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6 Seiten

Als ich in ´s Sommerloch fiel

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten · Sommer/Urlaub/Reise
Es ist eine jedermann bekannte Tatsache, dass alljährlich zur Sommerzeit Politiker wie deren natürliche Feinde, das Pack von der Journaille, in das berühmt – berüchtigte Sommerloch fallen. Die Folge dieser Stürze sind allseits belustigende Einfälle, die ob ihrer offenkundigen Verstandeslosigkeit die humoristischen Glanzleistungen der Satiriker und der „C“ – Kreativen aus der Werbe – und Modebranche mühelos abhängen. So kann es vorkommen, dass ein bis dato unauffällig Diäten kassierender Hinterbänkler plötzlich mit der grandiosen Idee hausieren geht, man könne doch Schokoladenzigaretten künftig verbieten; denn diese stellten, nach einsamer Expertenmeinung, die Einstiegsdroge schlechthin in den gesundheitsschädlichen Tabakkonsum dar. Oder der hierzulande nicht unbekannte Gerhard („Gerd“, danke Herr Müntefering!) Schröder wird von gewieften Topjournalisten als hochbezahlter Werbeträger einer Haartönung entlarvt, während die restjährlich medial fehlgeleitete Konsumentenmasse diesen Herrn immer noch für den Kanzler aller Deutschen hält. Das Sommerloch macht ´s möglich.
Die Mehrheit der Menschheit irrt allerdings gründlich, wenn sie sich unter dem „Sommerloch“ eine Metapher für ein gewisses Ideen – und Themenvakuum zur besten Urlaubszeit vorstellt. In Wahrheit tun sich nur zur Sommerzeit schwarze Löcher auf – gewissermaßen Fässer ohne Boden - , die es dem Verunglückten auf wundersame Weise ermöglichen, eine Dummheit nach der anderen nach draußen zu schaufeln, welche dann von der gleißenden Sonne an den Tag gebracht wird.
Doch wie und was sind sie wirklich, diese schwarzen Löcher? Wie kann es passieren, dass gewöhnliche Langweiler, die für den Rest des Jahres allenfalls über Sinn und Unsinn des geltenden Vorsteuersatzes monologisieren können, in diese hinabstürzen, um auf einmal ein erzählerisches Talent an den Tag zu legen, das inhaltlich die Grimmsche Sammlung von Volksmärchen bei weitem übertrifft? Seit letztem Dienstag weiß ich es: Es hat mit der Hitze zu tun!

