um es zu den zahlreichen Lenzpumpen zu transportieren, die man mit klobigen Stromaggregaten provisorisch zum Laufen gebracht hatte.
„Verdammter Regen! Hoffentlich hört es bald auf zu schütten, sonst läuft der Kahn voll und wir saufen mitten im Victoria Channel ab“, scherzte ein Arbeiter mit einer Schubkarre. „Niemals!“, antwortete ein anderer Werftarbeiter. „Die Titanic ist doch unsinkbar.“ Gelächter erklang.
Wieder taten sich verzwickte Gänge vor ihnen auf und während Carl Clark einen Konstruktionsplan aufrollte, um die zugeteilten Bereiche seiner Kollegen ausfindig zu machen, klopfte Matthew Kelly seinem Freund auf die Schulter.
„Ike, weißt du wo dein Kesselraum ist? Die sehen doch alle gleich aus. Wo es zum Maschinenraum lang geht, weiß ich. Du solltest dich an Clark wenden, der hat einen Konstruktionsplan und wird es dir bestimmt zeigen“, witzelte er. Matthew wusste schließlich genauestens über ihr angespanntes Verhältnis bescheid. Jeder Arbeiter von Harland & Wolff wusste es.
„Einen Teufel werde ich tun!“, zischte Ike unbeherrscht, setzte sich seine Nickelbrille auf und sah ihn dabei zornig an. Doch sogleich lächelte er wieder. „Keine Sorge, mein Freund. Ich kenne mich hier genauso gut aus, wie in meiner Jackettasche“, antwortete er. Schließlich war auf seiner Nickelbrille eine Navigation programmiert, er musste also nur den virtuellen Pfeilen folgen, die er vor sich sah.

Ike stieg durch etliche Luken hindurch, bis er Kesselraum 6 erreichte. Die monströsen Doppelenderkessel waren beeindruckend riesig, mindestens doppelt so groß wie auf einem herkömmlichen Schiffsdampfer. Darin würde während der Jungfernfahrt ein Höllenfeuer brennen und die Titanic mit Energie versorgen, bis zum völligen Untergang.
Es war dort unten tatsächlich etwas ruhiger, trotz dass der Stahl die hämmernden Schläge über ihnen bis hinunter zum Kiel praktisch leitete. Angenehmer für die Ohren war es dort unten allemal.
Ike legte sein völlig durchnässtes Jackett sowie die patschnasse Melone ab und krempelte die Ärmel seines weißen Hemdes hoch, obwohl es im Kesselraum etwas frostig war und sogar sein Atemhauch zu sehen war. Sein Jackett war ohnehin durchnässt und außerdem spürte er die Kälte aufgrund der Anspannung fast gar nicht. Während der Übersee jedoch würden die Heizer dort unten konstant bis zu 50 Grad Celsius ausgesetzt sein und müssten obendrein hart körperlich schuften.
Ike zog mit den Damen an seinen Hosenträgern und ließ sie schnalzen. Dann rubbelte er seine Oberarme etwas warm.
„Okay, ich bin bereit. Jetzt kannst du kommen, wer auch immer du bist und versuchen, mich zu killen.“
Plötzlich vernahm Ike schruppende Geräusche, weit vorne am Bug. Die Kesselräume lagen unter dem Wasserspiegel und was er hörte waren die Schiffsschrauben der Schlepper. Es knarrte plötzlich überall bedrohlich und der Stahl ächzte, als der mittlerweile 45.000 Tonnen schwere Stahlkoloss langsam vom Ausrüstungskai gezogen wurde. Diese Geräusche klangen unheimlich, wie in einem U-Boot gefangen zu sein, welches gerade in die Tiefe abtauchte. Die noch instabile Titanic wurde aufgrund eines Wendemanövers gewaltigen Kräften ausgesetzt und hörte sich deswegen an, als würde das Schiff jeden Moment auseinander brechen. Nun war Ike völlig auf sich gestellt, denn ein Zeitsprung auf ein Objekt was sich bewegte, war viel zu riskant.
Ike wollte gerade zum ersten Heizkessel eilen, darin er seine EM23 versteckt hatte, als plötzlich ein unbekannter Werftarbeiter durch die Luke stieg und vor ihm stand. Ike erstarrte. War er etwa sein Mörder? Dann war er aber zu früh erschienen! Einen Augenblick starrten sich die Männer nur an. Der Werftarbeiter schien genauso überrascht zu sein, weil er in der Tiefe des Schiffes nicht damit gerechnet hatte, einen Vorarbeiter aus den Werkstätten anzutreffen. Er trat einige Schritte vor, wobei es plätscherte, weil er durch Wasserpfützen trampelte.
„Entschuldigen Sie, Sir. Wo bitte geht`s zum Maschinenraum?“, fragte er und zupfte dabei an seiner Schirmmütze. „Ich soll Mister Kelly eine Nachricht überbringen.“
Ike schluckte und deutete mit seinem Daumen hinter sich auf die nächste Einstiegsluke.
„Immer achtern voraus, mein Freund. Irgendwo dort hinten gelangst du zum Maschinenraum“, antwortete er gelassen und als der Kerl verschwunden war, atmete Ike erleichtert auf. Zum Glück war er nicht der Mörder gewesen, andernfalls hätte er keine Chance gehabt, sich zu verteidigen.

