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Auf der anderen Seite der Welt (C)

Romane/Serien · Nachdenkliches
I. Die Anreise

München, Schlachthofviertel, Zenettistraße; raus auf die Lindwurm-,
dann links ab in die Implerstraße, durch Sendling, in die Brudermühlstraße, über den Flaucher, auf dem Ring durch Giesing, den Stau am Heizkraftwerk Süd ausgestanden, vorbei am Löwenstadion, geradeaus in die Tegernseer Landstraße, runter in den Mc Graw-Graben, auf die A8. Am Inntaldreieck Richtung Salzburg, dann weiter, auf der A1 bis Wien, um den Stadtring herum, hinüber nach Ungarn, einen kurzen Schlenker südwärts, auf der M1, bis kurz vor Budapest. Da dahinter ohnehin alle Autobahnen enden, empfiehlt es sich bereits hier auf die am besten ausgebaute Landstraße zu wechseln. Die M0 ist die südliche Umgehung der Magyarenmetropole und wer nicht gerade das Pech hat im Berufsverkehr stecken zu bleiben, kommt auf ihr relativ rasch auf die M5, der er eine Ausfahrt lang stadteinwärts, Richtung Flughafen, folgt. An diesem vorbei gelangt man auch wieder einigermaßen unkompliziert aufs Land. Für den, der sich hier etwas unsicher fühlt, aber auch aufgrund der ständigen Straßenbauarbeiten in und um Budapest herum, ist es sicherlich ratsam sich eine aktuelle CD für sein Navigationssystem zu besorgen.
Über Land wird die Sache dann übersichtlicher; auf der E60 geht’s bis Püspökladány, Richtung Debrecen; Oradea liegt bereits hinter der Grenze, in Rumänien; Cluj-Napoca, Târgu Mureş; - die Ortsnamen sprechen für sich, wer sich bisher über die stetig schlechter werdenden der Straßenverhältnisse geärgert hat, sollte durch Transsylvanien und über die Karpaten eine Kassette mit beruhigender Musik einlegen. Ab Târgu Mureş ist es mühselig darüber auch nur einen Gedanken zu verschwenden und bis Bacău wird sich daran auch nichts ändern, und dahinter schon gleich zweimal nicht. Bis zur moldawischen Grenze ist es ab Huşi, auf der E581, bestenfalls noch eine halbe Stunde. Moldawien selbst ist so klein, dass man am Ende kaum fassen kann, schon durch zu sein, zumal hinter Chişinău die Straße wieder besser wird, - zumindest bis Tiraspol. Daran vorbei geht’s in die Ukraine, geradewegs nach Odessa. Hier fädelt man sich auf die M23, Richtung Mykolaïv ein. Außerdem ist es ratsam hier einen kleinen Imbiss einzulegen, da sich in Odessa der letzte Mac Donalds bis Peking findet. Wer im übrigen noch nie das schwarze Meer gesehen hat, - rechts, das is’ es; - allerdings bekommt man von dessen Anblick während des weiteren Verlaufs der Strecke noch mehr als genug.
Nördlich der Krim liegt der Distrikt Kherson, aber das fällt nicht weiter auf; man durchmisst ihn nahezu wie auf einer Linie.
Von Melitopol’ zu Mariupol’, dann über die Grenze nach Russland; – und wer bisher geglaubt hat, es ginge, was die Straßenverhältnisse betrifft, nicht noch mieser, der muss jetzt einsehen, dass er sich geirrt hat. Aber, ihren Gesichtern nach zu urteilen, wissen die Leute hier wenigstens ein ordentliches Stück deutscher Wertarbeit zu schätzen, wenn man sie mit dem Benz überholt.
Rostov-Na-Donu, - man überlegt ob das irgendwas mit Rostock und Donau zu tun haben könnte; nachdem einem einfällt, dass man die längst hinter sich hat, ebenso wie das schwarze Meer. – Wieso heißt das schwarze Meer eigentlich schwarzes Meer? – Vielleicht weil die Dreckbrühe aus der Donau reinfließt? Aber vielleicht geht ja die Donau hinter dem schwarzen Meer weiter? Wo hat so ein Meer eigentlich seinen Abfluss? Irgendwann müsste die ganze Suppe doch übergehen? – Kaum ist man in Russland beschäftigen einen die ungeheuerlichsten Fragen; - kein Wunder, dass die größten Schriftsteller aus diesem Land stammen; - das muss an der Luft liegen.
Hinter Rostov jedenfalls orientiert man sich südwärts, denn, selbst wenn die Verlockung über Volgograd, auf einer ausgebauten und schnurgerade eingezeichneten Autobahn zu fahren groß ist, an der kasachischen Grenze, hinter Volgograd, führt keine Straße weiter ins Landesinnere. Vermutlich stünde man dann mitten in irgendeinem Krater eines ehemaligen Atombombentestgebietes. Man nimmt von Rostov aus die M29 bis etwa Nevinnomyssk, dann fährt man links, auf die Landstraße Richtung Stavropol, um dann bei Svetlograd Richtung Elista abzubiegen. Bei Astrachan, direkt an der Küste des kaspischen Meeres, überquert man die Grenze nach Kasachstan. Spätestens dann merkt man, was sich in Russland noch halbwegs zurecht eine Nebenstraße nannte, wird hier zur Piste. Die A340, entlang der Nordküste, ist hierfür das beste Beispiel. Dafür geben die Leute hier ein noch dankbareres Publikum, als in Russland; vor allem, glaubt man zu spüren, nehmen sie den Deutschen den Weltkrieg hier nicht mehr übel; es ist zwar nicht ratsam den Wagen zu verlassen, aber als erfahrener Fahrer fühlt man so etwas alleine schon beim Überholen; - und überholen kann man hier, dass es ihnen die Planen ihrer Muligespanne nur so um die Ohren fetzt. – Hier ist man Chef, hier darf man’s sein!
Über Atyrau führt die A340, nahezu kerzengerade, entlang der Bahn, bis Dossor, dort trennt sie sich auf und es bleibt die Entscheidung, ob der Aralsee von unten her, über Usbekistan her angegangen, oder besser ein kleiner Umweg zur Umfahrung im Norden in Kauf genommen werden sollte. Der Süden, in dessen weiteren Verlauf die Strecke durch einige weitere Länder führt, ist etwas für Abenteurer, der Norden ist die Vernunftlösung, da man hier im Land bleiben kann. Nun ist Kasachstan zwar der Arsch der Welt, aber weiter unten kann es, nach allem was man so gehört und gelesen hat, passieren, dass einen Bin Laden und Mullah Omar mit der Kalaschnikow um eine Mitfahrgelegenheit bitten.
Über Makat geht es also weiter, der A340 folgend, bis Oktyabr’sk. Hier besteht die Möglichkeit abzukürzen, da diese Straßen aber in ihrem Verlauf meist zu Sträßchen werden, die dann zudem vielfach einfach in der Einöde enden, ist davon abzuraten dies’ ohne ein zuverlässiges Navigationssystem zu versuchen; Aktualität ist dabei weniger gefragt, weil es scheint, als habe hier seit Dschingis Khan niemand mehr Straßen angelegt. Außerdem scheint es in ganz Kasachstan keine Autowaschanlage zu geben und wer Wert auf ein gepflegtes Erscheinungsbild legt, sollte besser auf der Hauptstraße bleiben; - und, nebenbei bemerkt, gerade die Deutschen sollten auf ihr Auftreten im Ausland ganz besonders achten. Außerdem schmirgelt der Sand am Lack und der Aufpreis für Bordeaux-Metalic war schließlich kein Klacks.
Je weiter man nach Osten kommt, desto fremder erscheint einem alles, zumal abseits der Hauptstraßen. Irgendwo stand ’mal zu lesen, das sie hier zum Bauen der Häuser getrocknete Kuhscheiße aufeinander stapeln; - und ehrlich gesagt, - genauso sieht’s auch aus, zumindest soweit sich das mit einem Blick durchs Seitenfenster beurteilen lässt. Dafür wird jetzt öfter patrouilliert und im Gelände fahren Panzer durch die Gegend. Man fragt sich was die verteidigen wollen; - gestapelte Kuhfladen, oder was? Mitunter lässt sich sogar ein Fuchs Spürpanzer ausmachen, - wenigstens da haben sie nicht gespart. Überhaupt sieht man die ganze Fahrt hindurch überhaupt keine Zivilisten, nur dick vermummte Soldaten, aber niemand kontrolliert; sie winken, - vermutlich halten sie den Benz für den Wagen ihres Präsidenten, oder Königs, oder Sultans, oder was die da haben.
Zwischen Embi und Shalqar kommt man auf die M32, ab da ist es nur mehr ein Fingerschnipp bis Aral’sk. Ab jetzt geht es steil südwärts, über Leninsk, Qyzylorda, Chiili und Turkistan, die Syrdarīya entlang, bis Shymkent. Hier mündet die M32 in die M39, die entlang der Grenze zu Kirgisistan, geradewegs bis nach Almaty, der Hauptstadt Kasachstans, führt. Es ist eine überraschend schöne Gegend hier; nicht mehr diese ewige, platte Ödnis, sondern Berge, Sümpfe und Bäume; - aber auch das kriegt man irgendwann satt. Die Städte dagegen sind sowieso wiederum keine Schmuckstücke. Grau vom verwitterten Lehm, - oder Kuhscheiße, - und grau vom Beton der Mietskasernen; man möchte’ hier nicht begraben sein und da der Weg zur Hauptstadt hin überall ausgewiesen ist, erübrigt sich auch deren Benennung.
Hinter Almaty führt die A350 wieder nordwärts. Ab Kapchagay muss man drei addieren, denn jetzt heißt die selbe Straße A353. In Saryozek, bevor es die drei wieder zu subtrahieren gilt, biegt man ab auf eine Landstraße Richtung Panfilov; es ist dies’ der nächst größere Ort vor der Grenze zu China.

Wer die Chinesen bislang als freundliches Völkchen kennen gelernt hat, wird hier eines besseren belehrt. Zuhause sind sie ständig am Grinsen, wenn sie einem die süß-sauer Suppe bringen, hier tragen sie Gewehre und machen Minen wie Rapper aus dem tiefstem Harlem. Man sieht den Wegweiser zum nächsten Ort hinter dem Schlagbaum, aber sie versperren stur die Fahrbahn. Das beste ist es sich gar nicht erst auf Diskussionen einzulassen, sondern zu warten bis es Nacht ist und dann einen Feldweg um den Zoll herum zu nehmen.


