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Der Notfall

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
Frau Wagmüller steht in der Küche und wäscht einen Kopfsalat. Auf der Spüle türmt sich ein Berg Geschirr. Sie ist nicht mehr ganz jung, aber auch nicht unbedingt alt. Bedingt jung sozusagen, oder, um es zu konkretisieren, eine Frau kurz vor dem Klimakterium; mit kolorierten, toupierten Dauerwellen und Kerben im Gesicht.
Herr Wagmüller befände sich dem entsprechend gerade in den besten Jahren. Jedoch lässt er den zweiten Frühling, auf der Couch liegend und die Bildzeitung lesend, ungerührt vorüber ziehen und wartet schmerbäuchig auf den Spätherbst.
Küche und Wohnzimmer sind durch einen schmalen Flur getrennt. Hier im Radio, wie dort in der Stereoanlage ist der gleiche Sender eingestellt. Hüdl Drüdl Bibbihendl im Wechsel mit dem schneeweißen Strand von Barbados; dazwischen die Stimme eines werbenden Homosexuellen, der die Geschichte vom verlorenen Sohn variiert.
Es ist Samstag Nachmittag und draußen schneit es. Der Jingle zu einer Sportsendung veranlasst Herrn Wagmüller in die Küche zu plärren: »Gäää, aber duast scho Zwiebe’ hi!«
Frau Wagmüller schreit zurück: »Aber wenn er doch koa mog!«
Hr. Wm.: »Ja a bisse wenigstens. Wos is ’n a Schweinsbran ohne Zwiebe’?«
Fr. Wm.: »Ja mei, wenn er heud koa mog!«
Herr Wagmüller zieht die Unterlippe hoch und wendet sich wieder der Zeitung zu. Im Radio labert die Lichtgestallt. Er blickt wieder auf: »Und wennst sei Stückl ohne Zwiebe’ machst und des and’re mit ’?«
Fr. Wm.: »Gäää, des schmeckt ma doch. De Zwiebe san doch in da Soß!«
Hr. Wm. (aufgeregt): »Pscht! Pscht!« Er lässt die Zeitung sinken. Der Radiosprecher vermeldet eine Sondermeldung, während Frau Wagmüller weiter mit dem Salatkopf in der Spüle planscht.
Radiosprecher (Rs) 1: »Allgemeinen Mitteilungen zufolge ist vor etwa einer Stunde eine Lawine auf den Parkplatz des Skigebietes Saustadl nieder gegangen. Wie einer Meldung zu entnehmen ist, soll die gesamte Talstation, sowie sämtliche dazu gehörige Einrichtungen, so auch das Restaurant, das zur Mittagszeit voll besetzt gewesen sein dürfte, zum Teil beschädigt oder verschüttet worden sein. An der Unfallstelle befindet sich Heiner Tonkwart, vom SFB, der mit seiner Familie im Nachbarort zu Urlaub ist. Herr Tonkwart, wie darf man sich die Situation an der Unglückstelle vorstellen? Welches Ausmaß hat die Katastrophe?«

Entsetzliches Rauschen hebt an, als stünde Heiner Tonkwart noch inmitten der abgehenden Lawine.
Heiner Tonkwart (Tw): »Nun, wie sie vielleicht verstehen können bin ich noch selbst ganz beeindruckt und es wird dieser Eindruck auch sicherlich haften bleiben; insbesondere das Bild, das sich einem hier, unmittelbar an der Unfallstelle bietet. Der ehemalige Parkplatz der Wimmerjochbahn wurde zur Gänze verschüttet. Hie und da ragen noch Fahrzeugteile aus den Schneemassen. Hier nimmt man an, dass diejenigen, die zum Abgang der Lawine in ihren Autos gesessen sind, noch die größten Überlebenschancen haben, - sofern es gelingen wird die Leute möglichst bald zu befreien. Dies’ ist auch die Schwierigkeit an der, etwas abseits stehenden Kruxfeldalmhütte, wo offenbar der Hauptteil der Lawine nieder gegangen ist. Von dieser Hütte, die den Aussagen der Bergwacht zufolge, wie ein Speiselokal eingerichtet war, ist so gut wie nichts mehr stehen geblieben. Und auf dieses Gebiet konzentrieren sich im Moment auch die Rettungsarbeiten. Denn wenn, wie man annimmt und wie es sich auch aus den Berichten der Überlebenden bestätigt hat, - wenn die Kruxfeldalmhütte voll besetzt gewesen ist, dann darf man hier mit dem Schlimmsten rechnen.«
Rs 1: »Wie gehen denn die Rettungsarbeiten voran?«
Tw: »Nun, man ist hier natürlich nicht auf eine solche Katastrophe gefasst gewesen. Saustadl galt, wie alle Orte hier im Rosettental, bisher als Lawinensicher. Man kann sich auch nicht erinnern, hier ein ähnliches Unglück, schon einmal erlebt zu haben. Dem entsprechend überfordert ist man natürlich auch jetzt. Man hat beispielsweise die Lifte sämtlicher benachbarten Skigebiete angehalten, um hier genügend erfahrene Rettungshelfer zusammen zuziehen. Wie mir gesagt wurde, ist auch das Militär bereits informiert und man wartet auf das Eintreffen der Gebirgsjäger. Aber vorerst verstreicht, für die, hier unter den Trümmern liegenden, Opfer, wertvolle Zeit, in der die Luft für die Eingeschlossenen knapp werden könnte. Eine große Gefahr besteht auch in der Möglichkeit des Nachrutschens, der Schneemassen. Die Retter wissen hier, im Gegensatz zu einer Lawine am Hang, nämlich nicht, was sich unter ihren Füssen befindet und inwieweit das Gewicht ihrer Schritte eine neue Dynamik hier in Gang setzten könnte. Deshalb auch wird es nicht allzu gerne gesehen, wenn sich Touristen, die helfen wollen, auf das Trümmerfeld wagen, weil befürchtet wird, sie könnten die, für die Überlebenden wichtigen, Zwischenräume abtreten. Aber man kann auch nichts dagegen unternehmen, da ohnehin schon zu wenig Suchmannschaften hier vor Ort sind, geschweige denn Absperrpersonal. So gelten auch die Rufe hier im Hintergrund, zumeist den vielen freiwilligen Helfern, die sich zu weit in das Trümmerfeld wagen.«

Herr Wagmüller., plärrt in die Küche, wo Frau Wagmüller noch immer mit dem Wasser planscht: »Host as dann beud?!« Frau Wagmüller hält inne.
