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Falschspiel ~ Kapitel 1 * Der Auftakt

Romane/Serien · Nachdenkliches
Es war schwül und stickig im Spiegelsaal. Die Luft schien so unerträglich dick, als könne man sie mit einem Messer in Scheiben schneiden. Trotzdem war die Tanzfläche voll belegt. Paare schwebten beinahe lautlos über das Paket, immer im Takt der Musik und all jene, die sich gerade von dem letzten Tanz erholten, umrundeten das Buffet, auf der Suche nach einer weiteren Köstlichkeit, von denen es an diesem Abend zu Haufe gab.
Es war einer jener Festbälle, die unter den Reichen und Adeligen der Stadt häufig gegeben wurden. Hier trafen sich hohe Herrschaften und reiche Kaufmänner, Grafen und allerlei weitere Persönlichkeiten, die sich solch einen Luxus leisten konnten.
Unter ihnen befand sich auch eine junge Frau, welche allem Anschein nach allein gekommen war. Sie zog die Blicke sämtlicher Männer auf sich; daran war mit Sicherheit nicht nur ihr auffallend freies Dekolletee schuld. Sie hatte ein wunderhübsches Gesicht, war außerdem noch schlank und recht gut gebaut. Ihr langes kupferrotes Haar hatte sie in einer aufwändigen Frisur hochgesteckt. Selbstsicher und ohne sich von den unzähligen Blicken, die sie verfolgten, verunsichern zulassen, schritt sie durch den großen Saal. Getanzt hatte sie bereits mit vielen, doch mehr als ein wunderschönes Lächeln und einen höflichen Knicks bekam keiner von ihr. Sie schien auch noch in keinem Sinne erschöpft zu sein. Mehr hatte es den Anschein, als wartete sie auf etwas. Oder jemanden.
Während sie sich nun ein weiteres Glas Wein vom Buffet nahm wanderte ihr Blick, wie schon unzählige Male zuvor zu dem Gastgeber des Festballes, Graf Sir Salvonio Baltari. Dieser redetet gerade mit einem seiner Gäste, jedoch war auch sein Blick zu ihr hinüber geglitten. Ein Lächeln lag auf seinen Zügen, doch hatte es nicht den Anschein, das Gespräch würde es hervorrufen. Die junge Frau hielt den Atem an und drehte dann ihr Gesicht langsam seitlich von ihm weg. Doch ihre Augen fixierten ihn weiterhin unverwandt von der Seite. Nach einigen Augenblicken ließ sie den Kontakt ganz fallen und wandte sich wieder dem reich gedeckten Buffet zu. Plötzlich legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Überrascht drehte sie sich um und blickte in Sir Baltaris Gesicht. Erleichtert lächelte sie ihn an.
"Guten Abend, Mylady", sagte er zu ihr und deutete eine sanfte Verbeugung an, ohne sie dabei auch nur einen Augenblick aus den Augen zu lassen. Die junge Frau erwiederte: "Das wünsche ich euch auch, Sir Salvonio Baltari", und machte einen Knicks. "Ich wartete schon den ganzen Abend voller Sehnsucht darauf, endlich mit euch persönlich sprechen zu können."
"Jetzt scheint der Moment gekommen zu sein", meinte der Graf mit einem Lächeln. "Es ist mir eine Ehre, eine solch schöne Dame wie ihr es seid auf meinem Fest begrüßen zu dürfen." Plötzlich wanderte sein Blick über ihr Dekolletee zu ihrem Ausschnitt und blieb dort ruhen. Für einen winzigen Augenblick war in den Zügen der jungen Frau eine flüchtiges Zucken zusehen, doch nicht so sehr, als hätte ihr Gegenüber es bemerken können, zumal dieser eh etwas anderes als ihr Gesicht betrachtete. Doch sofort darauf kehrte das gewohnte Lächeln, welches sich schon den ganzen Abend lang auf ihren Zügen befand, wieder und unbemerkt zog sie ihr Kleid noch ein wenig herunter, sodass ihr Dekolletee noch besser zu betrachten war.