Ike öffnete mit beiden Händen die schwere Stahlluke und lehnte sich tief in die stockdunkle Kesselöffnung hinein, darin während der Übersee ein Höllenfeuer brennen wird. Er hatte seine Schusswaffe oberhalb der Kesselöffnung auf eine Nische abgelegt, doch er ließ von seinem Vorhaben ab, weil plötzlich die Alarmschelle rasselte und über den Schottenluken die roten Lampen aufleuchteten.
Der Kesselraum war nun mit dämmrigem Rotlicht geflutet.
Ein ohrenbetäubendes Schellen schrillte minutenlang. Ike ging auf die Luke sachte zu und starrte apathisch auf die darüber rot leuchtende Warnlampe. Was mag wohl in den Köpfen der Heizer vorgehen, wenn dieser Alarm sie mitten auf dem eisigen Nordatlantik während ihrer Arbeit aufschrecken wird, dachte er sich. Dann ratterte das Stahlschott langsam herunter, immer weiter, bis es sich donnernd verschloss, sodass der Boden leicht erzitterte.
Er horchte und vernahm, wie nach und nach sämtliche Schotten bumsend den Schiffsrumpf verriegelten. Minutenlang waren überall nur die Alarmschellen zu hören – dann herrschte absolute Stille, nicht einmal ein einziges dumpfes Hämmern war zu hören. Ike blickte mit leicht geöffnetem Mund nach oben und lauschte.
„Wassereinbruch im Kesselraum 4!“, hörte er von Weiten irgendwoher jemanden rufen. „Männer, wir sind mit einer verfluchten Schaluppe (einmastiges Segelboot) kollidiert und sinken!“, flachste jemand, woraufhin Gelächter erklang.
Plötzlich knarrte und quietsche es kurz und man spürte, wie der Schiffsrumpf leicht erzitterte, bevor es erneut laut ratterte. Die Stahlschotten öffneten sich wieder mühselig und das Rotlicht erlosch.
Ike eilte zum geöffneten Heizkessel, stieg hinein und tastete die Nische ab, aber er griff ins Leere.
„Das gibt’s doch nicht“, murmelte er. „Wo ist meine Waffe geblieben? Meine EM23 … Sie ist weg“, stellte er erschrocken fest. „Das kann nicht sein!“
Er setzte seine Nickelbrille auf, aktivierte den Nachtsichtmodus und schaute nach. Der Innenraum des Heizkessels schimmerte grünlich; es sah wie in einer Höhle aus Stahl aus. Dort wo er seine EM23 Schusswaffe am gestrigen Tag abgelegt hatte, lag sie aber nicht. Das einzige was er im Heizkessel sah, waren ein paar Ratten, die panisch zwischen seinen Beinen hinausflüchteten.
Ike musste entsetzt feststellen, dass seine Pistole tatsächlich verschwunden war. Er blickte hektisch auf seine Taschenuhr, es war bereits 10:15 Uhr – in fünf Minuten würde er ermordet werden.
Plötzlich vernahm er wie jemand durch die Einstiegsluke hereinkam. Ike hörte plätschernde Schritte. Als er aus dem Heizkessel geduckt herauskam, stand zu seiner Verwunderung Mr. Clark vor ihm. Carl Clark schaute ihn mit seinen gekniffenen Augen unheilvoll an und in seiner Hand hielt er die EM23 Schnellfeuerwaffe. Ike sah ihn verwundert an. Damit hatte er absolut nicht gerechnet.
„Carl … Du? Du bist es also, der mich umbringt?“, fragte er völlig erstaunt.