Rs 1.: »Das sind traurige Ereignisse, die sie uns da schildern. Wollen wir hoffen, dass dieses Drama einen weit weniger schlimmen Ausgang nehmen wird, als der, der sich aus ihrer Schilderung abzeichnet. Weiß man denn schon etwas über die Ursache des Ganzen?«
Tw.: »Nein, darüber weiß man noch nichts und sollte man in Anbetracht der Ereignisse auch nicht spekulieren, sondern erst die Ergebnisse einer offiziellen Untersuchung abwarten. Als sicher kann allerdings gelten, dass, wie gesagt, ein Abgang von, auch nur annähernd diesem Ausmaß, hier zuvor noch nie stattgefunden hat.«
Rs 1.: »Herr Tonkwart, wir danken ihnen für dieses Gespräch. Meine Damen und Herren, verehrte Hörer und Hörerinnen, aus gegebenen Anlass, ändern wir heute unser Programm. Die Sendung „Südwärts der Donau“ hohlen wir zu einem späteren Zeitpunkt nach, stattdessen hören sie eine Sondersendung mit Liveschaltungen an den Unglücksort. Für vierzehn Uhr ist eine erste Pressekonferenz mit dem Bürgermeister von Saustadl und dem Einsatzleiter der Bergwacht vor Ort anberaumt. Und selbstverständlich halten wir sie über die Rettungsarbeiten und die Einrichtung einer Hotline für Angehörige auf dem Laufenden.«
Getragene Volksmusik setzt ein, in der Art wie sie auf dem Oktoberfest zur Mittagszeit gespielt wird. Und Frau Wagmüller stellt das Wasser wieder an. Dazu klappert nun das Geschirr.
Die Zeitung auf der Wampe ruft Herr Wagmüller: »Ätz här amoi auf!«
Fr. Wm.: »Is’ doch scho’ aus!«
Herr Wagmüller ist die getragene Musik leid und nimmt die Fernbedienung, die auf dem Tisch liegt, zur Hand und schaltet um. Die Musik ist nun heiterer, aber er ist noch nachdenklich. Dann ist auch hier das Stück zu Ende und ein weiterer Radiosprecher meldet sich.
Rs 2.: »Meine sehr verehrten Hörerinnen und Hörer, wir unterbrechen die Sendung um ihnen eine, leider traurige, Mitteilung zu machen, hier an diesem schönen Winter-Samstag-Nachmittag. Denn wie wir soeben erfahren, hat sich in dem schönen Skigebiet im Rosettental, in Saustadl ein tragisches Ereignis abgespielt, beziehungsweise spielt sich dort noch ...«
Herr Wagmüller drückt auch diesen Sender weiter. Wiederrum ertönt fröhliche Musik. Dann hebt er die Zeitung, liest wieder ein wenig, kann sich aber nicht so recht konzentrieren. Er lässt die Zeitung wieder sinken. Dann ruft er in die Küche: »Hama no a Bier do?«
Frau Wagmüller ruft zurück: »Brauchst da bloß oans ei’schnga!«
Er bläst gelangweilt aus, zieht die Zeitung auf den Tisch hinüber und steht auf. Träge schlurft er in die Küche hinüber. Dort quetscht er sich an seiner Frau vorbei, die mittlerweile mit dem Abwasch beschäftigt ist. Es ist eine kleine, schlauchartige Küche mit einem Fenster auf der Stirnseite. Auf dem Fensterbrett steht ein Radio in dem noch der erste Sender läuft. Der Radiomoderator führt gerade ein Interview mit einem Lawinenexperten.
Rs 1.: »...Nun ist dies’ aber nicht das erste Ereignis dieser Art. Wir erinnern uns, letzten Winter in Muschgl, als eine Lawine zwei Wohnhäuser mit sich gerissen hat. Im selben Jahr, die Hanfhanghütte, die vom Alpenverein zur Übernachtung frei gegeben war und in der trotzdem einige Mitglieder einer Touristengruppe , die darin verschüttet worden war, zu Tode kamen. Und immer wieder Tourengeher, die sich nicht abseits der ausgeschilderten Hänge bewegen und trotzdem von Lawinen erfasst werden. Offensichtlich kann man doch den Urlaubern und Wintersportlern keinen ausreichenden Schutz vor solchen Katastrophen bieten.
Der Lawinenexperte ist ein Professor, der an irgendeinem Institut forscht.
