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4 Seiten

Das hatte ich mir anders vorgestellt... (60 Min bis zum Weltuntergang)

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
© Laura
Meine Damen und Herren, die Nachrichten: Vertreter aller Nationen haben nun offiziell verkündet dass die Welt heute untergehen wird. Wie bekannt wurde, hatte es schon seit einigen Tagen Anzeichen für das bevorstehende Ende gegeben. Abordnungen von Wahrsagern und Propheten hatten bei ihren jeweiligen Regierungen vorgesprochen, das Ende der Welt vorhergesagt und dann kollektiv Selbstmord begangen. Die Angaben der Seher wurden nun überprüft und es wurde bestätigt, dass die Welt tatsächlich heute um Vier Uhr ihre Existenz in diesem Universum beenden wird.
Der Nachrichtensprecher machte eine kleine Pause in der man im Hintergrund hektische Bewegungen und das Klirren von Glas hören konnte.
Äh… ja…da wir nur noch etwa 60 Minuten Zeit haben, sehe ich es nicht ein, warum ich noch weiter hier sitzen und für einen Hungerlohn arbeiten sollte. Ich spiele noch ein letztes Lied und dann bin ich weg. Leben sie wohl.
Ich stand etwas irritiert in meiner Küche und starrte auf den halb abgetrockneten Teller in meiner Hand. Ich versuchte mich zu erinnern, was ich gerade getan hatte bevor, die wie es schien letzten Nachrichten des Tages, gesendet worden waren. Mein Blick schweifte durch die Wohnung in der ich nun schon seit zwei Jahren wohnte. Streifte über die Bilder an der Wand, über das Sofa und den Teppich, über die kleine Kommode mit den Blumen und blieb schließlich am Radio hängen. Soso, die Welt ging also in einer Stunde unter. Schade eigentlich.
Dem Lied im Radio folgte Stille. Scheinbar hatten sich die Mitarbeiter des Senders ihrem Kollegen angeschlossen und sich spontan den Rest ihres Lebens frei genommen. Eigentlich haben sie Recht dachte ich und legte den noch immer feuchten Teller zurück in die Spüle. Ich wollte nicht mein Leben in meiner Wohnung beenden; immerhin schien die Sonne und das sollte man doch wirklich noch ausnutzen.
Draußen auf der Straße blieb ich stehen. Was würdest du tun wenn du nur noch eine Stunde zu leben hättest? Diese Frage hatte mir mal ein Freund gestellt. Ich hatte darüber nachgedacht doch ich konnte mich nicht mehr an die Antwort erinnern. Dementsprechend unvorbereitet stand ich jetzt vor dem Problem meine letzten Minuten sinnvoll zu verbringen. Ich beschloss mir den Weltuntergang von meiner Lieblingsstelle, oben auf dem Aussichtshügel hinter der Stadt, aus anzusehen und machte mich auf den Weg.
Auf den Straßen fiel mir das allgemeine Chaos auf, in das die Ankündigung des bevorstehenden Endes, die Stadt gestürzt hatte. Autos versuchten sich ihren Weg durch verstopfte Straßen zu bahnen auf denen andere Autofahrer ihre Fahrzeuge einfach irgendwo hatten stehen lassen ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob sie dort vielleicht im Weg sein könnten. Die Leute hupten und schrien und hieben auf die Dächer ihrer Autos um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Ich versuchte sie so gut es ging zu ignorieren und schlenderte gemütlich weiter.
Irgendwie hatte ich mir das Ende der Welt anders vorgestellt. Großartiger. Mit Blitz und Donner oder Erdbeben oder ein Krieg, aber so? Es kam etwas überraschend wie ich fand, aber warum eigentlich nicht, schließlich hatte alles irgendwann mal ein Ende und man sollte ja auch aufhören wenn es gerade am Schönsten war. Ich kam an einigen Leuten vorbei, die verzweifelt versuchten eine Bank zu stürmen um ihr Geld abzuheben. Die Angestellten hinter den Schaltern hatten allerdings, wie scheinbar alle anderen Arbeitnehmer in der Stadt ihren Arbeitsplatz verlassen und machten sich sprichwörtlich noch ein schönes Leben.