Er hatte keine Chance, weder sich zu verteidigen noch zu flüchten. Carl hielt die Mündung des Schalldämpfers gegen seinen Mund. „Pschscht“, zischte er, dann stieg er in den geöffneten Heizkessel hinein.
Ike war völlig verdutzt und brauchte einen Augenblick um zu realisieren, dass Carl Clark im Besitz seiner Schusswaffe war und er sich grad im Heizkessel versteckte. Er müsste jetzt nur noch die schwere Luke zuziehen und verriegeln, dann würde Clark in der Falle sitzen. Aber Mr. Clark würde ihn aus der Öffnung heraus sofort erschießen können.
Doch plötzlich trat eine weitere Person durch die Einstiegsluke hindurch. Es war Charles Owen. Er machte einen angespannten und äußerst nervösen Eindruck auf ihn, zudem hielt er eine Schaufel in der Hand, diese er auf seiner Schulter abgelegt hatte. Ike blickte ihn entsetzt an.
Das UE-Gesetz besagte, dass zeitreisende Auswanderer in ihrem Probejahr unbedingt geschützt werden müssten. Im Notfall müsste ein Geheimagent für einen TTA-Kunde sein Leben sogar opfern. Das Leben eines Auswanderers hatte höchste Priorität. Nun bestand auch für Charles Owen eine Lebensgefahr. Wenn Ike getötet wird, würde man den Zeugen ebenfalls beseitigen.
„Ike, ich muss mit dir reden. Jetzt gleich!“, forderte Charles energisch.
Seine Stimme klang bestimmend, gleichzeitig aber auch etwas besorgt. Charles war die Rettung. Wenn es ihm gelingen würde, die offenstehende Kesselluke mit der Schaufel rasch zu schließen, wäre Clark in der Falle gefangen. Ike versuchte ihn mit Blicken zu vermitteln, dass irgendetwas nicht stimmte, musste aber gleichzeitig den Anschein erwecken, er wolle ihn vertreiben. Carl Clark war bewaffnet und könnte schließlich beide auf der Stelle töten.
„Später Charles, nicht jetzt!“, hallte seine Stimme im Kesselraum. „Im Moment ist es äußerst ungünstig. Gehe wieder nach oben“, sprach Ike behutsam, während er ihn hilfsbedürftig anstarrte und mit einer Kopfbewegung immer wieder auf den Heizkessel deutete, dort sich Carl Clark versteckte.
Mit seiner Mimik, Kopfbewegung und seinem Mund, der wortlose Anweisungen erteilte, versuchte er Charles darauf aufmerksam zu machen, dass er sofort die Kesselluke schließen sollte. Aber Charles schien seinen stummen Hilferuf nicht zu verstehen. „Mist, der Idiot rafft es nicht“, fuhr es durch Ikes verzweifelte Gedanken, wobei er ihm jetzt sogar energisch eindeutige Handzeichen gab, unterstrichen mit einem panischen Blick.

Charles jedoch trat näher und stand nun direkt vor dem Heizkessel, indem sich Carl Clark versteckt hielt. Jetzt ergab sich die allerletzte Chance, die Kesselluke mithilfe der Schaufel rasch zu schließen.
„Was soll das? Was machst du für dämliche Grimassen? Hör auf damit, ich muss dir unbedingt was sagen. Also hör mir zu.“ Er atmete einmal kräftig durch. „Es geht um Clark. Er ist offenbar nicht der, für den wir ihn halten. Ich habe ihn vorhin in der Werkstatt dabei beobachtet, wie er einfach meinen Spint aufgeknackt und darin rumgeschnüffelt hatte. Er hat die Zigarrenschatulle auseinandergenommen und sich die Mikrokameras eingeheimst. Er hat genau gewusst, wonach er suchen musste. Du musst mir glauben. Clark ist offenbar kein Akteur, sondern er gehört zu denen. Clark ist ein verfluchter TT aus unserem Jahrhundert!“
Charles ging auf Ike langsam zu, wobei er den Schaufelgriff nervös drehte. Ike wollte grad brüllen, dass er die Luke damit endlich schließen sollte, da verzerrte sich Charles Gesicht plötzlich zu einer hasserfüllten Fratze.
Er hielt den Holzgriff fest im Griff, holte damit weit aus und als er Ike die Schaufel über seinen Schädel ziehen wollte, zischte ein Schuss aus der Schalldämpfermündung. Charles Owen zuckte kurz zusammen, bevor er seine Augen verdrehte, einfach zusammensackte und dann regungslos am Boden liegen blieb. Die Schaufel schepperte auf dem Boden. Carl Clark schlüpfte gemächlich aus dem Heizkessel heraus und betrachtete Charles, wie er regungslos am Boden lag.
„Tja, da lag ich mit meinem Verdacht in der Tat goldrichtig“, sagte Mr. Clark während er Ike angrinste.
Sofort packte er Charles Arme und versuchte ihn angestrengt zur Einstiegsluke zu zerren. Charles war zwar ein kleiner, dennoch etwas beleibter Mann, der im schlaffen Zustand gefühlt doppelt so schwer war.
„Steh verdammt nochmal nicht so tatenlos rum. Hilf mir gefälligst, diesen Scheißhaufen zur Luke zu ziehen. Wir müssen das jetzt beenden!“, fauchte Clark.
Ike aber schaute nur verdutzt drein, wie der Vorarbeiter der Elektriker seinen vermeintlichen Onkel mühselig fortschleifte. Carl verzog seine Miene. „Anfänger“, brummelte er missmutig und zog den schlaffen Körper mühselig alleine zur Einstiegsluke.
„Was hast du bloß getan?! Du hast … Du hast ihn verdammt nochmal umgebracht!“, fuhr es aus Ike aufgebracht heraus. „Ich-ich bin für ihn und seine Familie doch verantwortlich!“
„Nein, nur betäubt. Stell dich gefälligst nicht so an. Er ist es, der dich töten wollte“, antwortete Carl Clark gelassen. „Es darf kein Einschussloch in seinem Leib gefunden werden. Alles muss wie ein tragischer Arbeitsunfall aussehen. Hast du das kapiert?“
Ike blickte ihn aber nur völlig perplex an.
„Ob du mich verstanden hast, habe ich gefragt!“, schnauzte Clark, woraufhin Ike endlich nickte.
„Und-und was hast du jetzt mit ihm vor?“

