OK, hier erst mal ein paar Worte von mir: Da ich das zum ersten Mal mache und doch noch ziemlich neu bin was all das hier angeht, weiß ich nicht genau, was üblich ist. Was ich an dieser Stelle gerne ein wenig ausführen würde ist die Premise dieser Geschichte:
Ein Ami, Mitte 20, weiß nicht, dass er eigentlich ein Klon eines schottischen DJs ist. Auch wenn er jetzt noch für SO-Asien gebucht ist, fliegt er doch irgendwie im Urlaub nach Schottland, wo er sein Original trifft...
Aber jetzt wünsche ich viel Spaß beim Lesen und, hoffentlich, weiter schreiben! :)
*****
Ich hatte meine Eltern nie gekannt. Die frühesten Erinnerungen, die meinen Kopf durchstreiften, waren von dem Waisenhaus, in dem ich aufgewachsen war.
Die Kinder dort auf dem Spielplatz waren beneidenswert. Sie lachten und tollten herum, ohne Sorgen. Nicht dass ich das nicht als Kind auch gemacht hätte. Doch der Unterschied war, dass diese Kinder wussten, ihre Eltern waren für sie da und gaben auf sie acht. Jeden Morgen stimmte mich dieses Bild tief drinnen ein wenig traurig.
Jeden Morgen kam ich an diesem Spielplatz vorbei. Ich ging zu Fuß zur Arbeit. Es war nicht besonders weit. Ich arbeitete für die Regierung, besser gesagt, für das Federal Bureau of Investigation. Jedoch sollte man nicht denken, dass mein Job mit der Arbeit der FBI-Agenten zu vergleichen wäre. Ich war keiner von denen. Mein Job war uninteressant und monoton. Ich war in der Buchhaltung. Trotzdem war es ein guter Job, und er brachte mir das Geld ein, das ich zum Leben brauchte. Natürlich wusste ich auf Anhieb Dutzende Jobs, die ich mit mehr Freude ausgeübt hätte. Auch Buchhalter hatten Fantasie. Allerdings konnte ich mir auch ohne zu zögern viele Jobs vorstellen, die ich weniger gern gemacht hätte.
Ich hatte eben ganz normal einen guten High-School-Abschluss gemacht, war dann dank eines Stipendiums nach Minnesota aufs College gegangen und hatte mit Auszeichnung abgeschlossen. Schließlich war ich dann nach mehreren gescheiterten Versuchen hier in Washington gelandet.
Und die Regierung zahlte nicht schlecht. Ich konnte mir immerhin eine ausreichend große Wohnung in einer sicheren Gegend leisten.
Als ich den graubraunen Betonblock betrat, in dem die angesehensten Bundesagenten arbeiteten, wurde ich schon vom Wachmann an der Tür gegrüßt. Ich grüßte kurz zurück und machte mich zielstrebig auf den Weg zu meinem Büro. Nun ja, wenn man in meinem Fall von einem Büro sprechen konnte. Der große Raum war von Schreibtischen voll gestellt, die nur durch Trennwände mehr oder minder voneinander abgeschirmt waren.
Und einer dieser Schreibtische war meiner. Ich hatte ihn nicht besonders dekoriert. Andere hatten ihre Schreibtische voll gestellt mit Fotos von ihren Familien - von der Mutter bis zum Enkelkind. Doch wessen Foto hätte ich aufstellen können? Ich lebte allein, und war zudem Waise. So war mein Schreibtisch verhältnismäßig leer und aufgeräumt. Nur in den Schubladen bunkerte ich immer einen ganzen Stapel Gummibären. Ich ließ sie mir immer aus Deutschland schicken. Es waren einfach die besten. Ich verschlang sie regelrecht.
Neben der Schreibfläche lag auf einer Ablage ein Stoß Akten. Das war also meine Arbeit für heute. Ich hängte meinen Mantel auf, stellte meine Aktentasche ab und ließ mich in meinen bequemen Bürodrehstuhl fallen. Ich war etwas zu früh gekommen. Es war noch nicht neun Uhr. Jedoch wollte ich heute etwas früher gehen, und so fing ich schon mit der Arbeit an.
Es war eine ermüdende Tätigkeit, sämtliche Zahlen aus Berichten zu einer einheitlichen Liste zusammenzutragen. Und so brauchte ich bald den Zucker, den die Gummibären lieferten, um konzentriert zu bleiben. Mittagspause machte ich so gut wie nie.