Prof.: »Nein, das ist richtig, das kann man in der Tat nicht. Wobei sich hier die Frage stellt, was ist ausreichend? Lawinen können in ihrem Auftreten mitunter der Ausrechenbarkeit von Naturkatastrophen gleichkommen. Und es warnt ja auch niemand davor, etwa nach Kalifornien zu fahren, weil dort die Wahrscheinlichkeit von Erdbeben sehr hoch ist. Genauso wäre es zu sagen, man dürfe nicht mehr in die Alpen fahren, weil dort Lawinen niedergehen. Wir haben natürlich sämtliche Arten von möglichen Lawinenabgängen untersucht, sowohl in ihrer Entstehung, als auch in ihrer Wirkungsweise auf die Umwelt und können aufgrund dieser Erkenntnisse gefährdete Gebiete genauestens bestimmen. Und wir sind auch bemüht unser Wissen an die Verantwortlichen vor Ort, - die Bergführer, Skiliftbetreiber, und so weiter, - weiter zugeben und ich möchte sagen, dass wir hier mittlerweile, auch aufgrund der Tatsache, dass hier eben aufgrund der Katastrophen der letzten Jahre unleugbar ein Bedarf erkannt worden ist, eine durchaus sehr dichte Infrastruktur an Fachleuten, verteilt über die ganzen Ski- und Wander-, sowie Skiwandergebiete geschaffen haben, aber es sind die Probleme mit der stetigen Zunahme der Wintersportbegeisterten in den Alpen natürlich nicht geringer geworden. ...«
Herr Wagmüller, nimmt sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Dabei begutachtet er das Reindl mit dem vorbereiteten Schweinsbraten, das ebenfalls im Kühlschrank steht. Er greift nach einem Glas auf dem Abtropfbecken und fragt: »Is’ des scho obgschbuit?«
Fr. Wm: »Siehgst doch.«
Er nimmt es und beginnt einzuschenken. Da er wartet, dass der Schaum sich setzt und er nach schenken kann, murmelt er: »Des is’ scho a Wahnsinn.«
Frau Wagmüller hat ihn nicht recht verstanden und weil sie glaubt, er habe wieder einmal etwas auszusetzen, hakt sie nach.: »Wos is’ scho’ wieder?«
Hr. Wm.(lauter): »Des is’ scho a Wahnsinn soge!«
Fr. Wm.: »Wos is’ a Wahnsinn?«
Hr. Wm.: »Des mit dera Lawina.«
Fr. Wm.: »Mei, wenn s’ ned aufpass’n, d’ Leid.«
Hr. Wm.: »Wos? Wenn s’ ned aufpass’n? A so a Krampf. Stell’ dir meu vor du sitzt da in so am Skilokal und auf ameu rutscht dir da so a Lawina ins G’nack. Wos wuist n da aufpass’n? Da bist ogschiss’n, da helft dir koa Aufpass’n nimmer!«
Fr. Wm.: »Wieso im Skilokal?«
Hr. Wm.: »Wos? Wieso im Skilokal?«
Fr. Wm.: »Wieso soll in am Skilokal a Lawine runterkemma? – A so a Schmarrn!«
Hr. Wm.: »Ja, sog a meu, host du ned zug’hert?«
Fr. Wm.: »Scho’.«
Herr Wagmüller, schüttelt die Hefe vom Flaschenboden auf und stürzt den Rest ins Glas: »Nix host g’hört, sonst würd’st es ja wissen.«
Fr. Wm.: »Wos?«
Hr. Wm.: »Dass diese Lawine des halbe Lokal weggriss’n hat.«
Fr. Wm.: »A geh. Des heube Lokal?«
Hr. Wm.: »Ja, oder ’s ganze.«
Fr. Wm.: »A geh.«
Herr Wagmüller, das Bier in der einen Hand, die leere Flasche in der anderen, drückt sich wieder hinter seiner Frau vorbei: »Ja sag ameu, - da am Fensterbrett steht der Radio, - wo herst’n du hin?«
Fr. Wm.: »Ja mei, i kann ned die ganze Zeit zuhör’n.«
Hr. Wm.: »Soll ich dir was helf’n?« - Er sagt das im Tonfall einer Standard Frage, auf die er keine Antwort erwartet.
Fr. Wm.: »Konnst es dir aussuch’n, Radio hör’n oder abspuin.«
Herr Wagmüller schlurft wieder ins Wohnzimmer. Im offenen Abstellraum stellt er die leere Flasche ins Tragl. Als er sich wieder zurück beugt, steht Frau Wagmüller mit Spültuch und Teller hinter ihm.
Fr. Wm.: »Du. Hoffentlich war dei’ Chef ned a in de Berg.«
Hr.Wm.: »Wia kimmst jetz’ da drauf?«
Fr. Wm.: »Du hast doch g’sogt, dass er aa Schifahrt.«
Hr. Wm.: »Ja scho. Aber des hat ja nix zum song.«
Fr. Wm.: »Ja du, es gibt oft de blädast’n Zufäll’. Brauchst bloß nei schaun in d’ Zeitung.«
Hr. Wm.: »Ja i woas scho. Aber des war scho’ a saudummer Zufall.«
Fr. Wm.: »Sog e doch.«
Hr. Wm.: »Ja du, des war fei gar ned so lustig, weil dann kannt e des vergess’n mit meim eig’ner Büro. Dann kannt i no bis zur Rent’n mit dem Kirmeier bei’nannt sitz’n. - Mit dem Arschloch.«
Fr. Wm.: »Der Dings, der ... dieser Bergsteiger da, der is’ a an ’ner Lawina gschdorm glaub i. Der ... Dings ...äh ...Messmer.«
Hr. Wm.: »A geh, der lebt ja no.«
Fr. Wm.: »Aaah na, ... den Dings moane, ... den ander’n.«
Hr. Wm.: »An Trenker? – Luis Trenker.«
Fr. Wm.: »Ja genau.«
Hr. Wm.: »Des woas e ned. Aber der war ja scho’ hundert Jahr’ eud.«
Fr. Wm.: »Ja dann moane, moane doch an ander’n. Oder war’s a Skispringer? – Irgend so was.«

Mit einem, »jaja«, verzieht sich Herr Wagmüller wieder auf die Couch. Jedoch legt er sich nicht hin, sondern setzt sich und breitet die Zeitung auf dem Tisch aus. Eine der balkendicken Schlagzeilen lautet: „Tod im Dschungel – 23 Tote bei Flugzeugabsturz“ Eine andere: „Ulrike gefunden – verscharrt im Wald“ Er blättert um: „Wieder Krieg am Balkan?“ Und: „Rentnerin vergewaltigt!“ Im Sportteil das große Bild eines Skiabfahrers auf der Piste, darunter ein Kreuzworträtsel. Herr Wagmüller nimmt sich einen Kugelschreiber vom Telephontischchen neben der Couch. Ein kurzes Wort trägt er ein, dann sitzt er ratlos da. Er trinkt, überlegt und ruft schließlich: »Ja du, des hat er fei scho öfters g’macht, dass er vormittags in d’ Berg g’fahr’n is’.« Wiederum denkt er. »Und,« fährt er fort, »des war jetz’ a grat de Zeit, das a se denkt hod, jetz’ isst a wos und hod se in a Lokal neig’hockt und dann hod’s na verschütt’!«
»Obwois heit an Schweinsbron gibt!?« Schreit Frau Wagmüller aus der Küche.
