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3 Seiten

Er und sie

Trauriges · Kurzgeschichten
© Julia D.
Er sah sie an. Wie schön sie war. So wunderschön. Das wusste er. Das hatte er schon immer gewusst. Auch als er noch bei ihr sein konnte.
Da stand sie nun. Ihr Haar ungekämmt, fiel über ihre Schultern. Eine Strähne hatte sich an ihre Wange verirrt, wo sie hängen blieb, an ihre nass feuchte glänzende Wange. Der rosige Ton von ihr war verschwunden. Nur ein bloßer dunkel roter Schimmer war zu sehen. Viel zu stark für ihr zartes Erscheinen, wie er fand.
Sie stand am Fenster, hatte die Arme vor ihrer Brust verschränkt. Sie hatte dieses graue T-Shirt an. Er wusste noch wie sie es das erste mal getragen hatte. Sie hatte bei ihm geschlafen und er hatte sie morgens im Arm und tief ihren Duft eingeatmet und an einem Faden an ihrem Shirt gespielt, bis sie aufwachte und ihn mit ihren verschlafenden Augen ansah.
Sie hatte ihre Lippe fest zusammen gepresst und atmete fast lautlos die Luft langsam ein und aus, ein und aus, ein, aus, ein, aus...
Er trat einen Schritt vor. Fast hinter ihr stand er. Er holte tief Luft und versuchte noch einmal ihren Geruch zu erhaschen. Nein, sie roch nicht so wie damals. Er sah zu dem Faden, am Ärmel des grauen T-Shirts. Er griff langsam danach. Doch bevor er ihn zu fassen bekam, bewegte sie sich. Sie rieb ihre Hand an ihren Arm hoch und runter, um die entstehende Gänsehaut zu verhindern. Er trat zurück.
Sie drehte sich um. Sah ihn nicht an, sondern ihr Blick fiel schräg hinter ihm auf den Boden. Er erschrak. Ihr Mund, wirkte so dünn und fad. Ihre Farbe war verschwunden, sah sie doch aus, wie seine Oma. Damals auf der Beerdigung. So eingefallen sah es aus. Aber sie war doch so jung. Wirkte sie jetzt so alt und krank. Nicht alt und krank, sondern verletzt.
Nein, dass wollte er nicht. Soweit sollte es doch nicht kommen. Dass war nie seine Absicht gewesen.
Mit weichen Schritten, ging sie an ihm vorbei. Kein Luftzug oder ihre Nähe, nichts spürte er. Nur das kalte Dasein seiner selbst und die unaufhörlichen Schreie in seinem Kopf, die ihn verfolgten. Das Schluchzen das tief vom Boden kam und ihn innerlich zeriss.
Sie lief zu ihrem Sessel. Nicht ihrem, sondern den Sessel von ihr und ihm. Das fahle Licht, das ins Zimmer fiel und dem sonst so warmen Raum, einen Eindruck einer verlassenden Schule verlieh, warf Meter lange Schatten.
Er folgte ihr. Weine nicht, wollte er sagen. Ich liebe dich, drängte sich hoch. Verzeih mir, brannte ihm auf der Seele. Doch wusste er, dass er dafür zu spät war.
Als sie in den Sessel sank, wirkte es, als ob das weiche Polster, sie verschlingen würde. Er streckte seine Hand kurz aus, sah aber ein, dass es nichts bringen würde. Nicht so.
Er kniete sich vor sie. Ihr Blick so leer, sah nicht ihn an. Sie legte den Kopf zur Seite, starrte durch ihn durch. Er folgte ihren Augen. Ihre einst so tief blauen Augen, die jetzt mit einem grauen Schleier bedeckt waren.
Sie sah auf den Boden. Ein Fleck. Sein Fleck. Er hatte sich in den Finger geschnitten und geblutet und ihren beigen Teppich versaut. Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Verschwand aber auch genauso schnell, als ihm einfiel was er vergessen hatte. Der Grund dafür, dass sie dort saß. Der Grund warum er sie nie wieder berühren konnte, warum sie getrennt waren, obwohl er doch so nah war.
Der Streit war es gewesen. Es war ein dummer Grund gewesen. Warum? Er war stur und dumm gewesen. Wie immer.
Er hatte am Steuer gesessen. Sie neben ihm. Er war zuerst laut geworden. Oder doch sie? Sie schrie laut und er war so sauer gewesen. Was hatte sie ihm gesagt? Das wird dich noch mal umbringen! Ja das wars. Er hatte angehalten und sie stieg damals aus. Sie sagte, dass sie ihn nie wieder sehen wolle und verschwand im Haus.
Damals hatte er vor am Morgen mit ihr zu reden. Zu Hause, da wusste er was er zu tun hatte. Nachts ist er zu ihr gefahren. Mitten in der Nacht.
Sie stand auf. Sie schien zu schweben. Legte sich einfach ins Bett. Ohne ein Wort. Sie sah auf ihr Kissen, welches sich schnell, mit lautlosen weinen, mit dunklen Flecken tränkte. Dunkle kleine Tropfen.
An diesem Abend war er zu ihr gefahren. Hatte sich seine Entschuldigung schon zurecht gelegt. Im Gedanken war er an der Tankstelle vorbei gefahren. Blumen. Blumen wollte er holen. Das war es. Blumen. Er hatte gebremst. Und als das Blitzeis ihn überraschte und er das Lenkrad herum riss und in die Gegenfarbahn fuhr und seitlich, von dem wahrscheinlich einzigen, um die Zeit fahrenden Lastwagen, erfasst wurde, hatte er doch nur an sie gedacht. Als seine Beine, Rippen und sein Arm brach, sein Kopf zurück gerissen wurde und der Schmerz im Nacken, die anderen Brüche vergessen ließen, sah er nur sie. Kein Licht, keinen Tunnel mit seiner verstorbenen Oma am Ende, keine Stimme oder Engel. Nur sie.
Er legte sich neben sie und wollte an dem Faden spielen. Seine Finger griffen ins Leere und sie bekam eine Gänsehaut. Doch wenn er die Augen schloss und sie wieder sah, mit ihrem langen blonden Haar, dass so herrlich duftete, dann konnte er auch den Faden fühlen, wie er zwischen seinen Daumen und Zeigefinger sich hin und her bewegte.
 