Mit keinem meiner Kollegen wollte ich mehr zu tun haben, als unbedingt nötig war. Die meisten waren Spießer, die auch in der Freizeit nur an ihre Arbeit dachten, und damit ihre Frau oder ihre Katze langweilten.
Sobald ich aus diesem Gebäude heraustrat, war für mich meine Arbeit vorbei. Ich verbrachte meine Freizeit anderweitig. Ich spielte leidenschaftlich Baseball. Dort verbrachte ich auch den größten Teil meiner Freizeit. Wenn ich nicht selbst spielte, dann hatte ich Karten für Pro-Spiele. Außerhalb der Saison dagegen verbrachte ich den größten Teil meiner Zeit mit Freunden. Die meisten von ihnen kannte ich schon seit meiner Kindheit im Waisenhaus. Wir trafen uns an langen Winterabenden und machten zusammen Musik. Ich selbst spielte Klavier. Ich konnte zwar kaum Noten lesen, doch war ich im Improvisieren nicht schlecht. Dieses Talent kam mir auch bei Reden zugute, die ich bei diversen Geburtstagen oder Betriebsfeiern halten musste. Man konnte sagen, ich war nicht auf den Mund gefallen.
Doch bei der Arbeit hütete ich mich davor, ihn aufzumachen - außer um meine heißgeliebten Gummibärchen hineinzuschieben natürlich. Bei den Leuten hier konnten unüberlegte Äußerungen schnell falsch aufgefasst werden.
Die Arbeit war lang und ermüdend, jedoch war ich rechtzeitig fertig, um wie geplant früher gehen zu können. Ich packte meine Sachen, schrieb mir noch ein Memo an mich selbst, bald wieder neue Gummibären zu bestellen, und verließ das Gebäude. Der Wachposten am Eingang sah kurz hoch, als ich an ihm vorbeiging, murmelte aber nur unverständlich und widmete sich wieder seinen Bildschirmen.
Sobald ich den J.-Edgar-Hoover-Bau verlassen hatte, atmete ich tief durch. Feierabend. Inzwischen hatte es schon zu dämmern begonnen, und die Straßenbeleuchtung wurde eingeschaltet. Ich wandte mich nach links und schlenderte die Straße entlang.
Der Grund, warum ich heute eher Schluss gemacht hatte, war, dass ich mir vorgenommen hatte, noch zum Reisebüro zu gehen, um meinen ersten Urlaub seit vier Jahren zu buchen. In zwei Monaten war es soweit. Ich hatte endlich drei ganze Wochen Urlaub, und die gedachte ich nicht zuhause zu verbringen.
Als ich das Reisebüro betrat, wurde ich schon freundlich von Trish begrüßt. Ich kannte Trish schon seit ich denken konnte. Patricia Smith war damals im Alter von zwei Jahren ins Waisenhaus gekommen. Sie hatte ihre Mutter bei einem Autounfall verloren. Ihren Vater hatte sie nie kennen gelernt. Sie war ein sehr stilles und in sich gekehrtes kleines Mädchen gewesen und hatte oft geweint. Ich war damals fünf Jahre alt gewesen und hatte ihr Geheule nicht mehr ertragen können. Ich war deshalb zu ihr gegangen. Doch es war alles anders gekommen, als ich es beabsichtigt hatte, und ich war von da an so etwas wie ihr Beschützer gewesen.
Nun war sie 23 und eine hübsche junge Frau. Die glänzenden braunen Locken schmiegten sich zart an ihr weiches, herzförmiges Gesicht. Sie war eine derjenigen Leute, die ich regelmäßig sah. Sie begleitete mich oft zu Pro-Spielen, besonders wenn ihr Lieblingsteam, die Red Sox, spielten.
Jetzt lächelte sie mich honigsüß an. "Dass man dich auch mal wieder sieht..."
Ich war in letzter Zeit etwa jeden Abend zu ihr gegangen, da sie ziemlichen Stress mit ihrem Freund gehabt hatte.
Ich grinste zurück. "Tja, so ein Zufall aber auch, dass ich gerade dich hier treffe..." Sie war überhaupt der Grund, warum ich bei diesem Reisebüro meinen Urlaub buchte. "Jetzt im Ernst. Alles klar bei dir?"
Ihr Lächeln wich einem besorgten Schulterzucken. "Ich weiß es nicht. Kevin ist heute früh ausgezogen. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob ich darüber glücklich sein soll oder nicht."
"Jetzt entspann dich erst mal. Weißt du was, ich lad dich nach Dienstschluss auf eine schöne Tasse Java ein. Was sagst du dazu?"
