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3 Seiten

Justizia

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Der Nebel legte sich langsam auf die Strassen, als Lilly schnellen Schrittes Richtung Schule eilte. Ihr war gar nicht wohl bei dem Gedanken sich wieder dieser Tortur auszusetzen, den Blicken, den Kommenataren, dem Hohn. Doch was blieb ihr anderes übrig? Selbst ihre Eltern hatten für ihr Verhalten kein Verständnis mehr, Lilly war immerhin schon elf. Es war ja auch nicht so, als wäre sie besonders hässlich oder dumm gewesen, es lag einzig und allein an Lilly, die sich mit ihrer Einstellung immer wieder selbst ins Abseits manövrierte, sich so zum Außenseiter machte.
Lilly selbst fühlte sich wie eine Fremde auf dieser Welt, niemand schien für ihre Position Verständnis zu haben. Die Selbstzweifel nagten sichtlich an ihrem eigentlich sonnigen Gemüt, immer stärker zog sie sich zurück, ließ niemanden mehr an sich heran. Dabei, und das wusste Lilly, lag es einzig und allein bei ihr die Situation, die immer unerträglicher wurde, zu ändern.
Den Gedanken nicht zu Ende gesponnen, wie es Lilly häufig passierte, war sie bereits an der Schule angekommen, die, eingerahmt von dem massiven, leicht rostigen Eisentor und den zahlreichen Eichen, deren Blätter bereits eine rötliche Färbung angenommen hatten, vor ihr lag und sie sehnsüchtig erwartete um erneut über sie zu richten.
"Justizia...", entfuhr es Lilly bevor sie sich langsam dem Haupteingang näherte und bereits die ersten Blicke und die ersten Tuscheleien hinter ihrem Rücken bemerkte. Es war keineswegs so, als dass dies neu für sie gewesen wäre, dennoch wollte und konnte sie sich nicht daran gewöhnen, wie eine Aussätzige behandelt zu werden.
Als Lilly endlich ihren Platz erreicht hatte fand sie, wie jeden Morgen, zahlreiche kleine Nachrichten auf ihrem Tisch. Den Inhalt kannte Lilly bereits, es war also sinnlos, sich weiter mit ihnen zu beschäftigen, weswegen Lilly sie ohne eine Regung vom Tisch schob.
"Guten Morgen Lilly." erklang eine wohl bekannte, weibliche Stimme neben Lillys Ohr, die sie in Angst versetzte, da sie genau wusste, welcher Spiessrutenlauf nun wieder aufs Neue beginnen sollte." Schön dich zu sehen... ich nehme an, nun ja, du hast es immer noch nicht getan?"
"Wie soll ich sagen, ich meine, eigentlich..."
"Halt´s Maul!" fuhr ihr Nathalie dazwischen, das süffisante Lächeln nicht verbergend." Wer sollte sich deiner auch noch erbarmen? In deinem Alter! Das du noch nicht völlig vertrocknet bist! Als ich elf war, mein Gott..."
"Ich bin halt noch nicht soweit", entgegnete Lilly unsicher, den Blick auf die Erde richtend, unfähig das Zittern in ihrer Stimme zu verbergen.
Gellendes Gelächter brach in der gesamten Klasse aus, Lilly hatte sich durch ihren Kommentar nun vollkommen zum Idioten gemacht, selbst Nina, ihre einzige Freundin, die sie hatte halten können, schüttelte nun verständnislos mit dem Kopf und wandte sich von ihr ab; tat so, als würde sie Lilly nicht kennen.
Mit Tränen in den Augen griff Lilly nach ihrem Rucksack und lief so schnell sie konnte, ohne ein Ziel, ohne eine Idee, davon. Sie war sich bewusst, dass sie so nicht weitermachen konnte, weitermachen wollte. Doch ihr Ruf eilte ihr schon zu sehr Voraus, welcher Junge in ihrem Alter hätte noch mit ihr schlafen wollen? Völlig verzweifelt und entkräftet sackte sie auf eine Bank im nahe gelegenen Stadtpark nieder.