Carl Clark drehte Charles bäuchlings herum und ließ ihn direkt unter der Einstiegsluke liegen. Dann ging er auf Ike zu, packte an seinen Schultern, rüttelte ihn und blickte ihm stechend in die Augen.
„Hör mir jetzt genau zu, was ich dir zu sagen habe und befolge es! Ansonsten landen wir beide wegen Mordverdacht im Knast und die Mission ist gescheitert! Wir berichten Folgendes: Charles ist plötzlich durchgedreht, als der Alarm losging und wollte unbedingt hinausflüchten. Er hatte Panik, Platzangst, hörst du? Platzangst! Er war panisch!“, trichterte er ihm energisch ein und rüttelte ihn dabei an seinen Schultern.
Carl Clark wanderte langsam um ihn herum, während er weitersprach. Ike stand nur apathisch da und blickte auf Charles, der bäuchlings unter der Einstiegsluke lag. In ein paar Minuten würden die wasserdichten Schottentüren erneut heruntergelassen werden.
„Wir behaupten einfach, du hättest versucht ihn zurückzuhalten, aber er hatte sich heftig gewehrt, dich sogar geschlagen und als er noch in letzter Sekunde durchschlüpfen wollte, ist es eben passiert.“
„Was ist passiert?“, fragte Ike, wobei er völlig konfus wirkte. Carl Clark verzog seinen Mund, wobei sich sein gezwirbelter Schnauzbart bewegte, und verpasste ihm eine schallende Backpfeife.
„Ein tragischer Arbeitsunfall ist passiert, verstehst du jetzt? Hörst du mir eigentlich zu? Für Erklärungen haben wir jetzt keine Zeit! Keine Sorge, wir sind Vorarbeiter und unsere Aussagen werden die Akteure bedingungslos glauben. Die Akteure werden uns bedingungslos glauben, weil wir bekanntlich verfeindet sind und ich deine Aussage obendrein bestätigen werde. Wir beide haben das perfekte Alibi, mein Freund.“
Plötzlich schlug Carl ihm mit seiner Faust wuchtig ins Gesicht, woraufhin Ike zurücktaumelte und sogleich an seine blutende Lippe fasste.
„Sag mal, spinnst du? Wieso schlägst du mir in die Fresse? Weißt du eigentlich, wie gerne ich deine Provokation jetzt erwidern möchte, alter Mann?“, empörte sich Ike.
„Tut mir aufrichtig leid, Schleuser van Broek. Aber es musste sein“, grinste Carl. „Das gehört zu unserem Alibi. Ich sagte doch, Charles war wie von Sinnen und wehrte sich heftig. Dein angeblicher Onkel hatte dir eine verpasst, so werden die Bullen auch nicht misstrauisch werden.“

