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3 Seiten

"Louise" (Human League haben es gewusst)

Kurzgeschichten · Winter/Weihnachten/Silvester · Erinnerungen
© ThiloS
when he saw her getting off the bus
it seemed to wipe away the years
her face was older, just a little rough
but her eyes were still so clear

- Human League “Louise” 1984 -

Es war auf dem Weihnachtsmarkt letztes Jahr. Ich balanciere gerade eine brühheisse Tasse Glühwein zu meinen Lippen und drehe dabei den Kopf.

Und dann spüre ich diesen Donnerschlag, diesen Stich im Herzen. Keine 10 Meter von mir weg steht eine Frau mit einem Kinderwagen und einem Mann und ich habe sie gefühlsmässig erkannt.

Nennen wir sie der Einfachheit halber Louise. Louise war meine erste „richtige“ Freundin, die allererste, die mich an ihre Brust hat fassen lassen, mit der ich Schallplatten und Körperflüssigkeiten getauscht habe, bis sie 1983 in der Disko mit diesem Riesenarschloch, das mich später verprügelt hat, rumgemacht hat. Louise war die erste, der ich glühende Liebesbriefe geschrieben habe und Louise war die erste Frau, die ich gerne ermordet hätte (und bis dato die Letzte).

Louise hat mir den Glauben an die große Liebe gegeben und ihn mir genommen. Nach Louise hatte ich keine Freundin, bei der ich nicht fremdgegangen wäre, weil ich eben nicht mehr an die „große“ Liebe geglaubt habe. Und doch: in den all den Jahren, über meine Heirat und die Geburt meiner Kinder habe ich Louise nie vergessen.

Nachdem ich gefühlsmässig Louise erkannt habe, will mein Verstand das Gefühl verifizieren und beginnt mit der Analyse: ist sie es oder ist sie es nicht? Die Nase würde passen, die Figur..... gut, sie ist ein wenig fülliger, aber wenn sie eben erst schwanger war...... andererseits hatte ich sie irgendwie kleiner in Erinnerung und die Haare habe ich hellblond und nicht aschblond im Kopf. Ich versuche, Blickkontakt herzustellen, wenn Louise lacht oder mir zunickt oder mit Kamellen wirft, dann hat sie mich erkannt und dann ist sie es.

Und tatsächlich: Louise schaut zu mir, eine Spur länger, als es unter sich unbekannten Menschen üblich ist, aber nicht lange genug, als dass ich sicher sein könnte. Ich mustere den Typ neben ihr. Einen Kopf größer als ich und augenscheinlich kräftiger, wenn er auch nicht so ein Arschloch zu sein scheint, wie das Riesenarschloch 1983. Ich weiß ja nicht, wie der Typ drauf ist und frage mich, wie ich mich fühlen würde, wenn irgendein dahergelaufener Typ MEINE Frau ansprechen würde, während ich daneben stehe, so nach dem Motto „kennen wir uns nicht?“ und ich muss sagen: ich käme mir wie ein kompletter Trottel vor und würde wahrscheinlich SEHR sauer, wenn nicht gar eifersüchtig reagieren.

Und während ich noch wie ein pubertierender Teenager überlege und mich frage, ob oder ob nicht ich mich vergewissern soll, ob Louise wirklich Louise ist und wie Mister Ehemann oder Freund reagiert, geht die wandelnde Schrankwand augenscheinlich für Louise und sich einen Glühwein holen.

Die Gelegenheit ist günstig: ich bin 35 Jahre alt, beruflich und privat erfolgreich und verheiratet, kann leidlich gute Satiren schreiben und habe mich in meinem Leben schon so oft blamiert, dass es auf ein Mal mehr oder weniger nicht ankommt. Also nehme ich trotz oder wegen meines zweiten Glühweins geraden Kurs auf se Person formally known as ThiloS´ Freundin. Und als ich so strolch über den finsteren Markt, da ruft´s mich mit heller Stimme an: „Thilo? Bist Du´s? «

Und wieder setzt mein Herz einen Schlag aus. Ja, sie ist es. Louise nimmt mich zu meiner Überraschung spontan am Arm und küsst mich auf die Wange. „Ich war mir nicht sicher“ sagt sie. „Ich habe meine Brille nicht auf!“ Und wir müssen beide lachen, just like in old times, Mortimer.

