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3 Seiten

Rest in Peace

Schauriges · Kurzgeschichten
Ich bin schon vor vielen Jahren gestorben...

Trotzdem saugen meine Lungen immer noch die Luft ein. Trotz der Dunkelheit sehen meine Augen immer noch. Auch wenn keiner da ist, der es hören könnte entweichen meinem Mund immer noch Worte. Meine Ohren nehmen Geräusche war die außerhalb meines jetzigen Lebensraumes entstehen. Doch ich bin tot. Von den Menschen die ich kannte, verstoßen und vergessen. Ich bin auch nicht gebettet in feuchter kalter Erde. Keiner legt Blumen auf mein Grab, denn ich besitze keines. Man hat mich nicht begraben.

Oder vielleicht doch?

Zumindest lebendig begraben. Begraben unter den Straßen der Stadt New York. In der dunklen stinkenden Kanalisation. Vier Jahre lang atme ich nun die stinkende, von Bakterien verseuchte Luft ein. Seit vier Jahren spähe ich gelegentlich durch die Gullideckel, nur um mir an dem einfallenden Licht die Augen zu verbrennen. Die Ratten, die mich in der Nacht besuchen, schauen nur vorwurfsvoll zu mir auf. Sie wissen instinktiv, dass ich nicht hierher gehöre. Schon oft habe ich ihnen erzählt, dass ich nichts dafür kann. Und dann weine ich hemmungslos. Meine Tränen rinnen über die Narben und Eiterblasen in meinem Gesicht. Manchmal, wenn ich das Gesicht zu sehr verzerre, platzen sie auf und ich leide große Qualen. Aber keiner hört mein Flehen. Niemand hilft mir. Schon vier Jahre zuvor tat das niemand.

Und ich musste fliehen...

Fliehen vor einer aufgebrachten Menschenmenge die mich erbarmungslos jagte. Sie hassten mich. Sie hassten mich für etwas, woran ich keine Schuld trage. Niemand kann etwas für einen genetischen Fehler. Meine Haut pellt sich ab und zu. Die Eiterblasen, anfangs nur im Gesicht zu finden, wuchern nun über meinen ganzen Körper und machen jede Bewegung zu einer Qual. Doch ich sterbe nicht. Ich bringe es nicht fertig meinem Leben ein Ende zu setzen. Ich habe zu viel Angst, es nicht richtig zu machen und nachher noch entstellter und hilfloser zu sein.

Aber ich will auch wieder ein richtiges Leben führen...

Von den Zeitungen, die manchmal hier unten angespült werden weiß ich, dass die Menschen jetzt viel toleranter sein sollen. Sie werden mich bestimmt nicht mehr jagen. Warum auch? Ich stelle doch für niemanden eine Gefahr da. Es wird bestimmt einen Arzt auf der Welt geben, der mich heilen kann. Dann könnte ich zu meiner Familie zurückkehren. Und wieder die Freuden des Lebens auskosten. Neue Freunde finden und Spaß haben. Abends in eine gutes Restaurant gehen und ein genießbares Steak verspeisen. Keine Abfälle mehr. Nie wieder brackiges Wasser trinken, sondern einen süßen Rotwein oder ein kühles frisches Bier. Lachen, tanzen und die neueste Musik hören. Vielleicht finde ich sogar eine Freundin...

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Bestärkt von diesen vielen guten Gedanken lief er zur nächsten Leiter. In Windeseile erklomm er sie und drückte mit aller Kraft gegen den Gullideckel. Es verursachte ihm unglaubliche Schmerzen. Einige Blasen in seinem Gesicht platzten auf und die gelbliche Flüssigkeit lief über seine blasse Haut. Er schrie gepeinigt auf und mobilisierte noch mal alle Kräfte. Der Gullideckel hob sich und er schob ihn zur Seite. Keuchend und mit schmerzverzerrtem Gesicht kroch er hinaus und blieb auf der Straße liegen. Seine Lunge sog gierig die saubere Luft ein. Sein Blick glitt zum Wolkenlosen Himmel hinauf und er sah zum ersten mal seit vier Jahren die Sterne. Ein weiterer Blick auf die nahe Kirchturmuhr zeigte ihm, das es kurz vor Mitternacht war. Er war so vertieft, dass er das Auto welches hinter ihm hielt nicht bemerkte. Erst das zuschlagen der Autotür riss ihn aus seinen Gedanken. Langsam erhob er sich und drehte sich um. Er erkannte ein Polizeiauto. Ein Mann in Uniform stand daneben. „Geht es ihnen gut, Mister?“ fragte der Polizist. Mit Freudentränen im Gesicht ging er auf den Polizisten zu. Dabei fiel das Licht der Scheinwerfer auf sein Gesicht. Der Polizist schrie auf und stolperte zurück. „Nein. Bitte keine Angst haben.“ krächzte er und kam weiter auf den Polizisten zu. Zwei Schüsse bellten und sein Körper taumelte noch etwas weiter um dann zusammen zu sinken. Zitternd und mit vorgehaltener Waffe stand der Polizist neben seinem Auto. Seine Übelkeit unterdrückend ging er zu dem Niedergeschossenen. Er kniete sich hin und drehte den Mann um. „Ich wollte doch nur wieder ein Leben haben. Ein bisschen Frieden und Glück.“ flüsterte er und sein Kopf sank auf den Asphalt zurück. Der Polizist nickte und wandte den Blick von der dort liegenden Abscheulichkeit ab. Die Glocken der Kirche fingen an zu läuten. Dong... Dong... Dong... Rasselnd kam der Atem aus seinem Mund. Dong... Dong... Dong... Trübheit ergriff Besitz von seinen Augen. Dong... Dong.. Dong... Eine Hand schoss vor und krallte sich in den Asphalt. Dong... Dong... Dong... Als der letzte Glockenschlag verstummte, verstummte auch sein pochendes Herz. Der Polizist blickte wieder zu ihm. „Ruhe in Frieden.“

- Ende –

© 2003 by Daniel Lohmeyer
 
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Kommentare  

Hi!
Die Vorstellung, dass es Menschen gibt, die unter der Stadt New York leben und beinahe niemals die Sonne sehen hat mich auch schon immer fasziniert. Und es gibt Momente, in denen kann ich mir leider vorstellen, dass es dort unten auch nicht schlimmer sein kann als hier oben. Ich schätze mal, dir sind ähnliche Dinge durch den Kopf gegangen bei dieser Geschichte. Mir gefällt sie jedenfalls.


Christian (31.08.2003)

Hallo, Daniel!

An sich finde ich die Geschichte sehr gut. Unter den Straßen Manhattans leben tatsächlich Obdachlose, verkrachte Existenzen, die sich in diese unterirdische Welt geflüchtet haben, weil sie "mit denen da oben" nicht mehr zurecht kamen.
Es ist offen geblieben, aus welchen bestimmten Gründen sich dein Protagonist dort unten versteckt hält. Ist er Vietnam oder Golfkrieg - veteran, der vor lauter erlebtem Grauen schwerste seelische Schäden erlitten hat? Hat ihn seine Frau verlassen? Sonstige Schicksalsschläge?
Ansonsten ist es eine kurze und sehr traurige Geschichte, die mich sehtr nachdenklich gestimmt hat, und die sich gut lesen lies.
5 Punkte


Benjamin Reuter (12.08.2003)

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