Ike war sprachlos und wirkte verwirrt. Er blickte entsetzt auf Charles, der bäuchlings unter der Einstiegsluke lag. Er war für ihn doch verantwortlich und müsste ihn bei seinem Leben beschützen. Ihm durfte eigentlich nichts geschehen – jede Minute konnten die Schotten runtergelassen werden. Aber Charles Owen war es gewesen, der ihn eigentlich ermordet hatte, und die ganze Zeit über hatte er mit einem der gesuchten TT unter einem Dach gelebt.
Die Alarmschellen schrillten, zugleich leuchteten die roten Lampen erneut auf und im nächsten Augenblick ratterten die Schotttüren langsam herunter. Immer weiter und weiter. Beide Vormänner schauten einfach weg, als das Stahlschott den Leib von Charles Owen zerquetschte. Diesen Anblick wollten sich beide ersparen. Das Knacken seiner Rippen sowie seines Rückgrates, genauso wie sein letztes Ächzen, klangen immerhin grausam genug.

Der Regen rauschte immer noch auf dem künstlich erschaffenen Victoria Channel nieder. Das aufgewühlte braune Flussbett prickelte auf, während die Titanic im Schlepptau zurück ans Ufer gezogen wurde. Die überschlagende Meldung, ein Werftarbeiter sei wiedermal tödlich verunglückt, veranlasste die Schiffsbaupoliere zum sofortigen Abbruch des Funktionstest. Die regenschweren Wolken am Himmel wirkten bedrückend und man mochte meinen, der Weltuntergang stünde bevor. Es war zwar schon Vormittag, aber dieser mausgraue Tag wirkte einfach nur düster. Dieser Tag wollte einfach immer noch nicht wirklich hell werden.
Ike und Carl wanderten langsam auf dem Bootsdeck der Titanic umher. Beide waren triefnass. Der Himmel knisterte plötzlich bedrohlich, als würde ihn der Herrgott persönlich zerreißen, dann wurden sie Zeuge, wie ein Blitz zischend ins Wasser des Victoria Channels einschlug. Zeitgleich erfolgte ein mächtiger Donnerschlag, der die Luft spürbar erzittern ließ. Ike jedoch zeigte keinerlei Regung. Was sollte ihn jetzt noch großartig erschrecken? Nachdenklich starrte er auf das prickelnde Flussbett.
Sie blickten blinzelnd zu einem der Schornsteine hinauf. Der grundierte, mattdunkle Stahlzylinder ragte über zwanzig Meter in die Höhe. Ikes weißes Hemd lag ihm klatschend an und die Haut seines muskulösen Oberkörpers druckte sich durch. Minutenlang hielt ihr Schweigen, bis das Schiff an der Anlegestelle verzurrt wurde. Ike und Carl sahen hinab, wie zwei Männer den Leichnam von Charles zusammengeschnürt in einem Leichensack die Gangway hinunter trugen. Zufällig war ein Fotografenteam anwesend und fotografierten im Schutze zahlreicher Regenschirme sogleich das Geschehen. Blitzlicht zuckte auf und ein kleiner Rauchpilz stieg aus dem Lampenschirm empor.
Diese schreckliche Meldung hatte sich an Bord der unfertigen Titanic rasch verbreitet. Dutzende Männer drängelten sich auf dem Promenadendeck. Doppelt so viele Leute standen unten am Kai und ebenso viele Gesichter glotzten neugierig aus den unzähligen Bullaugen und geöffneten Luken heraus.
Jeder Arbeiter auf der Titanic hatte seine Arbeit niedergelegt, um zu schauen, wie wiedermal ein ihrer Kollegen von der Baustelle leblos davon getragen wurde. Das Elektrikerteam stand an der Gangway und zog pietätvoll ihre Schirmmützen ab, als der leblose Körper von Charles Owen weggetragen wurde. Selten war eine derartige Stille zu vernehmen, nur der rauschende Regen und das sporadische Rumpeln am Himmel waren zu hören. Carl und Ike hielten sich an die Reling fest und starrten über zwanzig Meter hinunter.

