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5 Seiten

Die weiße Lilie

Fantastisches · Kurzgeschichten
„Schmerz! Er spürte nur diesen höllischen, stechenden Schmerz in seinem Kopf und seinem Rückenmark. Schmerz, der ihn mit der Wucht eines Hammerschlages getroffen und zu Boden geworfen hatte und nun versuchte, auch noch seinen Geist zu zerschmettern.
Greyfairer bemühte sich die Augen zu öffnen, doch es gelang ihm nicht. Die Verletzungen waren einfach zu schwer. Immer schneller kroch nun die Kälte des Todes in seine Glieder, aber mit ihr wichen wenigstens auch die Schmerzen.
„Versagt, ich habe kläglich versagt“, dachte er mit einem traurigen Lächeln in den Mundwinkeln. Wieder versuchte er die blutverkrusteten Augen einen Spalt zu öffnen, und diesmal gelang es ihm. Was er sah lies ihn erschaudern. Rings um ihn herum war alles tot. Nicht nur zerstört von den Blitzen und Flammen des Kampfes, sondern regelrecht ausgelöscht von einer bösen, uralten und allesverzehrenden Kraft. Hier würde für sehr lange Zeit nichts mehr gedeihen. Überall brannte es noch und die Luft war schwer von Rauch und Aschestaub. Dann sah er sie.
Eine Gestalt in einem wallenden, blutroten Umhang gehüllt näherte sich ihm. In der Hand hielt sie ein faustgroßes Amulett in der Form einer weißen Lilie. Erst jetzt bemerkte Greyfairer, daß er das, was er mit seinem Leben beschützen sollte, nicht mehr bei sich trug. Es mußte ihm in der Hitze des Gefechts abhanden gekommen sein. Verzweifelt bemühte er sich die Gestalt zu erkennen, doch die Abendsonne stand ihr im Rücken, so daß Greyfairer geblendet wurde. Doch selbst als der Mann – er war sicher, daß es ein Mann war – neben ihm niederkniete, lag sein Gesicht im Schatten der Kapuze verborgen. Aber er konnte die eisigen Blicke und das spöttische Lächeln fühlen. Dennoch verspürte er keine Furcht mehr. Es war auch zu spät, um noch irgend etwas zu empfinden, da jeden Moment sein Leben beendet sein würde. Dann enthüllte der Mann sein Gesicht, und als Greyfairer es erkannte wich auch noch das letzte bißchen Farbe aus seinem vom Tode gezeichneten Gesicht. Nur mit größter Mühe gelang es ihm noch zu sprechen: „Du ?!“, hauchte er dem Mann entgegen, und dieser antwortete mit triumphierender Stimme: „ Ja, ich!“ Dann zog er einen goldenen Dolch aus seinem Gürtel und stach zu....

Und im selben Moment wurde in einem andern Teil der Welt ein Kind geboren.
Es war ein wunderschöner Knabe mit blauen Augen und silbernem Haar. Besonders seine Augen erfüllten die Mutter mit Ehrfurcht. Sie waren so klar und durchdringend als könnten sie direkt in das Innere eines Menschen blicken. Sie war so stolz auf ihn und doch rannen Tränen ihre Wangen hinab, da sie wußte, daß soeben sein Vater gestorben war. Als Gedenken an ihn gab sie dem Knaben den Namen Antharon Greyfairer. Sie konnte spüren, daß in ihm dieselben Kräfte – wenn nicht sogar noch größere – schlummerten wie in seinem Vater. „Huuungeeer“, brüllte der Kleine plötzlich. Etwas erschrocken und erstaunt wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Dann lächelte sie, entblößte ihre Brust und gab Antharon zu trinken. Dann nahm sie ihn in die Arme und legte ihn in seine Wiege, wohl wissend, daß dies das letzte Mal sein würde. Plötzlich war alle Freude aus ihrem Gesicht verschwunden und sie ging, um eine Tür zu öffnen, welche schon seit mehr als 30 Jahren verschlossen und versiegelt war.

Er wußte, daß der Knabe in dieser Nacht geboren worden war und er wußte auch, daß er nicht mehr viel Zeit hatte. Er mußte ihn finden bevor es zu spät war. Also gab er seinem schwarzen Hengst die Sporen und ritt wie der Teufel. Würde man ihm am Tage begegnen könnte man ihn für einen reichen Kaufmann halten, der eine Vorliebe für Elfenbein und Silber besaß, denn er trug einen silbernen Umhang über seinem feinmaschigen ebenfalls silbernen Kettenhemd. An seiner Seite hing eine kunstvolle Schwertscheide aus Silber und Elfenbein, in welcher wohl auch ein ebenso kunstvolles Schwert verborgen lag. Zusätzlich hing an seinem Sattel ein seltsam geformter Bogen aus Elfenbein und ein Köcher mit elfenbeinernen Pfeilen. Der Mond spiegelte sich auf all dem Silber und Elfenbein und dennoch schien es als verhindere irgend etwas, daß er schon von weiter Ferne erkennbar war. Er selbst war von großer Statur, besaß silbernes Haar und einen kurzen Bart. Als er merkte, daß sein Pferd langsamer wurde, legte er seine Hand auf dessen Stirn und wie von neuer Kraft erfüllt rannte der Hengst wieder in die Tiefe der Nacht.

