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2 Seiten

Unschuld

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Regen. Die Tische um mich herum unbedacht in einem kleinen Chaos aufgestellt, die Stühle sauber an die Tische gelehnt, ist die-sem Ort, in diesem Moment, ein melancholisches Gefühl anheim: Aufbruch, Abbruch, Verlassenheit. Von den großen Sonnen-schirmen tropft der Regen auf die Tische, auf den Boden, auf mei-ne Hände. Als fallen Tränen - nur kälter. Auf dem Boden vor dem Café bilden sich kleine Pfützen, in denen die Regentropfen her-umspringen wie Kinder, als gäbe es Grund zu Ausgelassenheit. Die Menschen, welche auf der kleinen Gasse an dem Café vor-überhasten bewegen sich schnell. Fast zu schnell, wo ich auf dem Stuhl sitze und alles langsam, durchdringen betrachte. Dies ist ein Moment in dem man glücklich sein kann – und das macht mich traurig. Es macht mich traurig, weil ich nicht glücklich bin, weil ich nicht weiß warum ich traurig bin, ob ich traurig bin. In mir ist eine Trauer, von der ich nicht weiß ob sie echt ist. Als ste-he ich auf dem Friedhof, vor dem Grab eines mir unbekannten Menschen, um den ich nicht trauern müßte, denn ich kannte ihn gar nicht. Und doch bin ich traurig. Vielleicht weil es die anderen Menschen von mir verlangen, weil ich denke sie verlangen es von mir. Sie trauern, weil sie einen Menschen vermissen. Ich fühle mich ihnen nicht zugehörig. Und doch trauere ich, aus Verbun-denheit zum Leben, mit ihnen.
Ich habe nicht das Gefühl, daß die Trauer, dieses ständige melan-cholische Gefühl, mich erfüllt. Es scheint vielmehr, als sei vor langer Zeit etwas aus mir herausgeflossen was nicht wieder er-setzt werden konnte.


Wenn ich am Morgen in den Spiegel schaue, mein Gesicht betrachte, meinen Körper, meine Augen, den Regen auf das Fenster prasseln höre, dann ist nichts da. Nur Schwermut. Schaue ich mir dann in die Augen, so schauen sie traurig. Sie schauen nicht leer, nicht ver-lassen oder unbrauchbar. Sie schauen einfach traurig. Etwas hat die-se Augen verlassen, wie es mich verlassen hat. Meine Augen hatten immer diesen Glanz mit der sie die Welt umarmen konnten. In ihnen konnte man das Meer sehen und den Himmel. Dort konnte man meine Seele finden – und sich selbst. Und nun sehe ich in ihnen nur tiefe Trauer die allem anhaftet was diese Augen ausdrücken wollen. Ich schaue in den Spiegel, mir in die Augen, und sehe ein verwunde-tes Tier das nicht weiß, ob es dem, der es anschaut, trauen kann. Nur kann es nicht weg. Es ist gefangen, in seinem Beobachter.
Ich verlasse den Spiegel, steige die Wedeltreppe hinauf, in mein Wohnzimmer und lege mich auf der Couch nieder. Niedergeschla-gen, aber wovon? Traurige Musik erfüllt den Raum. Sie ist schön, schwer, traurig und mein Blick durchstreift den Raum. Ein Zimmer wie ich es mir immer wünschte: Mit Schrägen, Geschmackvoll ein-gerichtet, mit einem Lesesessel und vielen Fenstern. Das Zimmer wirkt leer, verlassen. Als würde sich in ihm niemand befinden – und das ist seltsam, denn ich liege dort auf der Couch, zusammen mit der Melancholie. Ich war ein so frohes Kind, denke ich. Es schien mir immer unmöglich, mich von meinem Weg abzubringen, mich vor der Freude zu verstecken. Und doch: Es scheint geklappt zu haben. Ich habe mich versteckt und nur die Trauer zu mir gelassen. Als habe ich sie mir selbst auferlegt – wie ein Gelübde. Jeder Tag, an dem ich die Trauer neben mir ertragen habe, hat sie mehr zu meiner Person werden lassen. Sie hat ihren Platz in mir gefunden. Sie hat Raum in mir gefunden, der bereits leer war als sie einzog. Das was diesen Raum füllte ist der Traurigkeit nicht gewichen, wurde nicht von ihr ausgetrieben. Es ist gegangen bevor die Trauer kam – und es hat Raum hinterlassen. Großen Raum, der nur von Traurigkeit gefüllt werden konnte. Von nichts sonst. Und was mich verließ war Un-schuld. Es war Liebe, Einfachheit, Aufrichtigkeit, Natürlichkeit und Liebe – und Liebe. Und ich habe Angst das sie nicht wiederkommt. Das sie es nicht mehr kann, weil ihr Platz vergeben ist. Ich habe Angst, weil ich nicht mehr kämpfe, weil ich ertrage, weil ich ein Erbe angetreten habe. Endgültigkeit ist ein so grausames Wort. Als sitze man am Bett eines sterbenden Menschen, hält die bereits kühle Hand und flüstert: „Alles wird gut“. Wie von Sinnen, immer wieder: „Al-les wird gut“. Und man glaubt seinen eigenen Worten nicht. Weil jede Hoffnung verloren ist und kein Gebet, kein Flehen hier mehr helfen kann. Denn es ist Gesetz – und Endgültig. So habe ich meine Liebe zu Grabe getragen. Und mit ihr die Unschuld und die Natür-lichkeit. Und ich sitze noch immer vor ihrem Grab und weine.
 
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Kommentare  

Ich finde, dass ist die schönste Geschichte von dir und ich kann sie "nachfühlen". Danke

Nikki (11.05.2004)

mir fehlen die worte zu einem kommentar, irgendwie ist jedes überflüssig... oder fehl am platz... du beschreibst dein gefühl wunderschön... ich kenne dieses nur allzu gut, besser hätte es nicht ausgedrückt werden können... seufz...

*Becci* (08.11.2002)

Ich wollte gar nicht mit einem lächelndem Smiley schreiben, weil ich heule! Bitte schreib doch noch mehr Geschichten.

Vernes (13.06.2002)

*schnief* echt rührend und dabei so treffen beschrieben! Erste Sahne!

Steffi K. (10.11.2001)

Heftig! Schön! Traurig!

Karsten (01.09.2001)

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