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3 Seiten

Abende wie dieser

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Es war einer dieser Abende, an denen die Welt friedlich schien; so, als könne sie nichts erschüttern, nichts aus den Fugen bringen. Felix saß auf der etwas modrig wirkenden Teakholzbank vor seinem Haus und wartete, bereits etwas ungeduldig, auf Magnus. Schon lange hatten die beiden sich nicht mehr gesehen und mit jedem Tag, der vorüber ging, schien es Felix so, als würden sie sich stetig fremder. Der Lauf der Dinge, des Lebens, wenn man so will, hatte es gewollt, dass die engen Freunde von einst, die ihren Gegenüber stets besser zu kennen schienen als sich selbst, heute kaum noch ahnten, was im Anderen vor sich ging.
Man telefonierte ein paar Mal im Monat, tauschte sich über die Arbeit, respektive das Studium, aus, lachte über Begebenheiten der Vergangenheit und bedauerte sich letztlich gegenseitig für die verpassten Möglichkeiten der Gegenwart.
„25 Minuten...“, murrte Felix . Sein Blick glitt über die weitläufige Wiese, die sich vor ihm ausbreitete, blieb letztlich an der links gelegenen Hauptstrasse und der dröhnenden Geräuschkulisse kleben. Felix war kaum in der Lage, dem Lärm etwas entgegenzuhalten. Jahrelang hatte er die Welt um sich herum ausblenden können, hatte Strategien entwickelt, die Realität erträglicher zu gestalten. Doch mit jedem Jahr, dass Felix älter geworden war, mit jeder neuen Erkenntnis, die ihn das Leben gelehrt hatte, glitt Felix langsam in die Teilnahmslosigkeit ab. Es war nicht so, als erschräke er nicht selber davor; vielmehr rief er sich in diesen Momenten zur Raison, berief sich auf das Privileg, ein vernunftbegabtes Lebewesen zu sein.
Doch es war eben diese Vernunft und diese stete Reflexion, die Felix auch zu einem traurigen, aber vor allem auch wütenden, Menschen gemacht hatte. Die Gewalt hatte zugenommen, Menschen richteten über das Leben anderer, beriefen sich auf ihren Glauben und die Ungerechtigkeit. Sie bestimmten, wer zu leben hatte und wer gehen musste. Alles im Namen der Freiheit, alles mit dem Willen einer größeren Vernunft, als der menschlichen.
Allein die Gedanken daran ängstigten Felix wieder. Schnell wandte er den Blick gen Horizont, sah der blutroten Sonne ins Gesicht und schmunzelte bei dieser lächerlich wirkenden Offenbarung der Natur.
„Na gut, dann eben keine Flucht. Kein Entrinnen! Auch in Ordnung!“, rief er voller Hass der Welt um sich herum entgegen, „Leckt mich doch alle miteinander!“
Felix sackte etwas in sich zusammen, nun waren es bereits 45 Minuten, die Magnus zu spät war. Seine Wut nicht verbergen könnend, scharrte Felix mit dem rechten Fuß im Kies und schüttelte leicht seinen Kopf.
„Mistkerl!“, entfuhr es ihm. Im selben Moment bedauerte er seine Aussage, zumal Magnus um die Ecke bog und grinsend auf ihn zusteuerte.
Wortlos setzte er sich neben Felix, schlug das rechte Bein etwas ungelenk über das linke und nahm einen tiefen Atemzug der modrigen Luft um ihn herum.
„Ist dir aufgefallen“, fragte Magnus, „,dass die Sonne zu weinen scheint? Sie blutet. Schau doch, wie rot sie heute Abend ist.“
Felix nickte.
Magnus kniff die Augen zusammen, den Blick noch immer auf die untergehende Sonne gerichtet.
„Es ist schon seltsam, nicht Felix? Die ganze Zeit über, liegt das Glück vor uns und wir Vollidioten sind nicht in der Lage, etwas daraus zu machen. Schau doch, wie stark sie blutet, sie offenbart uns ganz unverblümt ihre Wunden. Wie ein Hund, der im Angesicht des Todes sich nichts sehnlicher wünscht, als nicht alleine von der Welt gehen zu müssen. Natürlich, das Bedauern kann auch er nicht verbergen, selbst wenn ein Hund nicht im selben Sinne des Bedauerns im Stande ist wie wir.“
Felix reagierte nicht.
„Eine Farce...“, seufzte Magnus und nahm die rechte Hand seines Freundes in die seine.
Felix blickte mit feuchten Augen zu Magnus hinüber, der noch immer zu lächeln schien.
„Hätten wir etwas anders machen können? Machen sollen? Machen müssen?“, fragte er verzweifelt.
Jetzt schwieg Magnus, drückte nur etwas fester die Hand in seiner.
„Welcher Kategorie hätten wir uns bedienen sollen?!“, rief Felix voller Ehrfurcht, „Würde? Vernunft? Angst? Freude? Hoffnung?! Antworte du verdammter Mistkerl, oder ich verliere jeglichen Respekt vor dir!“
Blitzschnell griff Magnus um, packte mit beiden Händen den Kopf seines Gegenübers, schien ihn mit seinem Blick wie ein Dolch zu durchdringen.
„Verdammt Felix, du weißt die Antwort! Du hast sie immer gewusst und läufst nur vor deiner eigenen Erkenntnis davon! Du wusstest es davor, du wusstest es währenddessen und du wirst es auch noch danach wissen!“
Und in dieser Pose verharrend schwiegen die Freunde einander an wohl wissend, dass dies der letzte Abend für sie sein würde.
„Magnus, ich will nicht gehen.“, sagte Felix mit der vollsten Verzweiflung, zu der ein Mensch in der Lage ist.
„Dann lauf. Lauf und sage der Welt, dass alles in Ordnung kommen wird. Sag es allen! Und dann brüste dich mit deiner Tat. Werde so glücklich, wie ich es bin und verzweifle mit jedem neuen Tag an der Aufgabe, die dir mit der Vernunft zuteil wurde.“, erwiderte Magnus, „Aber vergiss nicht, die Sonne blutet weiter, bar jeglicher Vernunft, ob du der Welt ins Gesicht schreist oder nicht! Wer bist du denn schon? Wir beide werden unserem Namen nicht gerecht, so sehr wir es auch probieren. Schau doch wie sie blutet, es rinnt hinab in die Welt und niemand will es wahrhaben, niemand will es sehen. Da kannst du noch so laut schreien oder klagen. Im Resultat bleibt es wie es vorher war und ist doch komplett anders!“
Magnus nahm erneut die Hand seines langjährigen Freundes und gab ihrem Griff einen angemessenen Widerstand.
„Schau nur die Wiese“, flüsterte Felix vorsichtig, „wie schön sie ist. Obwohl vom ganzen Blut bedeckt hat sie über all die Jahre ihre Würde behalten. Meinst du nicht auch, wir können uns an ihr ein Beispiel nehmen? Meinst du nicht, Magnus? Du musst nur genau hinsehen!“
„Wir alle“, unterbrach Magnus, „wir alle miteinander müssen lernen...“
Er hielt inne, war er sich doch bewusst, dass seine Worte keine Bedeutung mehr tragen würden. Er drückte Felix Hand; dies war real, dies war wichtig und allein dies war es, wofür er gekommen und was er seinem Freund schuldig geblieben war.
 
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