II. Impressionen eines Unzugänglichen

Yining heißt die erste Stadt durch die man kommt. Es ist zwar noch Nacht, aber sehr wohl auszumachen, dass allzu chinesisch, das Ganze nicht aussieht; eher trist, - aber na ja, ich muss ja hier nicht leben. Viel enttäuschender ist, dass es um die Autobahnen kaum besser bestellt zu sein scheint, als in Kasachstan; seit Budapest geht es nur noch bergab, dabei hätte ich gerade in China eine entwickelte Infrastruktur erwartet; - was tun diese eineinhalb Milliarden Menschen bloß den ganzen Tag? – Arbeiten die? – Und wenn? - Was? – Und wie verteilen sie ihre Produkte, wenn es keine anständigen Straßen gibt? Es ist zum Kotzen. Ständig hört und liest man von nichts anderem als vom Elend in der Welt und wenn man dann die Bilder dazu sieht, geht einem der Hut hoch; da dösen sie neben ihren Dreckbergen und hoffen auf Allah oder die UNO, oder sonst wen, anstatt dass ’mal einer auf die Idee käme anzufangen mit Aufräumen. – Ich meine uns schenkt ja schließlich auch keiner ’was.

Seit der Durchquerung der kasachischen Tiefebene fühle ich mich wie aufgedreht und der Benz knackt wie eine Hochspannungsleitung im Winter, außerdem macht er gut fünfzig Sachen mehr und, - seltsam, ich muss nicht mehr tanken, - aber desto schneller komme ich ans Ziel; - zu sehen gibt’s eh nix.
Seltsame Musik spielen sie hier im Radio; hört sich an wie die Druckluftbremsen eines Sattelschleppers, werd’ ich wohl wieder die Flippers einlegen müssen.
Ich fahre ostwärts, der Morgen dämmert, der Himmel ist tief verhangen, es nieselt leicht, ringsum bedeckt sattes Grün, soweit man schauen kann, die sanften Hügel, nur gut dass ich genügend Stullen mit habe.
Die Hügel werden zu Bergen, dann endlich, eine Herausforderung, - Serpentinen; allerdings ohne Leitplanken, - typisch, - aber umso besser. Der Benz läuft wie ein Uhrwerk, schleudert hinauf, wie einst Walter Röhrls Quattro. – Yeah, ich bin der Kaiser von China, - on top of the world! Plötzlich, hinter der letzten Spitzkehre macht es einen Schlag. Gerade noch war ein vorüber huschender Schatten vor dem Kühlergrill zu erkennen; es holpert. Quietschend krallen sich die 295er in den Asphalt; Gott sei Dank hab’ ich ABS. Keine Frage, da is’ mir irgendwas unter die Räder gekommen. Ich lasse das Fenster herunter, gucke nach unten. – Ach „da schau her, so ein Glück“. – Diese Viecher kannte ich bisher nur aus dem Fernsehen, - ein Panda.
Es is’ offenbar noch ein junger, aber dennoch ’n ziemlicher Brocken, sehr beeindruckend. So weit zu hören war, ist nichts gesplittert, - Benz is’ schon Spitze. Ich reiße eine Dose Paulaner auf, proste stellvertretend dem Bären unter mir zu: »Sorry altes Haus, aber Panda gegen Benz, das konnte nicht gut gehen«. – Und trinke auf den alten Karl. Trotzdem werd’ ich beim nächsten Check die Spur vermessen lassen, sicher ist sicher und vielleicht lassen sich die Kosten ja irgendwie einklagen, - vielleicht hat das Vieh jemand ausgelassen, oder es is’ aus einer Zuchtstation entlaufen.
Ich war schon immer Chinafan; Chop Sui, Bami Goreng, Wan Tan, Sushi, - diese ganze Scheiße, - ich könnt’ mich rein setzten; und dann der Spruch: „Der Weg ist das Ziel“! – Genau meine Filosofie. Aber letztlich beflügelt es doch unwahrscheinlich diesem Ziel endlich näher zu kommen. Mein Ziel ist nämlich die chinesische Mauer. - Ich kenn München, Andechs, sogar die Burg Trausnitz und war auch schon auf Herren Chiemsee, aber jetz’, - dacht’ ich, - schaust ’ dir ’mal die chinesische Mauer an. Kultur is’ nämlich wichtig, besonders diese Konfusianer haben mir’s angetan: „Ein Schmettelingsfurz kann ein ganzes Erdbeben auslösen“. – Oder dieser Lotse: „A bissl schiach is’ nia schlecht“*1, - „Ich weiß alles, dadurch dass ich alles weiß“*2, - „Wer zuerst kommt, malt zuerst“*3, - „CSU“*4, - „A Rechtsschutz is’ nie verkehrt“*5, - „Passt scho’“*6, - „Ja woher soe i des wiss’n“*7, - „Leck me am Osch“*8, - „Vögeln“*9!
Und dann diese Jahrtausende alte Tradition und das alles, - fast wie in Bayern, nur dass deren Regierungspartei noch nicht so fest im Sattel zu sitzen scheint wie bei uns; immer wieder müssen sie hier irgendwelche Aufstände niederschlagen.

