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11 Seiten

Der unsichtbare Dieb

Fantastisches · Kurzgeschichten
© Laura
Frierend zog er sich die Kapuze seines Überwurfs tiefer ins Gesicht. Er wusste, dass dies wenig Sinn hatte, doch es war eine alte Angewohnheit und Gewohnheiten ließen sich nur schwer wieder ablegen. Nach einem prüfenden Blick trat er aus der Gasse heraus. Es waren nur wenige Menschen unterwegs in diesem Teil der Stadt, da er hauptsächlich von Armen und Ehrlosen bevölkert war und die meisten von ihnen gingen entweder schon vor Sonnenuntergang nach Hause oder verließen ihr Haus erst mit der Dunkelheit. Wer konnte es ihnen verübeln.
Mit geschmeidigen Bewegungen den Passanten ausweichend, arbeitete er sich durch die Straße, bis er in eine der besseren Gegenden der Stadt kam. Hier bauten die Straßenverkäufer gerade ihre Stände ab und die ersten Huren erschienen in den Hauseingängen und beobachteten die Vorübereilenden. Er fragte sich immer wieder, was vernünftige Frauen, Mädchen und auch einige junge Männer dazu bewegen konnte sich zu verkaufen, doch er kannte die Antwort. Diese Stadt war Schuld daran. Die Reichen saßen in der Hinterstadt, und verdienten noch mehr Geld, indem sie die Ärmeren ausnahmen. Die Zauberer kümmerten sich selten um die normalen Menschen und so mussten diese eben selbst sehen, wie sie zurechtkamen. Irgendwann waren die Menschen in der Vorstadt dann so verzweifelt, dass ihnen nichts anderes mehr übrig blieb, als eben das zu machen, was diese heruntergekommenen Gestalten in den Hauseingängen taten. Er hoffte inständig, dass ihm so was nie passieren würde. Momentan hatte er so gesehen auch ganz andere Probleme.
Wie zur Bestätigung musste er einer Frau mit ihrem Kind auf dem Arm ausweichen, als diese beinahe in ihn hineingerannt wäre.
"Verfl...", murmelte er und schwieg sofort als die Frau sich verwundert umdrehte und die Straße hinunterblickte. Durch ihn hindurchsah. Wie sie es alle taten.
Er hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass er nun unsichtbar war. Und dabei ging das nun schon seit fast zwei Monaten so.
Er war ein Dieb, eigentlich konnte er sich nichts Besseres wünschen, als nicht gesehen zu werden. So war es anfangs auch gewesen, doch inzwischen machte es ihn fast verrückt. Nicht beachtet zu werden war nicht so schön wie er es sich immer vorgestellt hatte.
Als kleiner Junge, der regelmäßig von seinem Vater verprügelt worden war, hatte er sich oft gewünscht unsichtbar zu sein. Zu verschwinden. Einfach so. Schnipp und weg! Jetzt sehnte er sich beinahe danach, dass man ihn verprügeln würde. Doch es war nicht so einfach einen unsichtbaren Kiefer zu zerschmettern.
Er selber konnte sich sehen, eine Sache mehr, die ihn am Anfang verwirrt hatte. Tiere rochen ihn und hörten ihn, wenn er an ihnen vorbei ging, doch sehen? Nein.
So mussten Geister sich fühlen.
Es begann zu regnen. Dicke Tropfen fielen vom Himmel; durchnässten seinen Mantel. Davor schützte ihn die Unsichtbarkeit nicht. Es war sogar gefährlich, da das Wasser an ihm herunterlief und man ihn dadurch, wenn auch schemenhaft, erkennen konnte. Seit er eines Abends versehentlich eine Panik auf einem Platz ausgelöst hatte, ging er bei Regen nur noch nahe an Hauswänden entlang, wo er nicht auffiel.
Erleichtert stieß er die Tür zu einem kleinen Haus, das zwischen zwei heruntergekommenen Gebäuden eingeklemmt war, auf und betrat den Wohnraum. In der Ecke stand ein kleiner Herd, mit einer Kanne aus der es verlockend dampfte. Auf einem Stapel Holz, der daneben lag, schlief zusammengerollt, eine rotgetigerte Katze. Rhina, die Hausherrin saß in ihrem Sessel am Fenster und strickte, die Füße unter den Rücken eines alten grauen Hundes geschoben, der beim Geräusch der sich öffnenden Türe mit den Ohren zuckte.
Der Unsichtbare nahm seinen nassen Mantel ab und hängte ihn neben dem Herd an einen Haken. Sobald er das Kleidungsstück losließ wurde es sichtbar und kündete von seiner Anwesenheit.
"Ist es schon dunkel draußen? Du bist spät!"
"Vor einer Stunde ist die Sonne untergegangen.", berichtete er.
Rhina hatte gegenüber allen anderen Menschen denen er in den letzten Monaten begegnet war einen Vorteil. Sie war blind. Für sie war es gleichgültig ob er einen Schatten hatte, ob ihn Katzen sahen oder Mäuse. Sie hörte ihn und das war genug.
"Ich hab dir etwas mitgebracht.", eröffnete er ihr und legte ihr ein kleines Bündel in den Schoß.
"Was ist es?"
Neugierig betastete die Frau das Bündel und entfernte das Papier in das es eingewickelt war.
"Oh, ein Schal, und wie weich er ist. Welche Farbe hat er?"
"Gelb, wie die Sonne. Ich dachte es passt gut zu deinem Haar!"
"Vielen Dank, Joren. Aber... du hast doch hoffe ich dafür bezahlt. Du weißt ich will nichts von dem was du gestohlen hast."
"Wie denkst du dir sollte ich bezahlen?"
Rhina wollte gerade zu einer entrüsteten Erwiderung ansetzen, als er ihr beschwichtigend die Hand auf den Arm legte.
"Nein, Rhina. Keine Sorge, ich habe dem Händler sein Geld hingelegt. Auch wenn er trotzdem denken wird man habe ihn bestohlen, aber daran kann ich nichts ändern."
Rhina hörte den Schmerz in seiner Stimme.
"Ach komm schon. Svert durchforscht doch schon seit geraumer Zeit die gesamte Bibliothek."
"Ja, und er hat noch immer nichts gefunden."
"Gib ihm Zeit."