Der mittlere Mitteleuropäer, unter Ausländern und seinesgleichen als Deutscher bekannt, verfügt über einige typische Eigenheiten. Hierzu gehören keineswegs der „sprichwörtliche Fleiß“ oder die „zwanghafte Sauberkeit“, auch schlummert im Angehörigen des „Volkes der Dichter und Denker“ seltenst ein solcher (von zufälligen Ausnahmen abgesehen, wir erinnern uns an Norbert Blüm, Uli Wickert und Karl – Heinz Rummenigge....). Nein, eine charakteristische Eigenschaft, die den Deutschen vor allem in südlichen Gefilden bei den dortigen Eingeborenen leichthin identifizierbar macht, ist das Herumlatschen in sengender Mittagshitze. Dabei geht er erhobenen und ungeschützten Hauptes, mit gänzlich ausgetrocknetem Gehirn.
Mir ist, wie meine demnächst in ´s Zweistellige gehende Leserschaft bestätigen wird, ein sogar mir selbst weit überlegener Intellekt zu eigen. Im übrigen gehöre ich zur nicht übergroßen Gruppe der künstlerisch – freischaffend Selbständigen, deren Hauptwesenszug das Sich – Lümmeln ist, während andere ihrem fremdbestimmten Tagewerk nachgehen müssen. Daher ist es für meine Person natürlich gänzlich ausgeschlossen, den Moloch Großstadt zur Mittagszeit aufzusuchen und über kochenden Asphalt zu flanieren. Es sei denn, dass etwas unaufschiebbar dringendes zu erledigen ist oder mein Gehirn wie letzten Dienstag sicher verstaut im Gefrierfach des Kühlschrankes liegt.
So trug es sich an jenem Tage zu, dass ich zur Zeit, als die Sommersonne in ihrem Zenit stand, auf dem Kölner Hansaring unterwegs war. Zuerst noch munteren Stechschrittes, später schleppend, schließlich auf allen Vieren. Einen Kaffeeausschank zu suchen war mein Sinn, denn das Einverleiben dieses koffeinhaltigen Heißgetränkes in brütender Mittagshitze, ist nicht nur eine liebgewonnene Gewohnheit, sondern hauptsächlich und in allererster Linie vollständige Idiotie. Während ich also so auf dem glühend heißen Gehsteig dahinkroch, dabei einen sogleich verdunstenden Schweißbach hinter mir lassend, geschah es:
Der ohnehin bereits zähflüssig erweichte Straßenbelag fing direkt unter meinen von der Hitze fiebrigen Augen an zu brodeln und zu blubbern. Und langsam tat sich ein Schlund vor mir auf, der zwar nicht gewaltig groß, gleichwohl jedoch unendlich tief war. Er nahm die Gestalt eines grob geformten Mauls an – gänzlich zahnlos, jedoch bedrohlich geifernd vor Gier. Sogleich kam eine schwarz belegte schwarze Zunge aus den Untiefen des Mauls hervorgekrochen und leckte mich wie ein klebriges Bonbon vom Asphalt. Und riss mich hinab, in die unendliche Finsternis. Ich fiel, fiel weiter, noch ein bisschen weiter und – tatsächlich! - noch ein wenig weiter, bis mein Fall endete und ich in eine teigähnliche Masse eintauchte. Es handelte sich um eine Substanz, die Rauchern wie Straßenbauarbeitern wohlbekannt ist: Teer.
Nach einer Weile gelang es mir, die widerliche klebrige Masse aus den Augen zu reiben und mit selbigen Umschau zu halten. So wurde ich gewahr, dass ich in Brusthöhe in einem Tümpel aus Teer stak, der wiederum inmitten einer Kaverne lag. Diese war schummerig erleuchtet und nachdem sich mein Sehapparat an das spärliche Licht gewöhnt hatte, bemerkte ich eine am Rande des Tümpels kauernde Gestalt. Es war ein verhutzeltes Männlein, in eine verdreckte Toga geschlungen, mit großen, fahl leuchtenden Augen - und es grinste mich auf unverschämte Art und Weise an. Dann öffnete der verwahrloste Greis seinen mit schwarzen Zahnruinen gefüllten Mund und sprach mit brüchiger Fistelstimme:
„Nun, mein Sohn, bist du wohlauf?“
„...“, antwortete ich.
„Dachte ich mir! Ich schätze, mein Sohn, du möchtest wissen, wo du dich befindest?“
„Ja!!!“, nickte ich.
„Nun, du befindest dich im Magen – Darm – Trakt eines Sommerlochs. Bescheuerter Name! Die Löcher gibt es das ganze Jahr über. Allerdings wird nur im Sommer der Straßenbelag wegen der Hitze weich genug, dass sie die Mäuler öffnen können. Auch das klappt nur, wenn ´s so richtig heiß ist. Müssen dann oft tagelang auf Beute warten. Manchmal vergebens. Üble Sache, das, kannst du mir glauben. Na ja, bei dir hat ´s ja geklappt...“
„Aaargh!!!“, sagte ich.
„Genau!“, bestätigte der Greis. Dann fuhr er fort:
„Willst du wissen, wer oder was ich bin?“
„Ja!!“, schüttelte ich den Kopf.
„Ich bin der Hüter dieses Sommerlochs! Es gibt nicht mehr viele von uns. Deswegen sind die meisten Sommerlöcher verwildert. Geben Ihre Beute nicht mehr frei. Verdauen Sie lieber. Irgendwie verständlich, oder?“
„Aaargh!!!!“, war meine Meinung dazu.
„In deiner momentanen Situation eine nachvollziehbare Äußerung - auch wenn ich mich gewählter ausdrücken würde, mein Sohn. Aber...hm...vielleicht wüsste ich eine Möglichkeit, wie du wieder frei kommen könntest...Falls dir daran was liegt....... .“
„Natürlich liegt mir daran etwas!!! Ich stelle es mir alles andere als angenehm vor, von einem Sommerloch verdaut zu werden, nein wirklich!!!“, aaarghte ich.
„Du bist kein Mann der großen Worte, mein Sohn. Was machst Du beruflich?“
„Schreiber!“, brachte ich einigermaßen artikuliert heraus.
„Ein Glück, hatte schon leichte Zweifel – bei Deiner Eloquenz! Also, es ist so: Wenn du mir einen kleinen Gefallen tust, tue ich dir den großen und verhelfe dir zur Freiheit! Was sagst du??“
„Was...????“
Das Männlein griff hinter sich und kramte einen schmutzigen, offenbar prall gefüllten Beutel hervor. Es griff hinein und entnahm ihm einen ansehnlichen Stoß Papier.
„Wir Sommerlochhüter haben jede Menge Zeit, wie du dir sicherlich vorstellen kannst. Wenn wir dem Sommerloch nicht gerade bei der Verdauung behilflich sind, unverdauliche Essensreste wegschaffen und den Mageninnenraum sauber halten, widmen wir uns alle dem gleichen Hobby: Wir schreiben! Na ja, viel mehr bleibt einem hier unten auch nicht. Wie dem auch sei: Meistens sind es Szenen mit stark realistischen Bezügen, manchmal auch Humoristisches, ab und an gehen die Geschichten auch ein wenig in ´s Politische. Nun wirst du es selbst am besten wissen: Ein jeder Schreiber träumt davon, dereinst etwas zu veröffentlichen und gedruckt zu werden. Aber dazu benötigt man natürlich Kontakte – doch wem erzähle ich das! Was ich jetzt von dir möchte, ist folgendes: Du siehst diesen Packen Papier? Das sind meine Manuskripte. Ich hätte gerne, dass du diese, meine Schriften veröffentlichst – dabei spielt es keine Rolle, ob die Geschichten in der Tagespresse, in einem Magazin oder gar in Buchform erscheinen. Dabei steht es dir weiter völlig frei, ob du die Texte unter deinem Namen veröffentlichst oder unter welchem auch immer. Mir geht es einzig allein darum, das mein Werk gedruckt wird! Solltest du dich hierzu bereit erklären, würde ich dDir im Gegenzug aus dem Sommerloch raus helfen. Nun, was sagst du?“
„...“, sagte ich.
„Kann ich verstehen. Am besten gebe ich dir einen kurzen Einblick in mein Schaffen, damit du dir ein Bild machen kannst.......“
Und er las. Er las lange. Als er geendet hatte, sah er mich erwartungsvoll an.
„Das...ich...äh...ich meine...“, stammelte ich.
„Sag´ offen und frei heraus, was du denkst, mein Sohn!“
„Das alles ist...kompletter Unfug! Ich meine, zum Beispiel diese Geschichte mit dem Modeschöpfer, dessen Hund sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen möchte, es aber nicht kann, weil die zuständigen Stellen dies für nicht vereinbar mit den Vorschriften des Transsexuellengesetzes halten...das klingt wie eine dieser hanebüchenen Sommerlochgeschichten, die... äh...“
Natürlich. Gefräßige Sommerlöcher, Hitzewelle, schriftstellernde Sommerlochhüter, leicht erpressbare Beute - das also war die wahre Ursache, der sommerlichen Blödheiten, die von Nichtstuern wie Politikern und freien Journalisten der unschuldigen Leserschaft alljährlich während der Hundstage präsentiert wurden. Der mir eigene Instinkt des gnadenlosen Enthüllungsjournalisten war auf einen Knüller gestoßen, auf eine so unfassbare Allerletzte Wahrheit, würdig allein der höchsten journalistischen Auszeichnung überhaupt: Des Pulitzerpreises! Nichts weniger.
Selbstredend ging ich auf das Angebot des Greises ein. Dabei lag mir nichts ferner, als die Machwerke des Sommerlochhüters zu veröffentlichen. Vielmehr sah ich meine Geschichte schon in Form gegossen vor meinem geistigen Auge auf dem heimischen PC – Monitor blinken. Von all dem ahnte der alte Narr natürlich nichts – war er doch fest davon überzeugt, lediglich einen weiteren, ob seiner Zwangslage willfährigen, Ghostwriter gefunden zu haben. So entnahm er nach Besiegelung unseres Abkommens seinem Beutel ein kleines Fläschchen und sprach:
„So heißt es denn Abschied nehmen! Hierin befindet sich ein höchst wirksames Abführ – beziehungsweise Brechmittel. Das Sommerloch wird sich unverzüglich, sobald ich ihm einige wenige Tropfen herabreicht habe, übergeben. Und dich ausspeien. Also, tue dein Bestes und ich hoffe für dich, dass wir uns nicht wiedersehen, mein Sohn!“
Er schüttelte die kleine Flasche, öffnete sie, drehte sie um und gab einige Tropfen in den Tümpel. Ganz langsam begann ein Rumpeln in der Kaverne, welches allmählich lauter wurde. Der teerige Tümpel fing an zu brodeln. Und es hob ein Beben an, ohrenbetäbend laut... und mir schwanden die Sinne ...