Bis Jiuquan, dem westlichen Ende der Mauer, ist es nicht allzu weit. Weniger angenehm ist allerdings die Durchquerung einer weiteren Wüste und, dass mir langsam die Marlboro ausgehen.
Vielleicht sollte ich mich an dieser Stelle einmal kurz vorstellen: Mein Name ist Franz-Josef Heiligenbichler, ich bin selbständiger Immobilienmakler in München und Versicherungsvertreter für die Allianz, außerdem spekulier’ ich, mehr oder weniger erfolgreich, an der Börse. – Tja, was noch? – Ich bin F.C. Bayern Anhänger, geschieden und eingetragenes Mitglied in der Partei; ansonsten bin ich Individualist. Das Haus in dem ich wohne gehört mir vom Dachboden bis zum Keller, ich hab’s von meinem Vater geerbt, allerdings ist der größte Teil vermietet; - eine Wohnung sogar an einen Neger, seine Frau putzt bei mir, dreimal wöchentlich, eine Äthiopierin, ausgesprochen hübsch, - so etwas wie ein Hauch von einer Frau. Ich steh’ eigentlich sowieso auf das Exotische, vielleicht ist das auch der Grund weshalb ich überhaupt hierher gefahren bin, Chinesinnen sollen ja auch recht zierlich und fleißig sein. Im Benz, denk ich mir, kannst du diesbezüglich bestimmt Punkte machen; - schau’mer ’mal.
Wie gesagt, das letzte Stück Fahrt ist nicht mehr weit, aber es gilt eine Provinzgrenze zu überfahren, und hier wird, wie ich feststelle, verstärkt patrouilliert; ich habe Glück, dass mich niemand aufhält. Weniger Glück habe ich in Jiuquan selbst.
Die Mauer ist schon von der Hauptstraße aus zu sehen, wie sie sich übers Land windet. Ich halte direkt darauf zu, aber desto näher ich komme, desto enttäuschter bin ich; auf Bildern und im Fernsehen wirkt sie bedeutend gewaltiger und, vor allem, höher. - „Na ja, vielleicht wird das ja noch in ihrem Verlauf“. Ich habe von Anfang an mit dem Gedanken gespielt sie abzufahren, von vorne bis hinten, aber nicht nebenher, sondern auf ihr.
Ausgangspunkt der bedingt großen Mauer ist eine Burg, davor ein leerer Parkplatz. Offenbar ist heute Feiertag, oder ich bin zu früh. Als ich die Schranke umfahre winkt mir schon der Parkwächter hinterher, ein klappriger Alter mit Dienstmütze und offenem Uniformjackett über dem gelblichen Unterhemd; was will die Krücke von mir? Ich fahre weiter; zum Ende des Parkplatzes hin führt ein Fußweg über ein Brückchen zur Burg hinauf; ich gebe Gas, Schotter spritzt, der Alte keucht hinterher; - ganz schön fit für sein Alter.
Vor der Burg befindet sich ein Rondell, ähnlich einem Kreisverkehr, inmitten des Beetes darin, eine Meditationseiche mit einer Holzbank darunter; aber das Burgtor ist herunter gezogen; - Scheißdreck! Ich warte auf den Parkzausel, als er endlich japsend neben mir steht, lasse ich die Scheibe ’runter. Ich bedeute ihm, dass er veranlassen solle, dass das Gatter hochgezogen wird. Er schwurbelt irgendetwas auf Chinesisch; ich äffe ihn nach um ihn anzuzeigen, dass ich sein Kauderwelsch nicht verstehe.
»Auf, auf«! Beharre ich. Ich sehe nicht ein, dass hier, an einem der welthistorischen Highlights, ein Schwachkopf das Sagen haben soll.
»Up, up«, versuche ich mich verständlich zu machen.
Er deutet mit der Linken auf meinen Wagen und mit der Rechten zum Parkplatz zurück, dann geht er mit Zeige- und Mittelfinger durch die Luft, wirft einige kehlige Laute ein, die sich mit der Röte seine Amphibienhaut in der Höhe der Tonart steigern. – Glaubt der Kerl allen Ernstes, ich würde hier zu Fuß ’rauf kriechen und meinen Wagen einstweilen auf seinem verseuchten Parkplatz stehen lassen? – Damit er die Tiraden anrufen könne und die ihrem Boss einen Benz klauen können?
Langsam aber sicher hab’ ich genug von China. Ich hätte gute Lust auf der Stelle umzudrehen und nach Hause zu fahren.
Ich sage: »Meister! – Entweder du machst jetz’ hier auf, oder ich sorge dafür, dass sich Mao Tsetung persönlich erhebt«.
Das scheint gesessen zu haben.
Aber, - hey, - er winkt ab und dreht sich um und, - »HEY«! – geht davon. »Ja so ein Arsch«! – Das ist die Scheiße mit diesem Kommunismus; wenn die Jungs hier nach Leistung bezahlt würden, dann würden sie einem Felgen polieren.
- »HEYEY!! ... – Na warte«.
Ich gebe Gas, die Reifen drehen durch, der Baum hinter mir verschwindet in einer Staubwolke, der Wagen schwimmt, ich lasse ihn los, mit Macht prescht er vor. Der Alte fängt an zu Laufen, ich gröhle; an der Brücke hab’ ich ihn. Alles was ihn jetzt noch retten kann ist ein Sprung in den Bach.
»JAWOLL«!! – Im Rückspiegel sehe ich seinen blöden Schädel gerade noch daraus auftauchen. Ich lache, jauchze, - das hat gesessen!
Aber Jiuquan als Ausgangspunkt meiner Besichtigungstour, werde ich wohl knicken müssen; ich glaube nicht, dass er mir das Tor trotz allem doch noch aufmacht. Die chinesische Mauer erstreckt sich etwa über zweitausendfünfhundert Kilometer durchs Land, mit all ihren Ausläufern und Verästellungen aber ist sie ganze zehntausend Kilometer lang; es wäre doch gelacht, wenn es sich da nicht irgendwo eine andere Auffahrt finden ließe.
Gaotal, Zhangyse, Shadan, Minqui, alles Orte die entlang der Mauer liegen, aber nirgends eine Auffahrt; nicht gerade touristenfreundlich, eigentlich unverantwortlich.
Irgendwo im Gebirge bei Wuwei zweigt die Mauer ab; ich überlege welchem Teil ich folgen soll; - der Kaffee in meiner Thermoskanne kühlt langsam ab. – Ich entscheide mich für den Strang in Richtung Süden und endlich, kurz hinter Yongdeng, ein offenes Tor, dahinter eine Auffahrt, der Schlagbaum ist oben, kein Parkwachtel weit und breit.
Ich fahre hoch; - kaum zu fassen: Ich und mein Benz, - wir beide -, auf der chinesischen Mauer, dazu ein herrliches Bergpanorama; das muss festgehalten werden. Ich hole den Fotoapparat aus dem Handschuhfach; hoffentlich krieg’ ich das mit dem Selbstauslöser noch gebacken, - is’ schon ’ne Weile her, dass der Verkäufer mir das erklärt hat. Ich reiß’ die Tür auf ...
... – RUMMS!!
»Scheiße«!
Ich komm’ nicht raus, die Fahrrinne ist zu eng, die Tür an der Mauer angeschlagen; - hoffentlich ist sie nicht im Arsch; - schade dass man den Architekten nicht mehr verklagen kann. Ich überlege, während ich in der Hoffnung, dass die Mauer an irgend einer Stelle breiter werde, weiter fahre, wer stattdessen bezüglich einer Schadensersatzforderung zu belangen sei; das Foto werde ich wohl zu Hause zusammenpixeln müssen; - ich im Benz, frontal, auf der chinesischen Mauer; - aber sehr viel weiter komme ich nicht. an einem Wachturm hinter der nächsten Biegung ist Feierabend; die Durchfahrt ist viel zu schmal. Wer, um alles in der Welt, frage ich mich, baut nur so einen Bockmist? – Wofür ist dann überhaupt die Auffahrt?
Ich lege den Rückwärtsgang ein und setze zurück, während ich mich ärgere.
Zur Auffahrt hin verläuft die Mauer in einer Senke; von hier hat man einen guten Überblick auf das was sich unten abspielt.
Dort packt gerade ein Typ in Militäruniform einen anderen am Schlafittchen und deutet auf mich. Der Kopf des Mannes ist hochrot unter dem Schirm seines Kapees.
Ich lasse das Fenster ’runter, halte neben den beiden: »Probleme Chef«?
»Hauwauschauwauwauwau...«, ist alles was ich verstehe; aber ich ahne das Problem, frage ihn ob er Deutsch versteht.
»Englisch«?
Er nickt, den anderen immer noch am Kragen haltend.
»What’s the matter, Sir*10«? Frage ich.
»Who let you up there*11«? – Der Akzent ist grauenhaft.
Ich denke an meine Wagentür und daran, dass ich vielleicht doch noch Schadensersatz einklagen kann. Ich deute auf den verdatterten Alten, dessen Kragen er immer noch umklammert hält: »He*12«!
Blöd ist das nicht, denke ich noch, während der Commandatore Befehle zur Wachhütte hin brüllt, die setzten nur Rentner als Parkwächter ein, - das kostet keine Sozialversicherung.
Aus der Hütte kommen, stramm, im Stechschritt zwei Soldaten. Der Gerneralleutnant wirft den Alten in den Staub.
»How much did he take for it*13«?
Ich kenne weder die Währung hier, noch wie viel sie wert ist, sage einfach ins Blau hinein: »Fifty*14«.
Der Majoroberst bellt einen kurzen Befehl. Die beiden Landser glauben ihn wieder auf, schleppen ihn weg, hinter die Hütte. Ein wenig leid tut er mir schon, - immerhin weint er.
»What will happen to him*15«? Frag’ ich.
»Liquidation«!
Ich hebe die Augenbrauen, das erscheint mir nun doch ein wenig überzogen, - aber kenne ich die Hintergründe schließlich nicht.
»Because off*16«?
»Corruption«!
Das klingt logisch und vom Prinzip her haben sie recht, die Chinesen; Korruption ist der Untergang einer jeden Zivilisation und muss an seiner Wurzel bekämpft werden. Langsam bekomme ich wieder Achtung vor diesem Volk. Schon Franz-Josef Strauß bezeichnete eine ähnliche Vorgehensweise bestenfalls als „unfeine Art“.
»Listen*17«, sage ich. – Ganz in der Nähe schnalzt trocken ein Pistolenschuss; gleich darauf noch einer. - »in Jinquan took the parkofficer seventy for the same thing*18«.
Des Mannes Augen blitzen auf: »Thank you for your help. We will catch him until you will be in Beijing*19«.
Er nickte mir freundlich zu und wünscht mir eine gute Fahrt, ich kippte den Handteller über der Schulter.
Eigentlich hatte ich überhaupt nicht vor nach Peking zu fahren, aber die Idee gefällt mir; - wenn ich nun schon einmal hier bin. – Diesen riesigen Kaiserpalast hab’ schon ’mal im Fernsehen gesehen; in einem Film. Ich weiß noch, dass er mit einem Jungen anfängt, der, glaube ich, zum Kaiser ausgebildet werden soll, - auch keine schlechte Berufswahl; - jedenfalls lässt zum Schluss ein Alter irgendeinen Schmetterling frei, oder so ähnlich. Ich muss zugeben, die Zeit dazwischen geschlafen zu haben; - na ja, aber was ich mitbekommen habe, war durchaus beeindruckend. Je länger ich darüber nachdenke, desto verlockender erscheint mir ein Ausflug dorthin.