Ich sehe sie an, dann auf den Kinderwagen (wobei ich es tunlichst vermeide, das Kind anzusehen, denn wenn einige Dinge anders gelaufen wären, dann hätte dies auch mein Kind sein können) und frage blöde „Deines?“ und sie antwortet volle Mutterstolz „ja, 2 Monate ist er alt“. Ich habe tausend Gedanken im Kopf und sehe ihr in die Augen. Dieses tiefe Blau ist immer noch da, wenn es auch 2-3 Fältchen um die Augen hat. Ihr Haar scheint dünner, aber sie scheint den Kampf gegen ihre niedlichen Sommersprossen endlich gewonnen zu haben.

Was nun? Smalltalk oder Fulltalk, bis der Vater des kleinen Rackers mit dem nächsten Glühwein wiederkommt und fragt, wer ich sei und was ich wolle? Die Zeit ist knapp. Wieviel Minuten braucht man, um auf einem vollen Weihnachtsmarkt einen Glühwein zu besorgen?

"Hast Du auch Kinder?" fragt Louise, um IRGENDWAS zus sagen.
„Zwei, aber die sind schon älter“ kläre ich Louise überflüssigerweise auf. „Oh“ sagt sie „Du bist auch verheiratet?“ (wobei ich das „auch“ sehr genau höre) „Ja, seit sieben Jahren.“

Wir lächeln uns an. Eigentlich würden wir uns gerne völlig andere Fragen stellen, uns stundenlang unterhalten, vielleicht uns noch einmal, ein allerletztes Mal, in die Arme nehmen, aber der im Hinterkopf dräuende Kindsvater und drei Minuten sind zu wenig, um 18 Jahre zu besprechen und ich sage „war schön, Dich einmal wieder zu sehen“ und sie sagt „ja, Dich auch, lebe wohl“ und sie streichelt mir zärtlich über die Wange und ich tauche wieder in die wuselige Masse der Weihnachtsmarktbesucher ein, vorsichtig meinen Glühwein balancierend, denn wir haben 2001 und nicht 1983 und ich bin glücklich verheiratet und habe zwei wundervolle Kinder.

Und doch..... ich denke bis zur Fußgängerampel an Louise.
Was hätte aus uns beiden damals werden können.....

Im Parkhaus konstantiere ich:
Unter Garantie GARNICHTS.

Und an der Schranke der Ausfahrt muss ich grinsen.
Sie ist eigentlich ziemlich alt geworden. Ist schon alles gut, wie es gekommen ist.

Und ich wette, sie denkt das Gleiche von mir.
 
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Kommentare  

Dieses Gefühl kennt schon jeder.Ich für meinen Fall hab es erlebt und muß sagen mir ging es wie den Mann in deiner Geschichte.

Bina (04.03.2003)

Nach dieser Geschichte hoffe ich nunmehr, meine männliche Louise doch nicht mehr zu treffen. Ob mir nach fast 20 Jahren noch die Knie zittern würden?

Milena Milde (03.02.2003)

Erst ist es furchtbar traurig und wohltuend schmerzhaft. Man möchte so richtig mitleiden, da man sich natürlich an ähnliche Fälle aus dem eigenen Leben erinnert. Und dann wirds zum Schluss herrlich schnodderig.
Die volle Wahrheit, Mann! Klar...wehmütig zurückdenken darf man...aber bitte nicht wirklich erleben. Pff! Nee danke, war schon gut, dass nix draus wurde.


Stefan Steinmetz (09.01.2003)

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