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Das Mädchen und der Jarl

Poetisches · Spannendes · Experimentelles
In den Jahren der Meerkriege, in welchen die Wesen
der Wasser mit uns Menschen verkehrten, aber auch
kriegten, stand eine schattenhafte Gestalt, deren
Antlitz bis heute nie wieder gegeben werden kann.

Auf allen Abbildungen, sei es Stein, Pergament, Papyrus,
wie es weit ab im Süden benutzt wird, Holz, eine
Statue oder ein Gemälde, so trägt sie immer die Maske
des Eros.

Sie war eine Frau, die weit aus dem Norden
mit einem Schiff an unsere Strände kam. Sogleich
eilten natürlich alle Männer aus den umliegenden
Dörfern herbei, um entweder ihr Eigen vor dem Feind
zu schützen oder bedürftigen Schiffsbrüchigen zu
helfen.

Als die ehrenvollen, mutigen Männer jedoch
über die Planken traten, mussten sie feststellen,
dass das Schiff bis auf ein Mädchen, das die
seltsamsten Kleider trug, verlassen war.

Die guten Geister des Eros hatten es nämlich sicher über die
klüftigen Wellen des Meeres geführt, denn das Mädchen
besaß die besondere Gunst des Schicksalgottes.

Manche sagen, sie sei gar seine blutjunge Geliebte gewesen,
der er schon früh solche Verantwortung zutraute, dass
er sie den Menschen schickte, um sie zu lehren und
ihnen die Hilfe ihrer Götter zu bringen.

Denn ihr Gesicht zierte eine blasse Maske, die mit dünnen
Schlitzen für Nase, Mund und Augen, versehen war und
aus der Haut der Elandriél gefertigt worden war, die
sich die eigene Haut abzog, um sie mit ihren
hauchzarten Fingern zu der feinsten Maske zusammen zu
weben, welche es je gegeben hat, die von solch großer
Schönheit und doch Schlichtheit war, dass sie Eros
Gefallen errang und er sie segnete, indem er etwas
seines feurigen Haares nahm und die Innenseite der
Maske polsterte.

Seitdem hat jeder, der die Maske
trägt, die Gabe in die Zukunft zu blicken und wird
von dem feurigen Temperament Eros’ in seinem Zorn
gegen seine Feinde unterstützt

Die Maske half dem Mädchen sehr, denn ihr Missfallen
war schon bald über das ganze Land hin gefürchtet, da
die fahrenden Gaukler und Sänger zitternd davon
berichteten. Sie lobten allerdings auch ihre
weitreichende Schönheit, die man trotz der Maske,
erkennen konnte.

So wie Eros temperamentvoll war, war
sie ruhig, wie die Wässer, wenn nicht einmal ein
Lüftchen darüber hinweg bläst, weswegen sie auch ab
und an die Maske benötigte, um ihrer Wut Ausdruck zu
verleihen, wie der Jarl Elfgar Snorrison, der das
Sagen in dem Dorf hatte, in welches man sie brachte,
um sie wieder gesund und munter zu pflegen, schon
bald feststellen musste.

Der Gute hat mir diese
Geschichte anvertraut, nachdem ich sie schon in den
ausgeschmücktesten Fassungen vernommen hatte. Die
Kleine, die man schon bald Wleska-er-Sloak zu nennen
begann, was im Übrigen Wermutstropfen-im-Feuer
bedeutet, zog bald von ihrem Krankenbett aus, in
welches man sie gebettet hatte, nachdem man sie für
schiffsbrüchig hielt, und schritt im tiefsten Winter
in den Schnee hinaus, der ihre Zartheit nur noch
unterstrich.

Alle Dorfbewohner trauerten um sie,
glaubten sie sei längst tot, doch einer, der nicht
länger ertragen konnte, seine Schützlinge so traurig
zu sehen, stand auf und verkündete, er wolle sie
suchen und zurückbringen, damit alle sich wieder an
ihrer Schönheit des Anblicks und des Wesens erfreuen
konnten.

Es wurde ein großes Fest zu Ehren des jungen
Helden abgehalten, der so groß und breit wie ein Bär
selbst war und den Umgang mit der Axt so gut wie kein
Anderer beherrschte, denn es schien, als helfe der
Stiel und das eiserne Blatt selbst ihm die schwere
Waffe zu führen.

Dann zog dieser Held, Elfgar
Snorrison, aus, um die Geliebte Eros’ zu suchen. Doch
Eros, der inzwischen die wahren Beweggründe des
jungen Jarls erkannt hatte, zürnte ihm und wurde so
schrecklich eifersüchtig, bereute es längst seine
Liebste den Menschen ausgesetzt zu haben und schickte
einen heftigen Schneesturm über das Land, der Elfgar
zu Boden hätte reißen sollen.