Eine weitere vermummte Gestalt stapfte durch den Regen der Stadt. Sie war klein und lief etwas gebückt, als hätte sie sich ihr Leben lang über staubige Bücher gebeugt.
Dieser verdammte Regen. Es regnete jeden Abend, sobald die Sonne unterging. Ein verpfuschter Zauberspruch von irgendeinem Novizen hatte vor zehn Jahren das Wetter über Astragorr durcheinander gebracht und bisher hatte niemand es geschafft den Spruch rückgängig zu machen. Was gäbe er dafür, in einer anderen Stadt leben zu können. In einer Stadt in der es nicht so oft regnete. Doch nirgendwo sonst gab es eine derartig umfangreiche Bibliothek an Zauberbüchern und diese leckeren Himbeerkuchen, von der Bäckerei hinter der Universität. Der kleine Mann seufzte und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Noch immer mit den Gedanken bei seiner Leibspeise stieß er die Tür zu Rhinas Haus auf und trat ein. Er begrüßte die Hausherrin und streichelte dem Hund über den Kopf.
"Wo ist Joren, ist er schon zuhause?"
Dann bemerkte er den Mantel, der neben dem Herd hing und eine kleine Pfütze auf dem Boden zurückließ.
"Ah, du bist da." Er sah sich suchend im Raum um. "Wo bist du?"
"Beim Fenster", sagten der Unsichtbare und Rhina gleichzeitig.
"Danke. Will jemand Tee?"
"Ich habe schon.", erwiderte Joren und hob die Tasse, die er in der Hand hielt. Er erinnerte sich daran, dass Svert das ja nicht sehen konnte und balancierte das Gefäß für einen Augenblick auf seiner Handfläche, wodurch es aussah, als würde sie einen knappen Meter über dem Fensterbrett schweben.
"Hey, seit wann kannst du da?", fragte Svert verwundert.
"Ich habe es vor ein paar Tagen entdeckt. Sachen werden nur unsichtbar, wenn ich sie am Körper trage oder sie mit den Fingern berühre. Wieso, ist das wichtig?"
"Ich weiß nicht."
"Gibt es denn irgendwas Neues?", erkundigte Rhina sich.
"Ich bin mir nicht sicher", gestand Svert und streckte sein Hinterteil dem Feuer entgegen.
"Kannst du mir noch mal genau erzählen wie es passiert ist?"
Joren seufzte. Wie oft hatte er diese Geschichte nun schon erzählt? Aber es half nichts. Svert war der einzige der ihm helfen konnte, zumindest war er der einzige Zauberer den er kannte. Der Unsichtbare stellte seine Tasse auf den Herd und zog einen kleinen runden Stein aus seiner Tasche, den er in der Hand hielt und mit den Fingern drehte. Es war ein Glücksstein, den er sich vor einigen Jahren einmal von einem Marktstand besorgt hatte. Der Verkäufer hatte hoch und heilig geschworen, dass der Stein jede Art von schlechter Magie bannen würde und den Besitzer dadurch schützen würde. Doch der Preis, den der Mann dafür verlangt hatte, war Joren zu hoch gewesen und so hatte er ihn sich kurzerhand geborgt, um ihn zu testen, wie er sich selber versicherte. Seitdem er unsichtbar war, glaubte er nicht mehr an die Kraft des Steins, doch er half ihm nachzudenken, wenn er ihn in der Hand hin und her drehte und außerdem war er schön anzusehen und so behielt er ihn. Aus Sorge, dass man ihn bestehlen könnte, trug er ihn immer in der Hosentasche mit sich herum.
"Also gut", begann Joren und versuchte sich genau an den verhängnisvollen Abend zu erinnern, damit er nichts Wichtiges ausließ...