III. Expressionen eines Ausdruckslosen

Um die Sache kurz zu machen: Peking war für’n Arsch. Die verbotene Stadt, wie der Kaiserpalast übrigens heißt, blieb für mich verboten; man wollte mich nicht hinein lassen. Als ich sagte, ich würde auch extra für den Kaiser Salut hupen, meinte man, der würde dort sowieso nicht mehr wohnen; - ich wusste übrigens gar nicht dass er umgezogen war, aber in meinen Augen war das nur noch ein weiterer Grund, der nicht dagegen sprach hinein zu fahren. – Aber wenigstens gab es in Peking einen Mac Donalds.
Ich habe mich dann, nach soviel Kultur und weil zu Hause die Termine nicht drängten, entschlossen, auch gleich den Mount Everest mitzunehmen. Auf der Fahrt dorthin ist mir etwas seltsames passiert.
Es war spät Nachmittags, im Tsangpotal, in Tibet, - das Gelände dort ist äußerst kurvig und unübersichtlich -, stand plötzlich etwas, - oder jemand -, unmittelbar am Straßenrand; riesengroß und haarig; - schätzungsweise so an die zwei Meter. Es, - oder er -, war wie aus dem Nichts hinter einem Felsblock hervor getreten, um die Straße zu überqueren; - im Nachhinein überlegte ich, ob er die Gefahr unterschätzt, oder aber mich ebenso, wie ich ihn, erst im letzten Augenblick bemerkt hatte; jedenfalls war es Glück, dass ich ihm nur über den Fuß gefahren bin. Ich bremste und kam, auf dem Schotter, trotz ABS, in einiger Entfernung zum Stehen. Ich ließ die Scheibe runter und sah nach hinten. Er stand auf einem Bein, das andere hielt er abgewinkelt in der Hand und untersuchte seinen Fuß, dann blickte er auf, schwenkte mir den Mittelfinger seiner Pranke entgegen und gurgelte mit dumpfer, dröhnender Stimme: »ARSCHLOCH«!! - Ich nehme an, dass er das „D“ am Heck meines Wagens gesehen hat -
Unter normalen Umständen hätte ich mit einem „Fick dich“, oder „Leck mich“, dagegengehalten, aber in dieser Situation, - ich muss es eingestehen -, war ich selbst einigermaßen verduzt.
Ich weiß es ist heikel so etwas nur auszusprechen, es ist ungefähr so, als würde man behaupten zu wissen wer Jack the Ripper gewesen sei, oder ein UFO gesehen zu haben, aber ich glaube fast, dass der Kerl, dem ich da über die Quanten gefahren bin, der Yeti war.
Wenn ich mich ohnehin schon entblöße, kann ich auch gleich noch von einer anderen Begebenheit erzählen, die mir davor passiert ist. Eigentlich wollt’ ich sie ja verschweigen, weil sie doch etwas weiter reichende Folgen hatte und vermutlich immer noch hat.
Es war an der Jangtse Staumauer. Ich nehme an, dass die Arbeiter und das Wachpersonal mich so ohne weiteres bis auf die Baustelle passieren ließen, weil sie mich für einen fußkranken, europäischen Ingenieur gehalten haben, oder für einen westlichen Politiker, der ihnen die Finanzierung dieses gigantischen Projektes ermöglicht hat. Die Staumauer selbst ist hundertfünfundachzig Meter hoch und knapp zweieinhalb Kilometer lang, dereinst soll sie einen See von über sechshundert Kilometer Länge zusammen stauen, gut zwanzigtausend Menschen arbeiten, rund um die Uhr auf der Baustelle; und in China herrscht, im Gegensatz zu Deutschland, noch hektische Betriebsamkeit auf den Baustellen. Zu der Zeit als ich vorbei kam, war das Projekt bereits weitgehend fertig gestellt, - zumindest bis ich einen der Arbeiter bat, einen Pflock, der allzu weit aus der Verstrebung einer Verschalung herausragte, zu entfernen, damit ich weiter fahren könne. - Es war, und das muss ich hier ganz deutlich betonen, nicht meine Schuld; ganz unzweifelhaft hat der Mann vergessen die Stütze wieder einzusetzen. ...
Gott sei Dank kam ich in der Folge ungehindert voran, da die Sirene inzwischen zur Mittagspause geblasen hatte und alle Arbeiter, wie in einer Prozession, zum Essen gegangen waren und Gott sei Dank waren mir inzwischen die Zigaretten ausgegangen, so dass ich lediglich mit den Schultern zuckte, als mich der Wachposten am anderen Ende des Tales um eine bat; vermutlich hätte ich ihm sonst noch Feuer gegeben, wir wären ins Gespräch gekommen und die Fluten hätten mich, wie ein Insekt die Klospülung, mit in den Abgrund gerissen. Das Getöse klingt mir heute noch in den Ohren, - es war, als ginge die ganze Welt unter -, einfach grauenhaft.
Aber wie gesagt, das war vor meiner Begegnung mit dem Yeti und sollte eigentlich nur am Rande Erwähnung finden, hinter vorgehaltener Hand quasi. Die Begebenheiten am Everest sind wesentlich kurzweiliger.
Ich hatte mir nichts vorgenommen, ihn einfach nur einmal in seiner ganzen Größe zu sehen hätte mir schon gereicht, dass ich aber bis auf den Gipfel gelangen könnte, wäre mir nicht im Traum eingefallen. Ursächlich dafür war der Gedanke, soweit zu fahren, wie es die Verhältnisse zuließen.
Ich war überrascht, wie weit die Straße hinauf führt; bis knapp zwei Drittel seiner achttausendwasweißichwieviel Meter. Überraschend war auch die Betriebsamkeit an seinen Flanken, fast hätte man glauben können am Watzmann zu sein, wo die aus dem Hofbräuhaus heran gekarrten Massen vom Biergarten in St. Bartholomä aus, zum Gletscher hinauf kadavern; Amerikaner, Japaner und Norddeutsche, fast macht es den Anschein als sei jene Besteigung, ebenso wie die des Mount Everest, Bestandteil einer Managerschulung.
Schon am ersten Basislager ging es zu wie auf dem Oktoberfest; in dicken Anoraks, mit Schneebrillen und weiß bemalten Lippen, saßen sie an Biertischen vor ihren Zelten und prosteten mir zu. Weiter oben allerdings sind sie dann weniger lustig, da könnte man sogar fast Mitleid mit ihnen bekommen, wenn sie nurmehr japsen wie die Blasebälger, die Köpfe lila, die Bewegungen wie in Zeitlupe. Je näher man dem Himmel kommt, desto mehr von ihnen haben offensichtlich aufgegeben; die einen indem sie umkehrten, die anderen, in der Hoffnung, den Gipfel letztlich schwebend zu erreichen; nicht wenige lederbespannte Gebeine in zerfetzten Kleidungsstücken sind im Schneesturm auszumachen.
Auch der Benz hatte einige Schwierigkeiten in der dünnen Luft, packte es aber soweit ganz gut. Allerdings ist die Anfahrt auf die letzten Meter des Daches der Welt nicht ganz unkompliziert; auch auf das Navigationssystem ist dabei kein Verlass, - daran sollte Herr Schrempp noch tüfteln lassen. Ganze dreimal habe ich den Anstieg umrundet, ehe sich mir eine Möglichkeit erschlossen hatte. Dabei offenbarte sich mir der Blick auf das wahre Ausmaß eines, seit jahrzehnten gepflegten touristischen Booms; - Müll, Müll, Müll -, mehr Müll als Schnee. Dort oben beeinträchtigt er zwar keine Umwelt, aber der Einzigartigkeit dieses Ortes nimmt er beträchtlich an Flair. Hin und wieder jedoch findet sich neben den Tetrapacks und Energiedrinkdosen auch etwas brauchbares, - dachte ich jedenfalls, als ich einen Fotoapparat entdeckte.
Eine Kodak, „G. L. Mallory“ stand auf der Rückseite eingraviert; ein uraltes Ding wie es den Anschein machte. Bestimmt gab es dafür noch nicht einmal mehr einen Film. Ich öffnete den Deckel, um nachzusehen, ob einer eingelegt sei; - es war einer drin, nunmehr allerdings belichtet.
Den Gipfel erreichte ich über die Luv; ich unterstelle ’mal, dass Bergsteiger die dem Wind zugewandte Seite genauso nennen, wie die Segler auf dem Starnberger See; - ich kannte da nämlich ’mal einen, der hat nur in diesen Begriffen geredet, ganz so als er sei der Kapitän der Nimiz.
Wie das Wasser im Tal zusammen fließt, sammeln sich die Wanderer auf dem Gipfel; hatten sie sich unterwegs, auf dem Massiv verloren, trafen sie sich am Konus, der Röhre gewissermaßen, durch sie alle hindurch mussten, wieder. Beinahe war es als lenkte ich den Wagen Samstag Mittags über den Viktualienmarkt; es war ein Wunder, dass ich niemanden über den Haufen gefahren hab’.
Oben ist eigentlich nix besonderes, keine Hütte, kein Kiosk, nichts, noch nicht einmal ein Gipfelkreuz gibt es und selbst die Erkenntnis, dass augenblicklich niemand höher stehe als er, ist für einen Bayern nichts neues.
Ein Zelt fiel allerdings ins Auge, heraus lugte mit verärgertem Ausdruck offenbar ein Einheimischer. Ich nahm an, dass dies’ so etwas wie der Platzwart hier oben war und nach Mittagspause sah mir sein Aufzug nicht aus. Wenn es nicht so stürmisch gewesen wäre, hätte ich das Fenster ’runter gelassen und ihn gefragt, ob er nicht langsam ’mal Lust bekäme ein bissl aufzuräumen hier; immerhin war es schon weit nach Mittag und er lümmelte immer noch im Schlafsack herum. Später habe ich dann einem Beamten des nepalesischen Forstwirtschaftsamtes, den ich zufällig im Tal traf, von der Begegnung erzählt und erfahren, dass der Mann gar kein Platzwart war, sondern vielmehr im Begriff stand einen Rekord zu brechen, der darin bestand, möglichst lange auf dem Gipfel des Mount Everest auszuharren; - gut dass ich nichts gesagt hatte, sonst hätte ihn das vielleicht demoralisiert. Ich hätte aber auch im laufenden Wagen warten und seinen Rekordversuch scheitern lassen können, und zwar desto schneller, je näher ich mit dem Heck an sein Zelt heran gefahren wäre, aber die Zeit für solche Kindereien hatte ich nun auch wieder nicht.

Wieder vom Dach der Welt herab, begann die Karre plötzlich unrund zu laufen. Ich sah auf den Tacho, dann ins Serviceheft und dachte, „seltsam, Inspektion ist erst in achttausend Kilometern; – wenn man die Kiste hier nur einmal waagrecht abstellen könnte um nach dem Öl zu schauen“.
Dann endlich, die Serpentinen bergab, kurz vor Katmandu, eine aufgemauerte Parkbucht und tatsächlich kaum mehr Öl in der Wanne; Frechheit, eigentlich sollte das irgend so ein Langlaufzeugs sein, - die ersten zwei Millionen Kilometer wartungsfrei. –„Auf wen, um alles in der Welt ist den überhaupt noch Verlass, wenn nicht auf Mercedes Benz“?
Auf der gegenüberliegenden Seite des Tals unter mir, pappte ein Kloster am Hang, vielleicht hätten die etwas Schmieröl.
Ich hielt am Portal, brauchte erst gar nicht zu hupen, schon öffnete sich die Pforte, - vermutlich hatten die mich bereits den Pass herunter kommen sehen; was auch sollen die den ganzen Tag machen als zum Fenster hinaus zu glotzen wie die alten Weiber.
Ein Seliger in rotem Vorhangstoff gewickelt schwebte heran; zum Gruß erhob er die Hand nach Klingonenart; ich ließ die Scheibe herunter: Ave«.
Er grinst.
»Meister! – wie schaut’s aus? Habt ihr hier Motorenöl«?
Das Gesalbte kann sogar Deutsch: »Sicher haben wir hier Motorenöl, aber ich fürchte nur nicht das, das sie brauchen. Wir betreiben hier nur unsere Geratoren, zur Stromerzeugung. – Ich gehe davon aus, dass sie welches für ihr Fahrzeug brauchen«?
»Nein, ich misch es mir ganz gern ins Cola; - Quatsch, natürlich brauch’ ich es für den Benz, aber, entschuldigen sie wenn ich frage, woher sprechen sie so gut Deutsch? Sind sie Deutscher«?
»Ich bin aus Frankfurt«. Seine Ruhe war unerschütterlich, fast erhaben; ich drehte die Flippers leiser.
»Gibt es hier irgendwo eine Mercedes Vertragswerkstatt«?
»Ja natürlich, ganz Nepal ist voll davon, schau’n sie sich nur um«.
»Ja, jetz’ wo sie’s sagen. Aber im Ernst, kann ich hier irgendwo meinen Wagen durchchecken lassen«?
»Wir haben hier zwar beträchtliche maschinenbauliche Kenntnisse und würden ihnen gerne weiter helfen, aber ich fürchte sie werden uns nicht gestatten Hand an den Motor ihres Wagens zu legen. – Wir sind hier eher am Seelenheil des Fahrers interessiert«
»Seid ihr schwul oder was«?
Sein Grinsen wurde breiter: »Wir haben allem körperlichen entsagt«.
»Dieser ganze Askeseschmarrn endet doch immer damit, dass er mit irgendeiner Perversität kompensiert wird«.
»Woher kommen sie gerade«?
Ich deute mit dem Daumen über die Schulter, »von da«.
»Und hatten sie da Sex«?
»Nicht wirklich«.
»Und sind sie darüber pervers geworden«?
»Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Kühe mich so seltsam anglotzen«.
»Das sind Yaks«.
»Was bitte«?
»Das sind Yaks«!
»Weil ihr daraus Jacken macht, oder wie? - Na aber wie auch immer, jedenfalls um auf den Punkt zurück zu kommen, - was ich brauche ist Motorenöl; - und zwar nicht der Yaks wegen«.
»Na sehen sie, es gibt auch noch anderes im Leben, es kommt nur darauf an, welchen Wert man den Dingen beimisst«. Das gefiel mir. »Kommen sie ’rein«, fuhr er fort, »trinken sie erst ’mal ein Glas Tee, dann werde ich sehen, was ich für sie tun kann«.
»Aber der Wagen! – Den werde ich hier nicht stehen lassen. ’ Ist ja alles offen hier«.
» ’ Ist ja auch niemand da der ihn klauen würde«.
»Ach, sie leben alleine hier«?
»Nein, aber ich verspreche ihnen dass ihm niemand etwas will«.
»Trotzdem wär’s mir lieber, wen ich ihn irgendwo unterstellen könnte«.
»Na schön«.
Er wies mir den Weg zu einem angrenzenden Hof, der zur einen Seite zum Berg hin lag, zur anderen von einer Mauer begrenzt war und von zwei Seiten vom Kloster umschlossen wurde.