Doch in dem Jarl
brannte selbst ein Feuer für die schöne Wleska-er
Sloak, sodass er nicht erfror. Der Schneesturm trübte
allerdings seine Sicht und so wusste er nicht mehr,
wohin seine Füße ihn trugen und er verirrte sich in
den Bergen bis er eine Opferstatue des Eros fand, die
ihm den Weg wies.

Elfgar hegte Groll gegen den Gott,
weil dieser ihm den Schneesturm schickte, und stieß
kein Eisen in das Holz der Statue. Er folgte dem
ausgestreckten Arm der Statue zur nächsten, der er
auch kein Opfer darbrachte.

Wleska-er-Sloak die schon
vorhergesehen hatte, dass ihr Liebster dem jungen
Jarl zürnen würde, wenn er herausfand, dass dieser in
Liebe mit ihr verbunden war, hatte das Dorf zu
verlassen ersucht und sich in den Bergen in eine
Höhle zurückgezogen, auf dass man sie nicht finde.

Doch sie hörte den Schneesturm heulen und wusste,
dass der tapfere, liebenswürdige Elfgar ausgezogen
war, um sie zu suchen und schritt ihm entgegen. Sie
schrie dem Schneefall zu, Eros, ihr Liebster, möge
sich wieder beruhigen, doch als dieser sie erzürnt
zurechtweisen wollte, fuhr die zarte Wleska-er-Sloak
auf und fragte ihn entrüstet, breitbeinig und die
schlanken Hände in die Hüfte gestemmt, ob sie
vielleicht sein Eigentum wäre, das er umher
kommandieren durfte und ob er sie mit solcher
Schönheit gesegnet in die Welt der Menschen hätte
entsenden dürfen, wenn er wusste, dass dergleichen
unvermeidlich war.

Der Gott musste eingestehen, dass
sein Weib im Rechtens war und ließ den Sturm
abflauen. Noch heute berufen sich tausende von
Mädchen, aber auch treue Weibsbildern, auf diese
Worte ihrer allen Vorbildes.

Nun, da der Sturm
gemildert war, konnte Eros’ Weib auch den zermürbten
Jarl entdecken und trug ihn mit Bärenkräften, die
nicht zu ihrer Gestalt passen wollten, zu der Höhle,
in welcher sie sich versteckt hatte. Sie hegte und
pflegte ihn in der Höhle und, sobald er wieder
sprechen konnte, gestand er ihr, dass er im Zorn dem
Gott des Schicksals nichts geopfert hatte.

Als sie
erfuhr, welche Schandtat er begonnen hatte, wurde,
regte sich ihr Zorn ein weiteres Mal. Wieder nahm sie
ihre Pose ein; es war als sähe man eine dunkle
Ausdünstung um ihr Dasein und, als spieen ihre Augen
die Flammen des Eros, aus welchen sein Haar gemacht
war, das die Innenseite der Maske zierte, als sie
drohend auf ihn herab blickte, als sie
fragte „Weshalb hast du es gemisst, dem großen Gott
deine Erehrbietung darzulegen?“.

Trotz der
einschüchternden Erscheinung seiner Herzdame, ließ
sich Elfgar nicht zu Ausflüchten hinreißen, sondern
antwortete der Wahrheit gemäß, dass er von Neid auf
den Schicksalgott zerfressen war und zornig, dass
dieser ihn von seiner Suche nach sie abhalten hatte
möchten.

Da sah Wleska-er-Sloak den Kummer in seinen
Augen und entfachte mit ihrem feurigen Blick einen
Stein, auf dass er glühe und ihnen beiden Wärme
schenken würde.

Dann legte sie die Wärme wie ein
Polster um die Höhle, sodass es jedes Geräusch aufsog
und sie beide sogar vor den Blocken einer Gottheit
schützte und schenkte dem Menschensohn eine
bezaubernde Nacht, vor welcher sie ihm allerdings
erklärte, dass sie weiterziehen müsse und nicht bei
ihm bleiben könne.

Da gab sich der Menschensohn mit
ihrer Zuneigung zufrieden und zog in Eintracht wieder
ins Dorf zurück, wobei er den Erosstatuen
selbstverständlich opferte, um den Dorfbewohnern von
den großartigen Ereignissen zu erzählen, die dem
Mädchen vorherbestimmt waren

Niedergeschrieben von dem Skalden Veleif Derekson
Aus den Erzählungen vom Leben der Wleska-er-Sloak
S. 1-2 der Sammlung
 
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