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Kommentare  

The sixth sense in Kurzfassung?

Chris Stone (25.03.2005)

Eine echt schöne Geschichte mit einem unerwarteten Ende:) Mir gefällt dein Stil.

 (07.02.2005)

wunderschön......... hab ja bis zum schluß vergeblich auf ein happy-end gewartet, was aber durch die überraschende Wendung zunichte gemacht wurde... so richtig schön traurig... klasse schreibstil! (nur so am rande ;o)) ich denke meine vorkommentaren haben ansonsten schon alles gesagt................

*Becci* (08.01.2003)

Von Anfang schon an hat mich beim Lesen ein kühler
Hauch gestreift... und am Ende hatte ich dann auch
eine Gänsehaut. Sehr schön schaurig-traurig!


Trainspotterin (19.12.2002)

Sehr schön geschrieben, bringt eine tolle Stimmung rüber. Ich freue mich schon auf die Zusammenarbeit mit Dir an der Fortstzungsgeschicht.

Dachenlord


Drachenlord (06.11.2002)

Genial. Ich habe selten solch Geschichten gelesen in denen die Stimmung und die Situation so einfülsam beschreiben wird. Ich liebe deinen Stil

Jingizu (26.03.2002)

Die Geschichte ist dir gut gelungen, der Leser wird im Verlauf immer mehr auf die Tatsache aufmerksam, dass irgendetwas nicht mit IHM stimmen kann, und die Vermutungen die man hat, werden dann am Schluss bestätigt. Probiere das nächste Mal einmal aus, wenn du den Personen Namen gibst, denn durch das ER und SIE wirken die Sätze *manchmal* etwas gestelzt.
Die Beschreibungen in deiner Geschichte sind sehr gut, ich konnte mir SIE gut vorstellen, wie SIE aussieht. Das ist das Wichtigste: Dass man sich das Geschriebene vorstellen kann... und das ist dir exzellent gelungen!


SabineB (25.03.2002)

Das ist eine sehr gute Geschichte. Man kann lange darüber nachdenken und sie geht auf Grund ihrer Traurigkeit sehr unter die Haut! Man merkt das Du ein qualitativ wertvolles Talent hast, also schreib weiter solch unglaubliche Geschichten!!! Ich freu mich schon mehr von dir lesen zu können. Natürlich 5 Punkte!

Loser (22.03.2002)

Eine anrührende Geschichte mit überraschendem Schluss. Schön, ohne kitschig zu sein. Diese Geschichte macht neugierig auf mehr von Dir.

Stefan Steinmetz (20.03.2002)

Eine tolle Geschichte, mit einer Wendung, die man nicht sofort erwartet.
gute Schreibweise.
hat spaß gemacht zu lesen.
Weiter so!
Volle Punktezahl


nide (20.03.2002)

WoW, die Story ist gut- richtig gut!!!!!!!!!! Großes Lob von mir. Alles richtig einfühlig und nachvollziehbar beschrieben und bis zuletzt hatte ich gehofft, daß sie ihm verzeiht... was das Ende allerdings nicht zuläßt. Es kommt so unerwartet wie eine plötzliche Ohrfeige und reiß die Geschichte mit einem mal herum.
5 Punkte!


Destiny (19.03.2002)

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