Hr. Wm.: »Ja moanst desweng hod a Mittag koan Hunger? Mia hama ja a Mittag gess’n oder!«
Das Musikstück ist zu Ende. Der Moderator macht eine Ansage.: »In Saustadl, meine Damen und Herren, wo sich heute diese furchtbar Lawinenkatastrophe ereignet hat, ist, wie wir soeben erfahren, für Fünfzehn Uhr Dreißig eine erste Pressekonferenz angesetzt. Hoffen wir, dass wir dann mehr erfahren und nicht mehr auf Spekulationen angewiesen sind. Bis dahin unterhält sie unter anderem das Hans-Biesler-Orchester mit dem Marsch zum Leonardiritt.« Wiederrum setzt gediengene Blasmusik ein.
Er steht auf und geht in die Küche. Dort steht er in der Tür und fragt seine Frau: »Hams bei dir scho mehrer g’sagt?«
Fr. Wm.: »Du hörst doch Radio.«
Herr Wagmüller schweigt. Es fällt ihm gerade auf, wie sinnlos seine Frage war.
Fr. Wm.: »Ruaf ihn halt an, dann.«
Hr. Wm.: »Wos? Wia stellst dann des vor? – Soll e sang: Ja grüss Gott i bin’s, der Wagmüller Heinz. I wollt nur moi nachfran’g ob sie ned a von der Lawina derwischt wor’n san?«
Fr. Wm.: »Krampf. Nimm hoit an Vorwand. Stellst di’ doch sonst a ned so bläd.«
Hr. Wm.: »Hmm. I wüsst ned, was i do jetz’ song kannt.«
Fr. Wm.: »Nimm heut irgendwos von da Arbat.«
Hr. Wm.: »Ja freili’, dann moand a, i kenn me nimmer aus.«
Fr. Wm.: »Ja oda, dann sogst heut gar nix, sondern legst glei wieder auf wenn er abhebt.«
Hr. Wm.: »A geh, des geht doch ned. Der wenn so an Anschluss hod, wo a d’ Nummer siehgt, dann woas er doch sofort wer o’gruaffa hod. Und der hod bestimmt so an Anschluss.«
Fr. Wm.: »Ja dann sogst heud „feusch verbunden“.«
Hr Wm.: »Dann siehgt er s’ aa.«
Fr. Wm.: »A so ja. ... - Wo siehgt der des?«
Hr. Wm.: »Im Display heud.«
Fr. Wm.: »A so.«
Hr. Wm.: »Aba I kannt ihn von der Telphonzell’n aus o’ruafa.«
Fr. Wm.: »Ja em.«
Hr. Wm.: »Aba jetz’ da obe geh. Und ausserdem wenn a ned hi’geht, dann wissd ma ja desweng’ a ned, ob er do in der Lawina liegt. Dann wissd ma bloß, das er ned dahoam is’.«
Fr. Wm.: »Ja, aba wiss’n miaßt mas. Wei sonst kannt ma nemlich d’ Riederers ei’lon. Da war ma eh scho’ lang a meu wida dro.«
Hr. Wm.: »Dann konn’ e mir wieder den ganzen Omd den sein Schmarrn o’hern.«
Fr. Wm.: »A geh, i hob g’moant, des is’ dei’ Freind.«
Hr. Wm.: »A Depp is er.«
Fr. Wm.: »Ja aber irgendwen miaßt ma eilon. Oder wuißt den mords drum Bron selber ess’n?«
Hr. Wm.: »Aba nahd kannt ma wenigst’ns Zwiebe hi doa.«
Fr. Wm.: »Ja, aba jetz’ miaßt ma erst wiss’n, ob dei’ Chef no’ lebt, oder obs ihn eig’schneit hot.«
Hr. Wm.: »Eig’schneit! A Lawina hod na z’batst; - wenn dann!«
Fr. Wm.: »Des is’ ja wurscht. Die Frage is’, ob er heit zum esse’n kimmt, oder ned.«
Hr. Wm.: »Ja scho’.« Er denkt nach.
Fr. Wm.: »Hod der koa Händy?«
Hr. Wm.: »Jo, scho’.«
Fr. Wm.: »Dann ruaf ihn heut da an.«
Hr. Wm.: »Da hob’ i koa Nummer ned.«
Fr. Wm.: »Ja kriagt ma de ned bei da Auskunft?«
Herr Wagmüller ist mittlerweile schon leicht genervt. Er hat schließlich noch nicht vergessen, dass die ganze Situation lediglich auf einer Vermutung basiert. Aber auch er sieht, ebenso wie seine Frau, die Notwendigkeit, sich über ein mögliches Ausbleiben des Chefs zum Abendessen, Klarheit zu verschaffen. »Des woase ned.«
Fr. Wm.: »Probier’s!«
Hr. Wm.: » Ja meinatweg’n.« er wendet sich zum gehen. Da fällt ihm noch etwas ein: »Ja aber am Händy siehgt er a d’ Nummer, wer o’g’ruafa hod.«
Fr. Wm.: »Ja, dann ruafst jetz’ von da aus d’ Auskunft o, und dann gähst nunter, in d’ Telephonzelle und ruafst dann von dort aus dein Chef o.«
Hr. Wm.: »Kruzifix!«
Fr. Wm.: »Dann konnst Riederers a glei’ o’ruafa.«
Hr. Wm.: »Jaaa, is’ scho’ recht.« Er kramt schon im Telephonschränkchen nach dem Telephonbuch, als ihm noch etwas in den Sinn kommt: »Ja du, und wenn er ned ans Händy gäht, dann hoast ja des a no lang ned, dass er verschüttet is’.«
Fr. Wm.: »Ja wos woas i. – Vielleicht gäht er ja hi’ und sogt, dass er heit ned kimmt.«
Hr. Wm.: »Wia soi ’n des geh? Moanst das ma in so na Lawina telephonier’n kon, oder wos?«
Fr. Wm.: »A ja, wos woas i, vielleicht hot er ja grod a Hand frei.«
Hr. Wm.: »A so a Schmarrn. Also woaßt, manchmeu moane scho’, dass das du nimma olle host.«
Fr. Wm.: »Aba dann häd a wahrscheinlich scho’ selber o’gruafa.«
Herr Wagmüller schüttelt nurmehr den Kopf.
