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Zur Abgrenzung zur Tierwelt

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Das Auge betrachtet. Es schaut. Signale werden an einen Filter weitergegeben, auch von den Ohren, von der Nase, von der Haut und von der Zunge. Der Filter filtert alle Signale, die nicht wichtig sind; alles was für den autopoietischen Organismus als nicht relevant markiert wurde, heraus. Dieser Filter funktioniert wie ein Sieb, das schon von Geburt an angelegt ist und sich durch Erfahrung immer weiter ausprägt. Ein Sieb, das mit dem Alter immer feiner und ausgeklügelter wird; das nur als relevant markierte Signale durchlässt und deshalb nur diese in Form eines Reizes vom Gehirn analysieren und in einem letzten Schritt interpretieren lässt. Auf dieser Grundlage entsteht eine Realitätsauffassung, die schlussendlich Denk- und Handlungsweisen einen Sinn verleiht. Es ist eben jenes System, das Menschen zu Menschen macht – auch in Abgrenzung zur Tierwelt. Denn diese kommt weitestgehend ohne Realitätsauffassung aus, also auch ohne das Streben nach einem Sinn.

Die große und letztendlich alles entscheidende Frage lautet nun: ist es möglich, dieses grundsätzliche System zu verändern oder wenigstens zu beeinflussen? Oder ist es uns nur möglich, gedanklich mit jenen Signalen zu arbeiten, die diesen Prozess schon durchlaufen haben; die zuvor schon von einem System gefiltert wurden, auf das wir letztendlich gar keinen Einfluss haben, weil es durch vorgegebene Bedingungen schon angelegt war und durch Erfahrungen in einem automatischen Prozess nur noch immer weiter verfeinert wird?

Diese Frage ist bedeutend, weil es hierbei um die Frage geht, inwiefern ein Mensch überhaupt frei agieren kann. Es bemisst auch die Frage, inwiefern eine Idee wie der Strukturalismus tatsächlich Relevanz bei der Realitätsauffassung haben könnte, oder der Poststrukturalismus und der Konstruktivismus.

Der am Anfang dieses Textes beschriebene Prozess lässt all diese Ideen, wie Realität im Gehirn entsteht, zu. Die Frage aber, inwiefern Signale als Reiz fungieren könnten, die für den autopoietischen Organismus als nicht relevant markiert wurden, ist eben jene Frage, die beantworten könnte, ob wir überhaupt grundsätzlich im Stande sind, auf unsere Art und Weise der Wahrnehmung einzuwirken.

Der Strukturalismus behauptet ganz klar: nein. Er behauptet sogar, dass die Art und Weise, wie die Signale, die im Gehirn als Reiz verarbeitet werden können, von uns nicht beeinflussbar ist; dass die Realitätsauffassung also als vollständig vorherbestimmt angesehen werden muss und als Struktur von einem Organismus als Vorbedingung angenommen wird. Der Poststrukturalismus lässt zumindest die Freiheit zu, mit den Signalen, die als Reiz im Gehirn angekommen sind, zu arbeiten. Und zwar in Form eines Wechselspiels zwischen formulierten Gegensätzen, wie etwa Frei und Unfrei, Frau und Mann oder Gut und Böse. Es relativiert den Strukturalismus. Der Konstruktivismus hingegen löst sich vollständig vom Zwang eines Wechselspiels. Er geht davon aus, dass das Gehirn die Freiheit hat, mit allen Signalen aus der Außen- oder der Innenwelt, die als Reiz im Gehirn angekommen sind, zu arbeiten – und zwar auf völlig eigenständige Weise. Die ins Gehirn gelangten Reize werden hierbei nach völlig eigenem Gutdünken in Beziehung zueinander und zu den schon gemachten Erfahrungen gesetzt, um so eine Realität zu konstruieren, die letztendlich keinen zwingenden Zusammenhang mehr mit der Außenwelt haben muss – jedoch ohne einen Solipsismus zu behaupten.

Bei all diesen Spielarten bleibt die Frage relevant: ist der Prozess, wie ein Signal aus der Außen- oder der Innenwelt mit Hilfe der angelegten Filter entweder zu einem starken, zu einem schwachen oder zu gar keinem Reiz in das Gehirn gelangt, in irgendeiner Weise vom Organismus selbst zu beeinflussen?

Letztendlich entscheidet diese Frage über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer gedanklichen und damit auch einer handelnden Freiheit und auch in der Frage zu einer möglichen Abgrenzung zur Tierwelt, die hierbei sehr wahrscheinlich keine, oder wenn ja: dann nur eine sehr eingeschränkte Möglichkeit zu einer Freiheit besitzt.
 
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