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4 Seiten

Der Drahtschwamm oder Besuch am Nachmittag

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Ich war gerade mit dem Abwasch beschäftigt, als es plötzlich an meiner Tür läutete. Aha, dachte ich, wer kann denn das sein?
Ich spähte natürlich zuerst lautlos durch den Türspion, eine wirklich glorreiche Erfindung. Ich konnte im Notfall immer noch so tun, als wäre ich nicht da.
Es war eine Frau. Ich wußte nicht wer sie war, aber irgendwie kam sie mir bekannt vor. So öffnete ich also.
"Ja bitte?"
"Hallo." sagte sie. Ein wahrhaft bezauberndes Geschöpft mit einem ebenso bezaubernden Lächeln.
"Hallo.", erwiderte ich höflich. Ich brauchte einen Moment um mich zu fassen, meine Gedanken hingen noch immer an der Bratpfanne, die total angebrannt und verkrustet war. Da würde ich wohl einen Drahtschwamm brauchen, um sie sauber zu kriegen.
"Danke ich brauche Nichts.", brachte mein geschulter Vertreter-Abwehrreflex hervor. Tadellos antrainiert.
"Ich glaube schon, daß du etwas brauchst." sagte sie. Ihr Gesichtsausdruck blieb unverändert.
Ich war ein wenig verunsichert. Vielleicht verkaufte sie ja Drahtschwämme. Aber das wäre ja wohl ein riesiger Zufall gewesen.
"Ich hab jetzt aber gar kein Geld hier." Billige Ausrede, na und? Ich wollte sie schnell los werden, aber dennoch höflich bleiben.
"Nein nein, ich will dir nichts verkaufen."
Jetzt war ich vollkommen verunsichert. Zeugin Jehovas? Waren die nicht immer zu zweit unterwegs? Vielleicht war sie so überzeugend, daß sie das allein schaffte.
Ich wurde vorsichtiger, man weiß ja nie.
"Ich will auch nicht über Gott und die Bibel reden." Meinte ich mal sicherheitshalber.
"Ich auch nicht." Sie lächelte weiter, strahlte mich an wie der helle Morgen. Meine Gedanken begannen zu rotieren.
Dann passierte etwas, das ich mir selbst nicht erklären konnte.
"Wollen sie nicht reinkommen?"
Moment! Hatte ich das eben gesagt? Warum hatte ich das gesagt? Wie kam ich bloß dazu eine – zugegeben sympathische – aber dennoch wildfremde Frau in meine Wohnung zu bitten?
Sie schien nur darauf gewartet zu haben.
"Danke, gerne.", ihr Lächeln wurde sogar noch eine Spur strahlender und schöner.
"Darauf habe ich gewartet." gab sie zu, während sie meinen Flur betrat. Sie war flink wie eine Katze und ehe ich mich richtig fassen konnte, hatte sie schon mein Wohnzimmer in Besitz genommen und sich in den bequemsten Sessel fallen lassen.
So, dachte ich bei mir, jetzt hat sie sich eingenistet, die wirst du nicht mehr los.
"Eine Tasse Kaffe vielleicht?"
"Ja, gerne.", meinte sie schüchtern. Ach was, schüchtern, die Frau war durchtrieben. Ein dutzend Wölfe, die sich einen Schafspelz teilten. Blieb nur zu hoffen, daß der Pelz das aushielt. War schließlich ein schöner Pelz.
Ich sah sie mir etwas genauer an, studierte ihr Gesicht, ihr Lächeln. Sie war mysteriös und aufregend. Schlicht und schön und gefährlich wie eine Raubkatze. Mir wurde klar, sie war die Art von Frau, die jeder kennen wollte.
Nun ja, jetzt war sie hier, bei mir, und sie wollte mir mit Sicherheit keine Drahtschwämme verkaufen. Ich schielte kurz zu der verkrusteten Pfanne, als ich den Kaffe aus der Küche holte.
Sie trank ihren mit Milch, ohne Zucker. Genau wie ich.
Ohne sie aus den Augen zu lassen setzte mich auf die Couch, während sie lächelnd ihren Kaffe schlürfte. Sie unterbrach ihr Lächeln nur für einen winzigen Augenblick, als sie sich die Lippen verbrannte.
"Schei..." Sich mitten im Wort besinnend, blickte sie kurz verlegen auf und begann dann wieder zu strahlen, als wäre nichts gewesen.
Wieso kam sie mir bloß so bekannt vor?
"Hab ich sie nicht schon mal irgendwo gesehen?" Ja ich war mir ganz sicher, daß ich sie kannte. Aber woher?
"Natürlich.", sie stellte eine Logik zur Schau, mit der ich einfach nicht mitkam.
"Wir sind uns nicht zum ersten Mal begegnet."
Meine Gedanken schlugen Purzelbäume und mein Herz begann laut zu Pochen. Streß! Es wollte mir bei Gott nicht einfallen, wo wir uns schon mal getroffen hatten.
"Lass DEN bloß aus dem Spiel, der hat schon genug Streß."
Was? Hä? Wie meinte sie das jetzt?