IV. Die Bekehrung

Das Kloster war sehr spartanisch eingerichtet. Wer als Europäer ein großes Gebäude sieht, erwartet auch innen eine großzügige Raumgestaltung; ich war überrascht, wie klein und wabenartig alles war. Nirgends begegnete uns einer seiner Kollegen, ich vermutete sie hinter den niedrigen, grobgeschreinerten Holztüre den vorbei gehenden lauschend.
Endlich durchmaßen wir so etwas wie ein Foyer, das zu einer Halle führte. Bevor wir eintraten öffnete mein Führer eine Luke in der Tür um zu sehen, was sich drinnen tat.
Auf einem Kissen saß darin im Schneidersitz, uns mit dem Rücken zugewandt, ein glatzköpfiger, dürrer Alter in einem gelben Gewand. Schräg hinter ihm blieben wir stehen. Ringsum war es duster, so finster, dass man die Wände kaum ausmachen konnte, nur der Platz des Alten wurde durch ein Deckenfenster erhellt. Das Licht das auf ihn fiel schien mir heller, als es dem bewölkten Himmel nach hätte sein dürfen.
»Is’ das der Chef«? Wollte ich wissen. Niemand antwortete mir. Ich beugte mich leicht vor und versuchte es noch einmal: »Ist das der Oberguru«?
Daraufhin bezeigte der Alte meinem Begleiter mit einer knappen Bewegung des Kopfes, dass er sich zu äußern wünsche. Mein Frankfurter Mönch beugte sich zu ihm hinunter und hörte was er zu sagen hatte. – Nicht viel, wie es den Anschein hatte. Als er sich wieder aufrichtete fragte ich: »Und, was hat er gesagt«?
»Das sie die Klappe halten sollen«.
Ich tat ihm den Gefallen, wenn auch widerwillig.
Da standen wir also; ich lauschte, das einzige das ich hörte war mein Atmen. Nach einiger Zeit, - es war keine Absicht -, blies ich einen gehörigen Schwall durch die geblähten Backen. Der junge Mönch sah mich an, als ob ich laut „Scheiße“ gerufen hätte. Ich zuckte die Schultern, der Gesichtsausdruck dazu fragte, ob ihm etwas fehle, ob er ein Problem habe?
Arrogant wandte er sich ab.
»Hör’ ma’«, hob ich an und sofort schoss sein Zeigefinger an die zischenden Lippen.
Ich tippte den Alten, vor mir an: » ’Tschuldigung Meister, aber ich bin nicht zum Spaß hier. Ihr Kumpel hier hat mich mit ’rein geschleppt. Ich brauch nur ein bisschen Öl, dann bin ich auch schon wieder weg«.
Der Alte rührt sich keinen Millimeter.
»Hab’ ich ihn erschreckt? Is’ er tot«?
Der Junge blickte nur auf seinen Chef; als der endlich leicht nickte, konnten wir gehen.
Draußen wollte ich wissen, was das jetzt für eine Nummer gewesen sei?
»Das war der Abt«. Klärte der Junge mich auf, »er hat ihre Aura erkundet«.
»Ach was«. Ich muss zugeben, durchaus einigermaßen verduzt gewesen zu sein, das einzige das mir einfiel zu bemerken war: »Und das alles wegen einer Kanne Öl«?
»Wir warten hier auf jemanden«.
»Ich hätte ihm auch meinen Personalausweis zeigen können«.
Wir wanderten durch die düsteren Flure, - das heißt, ich wanderte, mein Freund schlich vielmehr. Der Boden bestand wechselweise aus groben Holzbohlen und aus speckigen Steinquadern; überhaupt war beim Bau des Gebäudes mehr Wert auf Funktionalität als auf Schein gelegt worden. Ich stelle es mir auch nicht ganz einfach vor in dieser Abgeschiedenheit einen solchen Kasten zu errichten.
Ich sagte: »Hör’ ma’, wen ihr vorhabt, die Hüte hier irgendwann ’mal zu verkaufen, dann wär’s nett, wen ihr zuerst an mich denkt«. Ich sah Scharen von Wanderern, die sich auf den Mount Everest schleppten und ich sah die Anzeige im Maklerblatt unter „Angebote, Asien“: „Hotel, ehem. Kloster, beste Lage, zw. Katmandu u. d. Berg d. Berge, - d. Mt. Everest, ideal a. Ausgangsp. f. Exped.“
»Wie heißt du eigentlich«, wollte ich wissen. Ich ging schräg hinter ihm und verstand nicht recht, was er antwortete; - Wau Wau oder so ähnlich.
»Is’ schon klar, das ist dein Künstlername hier, ab richtig mein ich«.
Beharrlich wiederholte er seinen Namen, mit dem er dereinst ins Nirwana einzugehen gedachte. Und wieder verstand ich ihn nicht.
»Okay Pan Tau, was ich wissen will ist, gehören zu der Burg auch noch irgendwelche Grundstücke«?
»Das ganze Tal, durch das sie gekommen sind«.
»Phantastisch«! – „D. Möglichk. z. Anl. e. weitl. Golfpl. i. vorh.“ – Das würde ein Selbstläufer und ich müsste mir neue Visitenkarten drucken lassen: „int. Makleragentur. F. J. Heiligenbichler“! Und bestimmt würde mein Frankfurter Ghandi einen Job als Liftboy bekommen. Auf unserem weiteren Weg durch die Gänge, besah ich mir die Wände, Böden und Decken etwas genauer.
An einer Nische, in der eine winzige, hölzerne Treppe die Deck durchbrach, bedeutete mir mein Führer kurz zu warten, was mir ganz recht war. Er entschwand ins Oberstübchen und ich hatte Gelegenheit Möglichkeiten eines Umbaus abzuwägen.
Die Holzverschläge, die offensichtlich die Räume abteilten trugen nichts und würden problemlos zu entsorgen sein. Der Steinboden ließ auf einen urigen Gewölbekeller schließen, der massiv genug war ohne weiteres Mauerwerk als Ersatz erlauben sollte. Schwieriger könnte sich das in den oberen Stockwerken, die aller Wahrscheinlichkeit nach, so wie das erste, über mir, allesamt von Holzböden getragen wurden, gestallten; - im Falle, dass die Stützmauern zu weit auseinander lagen müsste man eben solche einziehen, so dass man mit Fertigbetondeckenplatten arbeiten könne, oder zur Not eben die bestehende Deckenkonstruktion stehen lassen und Rigipswände aufziehen, - was dem Ganzen sicherlich eine gewisse Rustikalität verleihen würde.
Um zu ermessen wie weit die Deckenbalken, auf denen die Dielen des oberen Holzboden angenagelt waren, frei trugen, öffnete ich eine der Türen, die vom Gang abführten. Über einen grob geschnitzten Schwellenbalken trat ich in eine düstere Kammer ein.
Ein Tisch, ein Stuhl, ein Guckloch, ganz oben in der Wand, durch das ein grauer Strahl Tageslicht herein drang und eine Pritsche über der ein Mönch im Schneidersitz, - und ich traute meinen Augen kaum -, etwa einen halben Meter zu schweben schien. Nachträglich klopfte ich an die Tür und dröhnte, damit er mich auch bestimmt hörte: »MEISTA«!!
Krachend landete er auf der Pritsche, die sich aus ihrer Verankerung in der Wand löste und unter ihm am Boden aufschlug.
Vermutlich war er noch ein bisschen weggetreten, denn doof wie ein Kalb glotzte er mich mit großen Augen an; seiner asiatischen Züge wegen, gab ich mir große Mühe, mich verständlich auszudrücken: »Ich gucke wegen Decke, ...« und deutete nach oben, - »Architekt, - du verstehen«?
Nix verstand er, ich winkte ab; der Deckenbalken lag auf dem Außengemäuer auf.
Der Schwebemönch fabulierte irgendetwas auf chinesisch, oder Sanskrit, oder Suaheli. Als ich mich umwandte war bereits Gezeter daraus geworden und er stand auf einem Bein, das andere angewinkelt und die Hände vor dem Gesicht gekreuzt.
„Was will der Schwachkopf“, dachte ich noch, da donnerte bereits ein Handkantenschlag auf meine Brust der mich gegen die rückwärtige Wand schleuderte und mir den Atem raubte. Ehe ich zu kontern in der Lage war kotzte ich erst beinahe.
Auf dem Tisch, an dem ich mich abstützte, standen ein Glas nebst einem Tonkrug. Mitten in meinem Hustenanfall kam mir das Glas in die Finger das ich nach ihm schleuderte. Sein Ausweichen war lediglich ein kurzes Zucken und es zerdepperte an der Wand hinter ihm. Ich sah, dass ich keine Chance hätte; als ob sich der Stelle an der das Glas eingeschlagen war ein Alien entwinden würde, ignorierte ich ihn und starrte auf die Wand; das Atmen fiel mir zusehends leichter, theatralisch weitete ich Schrecken verkündend die Augen, schließlich hielt ich die Luft an und endlich wurde er neugierig darauf was hinter ihm vor sich gehe; er runzelte die Stirn und drehte sich langsam, wie ein Balletttänzer, auf einem Bein um. Meine Gelegenheit. Ich griff den Krug, holte aus und zog ihm ihn mit einer satten Vorhand über die Rübe. Nach vorn weg stürzte er in eine tiefe Meditation.
»Tja Bruce Lee, das war’s«. Den Griff des Kruges legte ich zurück auf den Tisch.
Just als ich die Tür hinter mir schloss, öffnete sich die Luke oberhalb der Treppe.
»Was war das für ein Getöse«? Wollte der erleuchtete Frankfurter wissen.
»Ach, keine Ahnung, ich schätz ’mal ihr habt hier ’ne Menge Ungeziefer im Gebälk«.
»Oder«, und damit deutete er auf die Tür des Raumes gegenüber, »Meister Yen trainiert, er hat Morgen einen großen Kampf«.
»Dann kann man ihm ja nur Glück wünschen«.