Fr. Wm.: »Jetz’ ruaf o, dann sehng mas scho’.«
Hr. Wm.: »I woas ned wos des jetz’ bringa soi.«
Fr. Wm.: »Du mogst de ja bloß ned o’ziang und zur Telphonzelle nunter geh.«
Herr Wagmüller hat die Nummer der Auskunft gefunden und wählt. »I woas bloß, dass des saudeier is’, de scheiß Auskunft.« mosert er noch, da die Verbindung aufgebaut wird. »Ja grüß Gott, ich hätte gern eine Auskunft. Vermitteln sie auch Händynummern. (...). Also, ich mein’ ich sag’ ihnen den Namen und sie sang mir wie er heisst. ... – Äh na na, ich mein natürlich, - sie sang mir die Telephonnummer. Also, des heisst die Händynummer. ( ... ). Ja, also, des is’ der Hr. Burghard. Diplom Ingenieur Burghard. (...). Nein, den Vornamen woaß i jetz’ ned. ... – Äääh, - „E“ steht immer auf de Briafkepf. Eckhard glaub’ ich, oder Erhard. Wissens, i arbat zwar dot, aba wia der jetz’ mit Vornam’ hoasst ...? ...Erich, Erich, jetz’ iss ma eigfoin. (...). Wie? – Burghard? – Mit „g“! (...). – Ja genau, wie Gustav. ...Oda „Gschnetzelts“. (...). Na, na, i hob bloß an Scherz g’macht. (...). Booah, wos er für a Netz hod? – Na, des woase leider ned. (...). Ah so, sie ham nur D1. – Und des hod a ned, oda wia? (...). – Oder er is’ ned registriert? – Na, des glab i ned. (...). Jaja, Burghard gibt’s an Haufa, des glabe scho’. – I wart’. (.................). Wia? Ham sie ned? Ja guad, dann ham sie wenigstens recht schönen Dank. Auf wiederschau’n; -aah –hör’n.«

Herr Wagmüller legt auf. Teils erleichtert, weil es ihm erspart bleibt zur Telephonzelle zu gehen, teils ein weinig ratlos, über eine weitere Vorgehensweise. »Ham sie ned. Gibt’s nimmer.« Ruft er in die Küche.
Fr. Wm.: »Wia? „Ham sie nimmer?“ I hob gmoant, des is’ d’ Auskunft! Ham s’ na vieleicht scho’ gstricha?«
Hr. Wm. (nun wirklich erbost): »Jetz’ spin heud ned immer so umanander.«
Frau Wagmüller ist mit dem Abwasch fertig und steht nun in der Wohnzimmertür. »I spinn ja gar ned. Reiss de a bissl z’amm’ do.«
Hr. Wm.: »A geh, wennst euwei so an Schmarrn daher red’st.«
Fr. Wm.: »Ja, wei’ schee langsam miaßt mas wiss’n. Wei’ sonst fangt d’ Riederer Anni dahoam a zum Kocha o.«
Hr. Wm.: »Ja, i woas scho’. ... Mei mei mei, diese Ungewissheit.«
Fr. Wm.: »’S is’ aba a unverantwortlich, dass er ned oruaft und bescheid sogt.«
Herr Wagmüller sieht sie an, sagt aber wiederum nichts zu ihrer Bemerkung. Mag er sich einmal mehr wundern.
Im Radio hat das Hans-Biesler-Orchester seine Version vom Echojodler beendigt und es ertönt ein Jingle des Senders, der den Beginn eines Werbeblocks markiert.
Werbesendung a): Ein weiterer Jingle, dann die sonore Stimme eines Ansagers: »Bald ist es wieder soweit, die Gartensaison beginnt. Die Bau- und Gartenbaucenter der BayWa führen für sie jetzt schon alles, um dem Frühling zum Blühen zu verhelfen. Ihr freundlicher BayWa-Berater steht ihnen gerne mit Rat und Tat zur Verfügung.« Jingle. Chor: »BayWa – ihr Partner vom Fach.«
Werbesendung b): Eine nette, harmlose Heimorgelmelodie, dazu lustiges Pfeifen. - Eine alte Dame sagt: »Heut’ is’ man ja nirgends mehr sicher!« - Zwischen den Sprechern hebt das Gedudel jeweils an, um zu suggerieren: „Wir sie sitzen Sie aus“. - »Sicher ist nur das Amen in der Kirche.« Hört man einen Mann im Tempo eines Einschlafenden sagen. - Gedudel. - Ein Junge meint. »Ich möchte Feuerwehrmann werden.« - Mildes Großelternlächeln zu weiterem Gedudel. - Und zu guter letzt spricht ein junger Mann: »Ich liebe dich.« Darauf sie: »Sicher?« - Dudldudl - und dann der liebe Gott persönlich: »Wir von der Landes Versicherungskammer versichern Ihr Hab und Gut!« - Dudldudl
Werbesendung c): Eine kräftige Männerstimme deklamiert: »Liebe Sangesbrüder! Ein Hoch auf den Penninger Blutwurz!« – Die Mannschaft singt: »Ein Hoch auf Penninger Blutwurz, ein Hoch auf Penninger Blutwurz, Ein Hoch auf Penninger Bluuuhuut Wurrrz. Da krieng die Penner Blutsturz!«
Werbesendung a) : BayWa Jingle. – »Jetzt in ihrem praktischen BayWa-Center: Der neue Rasenvertikulierer von Ramsch und Nippes für nur Dreihundertachzig Mark. Eine Gartenschere von Schwiele mit Dreifachschliff und stufenloser Superautomatik für nur Achtundzwanzigfünfzig. – Jingle. – Chor: »BayWa – ihr Partner vom Fach.«
Jingle des Senders, zum Ende der Werbesendung.