War sie wirklich so anders? War wirklich sie es, die sich für ihr Denken entschuldigen und rechtfertigen musste? Sollte sie nicht diejenige sein, die die anderen verachtete, weil sie so gänzlich ohne Moral waren? Konnte sie sich überhaupt noch richtig entscheiden? Hatte sie überhaupt eine freie Wahl?
In diesen Gedanken versunken bemerkte Lilly nicht, dass ihr die ganze Zeit über zwei Gestalten gefolgt waren, die sich plözlich neben sie auf die Parkbank setzten. Lilly erschrak, fuhr hoch, ihr war bewusst gewesen, dass der Park nicht der sicherste Ort der Stadt war, was in Anbetracht ihrer Wut zuvor weniger wichtig erschien, doch die beiden Männer hielten sie zurück. Lilly versuchte auszumachen, wer sie dort festhielt, doch konnte sie jediglich aufgrund der Statur und der Tiefe der Stimmen davon ausgehen, dass es sich um ältere Männer, vielleicht im Alter ihres Vaters, handelte.
"Müsste so ein hübsches Mädchen wie du nicht um diese Uhrzeit in der Schule sein?" entfuhr es der Gestalt zu Lillys Rechten. Doch sie war starr vor Angst, nicht in der Lage ein Wort zu sagen oder sich zu wehren, sie fürchtete um ihr Leben.
"Du, ich glaube die Kleine will uns verarschen!" rief der andere mit einem breiten Grinsen, das Lilly nur noch mehr in Schrecken versetzte. "Dann wollen wir dir mal zeigen, was man bei uns mit so kleinen Schlampen wie dir macht!"
Die beiden Männer packten sie, warfen Lilly zu Boden und, während der eine Lilly fixierte, riss der andere ihr die Kleider vom Leib, berührte sie überall mit seinen dreckigen, hornigen Händen, küsste sie, streichelte sie, vergewaltigte sie.
Lilly, immer noch unfähig zu sprechen geschweige denn zu schreien, schloss die Augen, weinte immer stärker, spürte diesen Kerl, wie er ihr das Wertvollste nahm, verkrampfte vor Schmerzen und ließ die Tortur über sich ergehen.
Nachdem ihr Peiniger gekommen war, warf der Andere sie in den Dreck und beide gingen, ohne eine weitere Reaktion, ohne irgendein erkennbares Schuldbewusstsein, wieder ihres Weges.
Lilly, immer noch völlig paralysiert, voller Schmerz, voller Scham, voller Hass, vernahm plötzlich tosenden Beifall. Sie öffnete langsam die Augen und was sie sah konnte sie nicht glauben, wollte sie nicht glauben. Vor ihr stand ihre komplette Klasse; Lilly musste mit ansehen, wie sie applaudierten, jubelten und immer wieder ihren Namen riefen; alle hatten augenscheinlich die ganze Zeit über zugesehen, wie diese Kerle sie vergewaltigt hatten und ohne ihr zu helfen, bejubelten sie dies nun auch noch.
Nathalie kam langsam auf Lilly zu, lachend, mit strahlenden Augen. "Mensch Lilly, jetzt bist du ja doch eine von uns! Und was für eine Show! Ich, nein, wir sind beeindruckt, aber ich hab es ja immer gesagt! Lass dich feiern!" rief sie voller Begeisterung, voller Euphorie. Immer mehr ihrer ehemaligen Peiniger eilten zu ihr, halfen Lilly hoch und trugen sie, immer noch völlig nackt, durch die Strassen. Jeder achtete sie, mochte sie nun, genau wie Lilly es sich immer gewünscht hatte.
Doch an diesem Tag sollte Lilly nicht nur ihre Unschuld, sondern die Achtung vor der Welt aber vor allem vor sich selbst für immer verloren haben. "Justizia....", entfuhr es Lilly ein letztes Mal bevor die Menge sie in die Schule trug um ihre Heldin zu feiern. "Justizia...."
 
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Kommentare  

"....alle hatten augenscheinlich die ganze Zeit über zugesehen, wie diese Kerle sie vergewaltigt hatten und ohne ihr zu helfen,......

Ja, das dürfte realistisch sein, in unserem tollen Sozialstaat


 (31.07.2005)

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