Da schnellte auch schon der Blick des Grafen wieder aufwärts und er blickte ihr wieder in die Augen. Beinahe hatte es den Anschein, es läge etwas Begieriges in seinem Blick. Die junge Frau verzog jedoch keine Mine.
"Es wäre mir eine noch größere Ehre, wenn ich mit euch den nächsten Tanz machen dürfte", bot er mit einer zweiten leichten Verbeugung an, in dem er ihr seine Hand anbot. Entzückt nahm diese an und schon bald wirbelten beide gemeinsam über das Parkett und aller Leute Augen verfolgten sie. Jene, die sich auf der Tanzfläche befanden, machten den Platz frei und bildeten einen Ring um das tanzende Paar. Keiner der beiden schien dem anderen im Tanzen etwas nachzustehen. Es war, als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Als das Lied endete und die junge Fremde und der Graf ebenfalls zum stehen kamen, brach großer Jubel unter den Gästen los. Pfiffe ertönten und es wurde begeistert geklatscht. Das umringte Tänzerpaar blieb jedoch vollkommen ruhig. Die Frau lag in den Armen des Grafen und beide blickten sich tief in die Augen. Den Applaus schienen sie nicht im Geringsten zu bemerkten. Dann, ganz langsam, löste sich die Frau aus seiner Umarmung und ebenso langsam und bedächtig ging sie fort von ihm, ohne ihn jedoch aus dem Blick zu lassen. Es lag immer noch ein Lächeln auf ihrem Gesicht, jedoch war es gänzlich anders, als das, welches, sie den restlichen Abend über gezeigt hatte. Selbstsicherer. Überzeugter. Verführender.
Sie ging langsam davon, in Richtung des Flures. Das Publikum ließ sie passieren, indem es einen Gang für sie bildete, ohne allerdings dabei die Jubelrufe zu unterlassen. Nur wenige Augenblicke später war die Fremde hinter der großen Tür verschwunden, die den Festsaal von dem Eingangsbereich trennte. Fasziniert stand der Graf nun da, blickte unentwegt auf die große Tür, als könne er die Frau dahinter immer noch sehen. Nur einen Augenblick länger verharrte er so, dann gab er dem Dirigenten einen Wink und dieser lies ein weiteres Lied anstimmen, woraufhin sich die Menschentraube um ihn herum auflöste und sich wieder zum Tanzen zu Paaren zusammen fand. Alles ging bald wieder seinen normalen Gang.
Der Graf jedoch machte sich nun ebenfalls auf, Richtung Eingangsbereich. Versuchte er auch, gelassen auszusehen, es gelang ihm nicht so recht, war es auch nur, dass er ein wenig zu schnell, ein wenig zu eilig lief. In seinem Gesicht stand die Erwartung förmlich ins geschrieben. Endlich hatte er die Tür erreicht, öffnete sie und trat hindurch. Er blickte sich um und entdeckte die junge Frau in der Mitte des Ganges. Sie schien dort gewartet zu haben, fragte jedoch erstaunt: "Mylord?"
Der Angesprochene lächelte sie nur zufrieden an. "Mylady, wenn ich fragen darf, was sie suchen?"
"Ich wollte mich nur ein wenig frisch machen. Nach diesem ausgesprochen unterhaltsamen Tanz mit ihnen bin ich doch ein wenig geschafft." Und sie wandte sich zum gehen, doch da griff der Gastgeber sie an ihrem rechten Handgelenk und wirbelte sie sanft herum, wieder in seine Arme.
"Die Toilette ist auf der anderen Seite des Spiegelsaals. Ich habe euch schon mehrmals gesehen, wie ihr sie aufgesucht habt", grinste er sie an.
"Na so was!", lächelte die Frau zurück. "Und ich war mir sicher, sie wäre hier gewesen." Sie setzte eine spielerische Unschuldsmine auf. "Aber", fuhr sie fort, "wenn wir schon einmal hier sind, könnten sie mir vielleicht sagen, was sich hinter diesen Türen verbirgt?" Sie sah sich um. "Und diese wundervollen Gemälde..." Ihre Augen bekamen einen staunenden Glanz.
