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8 Seiten

Endgänger

Romane/Serien · Nachdenkliches
Wenn es eine Hölle gab, dann war es die Wüste. Sie erstreckte sich in alle Richtungen, bis sie dann schließlich konturlos in den Himmel überging. Diese Wüste bestand aus mehr als nur Sand und Hitze. Sie war Tod, Elend und Endzeit. Der Inbegriff aller Wüsten.
Heiß und tödlich.
Nichts veränderte sich.
Hier und da ein Kaktus.
Ein verfallenes Grenzlandhaus.
Mehr gab es nicht zu sehen.
Am Tage Sonne und sengende Hitze. Des Nachts sternenklarer Himmel und beißende Kälte.
Seit sieben Tagen und Nächten.
Die letzte Stadt war lange her. Die Erinnerung daran kam ihm vor wie ein weit entfernter Traum.
Auch die Wüstenhäuser hatten abgenommen und Bewohner gab es schon längst keine mehr. Den Letzten, den er getroffen hatte, hatte er umgebracht, weil er sein Wasser stehlen wollte.
Früher war so was undenkbar gewesen.
Ja, früher.
Aber die Zeiten hatten sich geändert.
Es waren schlimme Zeiten und es waren die Letzten.
Das wusste er.
Das wussten Alle. Alle die noch übrig waren.
Nach all den Kriegen, die 2031 wegen Rohstoffmangel begonnen hatten, gab es nur noch wenige Menschen. Viele waren krank geworden, der biologischen Waffen wegen.
Krebs, Lepra und viele andere Krankheiten, denen man keine Namen gegeben hatte. Weil es sinnlos war. Ständig traten neue Seuchen auf, welche die Menschen und Tiere dahinrafften und Heilung gab es keine. Weil es keine Ärzte gab und keine Medizin.
Willkommen in Endwelt.
Drei Tage bevor er losgezogen war, hatte er die Symptome an sich erkannt.
Er spuckte Blut, jedes Mal wenn er husten musste.
Die Fäule.
Sterben.
Aber vielleicht war der Tod besser, vielleicht brachte er Erlösung. Und auch, wenn diese Hoffnung nur gering war, so war sie doch ein Ansporn weiterzugehen.
Er ging seinen letzten Gang. Die Straße nach Nirgendwo, hin zur Kolonie. Dort würde er streben. Weit weg von seiner Familie, weg von seiner Tochter. Sie war die Einzige in seiner Familie, die noch gesund war. Und genau deswegen hatte er sich entschlossen in die Kolonie zu gehen. So versuchte man die Seuchen und Epidemien einzudämmen, indem man die Kranken von den letzten Gesunden trennte. Wenn er sich freiwillig in der Kolonie meldete, würde es etwas Geld für seine Tochter geben. Nicht viel zwar, aber immerhin würde sein Tod dann wenigstens noch jemandem etwas nützen. Und das war es ihm wert. Denn Geld, war wie alles auf dieser gottverdammten verseuchten Erde, rar geworden. Es gab nur noch wenige Städte, die man als solche bezeichnen konnte. Und um in diesen leben zu können, brauchte es Geld. Viel Geld. Denn wer es sich nicht leisten konnte in den Städten zu leben, der war zum Tode verurteilt.
So ging er also den Weg ins Nichts. Der versandete Pfad war früher einmal eine Autobahn gewesen. Jetzt war sie kaum mehr als ein Nichts in der Wüste.
Die Welt war leer geworden.
Leer und traurig.
Sinnlos.
Und fremd sich selbst gegenüber.
Wieder musste er husten und spürte das Blut auf seiner Zunge.
“Scheiße.”, raunte er und spuckte aus. Blut und Speichel sickerten langsam in den Sand, wurden Teil der Wüste.
Noch einige Schritte ging er, trank gierig sein letztes Wasser und schmiss die Dose in den Sand. Dann sah er sie vor sich, die Sandmauern der Kolonie. Natürlich bestanden sie nicht wirklich aus Sand, sondern aus Stahlbeton und Stacheldraht. Aber die Wüstenwinde hatten nicht lange gebraucht, bis die Mauren riesenhaften Dünen glichen.