Er war noch spät unterwegs gewesen, da sich nur noch wenig Geld in seinem Beutel befunden hatte und er sich durch einen kleinen Tipp, den er bekommen hatte etwas dazu verdienen wollte. Man hatte sich von einem Mann aus der Hinterstadt erzählt, der für einen der unerschöpflichen Kelche, die Novizen der Zaubererschule bereits im ersten Lehrjahr zuhauf herstellten einen guten Preis bezahlen würde. Die meisten Diebe von Astragorr hatten großen Respekt vor dem Besitz der Zauberer, weil man nie genau wusste was für Flüche auf einzelnen Gegenständen lasteten. Von manchen der Flüche wussten nicht einmal die Zauberer selber etwas, da es regelmäßig vorkam, dass ein Spruch daneben ging und ungewöhnliche Sachen passierten. So wie der nächtliche Regen oder die harmlos aussehenden Kochtöpfe die vor einigen Jahren in der Stadt kursiert und mehrere Köche verschlungen hatten. Seit dieser Zeit näherte Joren sich einer Küche nur mit äußerster Vorsicht. Doch er brauchte Geld und da es sonst nicht viele Angebote für einen Dieb mit seinen Fähigkeiten gab, hatte er beschlossen einen der Kelche zu stehlen.
Es war nicht sonderlich schwer in die Lagerhalle der Zauberschule zu kommen, da die Zauberer im Allgemeinen nicht mit Dieben rechneten und nur wenige der Türen ein ernstzunehmendes Schloss aufwiesen. So schlich Joren bereits nach kurzer Zeit durch die langen Reihen von Regalen, in denen alle möglichen Sachen aufgeschichtet waren, die die Zauberer nicht mehr brauchten. Man konnte sie auch nicht einfach wieder verwenden, weil sich manche Sprüche nicht miteinander vertrugen und da man nicht mit Sicherheit sagen konnte, welche Gegenstände mit welchen Sprüchen belegt waren hob man sie vorsichtshalber hier auf. Joren gab sich Mühe keines der Dinge, an denen er vorbei ging zu berühren, bis er zu einem Regal gelangte, auf dem unzählige Kelche in allen Größen, Farben und Formen untergebracht waren. Vorsichtig und mit einem stillen Gebet an die Götter nahm der Dieb einen der Kelche aus dem Regal und sah hinein. Er war leer. Verwundert nahm er einen anderen in die Hand, doch wieder mit demselben Ergebnis. Jeder Kelch den er untersuchte war leer. Wie konnte das sein? War er beim falschen Regal? Aber nein, an der Seite entdeckte er ein Schild auf dem in sauberen Buchstaben "Kelche / unerschöpfliche" zu lesen war. Verloren diese Dinger etwa nach einer Weile ihre Wirkung? Wütend nahm er den Kelch den er gerade in der Hand hielt und warf ihn zu Boden. Mit einem hellen Klirren prallte er einmal vom Boden ab und rollte dann an Joren vorbei, bis er am Fuße eines anderen Regals liegen blieb. Sprachlos starrte der Dieb auf das dunkelrote Rinnsal, das sich leise gluckernd, aus dem am Boden liebenden Kelch ergoss und um ihn herum eine Pfütze bildete. Schnell sprang Joren heran, um den steten Weinfluss zu stoppen indem er den Kelch aufhob und vorsichtig wieder aufrecht ins Regal stellte. Er lauschte ob jemand seinen Wutausbruch bemerkt hatte und wollte sich gerade wieder den Kelchen zuwenden, als er in der Weinlache ausrutschte und sich gerade noch mit rudernden Armen an einem anderen Regal festhalten konnte. Ein merkwürdiges eierförmiges Gebilde kam durch die Erschütterung, die Jorens Gewicht verursachte, ins Rollen und fiel. Im letzten Augenblick konnte der Dieb noch die Hand ausstrecken um den Gegenstand aufzufangen, bevor er den Boden erreichte und dort vielleicht zerbrach. Doch bevor er erleichtert aufatmen konnte, spürte er ein kribbeln, das seinen Arm hinaufwanderte und sich in seinem Körper breit machte. Mit einem erschrockenen Quieken öffnete er seine Hand und warf den Gegenstand weg. Er zerbrach klirrend, und Joren wartete mit geschlossenen Augen und angehaltenem Atem darauf, dass etwas geschah.