"Auf dieser Seite des Spiegelsaals befinden sich die Schlafgemächer meiner Gäste", antwortete der Graf und fügte mit einem Lächeln hinzu: "Selbstverständlich auch meines."
Die junge Frau hatte ihren Blick nun wieder losgerissen von den Kunstwerken und sah den Grafen an. "Könnte ich vielleicht eine kleine Führung bekommen? Ich interessiere mich sehr für Kunst und die hier vorhandenen Gemälde sind außerordentlich faszinierend."
Der Graf verbeugte sich und bot der Frau seinen rechten Arm an. Diese hakte sich ein und gemeinsam schritten sie den Gang entlang. Bei den meisten der Bilder blieben sie stehen und der Graf antwortete bereitwillig auf jede Frage, die von der Frau kam, jedoch sah man ihm an, dass er immer ungeduldiger wurde. Unmerklich, wie er wohl hoffte, lenkte er jedoch die Frau einen ganz bestimmten Weg entlang. Näher und näher kamen sie einem Ziel, das bisher nur der Graf selbst kannte. Schließlich kamen sie vor einer großen Eichentür zum stehen. Sie war reich verziert und die kunstvoll gearbeitete Klinke schien aus echtem Gold zu sein. Fasziniert löste sich die junge Frau vom Grafen und trat davor. Vorsichtig fuhr sie mit ihren Fingern über die zahlreichen Holzschnitzereien. "Das ist...", sie stockte, dann drehte sie sich schwungvoll zu ihrem Gastgeber zurück, welcher abermals ein Lächeln aufsetzte, jedoch sprach sein Blick weitaus deutlicher als zu vor. Der jungen Frau schien klar, was er wollte und was wohl hinter dieser Tür lag, jedoch blieb sie vollkommen ruhig, verzog keine Mine und sagte: "Dies ist der wertvollste aller Schätze in diesem Haus. Ich frage mich, was etwas so kostbares hinter sich verbergen mag." Es war keine Frage, nur eine reine Feststellung, doch der Graf schien es als eine Art Aufforderung zu nehmen. Er kam einen großen Schritt auf sie zu, sodass er nun ganz nah vor ihr stand und fragte: "Wollt ihr das nicht lieber selbst heraus finden?" Mit diesen Worten zog er, die Frau begierig anstarrend, einen goldenen Schlüssel hervor und schloss, ohne sich von ihr auch nur einen Zentimeter zu entfernen, auf. Lautlos schwang sie auf und die Frau drehte sich erwartungsvoll um. Ein riesiges Schlafgemach lag nun vor ihr. Mehrere Dutzend entzündete Kerzenständer standen in den Ecken und hingen an den Wänden des prächtig geschmückten Zimmers. Samtene Vorhänge waren kunstvoll an den riesigen Fenstern angebracht worden und es lag ein angenehm süßlicher Duft in der Luft.
Das Herz des Zimmers war - wie sollte es auch in einem Schlafgemach anders sein - ein riesiges Himmelbett. Die Decken waren aus feinster Seide und die Vorhänge aus dem leichtesten Stoff gemacht, welchen die junge Frau je in ihrem Leben gesehen hatte. Es brachte einem das Gefühl, man würde durch diese Tür direkt in das Himmelsreich treten.
Noch während die Frau sich staunend umsah, legte der Graf seine Hände von hinten auf ihre schmalen Schultern. "Gefällt es euch, Mylady?", fragte er.
"Es ist... himmlisch", brachte diese nur hervor. Langsam trat sie vor, hinein in das Zimmer, hinein in dieses erdennahe Himmelsreich.
Als sie plötzlich hinter sich hörte, wie die Eingangstür verschlossen wurde, fuhr sie herum. Der Graf legte den Schlüssel auf eine kleine, reich verzierte Kommode, gleich neben der Tür. "Wundervoll, nicht wahr?", fragte er sie. "Bezaubernd - genauso, wie ihr."
Die Frau drehte sich wieder von ihm weg. "Aber Mylord, ihr wollt doch nicht etwa - eure Gäste sind noch da", meinte sie verlegen.