Sie schien froh, nach der Arbeit nicht sofort in die Wohnung zurückkehren zu müssen, in der sie noch bis gestern mit Kevin zusammen gelebt hatte. "Danke, das ist lieb von dir." Sie schenkte mir ihr bezauberndes Lächeln, dann fuhr sie in sachlichem Ton fort. "Also, was kann ich für dich tun?"
"Naja, ich suche einen Ort, der möglichst weit von Washington entfernt ist."
"Sag bloß, du fährst in Urlaub?" Sie hatte den Kopf so voll gehabt die letzte Zeit mit ihren eigenen Problemen, dass ich ihr davon noch gar nichts erzählt hatte.
"Ja, in zwei Monaten ist es endlich soweit. Wird wirklich Zeit."
"Wie lange ist es jetzt her, seit du deinen letzten Urlaub hattest? Damals war ich noch am College..."
Ich lächelte müde. "Vier Jahre. Mir kommt's vor wie eine Ewigkeit. Ich werde diesen Urlaub genießen."
"Du hast ihn dir verdient. Wo soll's denn hingehen?"
"Keine Ahnung. Hab ja schon gesagt, dass ich soweit wie möglich von Washington weg möchte. Was hast du denn zur Zeit im Angebot?"
Trish drehte sich zu den Regalen mit Urlaubsprospekten um. Eine Zeit lang blätterte sie unentschlossen in verschiedensten Prospekten. Immer wieder griff sie einen heraus und legte ihn vor mich auf ihren Schreibtisch. Als sie sämtliche Regale durchgesehen hatte, wandte sie sich wieder an mich. "Tja, also, ich habe jetzt einige Prospekte ausgesucht, die dich vielleicht interessieren könnten." Trish nahm den obersten Prospekt auf und hielt ihn mir unter die Nase. "Sieh sie dir am besten einmal selbst durch." Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. "Kannst du fünf Minuten ohne mich auskommen? Ich muss noch kurz die neuen Kataloge aus dem Lager um die Ecke holen. Bin auch gleich wieder da."
"Wenn du's ganz fest versprichst, dass du mir auf dem Rückweg einen Orangensaft mitbringst..."
Ihre Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. "Wenn du nicht vor hast, ihn dir spendieren zu lassen, dann jederzeit."
"Na gut." Ich zog zwei Vierteldollar aus meiner Hosentasche und gab sie ihr. "Schau was du damit bekommen kannst. Mehr hab ich jetzt nicht."
Sie steckte das Geld ein und verließ das Büro.
Ich griff mir den erstbesten Reiseprospekt und begann darin zu blättern. Da lächelten mir braungebrannte, magersüchtige Südsee-Schönheiten entgegen, umgeben von schneeweiß eingefärbtem Strand, Plastikpalmen und giftig blauem Meerwasser. Nein, das war nichts für mich. Außerdem bekam ich mit meiner verhältnismäßig hellen Haut in solchen Gefilden nur allzuleicht einen Sonnenbrand.
So griff ich zum nächsten Prospekt. Südostasien. Weit genug weg. Und auch tolle Landschaftsfotos im Prospekt. Flug, Hotel mit Halbpension und angebotenen Touren... gar nicht so teuer. Das wäre vielleicht etwas für mich. Ich behielt den Prospekt auf meinem Schoß und nahm mir den nächsten.
Kulturreise durch die ehemalige Sowjetunion. In 14 Tagen zehn Städte, oder in 20 Tagen 15 Städte. Hmm, klang nicht uninteressant. Trotzdem waren gerade in letzter Zeit wieder stärkere Unruhen im Gange, von denen vor allem auch Touristen nicht verschont wurden. Also lieber doch nicht. Ich hatte zwar nichts gegen Abenteuer, war aber auch nicht lebensmüde.
Also rasch den nächsten Reiseprospekt genommen. Israel. Wiege des Christentums. Aber wohl auch Unruhengebiet. Wenn sich Israelis und Palästinenser weiter stritten, würde wahrscheinlich bald keiner mehr zum Streiten da sein. Außerdem war das wieder ein Land mit viel Sonne. Also in doppelter Hinsicht aus dem Rennen. Ich legte auch diesen Prospekt auf die Seite und griff nach dem nächsten.