An dem Stechen in seiner Lunge merkte er, dass er noch immer lebte. Japsend holte er Luft und sah an sich herunter, ob er noch immer menschlich war. Seine Hände zitterten, als er sein Gesicht betastete und überprüfte, ob alles noch am richtigen Fleck und in der richtigen Form war. Auch seine Hautfarbe schien ihm normal. Erleichtert stellte der Dieb fest, dass ihm nichts passiert war. Der Gegenstand hatte ihn nicht durch einen fehlgeleiteten Fluch in einen Frosch verwandelt oder in auf andere Weise entstellt. Seine Hand glitt in seine Hosentasche und tastete nach dem Glücksstein, der ihn beschützt zu haben schien. Dann richtete er sich auf. Griff einen der unerschöpflichen Kelche und verließ so schnell er konnte die Zaubererschule. Man sollte sein Glück nicht herausfordern.

Erst am nächsten Tag hatte er festgestellt, dass irgendetwas nicht so war, wie es sein sollte. Mehrmals wurde er von Leuten auf der Straße angerempelt und auf der Hauptstraße hatte er sich nur mit einem beherzten Sprung vor den Hufen eines Pferdes in Sicherheit bringen können, das dessen Reiter direkt in Jorens Richtung gelenkt hatte. Es war geradewegs so als würden die Menschen ihn nicht sehen. Einige Male hatte er versucht Passanten anzusprechen, doch die hatten sich nur verwundert umgesehen und waren weitergegangen. Irgendwann hatte es ihm gedämmert dass er unsichtbar war und nach einem Augenblick des Schreckens hatte er sich darüber gefreut und den Göttern gedankt. Das war etwa eine Woche so gegangen und dann hatte er die Götter verflucht, dass sie ihn auf diese Weise straften. Es war langweilig. In den Tavernen bekam er nichts zu trinken und er fand niemanden der sich mit ihm unterhalten konnte, zumindest nicht wenn sie nüchtern waren. Selbst wenn er seine neue Fähigkeit nutzen wollte um zu stehlen, konnte er seine Beute nicht wieder loswerden, da kein Hehler mit unsichtbaren Dieben verhandelte.
So hatte er sich schließlich entschlossen eine Nachricht an seinen alten Freund Svert zu schicken und ihn um Hilfe zu bitten.