Da stand er plötzlich hinter ihr, legte seine Hände um ihre Taille und küsste ihren Nacken. "Die Gäste können warten. Sie sind ohnehin mir ihren Tänzen beschäftigt." Und nach einer kurzen Pause fügte der Graf hinzu: "Schließlich ist der Abend noch lang."
Vorsichtig macht er sich daran, ihr Kleid von hinten aufzuschnüren, doch weit kam er nicht, denn die junge Frau stoppte ihn. "Sir Baltari, wäre es ihnen recht, mir eine kleine Erfrischung zu bringen? Mir ist so unsagbar warm." Zur Unterstreichung ihrer Worte fächerte sie sich mit der noch etwas Luft zu.
Einen Moment lang zeigte der Graf keine Reaktion. Gerade wollte sich die junge Frau zu ihm umdrehen, da lies er von ihr ab und wandte sich, wenn auch widerwillig, der Tür zu und sagte bemüht beherrscht: "Alles, was ihr wünscht, Mylady."
Mit diesen Worten schloss er abermals die Tür auf und verschwand durch diese. Auf der anderen Seite war ein leises Klacken zu hören und dann herrschte Stille.
Die Fremde stand noch eine Weile da, mit dem Rücken zur Tür. Sie lauschte. Als sie sicher schien, dass der Graf verschwunden war, trat sie mit schnellem Schritt zu dem kleinen Tischchen neben dem pompösen Bett und kniete davor nieder. Aufmerksam betrachtete sie das kleine, goldene Schloss, zog daraufhin einen zu Recht gebogenen Draht unter ihrem Kleid hervor. Sachte schob sie diesen in das Schlüsselloch und drehte ihn vorsichtig ein paar Mal hin und her. Sekunden später ertönte ein Klacken und die junge Frau konnte problemlos die hölzerne Schublade öffnen. Hastig durchsuchte sie den Inhalt, blätterte durch unzählige Unterlagen und tastete die Schublade gründlich nach eventuell verborgenen Geheimfächern ab, doch sie schien nicht zu finden, was sie suchte. Mit einem enttäuschten Seufzer schlug sie die Schublade wieder zu. Da fuhr sie herum, als an der Außenseite abermals dieses Klacken ertönte, welches das Öffnen des Schlosses verkündete. Die Tür ging auf und der Graf trat ein. Mit beiden Händen trug er ein goldenes Tablett, auf welchem zwei edle Weingläser und eine Weinflasche standen. Mit dem Fuß zog er die Tür hinter sich zu und balancierte geschickt das Tablett auf den kleinen Nachttisch zu. Dort stellte er es ab. Freundlich - vielleicht ein wenig zu sehr - lächelte er die Frau an, welche es sich zwischen den Seidenkissen auf dem Bett gemütlich gemacht hatte. Sie lächelte zurück.
"Das ist wirklich sehr freundlich und aufmerksam von euch", sprach sie an den Grafen gewandt.
"In eurer Nähe, Mylady, dürfte wohl selbst der ungehobeltste Streuner so zahm wie ein Schoßhund werden", gab Sir Baltari mit einer angedeuteten Verbeugung höflich zurück, bevor er abermals die große Holztür zuschloss.
Mit gespielter Ruhe entkorkte er die Weinflasche und goss deren Inhalt in die Gläser. Seine Hände zitterten. Elegant überreichte er seinem Gast eines der beiden und sie stießen an.
Wortlos tranken sie ein paar Schlucke. Da lies die Frau ihr Glas sinken und sah sich abermals gedankenverloren um. Der Graf hingegen versuchte vergebens, seine Hände ruhig zuhalten. Er wurde zusehends nervöser. Als der Blick der Frau abermals zu ihrem Gastgeber zurück wanderte, spross ein weiteres Lächeln auf sein Gesicht und er stellte schwungvoll sein Glas auf dem Tischchen ab. Etwas Wein schwappte über und bildete dunkle Flecken auf dem Holz.
Verwundert blickte die Frau ihn an. "Mylord?" Da nahm ihr der Graf sachte aber bestimmt das Glas aus der Hand und platzierte es ebenfalls auf dem Nachttisch.