Vier waren jetzt noch übrig. Der nächste Prospekt zeigte auf dem Titelblatt ein kleines Mädchen mit feuerroten Zöpfen und einem süßen lachenden Gesicht, das über und über mit Sommersprossen bedeckt war. Im Hintergrund erhoben sich sanfte Hügel mit saftigen Wiesen in einem ganz eigenen Grün. Schottland, Island und Hebriden. Ich fing an in dem Prospekt zu blättern. Da hieß es, dass diese Landstriche auch bei schlechtem Wetter ihre Schönheit haben. Naja, so ganz glauben konnte ich das nicht. Regen war für mich, wie für die meisten Menschen, nichts besonders Stimmungsvolles. Bei Sonnenschein fühlte ich mich wesentlich wohler. Und wenn in dem Prospekt schon schlechtes Wetter angesprochen war, so musste es das dort auch nicht selten geben. Das war wohl auch kein Urlaub für mich. Trotzdem hielt mich irgend etwas davon zurück, den Prospekt wegzulegen. So landete er auf meinem Schoß.
Der nächste Prospekt sprühte vor Farben und Formen. Känguruhs, Koalabären, Dingos, Didgeridoo-Spieler, Schafe und atemberaubende Landschaftsaufnahmen tummelten sich schon auf dem Umschlag. Australien - Abenteuerurlaub. Ferien im australischen Outback. Oder in solchen Großstädten wie Sydney oder Anchorage. Ich wusste, dass es dort sehr heiß war. Trotzdem war ich jederzeit bereit, einen Sonnenbrand zu riskieren, wenn es sich lohnte. Und Abenteuer im australischen Busch waren dies sicher. Dieser Prospekt wanderte also auch auf meinen Schoß.
Ich hatte die Prospekte nun fast durch. Meine Hand griff nach dem vorletzten. Wandern in den Schweizer Alpen. Europa war sicher wunderschön, aber ich wusste genau, dass ich mir die Schweiz nicht leisten konnte. Also weg damit.
Vom letzten Prospekt sahen mir drei lächelnde tibetanische Mönche entgegen. Eine Rundreise durch Nepal und Tibet klang interessant. Ich sah mir die Reisebeschreibung durch. 17 Tage an den schönsten Plätzen des Himalaja. Mir fiel der Preis ins Auge. Zu viel. Und dann war auch noch nicht einmal Verpflegung dabei. Also nicht. Das konnte ich mir wirklich nicht leisten.
Gerade als ich den Prospekt weglegte, kam Trish zurück. Sie hatte zwei Becher mit Orangensaft in den Händen. Einen davon stellte sie vor mir auf dem Tisch ab, an dem anderen nippte sie selbst kurz. Sie setzte sich mir gegenüber hinter ihren Schreibtisch und sah mich an. "Was gefunden?"
Ich nahm die Prospekte von meinem Schoß und hielt sie ihr entgegen. Sie nahm sie an sich und blätterte ihrerseits darin. "Also Südostasien, Schottland oder Australien? Was wäre dir am liebsten?"
Sie stand unvermittelt auf und legte die nicht in Frage kommenden Prospekte wieder zurück in die Regale. Dann setzte sie sich wieder auf ihren Platz und nahm einen erneuten Schluck von ihrem Saft. Ich führte ebenfalls meinen Becher an die Lippen. Der Orangensaft war angenehm kühl und schmeckte hervorragend.
Ich setzte wieder ab und sah Trish in die Augen. "Persönlich würde mich wohl Australien am meisten reizen."
Sie schlug den Australien-Prospekt auf und wandte sich ihrem Computer zu. Ihre Finger flogen regelrecht über die Tastatur. "Wo genau soll's denn hingehen? Sydney? Anchorage? Aberdeen?"
Ich wusste es nicht genau. "Was würdest du empfehlen?"
Trish überlegte kurz. "OK, dann schicken wir dich nach Sydney. Da ist es um die Jahreszeit besonders schön." Sie fing wieder an zu tippen. Das ging etwa ganze fünf Minuten lang ohne Unterbrechung. Schließlich sah sie resigniert zu mir auf. "Tut mir leid, Alec, aber alle Flüge sind ausgebucht. Australien scheint dieses Jahr sehr beliebt zu sein."
Das war doch nicht möglich. Wieso musste gerade Australien voll sein? Verdammt! Ich hatte mich wirklich schon mit Buschmesser in der Hand und Filzhut auf dem Kopf gesehen. Nun verabschiedete ich mich von diesem Traum. "Na gut. Wie sieht's mit Südostasien aus?"
Wieder ließ Trish über Finger flink über die Tastatur gleiten. Plötzlich hellte sich ihre konzentrierte Miene auf. "Ja, das würde klappen. Jedenfalls am Festland. Welches Land hattest du dir denn genau vorgestellt?"
