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3 Seiten

DDR Zero

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
Es gibt Umfragen die besagen, daß höchstens 50 Prozent der Westdeutschen jemals die "neuen" Bundesländer - also das Gebiet der ehemaligen DDR besucht haben. Zweifellos gehöre ich auch dazu. Ich wohne in Gelsenkirchen. Schalke, Currywurst, Bier - kein Grund, einen anderen Ort aufzusuchen.

Neulich wollte ich dann doch mal in den Osten. Nach Magdeburg. Dort sollte ein Freundschaftsspiel unseres Oberliga-Vereins Schalke 04 II stattfinden. Ich löste also eine ICE-Fahrkarte. Umsteigen in Hamm und dann in einem Zug durch.

Was dann aber passierte, ist buchstäblich unglaublich. In Wolfsburg endete der Zug. Eine krächzende Lautsprecherstimme tönte: "Bitte alle aussteigen. Der Zug endet hier." Ein großer Teil der Fahrgäste schien überhaupt nicht überrascht. Auf dem Bahnsteig sprach ich einen Schaffner an.

"Wann fährt der nächste Zug nach Magdeburg?"

"Magdeburg? Kenne ich nicht."

Aha. Einige Sekunden lang war ich sprachlos. Vielleicht bin ich ja in eine dieser 'Versteckte-Kamera'-Sendungen geraten. Ich versuchte es erneut.

"Wann fährt denn der nächste Zug Richtung Osten?"

Der Schaffner runzelte die Stirn und schaute mich mißtrauisch an. "Es fahren keine Züge in Richtung Osten. Wie kommen sie nur darauf? Richtung Osten müssen sie zu Fuß weiter..."

Ich verließ den Bahnhof. Wahrscheinlich meint der Schaffner irgendeine Art von Schienenersatzverkehr. Ein Bus Richtung Osten. Ich sprach einen Passanten an.
Der Mann musterte mich ebenfalls mißtrauisch und zeigte dann auf eine Landstraße.

"Etwa zwei Kilometer noch. Da müßte dann sein, was Sie suchen."

Na prima. Wenn einer eine Reise tut. Zwei Kilometer Fußweg zum Bus. Als ich mich auf halber Strecke befand, sah ich eine grüne Wand. Am Ende der Landstraße war ein dichter Wald. Es waren keinerlei Gebäude, Strommasten oder dergleichen zu sehen. Nur ein Turm - vielleicht einhundert Meter hoch. Sieht aus wie ein überdimensionerter Hochsitz eines Försters.

Ich klettere den Turm hinauf. Oben verschlug es mir erneut die Sprache. In Richtung Westen waren Städte, Dörfer, Straßen und Infrastruktur gut zu erkennen. In Richtung Osten war NUR Wald. Eine einzige dichte Vegetation, keine Wege, Straßen oder ähnliches.
Die Zivilisation endet kurz hinter Wolfsburg!

Ich stieg den Turm wieder hinab. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ich ging zurück zum Bahnhof. Am Kiosk fiel mir der Zeitungsständer auf. Es gab nur eine einzige Zeitung - den Rheinischen Merkur.

Meine Augen fokussierten ein Foto auf der Titelseite - mit folgendem Untertitel:
"Bundeskanzler Prof. Dr. h.c. Helmut Kohl begrüßt den amerikanischen Präsidenten Arnold Schwarzenegger am Flughafen Köln-Bonn."
Es war tatsächlich das Gesicht von Helmut Kohl. Allerdings war dieser Bundeskanzler unglaublich schlank. Und er trug einen Kimono. Präsident Schwarzenegger trug einen schwarzen Anzug.

Ich kaufte mir ein Exemplar der Zeitung. Offenbar ticken in Wolfsburg die Uhren anders. Hier ist Kohl also seit 24 Jahren Bundeskanzler. Und er wurde zum Professor ehrenhalber ernannt.

Es scheint keine Hartz-IV-Gesetzgebung zu geben. Auch keine Meldungen zur Klimakatastrophe. Allerdings sitzen vorm Bahnhof unzählige zerlumpte Bettler; darunter auch viele Kinder. Dieses Wolfsburg gefällt mir nicht.

Ich fuhr mit dem nächsten Zug zurück Richtung Gelsenkirchen. In Hamm besorgte ich mir sofort eine Tageszeitung. Gottseidank: Merkels Vision von einer Zweistaatenlösung in Nahost wurde beschrieben. Meine gewohnte Realität war wieder da. Ich spürte eine gewisse Wut in mir: Warum suggerieren uns Medien und Regierung, es gäbe Ostdeutschland? Dort ist nur ein endloser Urwald. Unsere gute alte Bundesrepublik hat sich nie geändert. Und Bundeskanzlerin Merkel kommt ja auch tatsächlich gebürtig aus Hamburg - das heißt sie existiert wirklich.

Welchen Zweck kann dieser Bluff mit Ostdeutschland haben? Suchte man einen Vorwand um die Steuerpolitik - z.B. den Solidarzuschlag - zu rechtfertigen? Wer weiß sonst noch Bescheid?

In den nächsten Wochen kam es noch schlimmer. Mein bester Freund Felix kam auf die Idee. Wenn im Osten eine Grenze ist, dann auch im Westen? Dass Arnheim existiert, kann ich bezeugen. Zumindest habe ich dort vor Jahren mal ein Kaufhaus und ein Café betreten.
Nun berichtet Felix, dass etwa zwanzig Kilometer hinter Arnheim ebenfalls der ominöse Wald anfängt. Im Süden reicht er bis Köln und im Norden bis Münster. Eine ellipsenförmige Scheibe - umgeben von Wald: das ist unsere Welt.

An den Rändern der Welt scheint die Welt etwas auszufransen ("Prof. Kohl"). Je näher ich mich dem Zentrum - Gelsenkirchen-Buer - nähere, desto realer wird die Welt.

Es klingelt. Das muß Schwester Gundula sein. Zeit für mein Haloperidol.
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