„Du bist also der berühmte Schleuser Simon Barnes, der mit Henry gemeinsam Vincenzo einst das Handwerk gelegt hatte und längst pensioniert ist? Wie alt bist du wirklich, Barnes? Siebzig? Noch älter? Was sollte dieses alberne Versteckspiel und weshalb hast du es mir ständig so schwer gemacht?“, fragte Ike monoton, ohne ihn dabei anzuschauen. „Wir hätten zusammen arbeiten können, statt gegeneinander. Deine verdammte Hilfe hätte ich manches Mal gebrauchen können, dann wäre Glover vielleicht sogar noch am Leben. Und was hattest du eigentlich mit deinem Auftritt vor einem Jahr im Nelson`s Pub bezweckt? Du hattest mein Passwort erwähnt … Goldfisch. Das hatte mich damals ziemlich verwirrt, aber ich bin davon ausgegangen, dass du ein Akteur bist und es nur als eine Metapher verwendet hattest.“
Simon Barnes, alias Carl Clark, grummelte.
„Mmm … Erwähne nie wieder meinen wirklichen Namen! Ich bin Carl Clark in diesem Jahrhundert, hast du das begriffen? Die Sache mit deinem Passwort sollte dich nur wachrütteln, damit du dich mit dieser Sauferei zügelst. Henry und ich wussten, dass du meine Tarnung niemals aufdecken würdest, wenn ich voll und ganz gegen dich bin. Wenn man ein ausgeprägtes Ego lang genug reizt, dann denkt man als ein Schleuser nur noch darüber nach, wie man seinen Rivalen von sich abhält“, lächelte er. „Es ist wahr, dass ich längst pensioniert bin. Aber ich gehöre zugegeben zu dem Schlag, die einfach nicht von ihrem Job loslassen wollen. Meine Urahnen waren einheimische Iren und als ich von der Belfast Mission von Henry in Kenntnis gesetzt wurde, habe ich mich ehrenamtlich zur Verfügung gestellt, um deine Aktivitäten zu beobachten und zu bewerten. Es ist üblich, dass die neuen Schleuser während ihrer ersten Mission heimlich überwacht werden und nur falls dir akute Lebensgefahr gedroht hätte, wäre es mir erlaubt gewesen, einzugreifen. Was ich ja mit meiner Botschaft getan habe. Zudem war es meine Aufgabe, den Auswanderer Owen genauer unter die Lupe zu nehmen, um die tatsächliche Eignung seiner Emigration zu beurteilen. Schließlich hatte ich schon unzählige Auswanderer in meiner Karriere erfolgreich integriert, und andere musste ich als ungeeignet einstufen. Bisher bin ich von deinen Leistungen beeindruckt. Bilde dir aber bloß nichts darauf ein!“, erwähnte er sogleich. „Du bist sogar das Risiko eingegangen, dem Alkohol und Tabak zu verfallen aber nun ist Schluss damit. Ich will dich in diesen komischen Nelson Puff nie wieder sehen, ansonsten lasse ich dich sofort suspendieren! Glaube mir, ich habe den Einfluss und die Mittel dazu“, ermahnte er ihn wiedermal mit erhobenem Zeigefinger.

Ob nun Simon Barnes oder Carl Clark, auf Ike wirkte dieser alte Hase wie gehabt – überheblich und arrogant, aber absolut selbstsicher und kompetent.
„Nicht mehr nötig, Mister Clark“, erwiderte Ike gefrustet. „Am Mittwoch heißt es für mich sowieso Adieu. Du wirst ja dann die Mission fortführen. Entschuldige Carl, wenn ich etwas zynisch klinge, aber ein alter Rentner, der seine Karriere längst hinter sich hat, ersetzt einen jungen Geheimagenten mit Zukunftsaussichten? Na bravo, welch kluge Entscheidung unser ehrenwerter Präsident Hendrik Klaasen beschlossen hat. Diesen Knallkopf wähle ich gewiss nicht mehr wieder!“, fauchte er.
Ike blickte ihn zornig an und spuckte auf den Dielenboden. Seine Enttäuschung war nicht zu übersehen. Clark schmunzelte, so wie er es immer tat und klopfte ihm sachte auf die Schulter.
„Nein, mein Goldfisch, der Präsident handelte vernünftig und er ist ein guter Präsident. Du kannst ihn in zwei Jahren getrost wiederwählen. Aber ich werde es sein, der an deiner Stelle durch das Exit-Zeitfenster geht. Nicht du. Ich werde dich nicht ersetzen, du führst die Belfast Mission bis zum Schluss weiterhin an. Also, mein Freund. Du hast noch lange nicht ausgedient.“