"...und nachdem du mir nach einer Weile endlich geglaubt hattest, hast du jeden Tag in der großen Bibliothek verbracht um einen Gegenspruch zu finden.", schloss Joren seine Erzählung.
Er war, während er gesprochen hatte im Zimmer herumgelaufen und auch nachdem er verstummt war, tat er noch ein paar Schritte und lehnte sich neben den Kamin.
"Ich habe mir heute mal Lagerhallen in der Zaubererschule angesehen und nach den Regalen gesucht von denen du gesprochen hast, Joren." Svert sprach in Richtung des Fensters und gestikulierte dabei mit seinem leeren Becher.
"Und hast du etwas gefunden?", fragte der Unsichtbare.
Sverts Kopf ruckte herum, bis er in die Richtung sah, aus der er Jorens Stimme gehört hatte.
"Ich... nein. Die Scherben dieses Dings das du beschrieben hast, wurden wahrscheinlich schon vor Wochen weggeräumt. Aber ich vermute, es war einer der Gegenstände, die man unsichtbar machen wollte. Es hat nicht ganz geklappt und als du ihn berührt hast, ist der Zauber auf dich übergegangen."
"Ich dachte das wussten wir schon.", meinte Joren ungeduldig und verlagerte sein Gewicht auf sein rechtes Bein, wobei er den Holzstapel anstieß, auf dem Rhinas Kater schlief. Das Holz kam ins Rollen und weckte das Tier auf, das daraufhin mit einem schrillen Maunzen davonsprang und sich fauchend und mit aufgestelltem Fell hinter den Ofen rettete.
Leise schimpfend legte Joren seinen Glücksstein auf den Kaminsims und kniete sich hin, um die Holzscheite wieder aufzuschichten. Hinter ihm stieß Svert einen Schrei aus. Der Dieb wirbelte herum und starrte den Zauberer an, der ihn mit weit aufgerissenen Augen ansah.
"Svert, was ist geschehen?", wollte auch Rhina wissen. "Was siehst du?"
"Joren!"
"Was ist?", fragte dieser.
"Ich kann dich sehen!"
"Wie meinst du das, du kannst mich...oh!" Joren sah an sich herunter, doch das brachte nichts, da er sich auch als er unsichtbar gewesen war, gesehen hatte. Er erhob sich und betrachtete seine Spiegelung in der Fensterscheibe.
"Tatsächlich. Ich kann mich sehen.", jubelte der Dieb und umarmte Svert stürmisch. Dann hielt er inne. "Aber warum kannst du mich wieder sehen?", fragte er misstrauisch. "Was ist, wenn ich gleich wieder verschwinde?"
"Ich habe keinen blassen Schimmer war geschehen ist.", gab der Zauberer zu. "Der Holzstapel ist umgekippt und plötzlich warst du wieder da."
"Ich bin gegen den Stapel gestoßen, aber das kann doch nichts damit zu tun haben.", mutmaßte Joren und strich sich mit der rechten Hand über sein stoppeliges Kinn. Während er unsichtbar gewesen war, hatte er sich nicht rasiert, da er sein Gesicht im Spiegel nicht hatte sehen können. Und außerdem, wer hätte ihn schon darauf hinweisen können?
In Gedanken versunken nahm er seinen Glücksstein vom Kaminsims und wollte ihn gerade wieder in seine Hosentasche stecken, als Svert einen merkwürdigen Ton ausstieß.
"Was ist denn nun wieder?"
"Du bist wieder weg."
"Was?"
"Na was ich sage, ich sehe dich nicht mehr."
"Oh ihr Götter, womit habe ich das verdient.", flüsterte Joren und suchte seine Spiegelung im Fenster. Sie war nicht mehr da.
"Was hast du gemacht?", fragte Svert.
"Wie meinst du da?"
"Na was du gemacht hast, bevor du wieder unsichtbar geworden bist?"
"Ich bin zum Kamin gegangen, habe meinen Glücksstein genommen..."
"Was für einen Stein?"
"Ach, nur einer dieser Magiebannenden Steine, die man auf dem Markt für viel zu viel Geld kaufen kann. Er ist nichts wert, wie wir gesehen haben. Aber ich behalte ihn als Glücksbringer. Ich habe ihn eigentlich immer in der Tasche.", erklärte Joren und zuckte die unsichtbaren Schultern.
"Zeig mir den Stein mal.", bat der Zauberer und streckte die Hand aus.
"Ich weiß zwar nicht warum, aber hier."
Joren ließ den Glücksstein in Sverts offene Hand fallen und starrte ungläubig, als der Zauberer verschwand.
"Svert?"
"Was?", erklang eine Stimme aus dem Nichts, etwa einen Meter vor Joren.
"Du bist weg..."
"Wie bitte?"
"Du - bist - weg.", wiederholte der Dieb, wobei er jedes Wort betonte.
"Jetzt wo du es sagst... Du bist wieder da!"
"Echt?" Joren überprüfte das Fenster und nickte bestätigend. "Du hast Recht. Heißt das der Stein ist daran Schuld?"