"Mylady", entgegnete er ihr mit einem noch breiteren Lächeln. Dann kniete er sich auf den Bettrand und lehnte sich über sie, die Hände links und rechts neben sie auf die samtene Bettdecke gestemmt. Mit dem Gesicht kam er ihrem immer näher. Da schlang sie die Arme um ihn und zog ihn zu sich heran. Er begann wieder, wie wild ihren Hals zu küssen und arbeitete sich immer weiter nach unten vor. Nach einigen Augenblicken ließ er jedoch wieder von ihr ab um sich nochmals daran zu machen, das Kleid der Frau aufzuschnüren, doch abermals ließ ihre Stimme ihn innehalten.
"Sie sind verheiratet, Sir Baltari?", fragte sie.
"Gewiss", antwortete der Graf. "So gehört es sich nun einmal für mich. Aber was..."
Doch je er wurde von ihr unterbrochen: "Sir Baltari, was würde wohl ihre Frau dazu sagen, wenn sie dass hier wüsste?"
Der Graf lachte auf, wenn auch eine gewisse Verwunderung als Unterton begleitete. "Mylady, meine ehrenwerte Frau befindet sich, wie alle anderen in diesem Haus auch, im Spiegelsaal und feiert und tanzt ausgiebig mit unseren Gästen. Sie bemerkt wahrscheinlich nicht einmal mein Fehlen." Und mit diesen Worten wollte er sich wieder dem Kleid widmen, doch da sprach abermals die Frau: "Und was wäre, wenn ich es ihr sagen würde?"
Und wieder lachte der Graf auf. "Aber meine teuerste Dame, warum solltet ihr?"
Da sah er aus dem Augenwinkel etwas Metallenes aufblitzen. Plötzlich spürte er kalten an seinem Hals. Verwirrt schnellte sein Blick zum Gesicht der Frau unter ihm. Jegliches Lächeln, jegliche Freundlichkeit war aus ihrem Blick gewichen. Zurück blieb nur Ungnade und bloße Verachtung.
"Ihr habt Recht, Mylord, warum sollte ich?", sprach sie. "Denn ihre Frau weiß eh schon längst bescheid."
Geschockt starrte der Graf sie an. Stotternd brachte er hervor: "Wie meint ihr das? Warum...?"
Wieder ließ ihn die Frau nicht ausreden. "Sie weiß bereits alles. All eure Vorhaben, all eure Pläne." Und nach einer betonten Pause fügte sie nochmals bekräftigend hinzu: "Alles."
Noch immer verstand der Graf nicht. Vorsichtig und verängstigt fragte er, was sie meine. Sie antwortete darauf: "Strengt euren Kopf ein wenig an, Mylord. Habt ihr nicht erst gestern einem aufgegriffenen Streuner Geld gegeben? Und habt ihr nicht letzte Woche einer der Schreiber bestochen, dass er euch unter eigener Aufsicht zahlreiche Wertpapiere und Dokumente fälscht? Zu euren Gunsten?"
"Was? Ich verstehe nicht ganz...", stotterte der Graf hilflos weiter.
"Ihr versteht nicht", wiederholte ihn die Frau mit einem seltsamen Unterton. "Ihr versteht nicht, was ich meine?"
Geschockt nickte Sir Baltari. Da drückte sie die Klinge etwas fester an seinen Hals.
"Ich denke sehr wohl, dass ihr mich versteht. Um eurem Gedächtnis aber ein wenig auf die Sprünge zu helfen...", sie machte eine kurze Pause. Dann setzte sie leise fort: "Ihr wolltet sie umbringen lassen."
Ruckartig packte sie ihn an der Schulter und wirbelte ihn gekonnte und mit Schwung auf den Rücken. Jetzt hockte sie über ihm und hielt ihm wie gehabt den Dolch an den Hals.
"Ihr wolltet sie umbringen lassen um nicht mehr an sie gebunden zu sein. Und um all ihre Besitztümer zu erlangen."
Der Graf schluckte, gewann aber langsam wieder die Fassung. "Doch wie wollt ihr das beweisen?"