"Thailand oder Vietnam vielleicht."
"Ja, da ist noch was frei. Thailand oder Vietnam?"
Ich zuckte die Schultern. "Gute Frage. Was meinst du? Ich war in noch keinem der beiden Länder."
Sie musterte mich ernst. "Wenn du mich so fragst, muss ich dir ganz ehrlich sagen, dass ich an deiner Stelle nicht nach Thailand fahren würde, da dort ziemlich viel Schindluder getrieben wird von wegen Drogen und die Mafia. Dazu käme dann noch der boomende Sex-Tourismus dort..."
Tja, das war genug, um mich zu überzeugen. Ich würde nach Vietnam fahren. "Also dann Vietnam." Ich nickte Trish zu.
Sie drückte weitere Tasten, beugte sich dann zum Drucker, und zog meine Reiseunterlagen daraus hervor. Die wurden dann noch in eine schützende Hülle gesteckt, und Trish überreichte sie mir feierlich. "Also, du bist jetzt gebucht. Sieh dir deine Flugdaten an und präg sie dir ein. Sei pünktlich zwei Stunden vor Abflug da, und vergiss deinen Reisepass nicht. Zahlen musst du bis in etwa einem Monat."
Ich lächelte sie dankbar an und sie schenkte mir ihr bezauberndes Lächeln als Antwort. Dann sah ich mir die Unterlagen an. Es war erstaunlich. Trish hatte wirklich an alles gedacht. Hin- und Rückflug mit Platzreservierung, Mietwagen und Zimmer in einem Viersternehotel. Sie kannte mich eben! Ich steckte die Reiseunterlagen wieder in die Hülle und ließ sie in meiner Tasche verschwinden. "Trish, du bist ein wahrer Schatz. Danke! Also, wann hast du Feierabend?"
Sie sah auf ihre Uhr. "Hm, in etwa einer Stunde. Holst du mich ab?"
"Na klar." Damit verließ ich das Reisebüro und machte mich auf den Weg nach Hause.
Innerhalb von etwa zehn Minuten stand ich vor meiner Wohnungstür und fischte in meiner Tasche nach dem Schlüssel. Als ich ihn endlich herausbekommen hatte, öffnete ich die Tür und trat ein. Ich hatte noch genügend Zeit, um mich zu duschen und umzuziehen, bevor ich wieder zurück zum Reisebüro musste um Trish abzuholen. Ich stellte meine Aktentasche auf den Küchentisch, warf mein Jackett über den Hocker, meine Schuhe in die Ecke und verschwand ins Badezimmer. Nach einer belebenden Dusche zog ich mir rasch Jeans, T-Shirt und einen Red-Sox-Pullover über. Dann schritt ich hinüber zum Küchentisch, nahm das achtlos hingeworfene Jackett vom Edelstahl-Barhocker und hängte es auf einem Bügel in den Wandschrank. Die Schuhe wanderten ebenfalls dorthin. Statt dessen zog ich mir ein Paar bequeme Turnschuhe an. Die Aktentasche ließ ich liegen, wo sie war, griff mir meine Jacke und den Wohnungsschlüssel, und war schon wieder weg.
Als ich am Reisebüro ankam, wartete Trish schon auf mich. Sie lächelte und hakte sich bei mir unter.
Im "Java Tree" angekommen, setzten wir uns an einen der kleinen Café-Tische und ich bestellte zweimal Cappuchino. Ich verfeinerte meinen mit etwas Vanillepulver, ließ noch zwei Stück Zucker sich darin auflösen, und nippte daran. Das Getränk war heiß, und ich verbrannte mir die Zunge, so dass sie sich ganz pelzig anfühlte. Also stellte ich ihn für unbestimmte Zeit vor mir auf den Tisch, damit er etwas abkühlen konnte.
Ich wartete, bis Trish ihren Becher mit Cappuchino abgesetzt hatte. Mir fiel auf, dass ihr Gesicht angespannt wirkte. Ich war vorher wohl zu beschäftigt gewesen mit den Prospekten. Unter den Augen waren dunkle Ringe zu sehen. Wenigstens, so stellte ich mit Zufriedenheit fest, waren sie nicht mehr gerötet, wie noch vor kurzem. Trish war kein zartbesaitetes Mädchen, aber sie hatte viel geweint in letzter Zeit. Sie und Kevin hatten sich so gut wie nur noch gestritten. Einmal hatte er sie sogar geschlagen. Nach diesen Streits war Trish oft zu mir gekommen und hatte sich bei mir ausgeheult, denn sie wusste, ich war immer für sie da. Natürlich hatte Kevin es mitbekommen.