Auf dem Gehweg liegend kam ich zu mir. Ich wartete einen Moment, ob es helfende Hände zum Abwehren geben würde (Es gab sie nicht!) und erhob mich. Im Rinnstein fand ich ein schmuddeliges Bündel Papier – die Manuskripte des Sommerlochhüters. Den Schund warf ich in den nächstgelegenen Müllbehälter.
Ich beeilte mich zur S – Bahn zu kommen und fuhr noch Hause, hin zu meinem Arbeitsplatz. Um die einzig wahre Geschichte über die Entstehung der Sommerlochthemen zu schreiben.
 
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Kommentare  

Klasse die Geschichte. Hast einen wunderbaren Schreibstil und ziemlich verrueckte Ideen. Macht gepaart 5 Punkte!
Gruss Andre


Andre (06.08.2004)

hallo mein lieber freund,...wie immer bin ich sehr begeistert von deiner story,..kenne deinen humor(der meist schwarz ist),...mach weiter so!! kuss anke

anke (17.07.2004)

Hehehe, wirklich amüsant!
Dazu auch noch über jeden Zweifel erhaben geschrieben. Etwas vom Besten, das ich bisher hier gelesen habe.
Als Rezept gegen Sommerlöcher müsste man demnach kühle Sommertage verschreiben.

Gruss


Ingo Gärtner (13.07.2004)

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