Ikes Zorn verflüchtigte sich sogleich, als er sein eigenes Passwort aus Clarks Mund vernahm: Goldfisch. Clark hatte sich als Schleuser Barnes bekannt gegeben und nun war es amtlich. Jetzt war Carl Clark, beziehungsweise Simon Barnes, sein direkter Vorgesetzter und war seinen Befehlen unterstellt. Dass er nun plötzlich nicht, wie ihm Vincenzo angeordnet hatte, aus der Belfast Mission ausscheiden wird, erfreute ihn insgeheim und er atmete innerlich erleichtert auf, weil er Eloise vorerst doch nicht verlassen musste. Das Wunder, welches er sich erhofft hatte, war tatsächlich eingetroffen. Aber weshalb?
„Wie war es dir eigentlich möglich gewesen, mich zu warnen?“, fragte Ike. „Wir beide befinden uns in ein und derselben Gegenwart. Du besitzt als Schleuser keinen Beamer, also konntest du unmöglich ins Centrum zurückreisen und mir einen Brief aus der Zukunft in mein Postfach transferieren. Wie hattest du das geschafft und wie hast du es herausgefunden, wo genau ich meine Waffe versteckt hatte?“
Fragen über Fragen und Carl schmunzelte, während Regenwasser wie eine überlaufende Regenrinne von seinem Bowler tröpfelte, als er einen zerknitterten Briefumschlag aus seinem Jackett herausholte.
„Ich war genauso überrascht wie du gewesen, als ich gestern in meinem Postfach einen ähnlichen Brief vorgefunden hatte. Beide Briefe stammen von mir selbst, in meinen steht natürlich eine genauere Erläuterung geschrieben“, erzählte er. „ Nachdem du getötet wurdest, war ich gezwungen deinen vorgesehenen Exit am Mittwoch in Anspruch zu nehmen, um zurück ins Centrum zu gelangen. Vorher hatte ich die Tageszeitung vom Samstag, also von morgen Früh besorgt. So hatte ich die Möglichkeit gehabt, unsere Botschaften zu versenden.“
Carl Clark hielt einen Moment inne und schaute vom Bootsdeck hinunter. Beide waren vom Regen triefnass.
„Daraufhin hatte ich sofort eine Minikamera im Kesselraum 6 installiert und beobachtet, wo du deine Waffe verstecken würdest. Ich befürchtete nämlich, du würdest trotz meiner Nachricht nicht angemessen reagieren. Sei ehrlich. Hättest du Charles tatsächlich ohne weiteres eliminiert? Ich selbst war Zeuge und sah es dir an, dass du Owen niemals ohne zu zögern ausgeschaltet hättest. Dafür warst du viel zu überrascht gewesen. Selbst als ich vor dir stand, warst du unfähig gewesen, augenblicklich und kompromisslos zu handeln. Dann wärst du jetzt tatsächlich tot gewesen und es hätte sich keine weitere Möglichkeit ergeben, dieses Ereignis nochmal zu korrigieren.“
„Okay, das leuchtet mir ein. Aber wie hast du Charles entlarvt?“
Carl Clark schnaufte einmal durch und nickte stetig.
„Lass uns beide dieses Ereignis rekonstruieren, wie es sich ursprünglich zugetragen hatte“, schlug er vor, umklammerte mit seinen Händen die Reling und blickte wieder hinunter.
Die zwei Männer trugen den Leichnam in einem Sack weg und zwängten sich grad durch eine beachtliche Menschenmasse hindurch, die alle pietätvoll ihre Mützen und Hüte abzogen.
„Schau hinunter. In dem Leichensack wirst du ursprünglich fortgetragen und Charles Owen steht jetzt neben mir, anstatt du. Wir beide blicken im gleichen Moment dort hinunter, so wie du und ich es gerade tun, während ich Owen vernehme. Der Owen war noch nie eine Leuchte gewesen, wie du es sicherlich ebenfalls feststellen musstest und er tischte mir sicherlich in diesem Moment irgendeine absurde Geschichte auf. Wohlmöglich behauptete er, du seist urplötzlich gestolpert oder ähnlich dummes. Und genau das machte mich bestimmt stutzig, zumal sein Funkpeilsender letzten Silvester sogar in der Nähe des Hafens geortet wurde. Trotzdem war das kein eindeutiger Beweis, dass Owen an der Tötung des Bandenchefs der Dark Crows direkt involviert war. Er muss es spitz gekriegt haben, dass du etwas mit ihm zu tun hattest und war clever genug gewesen, das Hafengebiet nicht zu betreten. Als ich heute Morgen seinen Spint aufgebrochen und die Mikrokameras inspiziert hatte, musste ich feststellen, dass er diese zerstört hatte. Alle Minispione, die er installierte, hatte er wahrscheinlich vorab zerdrückt. Aber wie dem auch sei … Einen TT haben wir zwar beseitigt aber drei weitere laufen immer noch frei herum, die wir leider nicht orten können. Dein Leben ist also weiterhin bedroht. Es ist noch lange nicht vorbei.“

