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Die Zukunft ist tot; es lebe die Zukunft ...

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
© marmonemi
Nun war ja in den letzten Jahren das Geschrei relativ groß, weil in diesem Staat mehr und mehr Arbeitslose resp. Arbeitssuchende zu verzeichnen waren. Das ist ansich natürlich dramatisch. Denn dummerweise ist ja bereits mit Umstellung von Deutsche Mark auf Euro alles doppelt so teuer geworden; die Gehälter und/oder sonstigen Bezüge sind nur leider nicht um 100 Prozent gesteigert worden. Auch Miete und Nebenkosten, Telefon und Kindergartengebühren etc. liegen letztendlich konstant auf gleichen Monatsbeträgen; nur eben nach der Umstellung mit anderem Vorzeichen.

Wie auch immer schaffte es der ansich mündige Bürger, das zu regeln und dennoch nicht unterzugehen. Doch mehr und mehr waren Arbeitslose resp. Arbeitssuchende zu verzeichnen. Jede Familie dieses Staates dürfte es inzwischen auf die eine oder andere Weise getroffen haben. Die Einen arbeiten tapfer weiter, während die Anderen tapfer an Umschulungen oder ab einem bestimmten Punkt nur noch an Umschuldungen knapsen.

Man könnte denken, dass die Schmerzgrenzen der verschiedenen Bereiche nunmehr ausgereizt sind. Neben maßlosen Erhöhungen wie Spritpreisen und Tabaksteuer, Einführung von Praxisgebühren und weiteren Sonderabgaben, die noch vor einigen Jahren wegen Absurdität im Keim erstickt worden wären, holt die Bundesregierung jetzt aber zu weiteren Tiefschlägen aus.

Nein, nein, stimmt schon: Es ist nicht nur die Bundesregierung. Es sind auch die Arbeitgeber, die vermutlich genauso wenig an die Durchführbarkeit der nun vorgeschlagenen Krankenkassenmonatsbeitragsneuregelungen (pauschal bis zu 109 AN + 60 AG, Kinder generell frei), wie sie mit gestrigem Tage vom Hinterdeutschen Nightmare-Team Merkel/Stoiber bekannt gegeben wurden, glauben können bis wollen, wie jene Arbeitnehmer, deren IQ zumindest knapp über dem einer trockenen Scheibe Toastbrot liegt.

Da gibt es zum Einen Überlegungen, die 40-Stunden-Woche wieder einzuführen, um die Konjunktur endlich anzukurbeln. Nebenbei gerät natürlich nicht in Vergessenheit, dass die Arbeitslosenzahlen dringend gesenkt werden müssen. Was selbstredend nicht möglich ist, wenn Arbeitnehmer ohne Lohnausgleich wöchentlich bis zu 5 Stunden mehr arbeiten. Warum sollten in Anbetracht einer solch effektiv erscheinenden Möglichkeit, den vorhandenen Personalstamm runde 15 Prozent mehr arbeiten zu lassen, ohne dass den Arbeitgebern dadurch weitere Kosten entstehen, mehr Arbeitskräfte eingestellt werden? Auch hier frage ich mich bisher erfolglos nach dem tieferen Sinn. Aber versprochen: Ich werde erneut in mich gehen.

Was ist es nur, das zu diesem Thema leise bis laut in mir klingelt? Kann es sein, dass es noch nicht allzu viele Jahre her ist, als man dafür plädierte, die 40-Stunden-Woche abzuschaffen, hin zur 35-Stunden-Woche, um Arbeitsplätze zu schaffen und damit die Arbeitslosenzahlen zu minimieren und die Konjunktur anzukurbeln. Was hat sich bloß in der Zwischenzeit so sehr verändert, dass sich dieses Thema nun ins genaue Gegenteil verdreht hat? Das Thema oder auch nur die Argumentation.