Ich ging weiter und hob unterwegs einen Apfel auf, der aus einer verlassenen Einkaufstüte gerollt war. Ich verschluckte mich an dem Stück das ich gerade abgebissen hatte, als mir eine nackte Frau entgegen kam und brauchte eine Weile bis ich wieder Luft bekam. Als die Frau gerade auf meiner Höhe war brachte ich ein „…Äh…?“, hervor und war erstaunt als ich eine Antwort erhielt: „Das wollte ich schon immer mal machen“, erklärte sie lächelnd und ging weiter. Hinter mir verstummten die Hupen der Autos schlagartig und setzten auch erst nach einer Weile wieder ein, als die Frau hinter irgendeiner Straßenecke verschwunden war. Ich biss geistesabwesend in meinen Apfel und sah mich einmal vorsichtshalber um, ob nicht irgendwo ein neuer Hustenanfall auf mich wartete, doch alles schien einigermaßen normal.
Der Weg zum Aussichtshügel führte durch einen kleinen Park mit vielen rosa und weiß blühenden Büschen. Irgendwo neben dem Weg in einem der Dickichte hörte ich jemanden Kichern und dann andere Geräusche die nur einen Schluss übrig ließen. Willst du den Rest deines Lebens mit mir verbringen? bekam wie es schien nun eine ganz neue Bedeutung. Ich beschleunigte meine Schritte um niemanden zu stören und erreichte schließlich den Aussichtshügel.
Auf meiner gewohnten Parkbank saß ein Kind. Seine Beine baumelten über den Rand der Bank und es sah aus als würde es angestrengt etwas beobachten.
„Darf ich mich setzen?“, fragte ich und wurde mit einem Nicken dazu eingeladen.
Wir saßen eine Weile schweigend da und betrachteten die Stadt unter uns. Irgendwo in der Nähe der Einkaufstraße stieg Rauch auf.
„Sie haben angefangen zu plündern“, stellte das Kind fest und schüttelte den Kopf als hätten sich seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet. Mir fiel auf, dass ich nicht genau sagen konnte ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Es trug ein weißes T-Shirt und weiße Hosen und hatte mittellange Haare.
„Komisch dass ihnen nichts Besseres einfällt für ihre letzte Stunde“, sagte da das Kind und riss mich aus meinen Überlegungen.
„Mmh ja. Vielleicht glauben sie nicht daran“, mutmaßte ich.
Das Kind sah mich erstaunt an.
„Wieso?“
Ja, wieso eigentlich?
„Wahrscheinlich haben sie es sich anders vorgestellt. So mit ’Der Himmel verfinsterte sich und Feuer stieß aus der Erde…’“, improvisierte ich.
„Ich dachte es wäre angenehmer wenn sie keine Angst zu haben brauchten.“
„Du dachtest…“ Ich hielt verwirrt inne. Erst jetzt fiel mir auf, wie ungewöhnlich es war, dass ein Kind in einer solchen Stunde nicht von irgendeiner Mutter gesucht wurde. Doch dann erinnerte ich mich an die Geräusche in den Büschen und die nackte Frau in der Stadt. Nein im Augenblick war es wahrscheinlich gar nicht mal so ungewöhnlich. Jeder schien momentan seine volle Konzentration auf sich selbst zu lenken.
„Hattest du denn etwas damit zu tun?“, fragte ich scherzhaft.
„Ja natürlich.“
„Aha…“
Ich beschloss mich nicht weiter darüber zu wundern. Merkwürdige Zeiten brachten merkwürdige Situationen hervor. Die Welt ging unter, an einem wunderschönen Sommertag. Warum sollte nicht auch ein Kind seine Hände im Spiel gehabt haben?
Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass der Erde nur noch wenige Minuten blieben.
Einen Augenblick lang versuchte ich zurückzublicken und mich zu erinnern ob ich etwas in meinem Leben bedauerte. Mir fielen ein oder zwei Sachen ein, doch ich beschloss, dass das nun auch nicht mehr wichtig war. Dann plötzlich erinnerte ich mich wieder daran, was ich hatte machen wollen wenn die Welt unterging und ich fing an zu kichern. Es dauerte nicht lange da ergriff mich das Lachen und ich lachte bis mir der Bauch weh tat und mir Tränen aus den Augen liefen.
„Es ist dir doch noch eingefallen“, stellte das Kind fest und lächelte glücklich.

Ich lachte noch immer als der Zeiger meiner Uhr auf die Vier rückte und die Welt aufhörte zu sein…
 
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Kommentare  

lustig, wie der protagonist so cool bleibt, während alle leute in panik oder eigenartige verhaltensweisen rutschen... =D

Christina Chrissi (19.06.2008)

Ja, das trifft es wohl. Das Ende alles Lebens ist nah und die Menschen sammeln noch immer Wertgegenstände. Schön gesagt, schön geschrieben und voll ins schwarze getroffen. Gefällt mir gut.

Drachenlord (27.04.2005)

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