Jetzt begann sie zu schmunzeln. Ihr schien es zu gefallen, mich zu verwirren. Sie hatte es geschafft, ich war vollkommen durcheinander.
So, Schluß mit den Spielchen, ich hatte genug.
"Wer sind sie?" Wenn sie mir jetzt keine vernünftige Antwort gab, würde ich wohl durchdrehen und mich schreiend aus dem Fenster stürzen. Und sie würde wohl lächelnd nach unten blicken und ebenso lächelnd meine Stereoanlage mitnehmen.
"Liebe." Sagte sie.
Wollte sie mir nun den Gnadenstoß geben?
"Wie bitte? Hab ich recht verstanden?"
"Jaja, du hast schon verstanden. Ich bin die Liebe."
Gut, einer von uns beiden war eindeutig verrückt. Und bei mir würde es auch nicht mehr lange dauern. Ich war eigentlich schon bereit das zu akzeptieren.
Doch plötzlich fiel es mir wie Pappteller von den Augen.
"Mein Gott, du bist es!", rief ich aufgebracht.
"Wie konnte ich dich denn nicht erkennen. Ja du bist es wirklich. Ich muß ja blind gewesen sein."
Sie fing närrisch zu kichern an. Sie sonnte sich förmlich in meiner Überraschung, das spürte ich.
"Wo warst du denn so lange? Ich hab dich schon ewig nicht mehr gesehen."
"Weißt du" begann sie zögerlich. "Ich hatte ziemlich viel zu tun in letzter Zeit. Es gibt so viele Menschen, die..."
"Ach was" fuhr ich sie schorf an an "Was hast du schon zu tun? Wer glaubt denn heute noch an die Liebe? Die Leute interessieren sich doch nur für Geld und Sex und noch mehr Geld."
Das hatte gesessen. Ihre Mundwinkel senkten sich um einige Zentimeter. Ich hatte sie eiskalt erwischt.
Ich war Stolz auf meine Schlagfertigkeit. Doch als sich in ihren Augen das Wasser sammelte und die Becken kurz vorm überlaufen waren, merkte ich, daß ich zu weit gegangen war.
"Es tut mir leid." sagte ich kleinlaut.
Die Leitungen waren noch immer geöffnet. Jetz würde sie gleich heulen und ich war schuld.
"ICH glaube an die Liebe." Verdammt, jetzt hatte ich es gesagt. Hatte es zugegeben. Aber, naja, es stimmte ja auch.
Die Liebe blickte zu mir auf wíe ein kleines Reh. Die Mundwinkel wölbten sich wieder zaghaft nach oben, die Quellen versiegten langsam. Sie schniefte noch ein paar Mal, dann war alles wieder gut.
Aber wieso bist du denn hier?", knüpfte ich wieder am Thema an. "Ich habe dich doch gar nicht erwartet."
Sie erwiderte meinen fragenden Blick mit all ihrer wiedergewonnenen Kraft.
"Wenn du mich erwartet hättest, wäre ich nicht gekommen."
Na klar! Typisch Frau! Das soll mal einer verstehen.
"Und wieso gerade jetzt? Ich hab dich so lange Zeit nicht gesehen. Ich wußte gar nicht mehr, daß es dich überhaupt gibt."
"Nun", meinte die Liebe, und ihr Blick drehte sich zu der großen Wanduhr aus Eichenholz, deren Zeiger gerade auf halb fünf standen.
"Es war einfach an der Zeit.",
Hmm. Da hatte sie wohl recht. Jetzt, wo sie es aussprach, wußte ich, daß sie recht hatte. Ich begann nachzudenken, mich zu erinnern, wann sie das letzte Mal zu mir gekommen war. Es war Jahre her. Wir hatten einiges miteinander erlebt. Es war schön mit ihr gewesen. Nicht nur, aber meistens.
"Und?", fragte ich sie unvermutet, "Wie lange bleibst du?"
Ihr linkes Auge blinzelte etwas nervös. Nur ganz kurz, fast nicht zu sehen. Es war mir trotzdem aufgefallen.
"Für immer."
Natürlich. Das versprach sie mir jedes Mal. Sie sagte es ruhig und ehrlich, und ich wollte es glauben. So gern wollte ich es glauben.
Ein paar Augenblicke saßen wir einander schweigend gegenüber, fixierten den anderen, versuchten ihn zu durchschauen.
"Wirst du mir wieder weh tun?"
"Nein", sagte sie, und legte alle Ehrlichkeit in ihre Stimme, die sie aufbringen konnte. "Diesmal nicht."
Verdammt, ich wußte daß sie log, ich wußte es, und ich glaubte ihr trotzdem.
"Eines noch." Mir war inzwischen vollkommen klar, daß ich keine Chance hatte. Seit sie an meiner Tür geläutet hatte, war ich vollkommen chancenlos gewesen. Sie war so berechnend, alles war wohl durchdacht. Selbst das Weinen war Teil ihres Plans gewesen. Ich würde mich wohl in mein Schicksal ergeben müssen.
Doch etwas mußte ich ihr noch entgegensetzen. Ein letzter Akt der Selbstverteidigung, ein letztes Aufbäumen gegen die feindliche Übermacht. Und so sagte ich vollkommen ruhig und mit einem überwältigenden Gefühl von Triumph in der Stimme:
"Du hast nicht zufällig einen Drahtschwamm?"
 