Seinerzeit sollte die Minimierung auf 35 Arbeitsstunden/Woche gut für die Wirtschaft sein und die Arbeitslosenzahlen senken. Heute soll ein Rückschritt zur 40 Stunden gut für die Wirtschaft sein und die Arbeitslosenzahlen senken. Ich komme einfach nicht drauf, was geschehen ist. Aber okay: Auch hier werde ich meinen müden Geist weiter bemühen.

Von den sogenannten 1-Euro-Jobs mal ganz abgesehen. Die Logik, warum Arbeitgeber neue Arbeitskräfte für 10 bis 40 Euro/Stunde einstellen sollten, wenn sie sie doch genauso gut für 1 Euro bekommen, erschließt sich mir nicht. Aber wohlmöglich geht das nur mir so und insofern werde ich einfach weiter in Ruhe darüber nachdenken. Die Erleuchtung muss ja kommen. Hoffe ich.

Aber jetzt kommt’s!

Und ich frage mich ehrlich gesagt, welche klitze kleinen Wichtel in verborgenen Ecken und Winkeln sitzen und sich vor lachen unbemerkt die Oberschenkel grün und blau schlagen ...

Nicht, dass man den ansich mündigen Bürger schon genug gebeutelt hätte, nein. Jetzt soll neben dem Rauchverbot am Arbeitsplatz und der Nötigung zum Aufsuchen, Leprastation ähnlich abgeschotteter Orte und Plätze (was ja gar nicht notwendig gewesen wäre, wenn der Irrsinn der Raucherverfolgung nicht so dermaßen auf die Spitze getrieben worden wäre) auch noch die dafür unfreiwillig (man könnte ja auch während des Weiterarbeitens rauchen) geopferte Arbeitszeit abgezogen oder nachgearbeitet werden.

Das war’s?

Nein, natürlich nicht!

Im Rahmen der Gleichbehandlung soll natürlich ebendieses gelten, wenn sich ein Arbeitnehmer einen Kaffee (analog: Tee, Cola, Wasser etc.) holt, beim Quatschen oder bei sonstigen, dienstfremden Aktivitäten erwischt bis überführt wird! Klar, gleiches Unrecht für alle. Auch der gerade noch nebenbei zu schaffende Biss ins Leberwurstbrot soll ab sofort geahndet werden! Das Kauen während des Bedienens eines Rechners ist natürlich ein undenkbarer Zustand und führt die deutsche Wirtschaft selbstredend direkt in den nicht mehr rückgängig zu machenden Untergang.

Ich verstehe das. Oder glaube es zumindest. Hoffe es?

Obgleich ich zugebe, dass mich gewisse Zweifel begleiten. Aber was soll ich tun? Allein in diesem Text nun zum X-ten Mal zugeben, dass ich es nicht verstehe? Dass mir ein Erkennen der damit mutmaßlich verbundenen Logik gänzlich verschlossen bleibt?

Das geht nicht! Man würde mich doch für total bescheuert halten. Oder sind wir vielleicht alle bescheuert, nur die von uns gewählten, sogenannten Volksvertreter blicken noch durch und ermöglichen uns allen ein erneutes Wirtschaftswunder, wenn wir nur lange genug - und ohne zeitgleich feilgebotene Erklärungen für völlig konträre Argumentationen innerhalb weniger Jahre - still halten? Und müssen wir nicht befürchten, dass wir dann auch für eben dieses Stillhalten Lohnabzüge hinnehmen müssen?

Wie viel kostet anteilsmäßig jeden Arbeitnehmer in Zukunft die Abnutzung des Firmen-Fußabtreters im Eingangsbereich? Wer muss überwiegend für dessen Reinigung aufkommen? Sind es eher die Arbeitnehmer, die sich bei Regenwetter nicht krank melden und die Dreistigkeit besitzen, sich mit verschmutzten Schuhen in die Firma zu wagen? Sind es (wie gesagt: Gleiches Unrecht für alle!) die Arbeitnehmer, die die Firma urlaubsbedingt überhaupt nicht betreten?