Der Gang endete an einer Tür, die größer war als alle anderen. Wir betraten einen Speisesaal, durch den sich drei lange Tischreihen zogen, an denen vereinzelt bereits einige Ghandis saßen. Meiner führte mich durch den Raum ans Ende des mittleren, längsten Tisches. Dort setzten wir uns jeweils zu beiden Seiten des Bürgermeisterplatzes.
Wir warteten.
Der Saal war bedeutend höher als die bisherigen Räume. An jedem Platz waren Kuhlen aus der Tischplatte heraus geschnitzt, daneben lag je ein Holzlöffel.
Speisekarte gab es offensichtlich keine, dafür einen Gong, so groß wie der Vollmond und laut, dass der ganze Bau vibrierte. Das Seitenportal öffnete sich und herein trat Karl der Große persönlich, - sogar in dem Alter in dem er heute sein müsste.
Das sei der Abt raunte mir mein Begleiter zu.
Gemessen schlurfte der alte Lurch durch die Kantine an unseren Tisch heran, wo er sich neben mich ans Kopfende setzte. Er nickte mir freundlich zu.
»Mahlzeit«, entgegnete ich.
Er wandte sich an meinen Begleiter zu seiner rechten, der sich über den Tisch beugte um sein Ohr an den Mund des Großmeisters zu bringen; vermutlich wollte der sich erkundigen was es heute zu essen gäbe. Trotzdem es mucksmäuschen still war konnte ich noch nicht einmal hören, dass er überhaupt etwas sagte; ganz sacht nur, wen ich lauschte, drang, wie ein heißer Furz, ein leises Wispern an mein Ohr.
»Der große Meister, Abt Buddha Ananda Metteya heißt sie herzlich willkommen«
»Joo, danke«; ich lächelte den Alten kurz an und nickte. »Könnten sie ihn«, flüsterte ich um die Ruhe nicht zu stören, »nach dem Öl fragen? – Für meinen Wagen, - sie wissen schon«.
Sichtlich freudlos Übersetzte er meine Anfrage. Bestimmt war ihm nicht erlaubt sie zu verschweigen oder zu verfälschen, also suchte er ihr wenigstens in schönen Worten gekleidet die Spitze zu nehmen. Mir war durchaus bewusst, dass es eigentlich eine Unverschämtheit war gleich so mit der Tür ins Haus zu fallen, aber „wer weiß“, dachte ich, „ob der Alte den Nachmittag überhaupt noch erlebt“. Vielleicht musste mein Freund auch noch erklären worum es ging, oder womöglich, was Schmieröl überhaupt sei, jedenfalls dauerte seine Ansage ewig.
»Castrol«, warf ich ein, »SLX«!
Der Abt gebot seinem Eiferer zu schweigen. Ton und Gebärde ließen nur zwei Schlüsse zu; - entweder er schickte gerade nach dem Scharfrichter für mich, oder er veranlasste eine umgehende Lieferung Hochleistungsmotorenöl. Ich vertraute auf letzteres und setzte an meinen Übersetzter, der auch sofort aufstand um den Befehl weiter zu leiten, gewandt hinzu: »Und drei Schachteln Marlboro Medium«.
Wieder nickte mir der Obermufti wohlwollend zu und ich nicht minder unverbindlich zurück; - wir zwei verstanden uns eben.
Das Essen wurde in einem Kessel von zwei Rotkutten herein getragen und mit je einem Schlag in die Tischkuhlen verteilt. Unser Tisch war zuletzt dran. Meine Kuhle lag noch wie frisch geschnitzt vor mir, offenbar aß selten jemand daraus, denn die des Abtes war vom langjährigen täglichen Gebrauch bereits tief schwarz eingefärbt. Offenbar hatten sie selten Gäste, und ein Grund dafür wurde mir klar, als sich die beiden Küchenmönche mit dem Pott näherten.
»Was ist das«? Entfuhr es mir, »Yakscheiße«?
Auf dem Tisch konnte ich es näher analysieren. – Eine graubraune Masse in der als einzig erkennbare Zutat, wie bereits dreimal verdaut, winzige Bröckchen Karotten auszumachen waren, dazwischen, als sei dem Spüler der Akkupaz in den Topf gefallen, aufgeweichtes Brot.
»Sei’n sie mir nicht böse«, sagte ich, »aber das kann ich beim besten Willen nicht essen«.
Old MacDonald lächelte nur und sagte: »I also not*20« und aß.
Mochte er seine Überwindung als einen weiteren Triumph des Willens über seinen Körper sehen und glücklich werden damit, aber ich meinte was ich sagte; ich konnte das Zeug wirklich nicht essen, eher hätte ich von meiner Arschbacke abgebissen.
»Ooh, habt ihr nicht ’ne Leberkäs’semmel oder so«?
Jetzt erst viel mir auf, dass er mich vorhin verstanden hatte. »Do you speak German*21«? Wollte ich wissen, aber es war ihm nichts mehr zu entlocken, er aß; vermutlich brauchte er alle Konzentration um die braune Pampe bei sich zu behalten.
»Versteh’n sie mich«? Versuchte ich es noch einmal, aber es war nichts zu machen, der Alte hatte auf Durchzug gestellt.
Ich gab mich gelangweilt und gähnte ein »blöde Sau« an die Decke, dabei beobachtete ich ihn aus den Augenwinkeln, aber wiederum, - oder doch? - Schmunzelte er?
Ich wartete bis er fertig sei, aber der Mann aß als warte er zugleich auf den Stuhlgang. Meine Exfrau kam mir dabei in den Sinn, die hätte auch immer von jeder Erbse am liebsten dreimal abgebissen, wie von einem Apfel.
Inzwischen kam mein Frankfurter Freund zurück.
»Und? – Wie schaut’s aus? – Hama Öl«? Fragte ich, das Ambiente war mir inzwischen wurscht.
»Wird wohl etwas dauern«.
Wen ich die Möglichkeit gehabt hätte, wäre ich zweifellos sofort aufgebrochen: »Wie lang«?
Er setzte sich und begann an seinem Haufen herum zu löffeln. »Mal sehen«.
Sicher schmeckte das Zeug kalt noch leckerer als es aussah: »An Guadn«.
»Dange. Essen sie nichts«. Zusehends, so hatte ich den Eindruck, wurde sein Ton laxer und ließ seine Herkunft ahnen.
»Ich lass mir’s einpacken«. Verdammte Scheiße, bisher war ich so schnell vorwärts gekommen und hier war ich gezwungen meine Zeit mit diesen Wiederkäuern abzusitzen; - wenn dabei nix heraus kommen sollte, nahm ich mir vor, würde ich, wieder zu Hause, in der Frauenkirche sämtliche Kerzen ausblasen.
»Wie lang ungefähr«? Drängte ich nochmals; aber ebenso wie aus seiner Heiligkeit, war auch aus seinem Novizen kein Wort heraus zu bekommen, solange er aß.
»Hör ma’«, sprach ich den Chef an, »mein Glauben verbietet mir mit dem eigenen Löffel zu essen; wenn es der eu’re nicht verbietet würde ich gern mit eurem Jünger hier tauschen«.
Es bedurfte keines Wortes und Pan Tau hielt mir seinen Löffel her. Ich nahm ihn und legte ihn zu meinem, dann fragte ich erneut: »Wie lang? – Ungefähr wenigstens«.
Ohne Löffel war er angeschissen. Erstaunt über meine Erpressung schüttelte er den Kopf. »Das kommt darauf an, wie passierbar die Wege sind. Bruder Sugith sagt im Dorf bescheid, damit sich von dort aus jemand auf den Weg nach Katmandu macht um das Gefragte zu ordern«.
Das hörte sich komplizierter an, als es sein musste. »Also bis wann? – Bis heute Abend«?
Beide schienen mir zu grinsen. - »Bis Morgen früh«? – Kein Zweifel, ihr Grinsen wurde breiter.
»Bis frühestens Mitte nächsten Monats«. Eröffnete mir mein Gegenüber nun mit einem eindeutigen Grinsen im Gesicht.
»Dir brennt doch der Hut! – Bis frühestens nächsten Monat«!
»Bis frühestens Mitte nächsten Monats werden wir erfahren, ob es so etwas was du suchst in Katmandu überhaupt gibt«.
»Ihr sollt nicht nach Öl bohren, sondern lediglich ein Kännchen davon besorgen, Freunde; - bei allem Respekt, aber verarschen lass ich mich nicht«. Ich war versucht ihnen mit irgendeiner Klage zu drohen, aber mir fiel nichts rechtes ein.
»Niemand wird sie hier verarschen. Wenn sie das möchten, müssen sie das schon selbst erledigen«.
Natürlich stimmte das: »Ach Gott, alles muss man selber machen. ... – Sie ham ja recht«. Damit gab ich ihm seinen Löffel zurück. Ich war geschlagen und die Zeit in der Folge, bedeutungslos geworden.
»Habt ihr auch Frauen hier«? Fragte ich schließlich.
»Haben sie welche gesehen«?
»Eine Bar? – Oder einen Weinkeller, oder so«?
»Leider nein«.
»Was treibt ihr dann den ganzen Tag«?
»Sie werden es sehen«.
»Ich bin schon ganz gespannt«.