Er hörte wie Svert den Stein aufs Fensterbrett legte. Sofort war er wieder zu sehen.
"Sieht ganz danach aus."
"Soll das heißen, ich hätte nur den Stein aus meiner Tasche nehmen müssen und ich wäre wieder sichtbar geworden?", fragte der Dieb ungläubig und warf erneut einen Blick ins Fenster um zu überprüfen, ob er noch immer zu sehen war.
Ein weiteres Mal nahm Svert den Stein in die Hand und verschwand.
"Bin ich weg?"
"Ja!"
"Dann wird es wohl so sein wie du sagst. All diese Scherereien nur wegen eines kleinen Steines."
"Aber wie konnte das passieren?"
"So wie ich es sehe, hatten wir Recht mit unserer Theorie und der Spruch ist tatsächlich auf etwas anderes übergegangen, aber nicht auf dich, sondern auf den Stein. Es hängt wahrscheinlich mit dem Spruch zusammen, der auf dem Stein lag, um wie du sagst Zauber zu bannen. Es war zwar nicht ganz so wie es gedacht war. Aber er hat den Zauber gebannt. Und aus irgendeinem Grund wird jetzt jeder, der den Stein berührt, unsichtbar. Bis er ihn wieder weglegt."
Joren betrachtete seinen Glücksstein, der unschuldig auf dem Fensterbrett lag mit einem nachdenklichen Blick.
Svert sah den Dieb misstrauisch an. "Was hast du vor. Ich kenne diesen Blick, du führst doch was im Schilde."
"Ich, nein keineswegs. Du denkst viel zu schlecht von mir.", beruhigte er den Zauberer und versuchte sich seine Gedanken nicht mehr anmerken zu lassen.
"Wir sollten den Stein zurück zur Zauberschule bringen, damit man ihn da untersuchen kann.", schlug Svert vor und beobachtete Joren dabei.
"Das halte ich für keine gute Idee. Man könnte den Stein stehlen und missbrauchen.", gab der Dieb zu bedenken. "Ich würde ihn lieber... in den Fluss werfen."
"In den Fluss...?!"
"Damit er nicht in falsche Hände gerät."
"Und ich nehme an, du meldest dich freiwillig ihn dorthin zu bringen. Zum Fluss."
"Genau."
"Ich fürchte ich kann dir nicht trauen, Joren. Du hast dieses Glitzern in den Augen."
"Hab ich gar nicht, das ist das Kaminfeuer und außerdem ist der Stein mein Eigentum und ich kann entscheiden was damit geschieht."
"Ich fürchte damit hat er dich geschlagen, Svert.", mischte Rhina sich nun ein. "Wahrscheinlich würde er ihn sich so oder so wieder holen, wenn du ihn in die Zauberschule gebracht hättest. Er ist schon einmal hineingekommen, er würde es auch ein zweites Mal schaffen."
"Danke Rhina."
"Das war nicht als Kompliment gemeint Joren. Es ist die Wahrheit. Ich kenne dich nun schon lang genug."
"Ich denke nicht dass man deine schlechten Angewohnheiten noch durch einen unsichtbarmachenden Stein unterstützen sollte. Du warst schon vor diesem Einbruch in der Zauberschule nicht viel besser als eine Elster und jetzt willst du deine Arbeit auch noch durch diesen Stein vereinfachen?", schimpfte Svert. "Ich denke es dient dem Allgemeinwohl, wenn du den Stein wirklich in den Fluss wirfst..."
"Gut...", begann der Dieb doch er wurde von Svert unterbrochen.
"...und ich dich begleite, damit du ihn nicht aus versehen in deiner Tasche verschwinden lässt."
"Das ist eine gute Idee Svert.", stimmte Rhina zu und richtete ihre blinden Augen erwartungsvoll auf Joren.
"Ihr beide geht zum Fluss und schmeißt diesen Stein weg, damit Ruhe ist."
"Wie kann man nur eine so schlechte Meinung über seine Freunde haben.", beschwerte sich der Dieb und verzog das Gesicht.
"Du bist ein Dieb, was erwartest du.", beschwichtigte Svert. "Und jetzt laß uns gehen."
"Aber es regnet.", warf Joren ein.
"Na und? Das tut es jede Nacht... Willst du bis zum Tageslicht warten, damit uns alle dabei beobachten können?"
Der Dieb grummelte etwas Unverständliches und schwieg.
Dann machten sie sich zum Aufbruch bereit. Der Zauberer umfasste Jorens Handgelenk, damit er ihn wenn der Dieb unsichtbar war nicht verlor und Joren nahm den Stein vom Fensterbrett. So machten sie sich auf den Weg.
Sie hatten sich noch nicht weit von Rhinas Haus entfernt, als Svert spürte wie Joren anhielt.
"Was ist?", fragte er den Unsichtbaren an seiner Seite.
"Ich habe irgendwas im Stiefel.", erklärte Joren und bückte sich. Der Zauberer, der noch immer sein Handgelenk umfasst hatte, folgte der Bewegung.
"So, das ist besser", sagte Dieb und zog Svert weiter.