Herr Wagmüller hat dem Kreuzworträtsel derweil ein weiteres Wort hinzugefügt. Jetzt schreit er in die Küche: »Fluss durch Wien?«
Fr. Wm.: »D’ Donau moane.«
Hr, Wm. (vehement): »Pscht Pscht.« Regungslos, den Kugelschreiber erhoben, sitzt er da und lauscht dem Radio, in dem der Moderator, nach einem mittlerweile, eigens für die Meldungen über die Katastrophe, zusammengestellten Jingle, eine weitere Neuigkeit zum Stand der Dinge vermeldet.
Rs.: »In Saustadl, wo sich heute ein riesiges Lawinenunglück abgespielt hat, ist jetzt das Militär, zur Mithilfe an der Suche nach Überlebenden, eingetroffen. Wir schalten zu unserem Korrespondenten Thomas Schandmaul, an den Unglücksort, nach Saustadl.«
Schandmaul (Sm): »Nun, so ganz stimmt das nicht. Ich befinde mich mittlerweile etwas Abseits des Unglücksortes. Denn durch das Eintreffen der vierten Gebirgsjägerstaffel, ist es möglich geworden, den Unfallort für Unbefugte, und damit natürlich auch für uns, zu sperren. Das ging blitzschnell und sehr koordiniert vor sich, ebenso wie nun – so wie uns versichert wird – auch die Rettungs- und Bergungsmaßnahmen, vorangetrieben werden. Dies’ ist auch unbedingt notwendig, weil die Zeit, für die Überlebenden, wird knapp. Aber um hier, von offizieller Seite, näheres zu erfahren, muss man aber ganz einfach die, mittlerweile, für halb vier angesetzte Pressekonferenz abwarten. Wir haben indes etwas Ursachenforschung betrieben. Und es wird hier im Ort vielfach die Meinung vertreten, dass die vor etwa fünfzehn Jahren erbauten Gebäude, der Wimmerjochbahngesellschaft, sowie die Kruxfeldalmhütte, auf einem von je her wegen seiner Lawinengefährlichkeit gemiedenen Gebiet gelegen sind. Man wird abwarten müssen, was die Untersuchungen hierzu zeitigen. Unzweifelhaft aber ist, dass hier im Skigebiet Saustadl, im letzten Jahr, große Teile des Bergwaldes abgeholzt wurden, - insbesondere hier an der Ostseite des Wimmerjochs. Und inwieweit sich dies’ begünstigend auf die Katastrophe ausgewirkt hat, werden ebenfalls die anstehenden Untersuchungen zeigen müssen.«
Hr. Wm. (wissend): »Des is’ des.«
Fr. Wm.: »Wos is’ wos?«
Hr. Wm.:»Psch psch pscht!«
Rs.: »Kann man denn schon etwas über die Zusammenhänge, die die Katastrophe von Saustadl direkt ausgelöst haben, sagen? Also, der Grund, weshalb die Schneemassen überhaupt erst in Bewegung geraten sind.«
Sm.: »Nein. Auch hierfür wird erst das Ergebnis einer offiziellen Untersuchung abzuwarten sein. Eines steht allerdings außer Zweifel: Nämlich, dass es dieses Jahr soviel Schnee hier gegeben hat, wie schon lange nicht mehr. Im Moment allerdings beansprucht die Rettung der Opfer jeden Gedanken und hat absoluten Vorrang.«
Rs.: »Kann man denn schon genauere Angaben darüber machen, wie viele Menschen verschüttet worden sind? Schätzungen gehen ja von bis zu Dreihundert aus?«
Sm.: »Nein. Genauere Angaben gibt es bislang auch hierzu keine. Aber man kann diese erste, vorsichtige Schätzung sicherlich nur bestätigen. Wobei, soviel ist jetzt schon klar, hier weniger die Rede von „bis zu“ Dreihundert sein werden wird, als vielmehr von „mindestens“ Dreihundert Opfern. Wie viele hier, heute aber genau ihr Leben lassen mussten, darüber gibt es bisher noch nicht einmal Schätzungen. Man ist hier bemüht, für die Angehörigen, so bald als möglich, eine Hotline einzurichten und versucht deshalb die Todesopfer, so schnell und zuverlässig als möglich zu identifizieren. Aber, wie gesagt, vornehmlich muss es jetzt darum gehen das verschüttete Gebiet freizulegen. Erst dann kann man zutreffende Angaben über ein genaues Ausmaß der Katastrophe machen.«
Rs.: »Wohin werden denn die Verletzten gebracht?«
Sm.: »Man versucht die Verletzten hier in die Krankenhäuser in der Nähe auszufliegen. Es sind auch bereits einige hier mit dem Armeehubschrauber abtransportiert worden, aber so ganz scheint das noch nicht zu klappen. Offenbar sind hier zu wenige Sanitätshubschrauber vor Ort im Einsatz. Soweit ich gesehen habe, ist man dabei, etwas abseits der Unglücksstelle, Zelte, zur ambulanten Erstversorgung aufzustellen.«
Rs.: »Wie sieht es denn mit einem Nachrutschen der Lawine aus? Kann man wenigstens das ausschließen?«