Jetzt lachte die Frau auf. Ein spöttisches, kaltes Lachen, wenn auch ein wenig Traurigkeit mitklang.
"Beweise? Guter Sir Salvonio Baltari, ihre Frau weiß Bescheid. Sie hat euch in euren unzähligen unachtsamen Momenten belauscht, nachdem ihr zufällig ein Brief in die Hände gefallen ist, in dem euer genauer Plan geschrieben stand."
Sie blickte kühl auf ihn herab. "Wie unachtsam."
Der Graf hatte sie, während sie sprach, die ganze Zeit über angesehen. Eindringlich, als wolle er sie durchschauen. "Und was habt ihr nun vor, werte Lady?"
Wieder lachte die Frau auf. "Graf Baltari, nach allem, was ich ihnen gesagt habe, nennen sie mich immer noch 'werte Lady'?"
Ein Lächeln kam über sein Gesicht."Teuerste, ihr haltet noch immer das Messer in der Hand." Er deutete mit einem Nicken auf den Dolch unter seinem Kinn. Es war immer noch recht nah an seinem Hals.
"Selbstverständlich." Die Fremde nickte bedrückt, gewann aber sofort wieder ihre Fassung.
"Doch ich frage mich immer noch, was ihr nun mit mir vorhabt?", hakte der Graf nach, sichtlich weniger nervös als noch Augenblicke zuvor.
Da schnellten wieder die kalten, emotionslosen Züge auf das Gesicht der Frau und sie sah ihn an.
"Als erstes will ich, dass ihr aufsteht."
Der Graf lachte. "Wie, wenn ihr auf mir drauf sitzt? Mylady, legen sie doch das Messer zur Seite. Es lässt sich doch über alles reden." Beschwichtigend legte er seine Hand an ihre, welche den Dolch hielt.
Die Frau schlug sie jedoch grob weg. Ihr Gesicht blieb unverändert.
"Treiben sie es nicht aufs Äußerste Sir Salvonio Baltari. Und glauben sie nicht, mich unterschätzen zu können. Ich bin ihnen in hohem Maße überlegen." Mit diesen Worten machte sie Anstalten, langsam von dem Bett herunter zusteigen und deutete zugleich dem Grafen, ihr ebenso langsam zu folgen. Sir Baltari folgte den Anweisungen vorsichtig. Der Dolch wich keine Sekunde von seinem Hals. Als beide wieder standen, fuhr die Frau fort.
"Und nun möchte ich, dass sie mir sagen, wo sich die restlichen Unterlagen befinden."
Verwundert setzte der Graf an: "Welche Unterlag-?" Er wurde je unterbrochen, indem ihm die Frau den Dolch kurz etwas kräftiger an den Hals presste. "Halten sie mich nicht zum Narren, Salvonio!", zischte sie erbost. "Sie wissen, welche Unterlagen ich meine."
Wie packte sie ihn mit einer Hand an der Schulter und wirbelte ihn herum. Nun Stand er mit dem Rücken zu ihr. Ihre Hand hielt über seine Schulter hinweg immer noch die Waffe an seinen Hals.
"Geht!", forderte sie. "Holt die Unterlagen hervor." Der Graf wollte einen Schritt tun, da hielt sie ihn nochmals zurück. "Ich warne euch! Versucht nicht, mich herein zulegen. Der Dolch ist nicht meine einzige Waffe." Der Graf nickte kaum merklich und begann langsam, sich in Richtung der hintersten Ecke des Raumes zu bewegen. Dort angekommen ging er langsam in die Hocke und legte die Hände an eine der Holzdielen des Parketts. Sie lies sich einfach anheben und beiseite legen. Darunter war ein Hohlraum in dem eine Mappe mit mehreren Papieren drin lag. Als er sie herausholen wollte, hielt die Frau ihn zurück und entnahm sie anschließend selber.
"Wie armselig", meinte die Frau. "Ein besseres Versteck konnten sie sich nicht leisten?"
Der Graf lächelte. "Mylady, schließlich habt ihr es aber tatsächlich nicht gefunden." Beinahe schien er damit zurechnen, dass sie wieder mit dem Dolche zucken würde. Sie tat es nicht.