Einige Minuten später erreichten sie das Ufer des kleinen Flusses, der sich träge durch Astragorr wand. Nicht einmal Joren würde so verrückt sein und den Stein da wieder herauszuholen. Einige Meilen stromaufwärts floss der Fluss an der Zauberschule vorbei und nahm dabei auch einige Abwässer der Schule auf. Er wollte nicht wissen, was man alles im Wasser finden konnte, nachdem es dort vorbei war. Svert schauderte bei dem Gedanken. Nein hier würde der Stein sicher sein.
"Also los, schmeiß ihn rein.", forderte er den Dieb auf. "Was ist los?", wollte er wissen, als Joren zögerte.
"Ich finde es ist schade um den Stein, man könnte so viele Sachen mit seiner Hilfe machen."
"Jetzt hör schon auf, wir haben uns doch darauf geeinigt, dass es so am Besten ist. Los jetzt!"
Er hörte wie der Dieb seufzte. Dann plumpste etwas ins Wasser und Joren war wieder sichtbar.
"Na also, so schwer war das doch gar nicht."
"Laß uns heimgehen, mir ist kalt.", erwiderte der Dieb nur und wendete sich zum gehen.
"Du hast Recht.", stimmte der Zauberer zu und folgte Joren die Straße hinunter. Nach einer Weile verabschiedeten sie sich an einer Häuserecke.
"Komm gut heim, Joren. Und stell nichts an.", sagte Svert.
"Würd ich nie machen.", erwiderte der Dieb grinsend und zog seinen nassen Mantel enger um seine schmalen Schultern.
"Naja, lass dich zumindest nicht dabei erwischen."
Damit drehte Svert sich um und ging.