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Kommentare  

So, ich hab mir also den "Dialog mit der Liebe" durchgelesen. Hat mir gefallen. Die Grundidee der personifizierten Liebe ist vielleicht ähnlich, jedoch finde ich, daß Heikes Geschichte und meine ein ganz unterschiedliches Ziel anstreben. Ich wollte nicht sosehr das Wesen der Liebe beschreiben, in meiner Geschichte steht eher der Protagonist im Vordergrund. Es sollte einfach eine unterhaltsame Geschichte sein, ohne irgendeinen tieferen Moralischen Anspruch. Eine Metapher dafür, daß einen die Liebe immer dann erwischt, wenn man es am wenigsten erwartet.

Tom (29.09.2003)

mhh nett aber nicht überragend... lies dir mal den dialog mit der liebe von heike sanda durch - sie hat auch mal so was ähnliches geschrieben :)

http://www.webstories.cc/stories/story.php?p_id=3082&p_kat=2&p_area=


Becci (22.09.2003)

Hallo Tom,
was ich bisher von Dir gelesen habe, war alles sehr gut, aber das hier fand ich besonders nett :-)


Stefanie Seibel (12.09.2003)

Danke herzlichst für die Kommentare!
@Meggie: Es ist einfach so, wie sie sagt. Sie ist "DIE Liebe". Ich habe sie einfach personifiziert. Und: Ja, es war Gott gemeint. Ich dachte, da die Liebe ja ohnehin jeden Gedanken beherrscht, wenn sie da ist...
Grüße an alle,


Tom (12.09.2003)

Ich findes es ganz fantastisch, wie du über die Liebe schreibst, ohne sentimental zu werden: Auf der einen Seite das scheue Reh, auf der anderen der Bratpfannen schrubbende Single.
Gefällt mir sehr gut.
Dafür gibts nen Fullhouse


Andre (12.09.2003)

Netter Stil - wie immer!
Aber ehrlich gesagt hab ichs net ganz kapiert - mit der "Liebe" und dem "Lass DEN bloß aus dem Spiel..." (oder war damit Gott gemeint?? Kann sie Gedanken lesen?? Was war früher zwischen den beiden??)

4 points


Meggie (08.09.2003)

erinnert mich an Heike Sandas "Dialog mit der Liebe"!
dein Stil gefällt mir, liest sich leicht und macht neugierig auf mehr.
4 Punkte.
Gruß, Heidi StN


Heidi StN (07.09.2003)

Also, DAS mag ich besonders.

Lisa


Lisa (07.09.2003)

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