Die Frau saß an einem Tisch in einer kleinen Kammer, die nur von zwei Kerzen erhellt wurde. Auf dem Tisch waren allerlei seltsame Symbole eingeritzt und es schien als würden sie sich manchmal bewegen. Dann begann sie plötzlich leise zu singen und Worte einer unbekannten Sprache zu murmeln. Ihr nackter Körper, ebenfalls mit diesen Symbolen bemalt, glänzte vor Schweiß. Der Knabe lag in seiner Wiege auf einem zweiten Tisch und schlief fest. Immer schneller begann die Frau zu sprechen und vor Anstrengung begann sie zu zittern und zu beben. Die Zeichen bewegten sich immer heftiger und Rauch, der sich langsam zu einer Gestalt zu formen schien, erfüllte den Raum. Gleichzeitig schien es wärmer zu werden und das Licht der Kerzen wurde von den Schatten im Rauch verschluckt. Die Frau atmete stoßweise und murmelte: „ nur noch eine Stunde!“

Er spürte, daß der Knabe in großer Gefahr schwebte und verlangte seinem Hengst alles ab. Dann endlich sah er in der Ferne ein Haus. Innen war es dunkel, nur aus einem Fenster drang etwas Licht hervor. „Dort muß es sein“, dachte er und plötzlich war er nervös. Was erwartete ihn dort. Vor wem oder was hatte Greyfairer soviel Angst gehabt. Fragen, auf die er nur eine Antwort finden konnte, wenn er das Haus betrat. Also ritt er weiter um das Haus möglichst bald zu erreichen.

Der Schatten war mittlerweile größer geworden und irgendwie fester, auch wenn man noch nicht erkennen konnte, was er darstellte. Die Frau schien wie in Trance und nahm ihre Umgebung nicht mehr wahr. Die Zeichen auf ihrem Körper waren vom Schweiß verwischt worden und sie wurde immer wieder von Krämpfen geschüttelt. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt und dennoch gelang es ihr noch Worte zu formulieren: „Frei, bald bin ich endlich frei!“ Noch eine halbe Stunde.

Er hatte das Haus erreicht. Leise stieg er ab und befahl seinem Pferd ruhig zu sein. Dann schlich er an das Fenster und blickte hinein. Und er wünschte sich sogleich er hätte es nicht getan. Was er sah lies ihm das Blut in den Adern gefrieren. Er sah die Wiege mit dem Kind und die Frau. Der Wahnsinn stand in ihren Augen, Speichel rann aus ihren Mundwinkeln. Ihr Körper wand sich in einem unerkennbaren Rhythmus und ihr Leib zuckte wild hin und her. Doch dann war da noch dieser Schatten, der eigentlich schon fast keiner mehr war. Er konnte unzählige Arme, Tentakel oder Ähnliches erkennen, da sich der Körper ständig zu verändern schien. Plötzlich formte sich ein Zungen-Tentakel, daß sich der Frau näherte und sie berührte als sei sie eine alte Freundin. Die Frau aber schien es weniger zu genießen. Ihr war der Ekel ins Gesicht geschrieben, doch wehren konnte sie sich nicht. Dann bildete sich eine Klaue und bewegte sich auf den Knaben zu, um ihn zu packen. In diesem Moment bäumte sich die Frau ein letztes Mal auf und schrie und in diesem Augenblick sprang der Mann durch das Fenster – und direkt in die Hölle.
Er hatte gehofft, den Schatten überraschen zu können, doch das nur 3 Schritt von ihm entfernte Etwas war keineswegs so sehr überrascht, oder ES lies es sich nicht anmerken. Jedenfalls sprang der Schatten sofort auf ihn zu, so daß er Mühe hatte, sich mit einem Sprung zur Seite außer Reichweite zu bringen. Gleichzeitig zog er sein Schwert und hieb nach dem Alptraum der Hölle. Fast zu spät realisierte er, daß er der Kreatur damit keinen ernsthaften Schaden zufügen konnte. Vielmehr mußte er die Quelle seiner Macht angreifen und sofort sammelte er seinen Willen um ihn dem Wesen entgegen zu schleudern. Doch der Erfolg war gering. Der Schatten war viel stärker als er befürchtet hatte. Aber er wankte, und das bedeutete, daß er ihn besiegen konnte. Diese Gedanken kosteten nur den Bruchteil einer Sekunde, doch er genügte dem Schatten seinerseits anzugreifen. Der Magier spürte die Bewegung und brachte sich rechtzeitig in Sicherheit – zumindest beinahe. Dennoch retteten seine hart trainierten Reflexe ihm vermutlich das Leben. Die Kreatur streifte ihn nur am Arm, doch wo ES ihn berührt hatte, verbrannte das Fleisch. Der Magier schrie auf, taumelte etwas zur Seite und versuchte erneut seinen Geist zu konzentrieren. Diesmal um einiges stärker als beim ersten Mal. Diesmal aber war das Wesen vorbereitet, und es begann der Kampf auf Leben und Tod, ohne Erbarmen. Zu bizarr und fremd, als daß man ihn beschreiben könnte. Der Geist des Magiers tat Blicke in eine Welt des Chaos, des Wahnsinns und der Vernichtung. Es war der Blick in eine Welt, welche die Seine werden würde, sollte er versagen. Bleierne Ohnmacht versuchte sich über seinen Willen zu legen und er glaubte schon dies sei das Ende. Doch plötzlich spürte er eine neue, frische Kraft in sich, die schnell an Stärke zunahm und mit deren Hilfe es ihm gelang das Wesen immer weiter zurückzudrängen. Und dann war es vorbei. Ein entsetzlich wütender Schrei erklang und der Schatten verschwand. Er hatte ihn besiegt.
Keuchend und kurz vor dem Zusammenbruch sank der Magier zu Boden und schloß die Augen, so daß er nicht bemerkte wie sich die Frau in ihre Bestandteile auflöste. Die Haut fiel in Streifen zu Boden, Fleisch verweste, Knochen splitterten und grünlich-gelber Schleim tropfte aus ihren Augenhöhlen und dem Mund, bis schließlich nur noch ein Häufchen Staub übrig war. Ein Schrei des Knaben holte den Magier wieder in die Realität. Er stand mühsam auf und ging zu dem Tisch, um den Knaben auf den Arm zu nehmen. Als er in die blauen Augen des Jungen blickte, wußte er auf einmal, von wem die neue Kraft gekommen war.
„Aber das ist unmöglich“, flüsterte er, doch eine innere Stimme sagte ihm, daß es so war. Etwas erschrocken, doch sichtlich erleichtert verließ er mit dem Knaben das Haus und ging zu seinem Pferd. Dann stieg er auf und sie ritten nach Westen. In die Wüste. Nach Hause.....