Oder ist sind es die Putzfrauen? Auch bei ihnen muss ja etwas gestrichen werden. Und was tun, wenn sie wohlmöglich Nichtraucherinnen sind und während der Arbeitszeit weder etwas essen noch trinken? Müssen sie dann Lohnabzüge akzeptieren, weil sie sich vor Arbeitsbeginn geduscht und bekleidet haben und damit unnötiger Weise Energien verschwendeten, die sie ebenso gut innerhalb der Ausübung ihrer Jobs hätten einsetzen können?

Kommt möglicherweise in Zukunft auf jeden Arbeitnehmer der ultimative Deo-Test zu? Wer nicht stinkt muss damit rechnen, dass ihm für eigenmächtige Energieverschwendung vor Antritt des Jobs pauschal 20 Prozent seiner Monatsbezüge abgezogen werden?

Himmel ist das alles kompliziert ...

Darf man zukünftig während der Arbeitszeit noch ungehindert atmen oder werden die Atemzüge rationiert? Folgt man der Argumentation von Fluggesellschaften, warum sie zur Minimierung der Belüftungskosten/Klimaanlagen ein Rauchverbot ausgesprochen haben, dürfte das doch auch auf jedes deutsche Unternehmen zutreffen. Das hieße in der Konsequenz: Arbeitnehmer die während des Arbeitens atmen müssen ihren Luftverbrauch selbst bezahlen. Also werden jedem lebenden Menschen pauschal erst mal 50 Prozent seiner Bezüge abgezogen. Jawoll. Mögliche Überschüsse werden eingesetzt für Renovierungsarbeiten innerhalb der Gebäude und falls das Geld damit nicht gänzlich verbraucht werden kann, wird eben ganz neu gebaut! Während der Bauarbeiten haben die Arbeitnehmer natürlich für einen reibungslosen Ablauf ihrer Jobs zu sorgen. Wer das nicht tut, wird erschossen. Das ist nur sinnvoll, um die Arbeitslosenzahlen weiterhin schönen zu können. Wäre ja gelacht, wenn all die momentan diskutierten Reformationsentwürfe nicht in absehbarer Zeit greifen würde.

Und wie wird es mit den Mittagspausen sein? Wer seine gesamte Mittagspause in Anspruch nimmt, zeigt damit, dass er in seinem Job nicht ausgelastet ist und wird dem entsprechend fristlos gekündigt? Dem entgegen stehen die Arbeitnehmer, die aus Angst vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze jeden Abend und selbstredend ohne zusätzliche Vergütung ein oder zwei Stunden dran hängen. Sie stellen unter Beweis, dass sie ihre schlecht organisierte Arbeit während der regulären Arbeitszeit nicht auf die Reihe kriegen und werden natürlich auch fristlos gekündigt.

Raus, alle raus! Dabei aber bitte weiterhin die Arbeit verrichten!

Was bleibt sind letztendlich nur noch die Kettenraucher und 24-Stunden-Ess-Trinker, die für ihre Arbeit nicht mehr entlohnt werden und stinkend zur Arbeit erscheinen müssen.

Ohne Schuhe, versteht sich ...

© marmonemi
 
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Kommentare  

Während ich deinen Text gelesen habe, überkam mich jene knurrige Wut im Bauch, die ich immer bekomme, wenn ich Nachrichten aus der Politik und / oder Wirtschaft lese, am besten noch garniert mit Gegeninformationen à la Telepolis oder freace.de.
Deine Zukunftsaussichten mögen wahrscheinlich (hoffentlich?) natürlich satirisch überspitzt sein, aber eins ist klar: die Bonzen in Politik und Wirtschaft werden solange die Schlinge immer enger zuziehen, solange sich niemand wehrt.
Aber das ist das Problem (zumindest bei mir): Man fühlt sich so verdammt hilflos, die meisten merken nicht wohin die Reise geht, nämlich nach unten oder wollen es nicht merken, klammern sich an ihre Besitzstände, wenigstens status quo soll es sein.
Was einem bleibt, ist die knurrige Wut und das Bedürfnis, wenigstens literarisch auszuteilen.
Oder doch nicht?
Interessant, deine satirische Beleuchtung.


ISA (30.05.2005)

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