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Aufstieg

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
© Gabi Mast
Ein Abend mit Kollegen – mal wieder ins Fußballstadion. Warum nicht, da war ich schon ewig nicht mehr.
Also sofort nach der Arbeit los zum Bahnhof. Es bleibt keine Zeit mehr für einen Hooligan-Schnellkurs. Mitten hinein ins Fangetümmel. Bereits auf dem Bahnsteig ist klar: Die meistern anderen haben einige Bierchen Vorsprung. Kann man jetzt nichts mehr machen, also gemeinsam hinein in den Zug. Während wir noch überlegen, welche Mannschaft den Aufstieg wohl schaffen wird, haben sich vor uns schon zwei gegnerische Fangruppen, blau oder rot beschalt, zum gegenseitigen „Beschimpfungen-ins-Gesicht-Singen“ aufgestellt. Und sie beginnen ihr Spiel ohne Anpfiff und ohne jegliche Leitung durch einen Unparteiischen. Bereits da keimt in mir der Verdacht auf, dass es mit meiner Stadiontauglichkeit nicht mehr so gut bestellt ist.
Nach zweimal Umsteigen dann endlich Ankunft im Stadion. Schon jede Menge los hier, wir müssen natürlich ganz außen rum in den Block, der am weitesten vom Eingang entfernt ist. Glücklicherweise kommen wir dadurch an einigen Fressständen vorbei. Unglücklicherweise setzt man sich bei jedem der Gefahr aus, beim Warten auf seine Bratwurst von anderen Hungrigen erdrückt zu werden. Aber alles geht gut. Wir finden einen Stehplatz mit Sicht auf die Anzeigentafel, die Fankurve, die gegnerische Fankurve und das Spielfeld.
Noch ist da nicht allzuviel los. Aber neben dem Rasen, da tobt schon das Stadionleben. Der enthusiastische Sprecher ist bereits in seinem Element. Brav bleut er uns Zuschauern die Namen der Sponsoren ein und sorgt außerdem dafür, dass die Werbegeschenke, die die Geldgeber verteilen wollen, unter die Dreißigtausend kommen.
Und dann das erste Highlight des Abends.
Vor vielen Jahren, als die Mannschaft einst eine Heimniederlage einstecken musste, war eine junge Frau verzweifelt. Und sie fand damals einen, der sie tröstete. Und dafür möchte sie sich heute bei diesem Mann bedanken.
Und dann tritt sie vors Mikrofon, ein Meter fünfzig im Kubik, und sie wendet sich an die arme Sau, die sie damals getröstet hat. Sie erzählt, dass er seitdem mit ihr durch Dick und Dünn gegangen sei. Ich kann beim besten Willen das Dünne weder bei ihr noch bei ihm erkennen. Mal abgesehen davon, das es mich nicht die Bohne interessiert, wie lange die beiden schon ein Paar sind. Dennoch bleibt es mir nicht erspart: sie macht ihm einen Heiratsantrag. Und der Kerl sagt auch noch ja. Wie so ein paar Bierchen einen Menschen so tief in die Scheiße reiten können!
Noch ein paar Tanz- und andere Werbeeinlagen und es geht endlich los.
Die Mannschaften laufen ein. Erst der Gegner. Er wird nur mit mäßigem Maulen begrüßt. Die Namen der Spieler werden so wenig zur Kenntnis genommen wie die Warnetiketten auf den Zigarettenschachteln.
Dann endlich die Heimmannschaft. Das Konterfei jeden Spielers erscheint am Monitor, darunter sein Name. Und immer, wenn der Stadionsprecher einen Spieler grade begrüßen will, wird er von den Zuschauern unterbrochen und die brüllen lautstark dessen Namen. Wie gut, dass ich auf die Entfernung nichts lesen kann. So habe ich wenigstens eine halbwegs brauchbare Entschuldigung für die Kollegen, warum ich mich an dieser Übung nicht beteilige. Aber es kommt noch schlimmer:
Wie komme ich als Schwabe drum rum, das nun ertönende Badener Lied mitzusingen? Während sich meine Kollegen und Nachbarn die Kehlen aus dem Leib brüllen, kneife ich die Augen zu und tue so, als könne ich den Text auf der Anzeigentafel nicht lesen. Niemals würde ich zugeben, dass ich als Schwabe das Badener Lied auswendig kann. Um nicht zu sehr aus der Reihe zu fallen, singe ich dann aus voller Kehle die Refrainzeile: „ Drum grüß‘ ich Dich, mein Badner Land“ mit und hoffe inständig, dass kein Schwabe das „mein“ gehört hat und mir meine Landsleute verzeihen, dass ich mich überhaupt zu Grüßen ins feindliche Ausland habe hinreißen lassen.
Während ich die ganze Zeit damit beschäftige bin, diplomatische Fettnäpfchen weitläufig zu umsingen, hat jemand Bier besorgt. Die Wurst im Magen verlangte nach Gesellschaft. Sie sollte sie bekommen: warm, ohne Schaum und schal nach der weiten Reise in einem Plastikbecher vom Bierstand hoch in Block A und wieder hinunter zu der Stelle, wo wir unser Plätzchen hatten. Völlig erschüttert kam das arme Bier bei uns an. Wir kippten es in uns hinein – zu seinem eigenen Schutz. Wir wollten ihm nicht zumuten, sich auch noch das Spiel ansehen zu müssen.
Die Partie begann. Und ich habe wirklich geglaubt, ich könne mir das jetzt in Ruhe anschauen. Was war ich nur für eine naive Pute. Kaum war der erste Spielzug gelaufen, da bäumte sich vor und neben mit alles auf, riß die Hände in die Höhe und versperrte mir die Sicht auf das Spielgeschehen. Das wäre nicht wirklich schlimm gewesen, aber ich musste wieder einmal feststellen, dass ich überhaupt noch nicht begriffen habe, worum es bei dieser Veranstaltung hier wirklich ging. Da drüben aus der Fankurve war das Gebot ergangen, eine Welle durchs Stadion zu schicken, und ich habe es als einzige nicht kapiert. Schnell wurde mir klar, dass da drüben die Kommandozentrale ist, unter deren Befehlsgewalt auch ich fiel. Das Ganze sah aus, als lebe in dieser Kurve eine Kultur Mehlwürmer, die man bläulich angestrichen und mit Fähnchen ausgestattet hatte. Ich richtete meinen Blick fortan da hinüber, weshalb mir prompt das erste Tor entging. Um nicht noch mehr zu verpassen, richtete ich meinen Blick flugs zur Anzeigentafel, grade noch rechtzeitig genug, um zusammen mit den anderen 29 999 auf die Frage des Stadionsprechers mit eins zu antworten. Ich nahm an, er fragte, wieviel Tore die Heimmannschaft geschossen hat. Bei der mathematischen Gegenprobe, wieviel denn der Gegner geschossen hat, schreie ich dann unisono mit dem Rest der Welt: Keins. Schon wähnte ich mich wieder zugehörig zu der Gruppe der versierten Stadionbesucher, zumal sich der Sprecher auch noch bedankte. „Bitte“, schrien dann alle wieder Richtung Anzeigentafel. Außer mir, der Stadionpomeranze.
Wirklich, ich habe mein Bestes gegeben.
Bei den Schlachtgesängen „Ihr seid nur ein Karnevalsverein“ und „Karlsruhe-Spitzenreiter“ legte ich mich mächtig ins Zeug und hatte auch fast das Niveau der Mehlwurmränge erreicht.
Aber dass der Schiedsrichter ein Hurensohn ist, das hätte man mir doch wirklich vorher sagen müssen...!
 
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Kommentare  

Sehr schön, das hat mich doch fast Wort für Wort an meinen ersten Stadionbesuch erinnert! Amüsant und locker geschrieben, sehr angenehm zu lesen!
Gruß
Christian Hoja


Chrstian Hoja (19.12.2007)

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