16 Jahre später

Vor einem schönen Haus mit roten Ziegeln und weißen Mauern striegelte ein 16-jähriger kräftiger gutaussehender junger Mann seinen weißen Hengst. Im Schatten einiger riesiger Dattelpalmen, am Ufer eines größeren Teichs war die Hitze noch einigermaßen auszuhalten. Auch wenn das Anwesen in einer kleinen Oase errichtet und genügend Wasser vorhanden war, konnte die erbarmungslose Sonne einen ganz schön auszehren. Auf der Veranda der Villa saß in einem Schaukelstuhl ein kräftiger Mann mittleren Alters mit silbernem Haar und einem weißen Bart. Er beobachtete den Jungen und genoß den Geschmack seiner elfenbeinfarbenen Pfeife. Sein Vater war schon ein außergewöhnlicher und seltsamer Mann, dachte Antharon während er Zoltan bürstete. Nicht nur, daß Lorion seine Rüstung und seinen Umhang niemals auszog, so als befürchte er, es könne jeden Moment jemand um die Ecke biegen, um ihn zu töten. Nein, das war es nicht allein. Es gab noch eine Reihe anderer Dinge. Zum Beispiel, daß er ein ganzes Zimmer voller alter, verstaubter, zum Teil sich auflösender Bücher aufbewahrte, welche er sich nie ansehen durfte, daß er oft übervorsichtig war, wenn sich jemand der Oase näherte und Wortkargheit. Er hatte ihn schon oft gefragt, wieso sie hier alleine lebten, ob er auf der Flucht vor jemandem war, u.s.w. Immer dieselbe Antwort: Wenn die Zeit gekommen ist, wirst Du alles erfahren. Und heute abend war es wohl endlich soweit. Sein Vater hatte ihm gesagt, sie würden heute ein langes Gespräch führen und daß sich sein Leben von heute an total ändere. Er platzte förmlich vor Neugier. Aber noch mußte er sich gedulden. Außerdem hatte er irgendwie das Gefühl, als würde er nicht nur Positives erfahren.


ER saß in seinem Versteck und wartete. ER wartete darauf, daß seine Kräfte wieder voll zu ihm zurückkehrten. ER mußte sich eingestehen, daß der Magier ihm mehr Schaden zugefügt hatte, als ER zuerst angenommen hatte. Doch trotzdem sendete ER schon wieder seinen Geist aus, um neue Untertanen zu finden...
 
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Kommentare  

Klasse geschrieben. Wann kommt die Fortsetzung?

Drachenlord (15.11.2002)

Sehr gut! Ich bin gespannt auf eine Fortsetzung dieser Magier-Geschichte.

Gudrun (27.05.2001)

Das schwarze auge lässt grüssen...

Dark Blaze (31.03.2001)

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