Als Trish letzte Woche von mir zurück in ihre Wohnung gekommen war, war Kevin ausgerastet und hatte ihr vorgeworfen einen heimlichen Liebhaber zu haben. Er hatte sie nicht einmal antworten lassen! Er hatte sie geschlagen, immer wieder, und sie angeschrien. In dieser Nacht war Trish vor meiner Tür gestanden und hatte darum gebeten, bei mir übernachten zu können. Ich hatte nicht recht gewusst, was zu tun war, und hatte für sie auf der Couch ein Bett hergerichtet. An jenem Abend hatte ich nichts weiter aus ihr herausbekommen. Am nächsten Morgen erzählte sie mir dann alles. Dabei war sie wieder in Tränen ausgebrochen. Ich hatte sie nur in meine Arme genommen und ihr gut zugeredet. Doch das hatte geholfen. Noch am selben Tag war Trish zurück in ihre Wohnung gegangen und hatte Kevin gesagt, dass er auszuziehen hatte.
Jetzt saß sie da, nippte an ihrem Cappuchino und schien nicht so recht zu wissen, was sie nun tun sollte. Ihr Blick schweifte unsicher über die Tische um uns herum. Wollte sie meinem nicht begegnen?
"Trish, was ist los? Du weißt, du kannst mir alles sagen."
Sie ließ ihren Blick zu mir wandern und sah mir fragend in die Augen. "Es tut mir leid, Alec. Ich weiß es selber nicht so genau. Es ist nur... ich sollte eigentlich glücklich sein, aber..." Trish biss sich auf die Unterlippe und ihre Augen glänzten feucht.
Meine Hand fasste instinktiv nach der ihren und hielt sie beschützend umschlossen. "Ist ja gut. Ich kann das verstehen, wirklich. Keine Angst."
Diese sanft tröstenden Worte schienen sie wieder ein wenig zu beruhigen und Trish drückte meine Hand und versuchte zu lächeln. "...Aber die Wohnung erscheint mir ohne Kevin einfach so kalt."
Ich wusste, dass sie diesen Mann geliebt hatte und immer noch liebte. Aber schon zu ihrem eigenen Besten musste sie einsehen, dass diese Beziehung keine Zukunft hatte. Und das sagte ich Trish auch.
Sie schüttelte verzweifelt den Kopf. "Das weiß ich doch. Mein Kopf weiß es ganz genau, aber mein Herz ist da ein wenig begriffsstutziger..." Sie zwang sich ein schiefes Lächeln auf die Lippen und schniefte laut.
Meine Hand hielt immer noch die ihre, und so drückte ich sie noch einmal aufmunternd, in der Hoffnung, Trish ein wenig zu beruhigen. Ich versuchte, ihren Blick zu halten. "Du musst noch nicht in deine Wohnung zurückgehen, wenn du nicht willst. Du weißt genau, dass bei mir auf der Couch immer ein Plätzchen für dich reserviert ist."
Verlegen schlug sie die geröteten Augen nieder und schniefte nochmals. "Danke, das ist wirklich lieb von dir. Aber ich kann das nicht tun. Ich hab sowieso schon ein ganz schlechtes Gewissen, weil ich in letzter Zeit so oft deine Gastfreundschaft in Anspruch genommen hab. Und das will ich einfach nicht noch weiter ausnutzen."
Verzweifelt zuckte ich mit den Schultern. Sie wusste, dass sie bei mir immer willkommen war, aber wenn sie das Angebot ablehnte, musste ich das akzeptieren. "Das ist OK, Trish. Aber du musst mir versprechen, dass du mich anrufst, wenn irgendwas ist... egal wie spät!"
Trishs gerötete Augen strahlten mich an. Sie konnte jederzeit auf mich zählen, und das war ihr durchaus bewusst. "Danke, Alec, das ist wirklich lieb von dir. Du weißt nicht, wie viel mir das bedeutet. Aber ich brauch wohl erst einmal etwas Zeit für mich, um die Situation richtig zu verarbeiten."
Damit lächelte sie traurig, beugte sich zu mir herüber, gab mir einen raschen Kuss auf die Wange und widmete ihre volle Aufmerksamkeit wieder ihrem Cappuchino.
Wir tranken unsere Cappuchinos schweigend zuende, dann begleitete ich sie noch nach hause...