Unten am Ausrüstungskai herrschte Trauerstimmung und Ike befürchtete, dass man ihn nun wochenlang mit Beileidsbekundungen überhäufen würde und er derweil den trauernden Neffen mimen müsste. Schließlich war Charles Owen auf Queens Island beliebt gewesen.
Während beide Geheimagenten beobachteten, wie der erlegte Charles Owen in einem Leichensack verschnürt auf einen Fuhrwagen gewuchtet wurde, begriff Ike allmählich, dass Eloise nun möglicherweise in Gefahr schwebte. Inwiefern war Anne in diese Angelegenheit involviert, welche Aufgaben wurden ihr zugeteilt und wie wird sie reagieren wenn sie erfährt, dass Ike ihren Ehemann auf dem Gewissen hat? Anne wusste über seine wahren Gefühle zu Eloise Bescheid und sie wäre ein wirksames Mittel, ihn zu erpressen. Ike musste schnellstens nach Hause eilen. Plötzlich betraten irische Polizisten das Bootsdeck und kamen auf sie zu.
„Ich erwarte dich morgen Mittag in meinem bescheidenen Heim. In der letzten Kabine des Toilettenhäuschens malte wahrscheinlich ein meiner ungezogenen Lehrlinge einen Schweinekopf mit einem Bowler aufgesetzt an die Wand. Der kunstvoll gezeichnete Schnauzbart gleicht meinem verblüffend. Darunter habe ich die Koordinaten meines Zuhauses geschrieben. Schau auf einen Stadtplan, dort wirst du mich auffinden“, flüsterte Carl dringlich. „Du musst unbedingt die Wahrheit über die Zeitreisen erfahren, ansonsten wirst du diese Mission nicht überleben!“
„Es war Aaron“, antwortete Ike schmunzelnd. Carl Clark runzelte die Stirn. „Aaron hat den Schweinekopf auf die Fliesenkacheln gemalt.“
Mr. Clark griff an seinem Bowler, nickte kurz und stolzierte im strömenden Regen davon.

Ike schaute dem Schleuser Simon Barnes hinterher, wie er auf die Polizisten zuging und sie ausgiebig über den angeblichen Arbeitsunfall unterrichtete. Plötzlich begegnete ihm ein alter Bekannter. Der Regen strömte unaufhörlich nieder, doch der Chief Inspector Gardner wurde von zwei jungen Polizisten mit Regenschirmen geschützt. Chief Inspector Gardner stellte sich vor ihn, verschränkte seine Arme hinter dem Rücken und erhob sein Kinn.
„Was für eine Überraschung … Mister van Broek. Mir scheint, dass Sie ein regelrechter Unglücksrabe sind, den man unbedingt meiden sollte. Jetzt wurde nicht nur jemand verletzt, sondern kam sogar zu Tode. Sogar ein Ihrer Verwandter. Na, auf Ihre Aussage bin jetzt aber mal ganz gespannt“, sagte Chief Inspector Gardner, streute sich eine Priese Schnupftabak auf die Handfläche, sog es ein und rieb sich sogleich mit glasigen Augen seine Knollennase.
Nachdem auch Ike kurz vor Ort verhört wurde, trieb er sein Pferdegespann im Jagdgalopp in die Richtung seiner Heimat. Anne war gewöhnlich schon am frühen Nachmittag zu Hause und Eloise wäre ihr schutzlos ausgeliefert.
 
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Kommentare  

Eine merkwürdige Verhaltensweise hatten
verschiedene Charaktere in vergangenen
Kapiteln gezeigt. Aber ein Proga besonders. Als
Autor möchte man einen Mörder nie vorab
verraten, aber in die Irre führen finde ich fies.
So was lässt für den Leser dessen Handeln
sowie die Story unglaubwürdig erscheinen. Ich
selbst lese viele Romane und habe dadurch
einiges gelernt. Wenn die Überraschung
gelungen ist, kann ich als Autor auch zufrieden
sein. Ich danke dir für deinen tollen Kommentar.

LGF


Francis Dille (10.07.2025)

Wie immer bin auch ich voll dabei. Ein toller Roman. Und diesmal übertriffst du dich selber. Welche Überraschung. Nicht nur Ike ist verblüfft. Das haut auch den Leser vom Hocker. Hoffentlich kann Ike auch später irgendwie seine Anne behalten.

Evi Apfel (06.07.2025)

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