Ts.: »Hierzu hat mir der Einsatzleiter der Bergwacht hier, sinngemäß gesagt, was unten ist, sei unten. Allerdings wollte er zu der Möglichkeit, dass sich eine zweite Lawine aus dem Massiv, zu dessen Füßen wir hier stehen, lösen könnte, nichts verlässliches sagen.«
Rs.: »Nun, wollen wir’s nicht hoffen! Das Unglück ist auch so schon tragisch genug. Vielen Dank, einstweilen Thomas Schandmaul in Saustadl, wo heute eine Lawine, absehbar, eine der größten alpinen Katastrophen verursacht hat und über die noch lange zu reden sein wird.«
Gediegene Schlagermusik setzt ein. Herr Wagmüller sagt: »Ein Wahnsinn!« - trinkt den Rest seines Bieres und geht in die Küche um sich ein neues einzuschenken. Dabei wettert er: »Des war’n g’wiss de Snowboarder. Weil s’ euwei irgendwo ummanand’ fahrn miaßn. De Depp’n. Woast scho’, da is’s ausdrücklich verbot’n zum Fahr’n, dann miass’n s’ erst recht do hi’. Des is’ doch eine Schweinerei, dene g’herat olle da Schädl obag’schnien!«
Fr. Wm.: »Geh jetz’ spinn heud ned a so. Des werst du wiss’n!«
Herr Wagmüller, der sich sein ein weiteres Bier aus dem Kühlschrank genommen hat, das er gerade einschenkt, meint rechthaberisch: »Freille woaß i des! Des songs ja übereu, und lesen kost as a übereu! Euwei sans de Snowboarder! – Des G’sindl. – De Junga heud. De scheiss’n se doch nix mehr um de ander’n. – Gä, her ma doch auf!«
Fr. Wm.: »Sauf liaba ned so vui.«
Hr. Wm.: »Mei, wenn da Chef äh ned kimmt.«
Fr. Wm.: »Gä, des wissd ma doch no’ gar ned.«
Hr. Wm.: »Jetz’? Auf a meu?!«
Fr. Wm.: »Ja mei, wennst as du ned fertig bringst, dass d’ irgendwo oruafst.«
Hr. Wm.: »Du...du redst ja bloß euwei! Ruaf heud dann du o!«
Fr. Wm.: »Iii?! Des is’ doch ned mei Chef.«
Herr Wagmüller nimmt sein Bier und macht sich wieder auf den Weg ins Wohnzimmer. »Weil er a zum Skifahr’n fahr’n muaß.« Die Flasche lässt er diesmal stehen.
Fr. Wm.: »Häää! – Schaug das d’ die’ Flasch’n mitnimmst.« Er wendet sich kurz um und sie gibt sie ihm. Dabei meint sie noch: »Kon der überhaupt Skifahr’n? – Des is’ doch a Preiß.«
Herr Wagmüller nimmt die Flasche: »De! De kenan heit besser Skifahr’n wia de Einheimisch’n.«
Fr. Wm.: »Besser wia du, moanst heud.«
Hr. Wm.: »Iii? – I konn ’s ja glei’ gar ned.«
Fr. Wm.: »Ja em.«
Er stellt die Flasche wieder in den leeren Träger. In der Stereoanlage im Wohnzimmer ist der Schlager gerade zu Ende. Herr Wagmüller setzt sich aufs Sofa, seine Frau steht in der Tür und meint besorgt: »Trinkst aber heit nix mehr?!«
Herr Wagmüller bedeutet ihr gestikulierend still zu sein, da eben in diesem Moment ein weiterer Jingle einsetzt (mit düsterem Gewummer unterlegt): »Das Neueste von der Lawinenkatastrophe!«
Darauf hin hebt der Radiosprecher an: »Stück für Stück versucht man die verheerenden Folgen des Unglücks in Saustadl in den Griff zu bekommen. Und es hat sich wieder was getan. Wie das Landesamt für Katastrophenbekämpfung bekannt gab, hat es, unter der Nummer nullachthundertdreißigdreiunddreißigdzwölfdrei, zusammen mit den Behörden und den Rettungsmannschaften vor Ort, eine Hotline für Angehörige eingerichtet. Hier nun noch einmal die Nummer: nullachthundert, dreißig dreiunddreißig zwölf und die drei.«
Herr Wagmüller kramt, wie von der Tarantel gestochen nach dem vor ihm liegenden Kugelschreiber.
Rs.: »Ich wiederhole: das ist die gebührenfreie null achthundert, dann die dreiunddreißig, dreißigzwölf und die drei. Die Telephone sind ab jetzt belegt.«
Herr Wagmüller hat sich alles am Rand seiner Zeitung notiert, nun reißt er sie vom Tisch und schwenkt sie auf den Weg in die Küche, wie eine Signalflagge. Dort hat Frau Wagmüller den Schweinsbraten aus dem Kühlschrank genommen, um ihn noch einmal nachzuwürzen. Er hört indes, mit einem Ohr, noch auf die letzten Worte des Radiosprechers.
Rs.: »Um die Leitungen auch wirklich für Angehörige frei zuhalten, drängt Herr Kasparek, von der Landesanstalt für Katastrophenschutz darauf, dass auch wirklich nur Angehörige anrufen sollen. Desweiteren bittet er um Verständnis dafür, wenn es in dieser Phase der Bergungsarbeiten, noch nicht möglich ist über alle Opfer des Unglücks Auskunft erteilen zu können. Aber ich denke, das ist doch schon einmal ein Ansatz.« Musique.
Hr. Wm.: »Do schau’ her, jetz’ hamas. Jetz’ geht was.«
Fr. Wm.: »Wos hama?«
Hr. Wm.: »A Telephonnummer! Do ruafe jetz’ o, dann wiß’ ma glei mehra. – Und umsonst is’ a no’.« Er wendet sich bereits wieder ab, um im Wohnzimmer zu telephonieren.