Joren wartete noch einen Augenblick, ob der Zauberer sich noch einmal umsehen würde und machte sich dann auf den Weg zurück zum Flussufer. Er musste seinen Glücksstein aufheben, den er dort irgendwo auf den Boden hatte fallen lassen. Glücklicherweise hatte Svert nicht sehen können, wie er den gewöhnlichen Straßenstein, den er vor Rhinas Haus aufgehoben hatte, an Stelle des Glückssteins ins Wasser geworfen hatte. So eine Verschwendung.
Der Stein lag noch immer dort, wo er ihn vermutet hatte. Mit seinem Ärmel wischte Joren den Schmutz von der glatten Oberfläche des Steins und ließ ihn dann in seiner Tasche verschwinden. Er gab sich keine Mühe ein Kichern zu unterdrücken.
Das war der Beginn einer großartigen Zeit, und er würde sie genießen.
 
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Kommentare  

Ist eigentlich nicht ganz meine bevorzugte Geschichtenkategorie (ich mag den Humor etwas derber), aber trotzdem hat diese Geschichte was.
Ich hätte mir aber doch noch einige Erklärungen gewünscht.
Trotzdem nicht übel.


Andi (29.01.2003)

nette kleine Geschichte; was wäre passiert wenn er den Stein in den Fluß geworfen hätte und der Fluß unsichtbar geworden währe?........
mit ein paar Worten eine vollkommen andere Realität entwerfen............
Die Geschichte hat`s .............


Frank-Michael (24.01.2003)

Deine Geschichte ist Ungewöhnlich. Die Kombination, Unsichtbarkeit und Krimineller war mir bisher unbekannt.
Bis zu der Stelle als Dieb und Zauberer den Stein als die Quelle der Unsichtbarkeit entdecken, hat mir die Storie sehr gut gefallen.
Ab da nahm die, ich nenne sie mal Interessenkurve, rapide, bis auf den Nullpunkt ab.
Der Schluß ist, meiner Meinung nach, zu einfach, zu laff.
Schnell wurde mir klar das der Dieb den Stein nicht in den Fluß werfen wollte und erwartete jetzt Beutezüge als Unsichtbarer. Da wären bestimmt lustige und spannende Situationen entstanden. Doch leider endet die Geschichte mit der Wiederbeschaffung des Steines.
Vielleicht schreibst Du ja mal einen zweiten Teil.
4 Punkte


Wolzenburg (16.01.2003)

1.Endlich mal eine Geschichte mit ausgefeilten Details! Natürlich hätte man die Handlung auch auf drei Seiten watschen können. Dann wäre eine Story bei rausgekommen, wie es (leider zu) viele auf webstories gibt...etwas weißbrotähnliches...farblos, geschmacklos, spannungslos...irgendwie fad...
Wieviel angenehmer liest sich eine Geschichte wie diese! Gerade die Details lassen die von dir kreierte Welt schnell in Lesers Kopf entstehen. Danke für die "Fülle".

2.Guter, flüssiger Schreibstil, der die Details so nebenbei mitliefert, ohne je ausufernd zu klingen oder zu langweilen. Man ist immer dabei, ist immer am Ball.

3.Schöne Geschichte! Klar, der kleine Dieb ist ein hinterlistiger Fuchs, aber man verzeiht ihm den kleinen Schwindel nur zu gerne. Er hat es schon schwer genug in dieser kalten, unwirtlichen Stadt.

4.Hat mir von Anfang bis Ende gefallen.
5 Punkte und keinen weniger!!!!!


Stefan Steinmetz (15.01.2003)

ICH WUSSTE ES! Ich WUSSTE es einfach! - Ehrlich, auch ich würde mich von solchen moralphilosophischen Bedenken, wie sie Svert und Rhina äußern, auch nicht beeindrucken lassen. Zumal dem "gemeinen Volk" ja scheinbar etwas von Mangel erzählt wird, während auf der anderen Seite der Überfluss ständig wächst und somit praktisch bereits bewiesen ist, dass sich ein Großteil der Bevölkerung sowieso nicht an die Prinzipien von Recht und Ehre hält.
Nee, ich wäre von dem Protagonisten echt enttäuscht gewesen, hätte er nicht einen Weg gefunden, den Stein zu behalten und für seine Interessen zu nutzen.
Noch mit einem vergnügten Funkeln im Auge vergebe ich gerne
5 Punkte


Gwenhwyfar (14.01.2003)

Gefällt mir ausgesprochen gut.
Die Welt die du da konstruiert hast und mit wenigen, geschickt eingebauten Hinweisen erklärst, zieht einen schnell in ihren Bann. Kompliement.
Gibt es noch mehr Geschichten aus dieser Welt?
Die Magier mit ihren verhunzten Zaubersprüchen bieten ja noch ein unüberschaubares Potenzial...
Viele Grüße
Drachenlord


Drachenlord (13.01.2003)

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