Zum Ende der Mahlzeit flüstertebat der Alte demn Jungen noch etwas ins Ohr. mich bis in einer Stunde zu seiner Kammer zu geleiten. Dann hieß er ihn,Bis dahin sollte der mich ein wenig im Kloster herum zu führen.
Als erstes wollte ich die Küche sehen. Mittlerweile hatte ich Hunger bekommen. Aber da war nix; - nix das man hätte essen können; diese Küche war der Traum eines jeden Inspekteurs des Gesundheitsamtes; noch nicht einmal irgendwelches Kochgeschirr war zu entdecken.
Dann bat ich ihn mich zum Gemüsegarten zu führen und mir Karotten auszurupfen, aber es gebe keine, sagte er. Was er denn glaube, was das dann vorhin in der braunen Pampe gewesen sei, wollte ich wissen.
»Keine Ahnung; jedenfalls keine Karotten«.
Was Yaks so fressen, hätte mich interessiert.
»Keine Ahnung; - bin ich Heinz Sielmann«?
Ja, damit hatte er mich, das gefiel mir; langsam kam er aus der Reserve. Wir gingen weiter, auf den Seitentrakt zu.
»Wofür«, fragte ich ihn, »seid ihr denn überhaupt nütze hier oben«?
»Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder sie sprechen allem und jedem seinen Nutzen für die Welt ab, dann müssen sie sich fragen, weshalb sie sich nicht schon längst selbst entsorgt haben, oder aber sie gestehen allem zu ein Baustein des gesamten Gefüges zu sein, ohne den das Ganze nicht wäre was es ist, dann folgt darauf die Frage, inwieweit sie in der Lage sind sich selbst zu genügen«.
»Ach, und das ist es was ihr hier tut? – Euch selbst zu genügen«.
»Wir versuchen es zumindest«. Damit schloss er die Tür zu dem Seitengebäude, am Ende des Wegs, auf. Es wurde wieder duster und meine Stimme hallte von den nackten Natursteinwänden wider.
»Das ist ja ziemlich fatalistisch; entweder Suizid oder Askese; dazwischen gibt’s nichts«?
»Nichts dem man bei näherer Betrachtung irgendwelchen Sinn zusprechen könnte«.
»Moment! – Wer ist es denn, der allem den Sinn abspricht? – Du oder ich? Ich sehe noch in wesentlich mehr Dingen einen Sinn«. Wir stiegen eine Treppe hoch.
»Worin zum Beispiel«?
»In meinem Leben und in den Dingen die ich mir leisten kann und möchte; meinem Wagen zum Beispiel. Ich sehe einen Sinn darin Benz zu fahren und nicht VW, zum Beispiel«.
»Sehr anfällig ihre Werte«.
»Richtig, aber wenn sie nicht mehr funktionieren, kauf ich mir neue. Aber wenn du feststellst, dass das mit der Meditiererei nicht mehr richtig klappt, musst du anfangen zu saufen oder zu fixen, oder sonst was«. Ich sagte das, weil ich dachte die Sache mittlerweile durchschaut zu haben. Niemand der annähernd normal war im Kopf war würde freiwillig hier leben wollen. Ich nahm an, dass mein Freund bereits einen beträchtlichen Leidensweg hinter sich gebracht hatte, ehe er sich in diesem Kloster lebendig begraben hatte lassen. Seiner Jugend entsprechend und seiner Herkunft, die er mir verraten hatte, insbesondere aber seiner entweder-oder-Einstellung wegen, tippte ich auf Drogen und nichts genoss ich mehr als in Wunden von jemanden herum zu stochern, der glaubte mich belehren zu müssen. - Als Makler lernt man die Leute zu kategorisieren. Der vor mir war einer von denjenigen die ihre Flucht, wovor auch immer, als Suche nach sich selbst ausgaben.
In diesem Gebäude gelangte man über ein Treppenhaus von dem Flure nach beiden Seiten ab führten in die Etagen. Aber gemauert waren auch hier nur das Erdgeschoss, sowie die Stütz und Außenwände, durch deren Fenster das einzige Licht fiel. Auf dem vorletzten Absatz bogen wir in einen der Gänge ab. Desto weiter er mich in diesen hinein führte, desto dusterer wurde es, dessen Ende verlor sich in der Schwärze. Ich vermutete, dass die Mönche hier im Lauf der Zeit eine Art Ultraschallortung entwickelt, wie die Fledermäuse und es hätte mich nicht gewundert, wenn sie sich ebenso zum Schlafen kopfüber auf gehangen haben würden. Wir gingen auf das Ende des Traktes zu, der gegen den Berg gelehnt, zur rückwärtigen Felswand hin, die ich, wie sie sich majestätisch hinter dem Kloster erhob, auch vom Innenhof schon bestaunt hatte, abschließen musste. Der Tritt wurde mit einem Mal hart, steinern. Es wurde kühler. Ich streckte den Arm zur Seite aus um zu ertasten, wo ich sei. Und tatsächlich, ich irrte nicht, feucht kühles Gestein umgab mich, wir waren im Berg. Wenn ich mich umwandte konnte ich das Fenster am anderen Ende des Ganges, des Endes, das zur Talseite hin führte, gerade noch als schwachen Lichtpunkt erkennen.
»Hör’ mal«, sagte ich, »wenn ich nicht erkennen kann, wohin ich gehe, mache ich keinen Schritt mehr weiter«.
Mein Führer flüsterte, als ob uns jemand belauschte: »Nehmen sie einen Zipfel meines Umhangs«.
Ich ging darauf ein und griff danach, beschloss aber zugleich, dass wenn wir nur um eine Ecke biegen würden, ich umdrehen und wieder geradeaus zurück ans Tageslicht gehen würde.
Er ging weiter.
„Verdammt! – war das jetzt noch die selbe Richtung“? Ich blickte mich um, der Lichtschein war verschwunden; - waren wir nach unserem Halt in die selbe Richtung weiter marschiert? – Beschrieb der Gang einen Bogen? – Hatte jemand die Fensterläden geschlossen? - »Mein Gott, hätte ich das geahnt, hätte ich die Taschenlampe aus dem Wagen mitgenommen«. Ich erwartete keine Antwort und bekam auch keine, mein junger Freund war ziemlich wortkarg geworden. Der Stoff in meiner Hand zog mich fort, tiefer in den Berg hinein. Ich staunte welche Arbeit die Mönche sich damit gemacht hatten, diesen Stollen heraus zu schlagen, etwas ganz besonderes musste an seinem Ende liegen; in dessen Erwartung wich die anfängliche Furcht der Neugier, selbst aus Misstrauen wurde in der Angewiesenheit noch Vertrauen. Der Weg schien unstet leicht abwärts und dann wieder nach oben zu führen. In dem Tempo in dem wir voran schritten war ich zu beschäftigt auf dem grob behauenen Stein festen Tritt zu fassen, um blöde Kommentare abzulassen; eingefallen wären mir genügend. Von Zeit zu Zeit streckte ich wieder die Hand nach der Wand oder der Decke aus, um zu ermessen, ob es Abzweigungen gebe, oder wie groß der Gang sei, der mich umgab. Die Phantasie spann mir dabei wahre Wandteppiche. Ich hatte von den frühen Christen gelesen, die ihre Toten in den Katakomben unter Rom aufgebahrt hatten und rechnete jeden Moment damit mit den Fingerkuppen über ein mumifiziertes Gesicht zu streifen. Oder ich dachte an die Morlocks, aus Bertl Wells’ „Zeitmaschine“, die auf uns lauerten. Aber mit dem Tempo, mit dem wir unterwegs waren, hätten sie uns sowieso nicht gekriegt; die kalte Luft strich an meinem Gesicht vorbei. Ich hatte das Gefühl, dass die bergab Passagen inzwischen überhand genommen hatten. Die Zeit war mir abhanden gekommen. – „Verdammt, wie lange soll den das noch so weitergehen“? – Aber ich schwieg, längst ahnte ich, dass alleine Tage brauchen würde um hier wieder heraus zu finden. Allerdings kam ich langsam außer Atem, außerdem schmerzten mir die Knöchel und Knie. Die Rechtkurve, die unser Lauf nun eindeutig beschrieb zog sich zur Geraden, dafür ging es nun stetig bergauf. Bis mit einem Mal, der Boden unter mir weg knickte. Jedoch fiel ich nicht, sondern rutschte in eine Senke hinein. Zu dem Zeitpunkt zu dem es geschah, war ich zu überrascht um die Vorgänge bewusst zu erfassen, zudem passierte alles zu schnell, erst allmählich wurde mir klar, dass ich alleine war. Es war kalt glitschig, dennoch schwitzte ich. Langsam rappelte ich mich hoch. In meiner Hand ich hielt ich noch immer den Fetzen Stoff, an dem ich mich geführt gesehen hatte. Ich mochte ihn auch jetzt noch nicht auslassen. Der Boden schien gewölbt zu sein, ebenso die Wände. Durch ein rundes Löchlein, gegenüber des Ganges zu dem ich herein gepurzelt war, drang etwas Licht in die Höhle, die, soweit ich dies’ erkennen konnte, kugelförmig war; - ich befand mich im Inneren einer Kugel! Meine Hoffnung machte sich an dem Guckloch über meinem Kopf fest. Ich griff nach dessen Kante und zog mich letzter Kraft daran hoch. Ich erwartete einen Ausblick über das Tal, aber ich war zu schwach; mit den Füssen war kein Halt zu finden. Endlich konnte ich eine Hand so weit durch das Loch stecken um die Dicke der Wandung zu ertasten und es war mir sogar möglich die Außenseite zu umklammern. Verzweifelt ächzend zog ich mich an diesem Arm, in dessen Hand ich noch immer den Stofffetzen umkrampfte, weiter nach oben, bis mir endlich das Tageslicht ins Gesicht schien. Ich blinzelte, - erschrak, konnte nicht glauben was ich sah. Mir gegenüber, ganz nah, so dass ich seinen Atem spüren konnte, erblickte ich das grimmige Gesicht eines Polizisten. Der Stoff in meiner Hand war der Kragen seines Hemdes und seine Krawatte. – Was tat ich da? – Meine Finger lösten sich. Die Uniform eines deutschen Polizisten alleine reichte um alles gewesene zu vergessen. Ich dachte nur noch an die Konsequenzen die es mit sich brachte einem Polizisten zu drohen, zumal tätlich. – Aber warum überhaupt?! Ich sah mich um: Ich saß in meinem Wagen, mitten auf der Candidstraße, das Seitenfenster herunter gelassen, davor ein Polizist, der inzwischen die Waffe in Anschlag gebracht hatte, schräg hinter ihm ein Mann, der vorhin noch geschimpft und gezetert hatte, dem jetzt aber der Mund vor Staunen offen stand und dessen Wagen es unzweifelhaft auch war, der dem meinen den Kofferraum bis hinter die Fahrersitze geschoben hatte. Der Verkehr zog im Schritttempo an uns vorbei, wie die Leute guckten, kam ich mir vor, wie ein Exponat in einem Kuriositätenkabinett. Der zweite Polizist saß im Streifenwagen vor mir und funkte, - vermutlich nach Verstärkung. Auf dem Dach rotierte das Blaulicht. Unendlich erschöpft legte ich den Unterarm auf das Lenkrad und bettete den Kopf in die Beuge. Ich wünschte mich zurück in meine Höhle. Ganz fest schloss ich die Augen und hoffte auf Erlösung.
»Steigen sie aus und nehmen sie die Hände hoch«. Hörte ich den Polizisten sagen. Ich kniff die Augen zusammen, dass es schmerzte.
»RAUS«!!
Ich flehte.
Die Tür wurde aufgerissen und ich heraus gezerrt. Tränen in den Augen, die Hände auf dem Wagendach ließ ich mich durchsuchen. Dann wurde ich in Handschellen gelegt und abgeführt.