Fr. Wm.: »Ja, hoffentlich is’ nahad ned umsonst.«
Herr Wagmüller stellt die Stereoanlage leiser, trinkt noch einmal von seinem Bier und wählt. Belegt. Er legt wieder auf und versucht es sogleich noch einmal. Wiederum ist belegt. »Jaja, des glab i scho’,« meint er, »de woin jetz’ olle wiss’n was los is’.«
Fr. Wm.: »Is’ belegt?«
Herr Wagmüller antwortet nicht, sondern konzentriert sich auf das Drücken der Wiederwahltaste. Legt wieder auf, drückt nochmals.
Fr. Wm.: »De moane ham des bloß g’sagt, um d’ Leid zum beruhigen.«
Hr. Wm.: »Krampf!«
Fr. Wm.: »Des wird’ heud nur für Angehörige sei’.«
Hr. Wm.: »Des wissen doch de ned ob mia Angehörige san. Ausserdem is’ des ein Notfall! – vastähst?«
Er versucht es noch einmal und schreit schließlich: »Jetz’ is’ frei!«
Hr. Wm.: »Ja grüss Gott, Wagmüller mein Name. Ich habe gerade im Radio g’hört, dass sie unter dieser Nummer Auskunft zu den – äh – Betroffenen, von dieser Lawinenkatastrophe machen – ääh – geben; – gebührenfrei! ( ... ) Ja eben, genau; - diese Lawinenopfer, do in de’ Berg’. Ja genau. Und do hät’ ich ganz gern ‚was über den Verbleib vom Herrn Burkhard g’wusst. Diplom Ingenieur E ... Eeeee ...Ernst! – Burkhard. ( ... ) Wie? – Asso, ja, mir geh’n davon aus, dass er in de’ Berg’ war. ( ... ) Nein, g’wieß wiss’n tu’ mas ned, aber es besteht doch eine nicht zu geringe Wahrscheinlichkeit, dass es so sein kannt. (....) Wie? sie ham bei weitem no’ ned olle Opfer geborgen? - Ja, aber ’s kon ja sei’, dass er bei dene’ die sie schon geborgen haben, dabei sei’ kannt. Wiss’n s’ des dat uns scho’ wahnsinnig weiter helfen. ( ... ) Wie? – Ääh, Angehörige. Äääh, ja, weit...äh –schweifig, ääh –läufig. ( ... ) Ja, ned direkt. Eher ... – ja mei, wia soi ma des song? Wissen s’, i bin quasi mit ’n Herrn Burghard g’schäftlich liiert. Des is’ euso quasi mei Chef und ... ja, ...mia erwart’n na heit zum Omdess’n ...« Herr Wagmüller spricht langsamer. Da er erzählt gewahrt er die Unmöglichkeit der Situation in die ihn seine bajuwarisch, dümmliche Selbstzufriedenheit gebracht hat. Die Wohnung erscheint ihm als ein Vakuum, abgeschnitten von der Realität. Er schwebt als Fremdkörper darin. »... Pfrau hod an Schwanzbron g’macht. Und wenn a vaschütt is’ daaan lohn ma d’ Riederas ei’.« Nein, nicht er schwebt. Er hockt, feist und schwer. Das Hirn in seinem Kopf schwebt, getragen von einem unförmigen Leib, der einzig dafür geschaffen scheint. Es ist ihm aufgesetzt wie eine Krone und schwebt sonnengleich durch den Raum.
Die Dame am Telephon sagt etwas, aber er hört es nicht. Herr Wagmüller sprich weiter; behäbig, wie gelähmt, kaum mehr verständlich: »Wei’ macha miast man, wei’a aa scho’ fertig braahn is’ ... aa Schmaahn g’würzt is’, mooane, aaber dann kemma Zwiiiebe hi’doa. Wei’ da Riedara mog ja koa...naaa da Dings moane...«
Die Sonne in seinem Kopf blitzt auf und ergießt sich in einem glühenden Strom über seine Empfindungen.
Der Hörer fällt ihm aus der Hand. Die Frau hat längst aufgelegt. Das Gleißen verebbt und er sackt, das Gesicht fahl, starren Blickes, auf die Lehne zurück.
Nach einer Weile scheint es Frau Wagmüller doch etwas ruhig geworden zu sein. Die Schürze nach wie vor umgebunden, die Ärmel aufgestrickt, kommt sie um nach ihrem Mann zu sehen.
Fr. Wm.: »Heinz! Heinz! Um Gottes wuin!« Sie nimmt den Hörer des Telephons und legt ihn auf die Station. »Heinz.« Sie berührt ihn im Gesicht. Sie merkt, dass er atmet. Daraufhin erfühlt sie mit der Hand das Herz. Impulsiv, wie man es ihr überhaupt nicht zugetraut hätte, reißt sie den Hörer wieder vom Telephon und wählt: 1 1 0.
Notruf (Nr) »Polizeinotruf, guten Tag.«
Fr. Wm.: »Grüß Gott, bitte komma s’ schnell, mei Mann liegt auf ’m Sofa und rührt se nimmer! Der hod an Herzinfarkt oder an Schlaganfall g’habt! Aber Schnaufa duat a no!«
Nr.: »Ja gute Frau, wir sind der Polizeinotruf. Was sie brauchen ist das Krankenhaus.«
Fr. Wm.: »Ja, des woase scho’. Aber des is’ de oanzige Nummer de mir ei’gfeun is’. Bitte kemman s’, oder schickan s’ jemand’. Des is’ doch a Notfall!«
<hr>
<i>Zur Verwendung der Handlung, in jedweder Form, bedarf es der Kenntnisnahme des Autors. Die Übertragung der Dialoge in andere Dialekte steht dabei frei.</i>
 
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Kommentare  

ooo-oooh, das Leben geht manchmal seltsame wege...
lieben gruss


Rüssi (04.04.2002)

Jou, ganz witzig!

esmias (26.05.2001)

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