"Als nächstes werde ich euch nun erzählen, was ihr des Weiteren zu tun haben. Hört, Salvonio! Wenn ihr meinen Anweisungen nicht folgt, werdet ihr nicht mehr lange zu leben haben."
Der Graf nickte nochmals und schluckte hörbar.
"Ich werde euch jetzt an eurem Bett festbinden. Dann gehe ich nach draußen - mit dem Schlüssel - und werde euch einschließen. Über den Eingangsbereich werde ich dann verschwinden. Eure Frau weiß über all das Bescheid und sie wartet auf ein Zeichen, dass ich ihr geben werde. Sie wird euch wieder freilassen, da ich den Schlüssel an einem vereinbarten Ort verstecke. Es ist alles genau abgesichert."
Nochmals nickte der Graf. Nachdem sie ihn zum Bett zurückgeführt hatte, begann sie, ihn mit einem Seil zu fesseln, das sie irgendwo hervorgezogen hat. Nebenbei fuhr sie fort.
"Sie wird in Begleitung zweier Bediensteter sein, welche ebenfalls in alles eingeweiht sind. Solltet ihr also versuchen, ihr etwas anzuhaben, werden sie entsprechend reagieren. Ich rate euch, es nicht auszuprobieren."
Noch ein Nicken des Grafen.
"Und morgen wird dann eure Frau abreisen."
Der Graf wollte ihr ins Wort fallen, doch sie übertönte ihn.
"Nach London, wo sie euch nicht mehr am Leibe hat. Ihr werdet sie weiterhin finanziell unterstützen..."
Wieder wollte er einen Einwurf machen, doch erinnerte ihn mit einem Zucken des Dolches an seine eher ungünstige Lage.
"... und werdet vor allem die Finger von anderen Frauen lassen. Eure einzige und beste Chance habt ihr nämlich hiermit vertan."
Nach einer kurzen Pause, in der sie auch mit dem Fesseln innehielt, fügte sie hinzu: "Sie hat euch geliebt. Wahrhaftig geliebt. Ihr seid so ein Holzkopf, dass ihr sie derartig vor den Kopf gestoßen habt." Und nach einer weiteren Pause: "Ihr seid ein elender Mistkerl - wie alle anderen Männer auch. Ihr habt nur die Weiber im Kopf und seht dabei nicht, was ihr schon alles Wertvolles habt."
Nachdem sie diesen letzten Satz ausgesprochen hatte, war sie auch fertig damit geworden, den Grafen zu an sein Bett zu fesseln. Der Graf wunderte sich noch, wie sie es geschafft hatte, das alles mit nur einer Hand zu schaffen. Da bemerkte er, dass sie bereits auf dem Weg zur Tür war. Er hielt sie noch ein letztes Mal auf: "Mylady, wollt ihr nicht vielleicht eines meiner von euch hochgeschätzten Gemälde haben? Sie sprechen euch doch so zu."
Die Frau blieb stehen, wandte sich aber nicht zu ihm um.
"Soll das ein Bestechungsversuch sein?", fragte sie spöttisch. "Lasst euch eins gesagt sein: Eure Bilder interessieren mich nicht im Geringsten. Ganz im Gegenteil - ich verachte sie!" Da wandte sie sich doch nochmals zu ihm um.
"Schaut, die reichen Leute geben immer viel darauf, diese angeblich kunstvollen Gegenstände in Mengen und Massen bei sich im Haus anzubringen oder aufzustellen. Letztendlich ist es aber doch nur ein Haufen Tand."
Sie wandte sich wieder zur Tür. "Und zu letzt: Ich bin keine Lady." Mit diesen Worten war sie durch die Tür verschwunden und hatte abgeschlossen.
Der Graf blieb allein zurück.
 
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Kommentare  

Gefällt mir sehr sehr gut, ich dachte allerdings dass sie ihn umbringt xD Naja gut, bin mal gespannt wer sie wirklich ist und als was sie arbeitet....

sehr schön und spannend sowei flüssig geschrieben =)

Lg
Jobü


Zimtsternchen (28.03.2006)

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