V. Konsequenzen

Ich wurde aufs Polizeirevier gebracht, dort stellte man die Richtigkeit meiner Personalien sicher, anschließend sollte ich Angaben zu einem Vorgang machen, von dem ich überhaupt nichts mehr wusste. Die Geschichte mit China behielt ich besser für mich.
Trotzdem der Test am Alkomaten kein Ergebnis brachte fuhr man mich ins Krankenhaus um mir Blut abzunehmen und, auf Anraten des Arztes, ein EEG*22 zu erstellen, - nicht dass ich einen Gehirnschlag erlitten hätte, der meine Amnesie verursacht hatte. Vermutlich hätte ich längst meinen Anwalt verständigen sollen, aber ich schwieg und ließ geschehen, was auch immer sie mit mir anstellten. Ich konnte nicht fassen, dass alles nur ein Tagtraum gewesen sein sollte, zu real waren die Erlebnisse gewesen, vielmehr wartete ich bis der Buddha mich wieder zurück befahl; - stattdessen verbrachte ich den Rest der Woche in der medizinisch-psychischen Beobachtungsstation des Gefängnisses Stadelheim; zu meiner eigenen Sicherheit, wie mir der diensthabende Arzt versicherte, - vermutlich machte ich einen allzu abwesenden Eindruck. Den darauf folgenden Montag war ich schließlich gar und verlangte meinen Anwalt zu sprechen. Binnen zum Nachmittag des selben Tages hatte der, bei der Staatsanwaltschaft, gegen eine eidesstattliche Erklärung meinerseits, meine Freisetzung erwirkt. Zur Konsultation des führenden Neurologen der Stadt, der auch vor Gericht zugelassen war und fachlich über dem Gutachter der Ermittlungsbehörde stand, fuhren wir umgehend in die Universitätsklinik. Dort wurde mir, unter Einräumung zeitweiliger Tendenzen zur Selbstablehnung, die Einmaligkeit meines Tuns bescheinigt. Zusammen mit einer Beschreibung von Fallbeispielen durch einen Polizeipsycholgen, die mein Handeln sogar noch eher als gemäßigt darstellten und einer Zusage zur Inanspruchnahme einer regelmäßigen psychologischen Betreuung bei der Aufarbeitung meiner Aggression, sollte ich mit einer Geldstrafe, zugunsten des Geschädigten, davon kommen. Mein Anwalt meinte, das eine bedinge das andere, bei einer Nichtbehandlung würde der Richter sonst logischerweise annehmen, dass ich auch ein Kandidat für einen Amoklauf sei und es sei besser uns bereits im Vorhinein um einen geeigneten Psychologen zu kümmern, bei dem es möglich sei, ein positives Abschlussgutachten gegen Bares und nicht gegen Anwesenheit ausgestellt zu bekommen, außerdem zeuge es vom guten Willen, - ein Argument dem gegenüber auch der beste Staatsanwalt nichts zu stellen habe.
Ich konnte kaum glauben was ich im Vergleichsgutachten las. Zugrunde lag allen Fällen ein Ereignis, gleich meinem, das bei den Betroffenen eine Labilität auslöste, die sie komplett aus der Bahn warf. Manche waren von Autobahnbrücken gesprungen, weil sie einen Kratzer in den neuen Wagen gefahren hatten, andere hatten mit dem Jagdgewehr um sich geschossen, weil ihrer erst gar nicht angesprungen war und sie zu spät zur Arbeit gekommen wären; einen fortgeschrittenen Realitätsverlust nannte das Exposee soetwas. Ich fragte mich, ob ich tatsächlich ebenfalls zu diesen Verlorenen gehörte und wenn, was diese erlebt hatten, bevor es zu ihren Ausfällen gekommen war.
So gesehen hatte ich eigentlich noch Glück gehabt abgeführt worden zu sein und Gelegenheit bekommen zu haben mich zu besinnen, wer weiß, vielleicht würde ich ansonsten heute orientierungslos durch München wandern und in den Hinterhöfen aus der Biotonne fressen. So jedenfalls habe ich eine Methode entwickeln können, die mich die verwirrenden Gedanken an die andere Seite der Welt eindämmen lässt. – Ich zeige seither an, - und zwar alles und jeden; wenn beispielsweise jemand nicht vorschriftsmäßig parkt, oder zu dicht auffährt, oder bei Rot die Kreuzung überquert, oder wenn jemand rechts überholt. Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht auf der Autobahn grundsätzlich mit einhundert Stundenkilometern die Mittelspur zu besetzen und die Kennzeichen reihenweise in ein Tonbandgerät zu diktieren, oder exakt die Zeit zu stoppen, die jemand im eingeschränkten Halteverbot stehen bleibt, - Lieferanten sind meine bevorzugten Opfer. Inzwischen habe ich drei Aktenordner mit dokumentierten Verkehrsübertretungen, - inklusive Fotobeweisen -, zu Hause. Einmal täglich fahre ich die zuständigen Polizeiwachen ab, um Anzeigen aufnehmen zu lassen; dabei achte ich auch darauf, welcher Beamte die Fälle bearbeitet um ihn gegebenenfalls von vorgesetzter Dienststelle zur Rechenschaft ziehen zu lassen; mache Polizisten neigen nämlich ein wenig zur Faulheit und ich kann es nicht dulden, wenn ein Verfahren verschleppt wird, - Ordnung muss schließlich sein; Ordnung stellt sich der Anarchie im Kopf entgegen.





*1: „Der Himmel scheint uns schön, weil es Hässliches gibt. Das Gute scheint uns Gut, weil es Böses gibt“.
*²: „Der Weise weiß, aber nicht um zu glänzen. Selbstachtung hat er, doch nicht Arroganz“.
*³: „Andere erkennen ist weise, sich selbst erkennen ist Erleuchtung“.
*4: „Das Bleibende zu erkennen bedeutet Einsicht. Das Ewige zu erkennen klärt den Sinn“.
*5: „Der Gewalt auszuweichen, ist Stärke“.
*6: „Das Universum ist vollkommen. Es kann nicht verbessert werden. wer es verändern will, verdirbt es. Wer es besitzen will, verliert es“.
*7: „Der Weise lebt in der Einfalt und ist ein Beispiel für viele. Er will nicht selber scheinen, darum wird er erleuchtet“.
*8: „Dies’ ist die Erkenntnis von der Natur der Dinge: Das Weiche, Schwache wird das Harte und Starke überdauern“.
*9: Dazu sagt Lao-tse zwar nichts, is’ aber genauso wichtig.
*10: „Was ist das Problem“?
*11: „Wer hat Sie da rauf gelassen“?
*12: „Er“.
*13: „Wieviel hat er dafür genommen“?
*14: „Fünfzig“.
*15: „Was wird mit ihm geschehen“?
*16: „Weswegen“?
*17: „Hören Sie“,
*18: „In Jinquan hat der Parkwächter Siebzig für das Gleiche genommen“.
*19: „Danke für Ihre Mithilfe. Wir werden ihn kriegen, noch bevor Sie Peking erreichen“.
*20: „Ich auch nicht“.
*21: „Sprechen sie Deutsch“?
*22: Gehirnstrommessung
 
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Kommentare  

Die ewig lange Wegbeschreibung zu Beginn des Textes hat mich ermüdet. Ein Glück, dass ich mich da durchgekämpft habe, zumal der Rest dann gar nicht so übel war. Obgleich ein wenig gar derb, das schon. Was freilich eine Geschmacksfrage ist.

anonym (07.09.2008)

Echt bayrisch! Was mich auch stellenweise dazu bewegt hatt immer weiter zu lesen, vorallem wenn man alle Strassen durch München kennt. Was manche als zynisch oder fies und gemein bezeichnen trifft genau meinen Humor. So unglaubwürdig ist schon fast das Ende, das alle Details und Beschreibungen nur Ergebnisse eines Tagtraumes waren, schlagartig beendet von grünen Marsmenschen. Vielleicht träumt ja der nächste von einer Reise durch Afrika!

Bikey (27.04.2005)

Allen die meine Geschichte gelesen und bewertet haben, möchte ich abschließend dafür DANKEN. Ganz besonders denen, die zudem einen Kommentar dazu abgegeben haben. Ich habe mich über jede Bemerkung gefreut, gleich ob, aus meiner Sicht, zutreffend oder nicht.
Viel Spass beim Lesen weiterhin.


Der Autor (30.04.2002)

So! Nun mus ich doch noch auf den allerletzten Drücker dieses Machwerk kommentieren. Die seeehr genauen Wegebeschreibungen werden viele Leser ermüdet haben, aber mit Atlas und Landkarten bewaffnet hat es mir so richtig Spass gemacht, diese ominöse Fahrt mitzuerleben. Keine leichte Kost, was du uns da vorgesetzt hast, aber mal was anderes...Ich finds gut.Vier Punkte.

Stefan Steinmetz (28.04.2002)

...irgendwie zu lang und zu zynisch für meinen Geschmack...

christine (11.04.2002)

Abgefahren und witzig. China, ich war schon dort... und Deine Wegbeschreibung waren zu lang in der Vorrede, aber für eine akute Psychose... in der alles zeitlich-räumliche verschwimmt, gerade noch erträglich, auf jeden Fall gute Idee und sehr bayrisch eben... *lol*

Teleny (10.04.2002)

wow, zuerst eine detaillierte wegbeschreibung zur chinesischen mauer *gg* danke, ich werd sie mitnehmen, wenn ich mal hinfahr *sfg*
dann eine witzige einlage(was hab ich gelacht)
danach ein nachdenkliches stück *oo-ooh*
und zum schluss ein rasches und überraschendes ende... (so möcht ich nicht enden)
den typ "urlauber" möcht ich allerdings nicht zu meinen reisegefährten zählen, wer allerdings schon öfters im ausland war, trifft ihn immer wieder...
alles in allem eine interessante story bis ans ende der welt und wieder zurück ;-)


Rüssi (10.04.2002)

ein wenig verwirrend und unausfuehrlich

werwoelfin (05.04.2002)

Für eine Satire, was es ja wohl sein will, ist dies zu grob und zu lang.

Rolf-Peter Wille (02.04.2002)

Verdammt lange Weltreise-Wegbeschreibung
Verdammt viele Menschen kennengelernt.
Aber das alles spielte sich hier auf unserer Welt ab,auch wenn von uns aus gesehen China auf der anderen Seite ist,ist es nicht die andere Seite.
Es ist immer noch diese Seite der Erdkugel.


Wolzenburg-Grubnezlow (02.04.2002)

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