Er war schneller an seinem Ziel angelangt, als ihm lieb war. Bald hatte er die Tore erreicht. Auch an dem riesigen Eingangsportal hatte der Sand seine Spuren hinterlassen, allerdings schien das Tor dann und wann geputzt zu werden, um seine Funktionalität nicht zu verlieren.
Etwa fünf Meter vor ihm war ein Schild in den harten Wüstenboden gerammt worden. Der weiße Grund und die rote Schrift waren schon arg in Mitleidenschaft gezogen worden, dennoch konnte der Mann lesen, was darauf geschrieben stand.
Gesunde sofort umkehren!
Er schluckte… und ging weiter.
Vor dem rostigen Tor stand ein Wachmann mit einem ziemlich modernen Gewehr in der Hand. Er trug einen schwarzen Anzug und eine Gasmaske. Um den Sand zu filtern und den tödlichen Atem der Kranken nicht einatmen zu müssen.
Als er vor dem Wachmann stand, blickte dieser auf und musterte ihn abschätzend von oben bis untern. Sicher, er war in einem jämmerlichen Zustand. Sein Unterhemd und die blaue Jeans, die er trug, waren ausgebleicht und er selbst ausgezehrt vom tagelangen Fußmarsch. Seine Lippen waren rissig und getrocknetes Blut klebe an Kinn und auf dem Unterhemd.
“Wen du ein Unversehrter bist, kehr um.”, sagte der Wachmann. Seine Stimme klang gedämpft, es war schwer ihn durch die Maske zu verstehen.
Natürlich sah die Wache ihm an, dass er kein Unversehrter war, aber offensichtlich war diese Frage Pflicht.
“Ich will nur rein, mach dir keine Umstände.”, antwortete der Mann und trat einen Schritt vor.
Der Wachmann nickte. “Deinen Unterarm, mit der Handfläche nach oben.”
Er tat wie ihm angewiesen und hielt der Wache seinen Unterarm hin. Dort befand sich ein tätowierter Strichcode, wie es bei jedem Menschen üblich war, um die Identität festzustellen. Der Wachmann scannte den Code mit einem kleinen Apparat und nickte schließlich.
“Wir werden alles Nötige in die Wege leiten. Das Geld wird heute noch an deine Familie überwiesen.” dann gab er einen Zahlencode in ein Gerät ein, welches seitlich in die Wand eingelassen war, und das Tor öffnete sich ächzend. “Willkommen am Endpunkt.”
Er nickte und ging an dem Wachmann vorbei. Ihm war nicht entgangen, dass auch er nicht mehr gesund war. Die Gasmaske konnte seine graue Haut und die farblosen Augen nicht verbergen.
“Sieht aus, als würdest du mir bald folgen.”
Der Wachmann reagierte nicht, schloss nur das Tor hinter dem Mann.

Die Kolonie selbst war noch schlimmer als die Wüste. Hier schien es noch wärmer zu sein und die Luft hier drinnen war schrecklich. Sie roch nach Schweiß, Alpträumen und Tot. Besonders nach Tod. Verfallene Holzbaracken waren scheinbar wahllos verteilt worden, standen kreuz und quer in der Anlage. Viele der Hütten waren vom Sand bedeckt und irgendwann eingestürzt und in den wenigen noch bewohnbaren, drängten sich die Kranken, störten sich nicht an den Leichen, auf denen sie herumtrampelten.
Die Ausmaße der Kolonie waren nicht zu fassen, sandiger Nebel versperrte die Sicht zum anderen Ende. Er schätzte, dass es mehr als fünf Quadratkilometer waren.
Überall lagen die Leichen der Kranken herum, manche von ihnen entkleidet. Wahrscheinlich diente die Kleidung jetzt noch Lebenden als Schutz vor Sonne und Sand. Er wunderte sich, warum einige scheinbar soviel dafür taten um zu überleben, obwohl sie alle früher oder später dem Tod geweiht waren.
Er hustete, des Gestankes wegen.
Wieder Blut und Speichel.
Und ein ekliger Geschmack im Mund.
Er sah viele Kinder und Jugendliche. Zu viele. Manche von ihnen waren sicherlich freiwillig hier. Die Mehrzahl jedoch war von ihren Familien gezwungen worden, hierher zu gehen. Des Geldes wegen. Wenn er darüber nachdachte, welche Kraft es ihn gekostet hatte, den Marsch zu überstehen, wollte er sich gar nicht ausmahlen, welche unmenschlichen Anstrengungen das für die Kinder bedeutet hatte.
Er war den Tränen nahe. Doch er schaffte es, sie zu unterdrücken.
Der Mann stellte fest, dass es nur wenige Wachen gab. Diejenigen die er sah, kümmerten sich nicht darum, was die Kranken taten. Ob sie sich schlugen und vögelten, es schien ihnen einerlei zu sein. Aber wer sollte auch schon einen Fluchtversuch wagen, Keiner würde es durch die Wüste zurück in eine der keimfreien Städte schaffen.
Der Gestank wurde nach einigen Minuten so schlimm, dass er kaum noch atmen konnte. Also setzte er sich auf den Boden und lehnte sich an eine der zerfallenen Baracken. Der Mann schloss die Augen und ließ seinen Gedanken freien Lauf.
Es waren keine schönen Gedanken.
Sie waren traurig und blutig.
Endgültige Gedanken…

“Du bist neu hier.”, hörte er plötzlich eine Stimme sagen und schreckte auf. Es war die zarte Stimme eines Mädchens. Er nickte, öffnete die Augen und versuchte, sich seinen Schreck nicht anmerken zu lassen.
Der Mann drehte sich zu dem Mädchen um und musterte sie unverhohlen. Sie hatte sich neben ihn in den Sand gesetzt und sah in ebenfalls an. Sie war etwa achtzehn Jahre alt, im selben Alter wie seine Tochter. Langes schwarzes Haar umrahmte ihr bleiches Gesicht und tiefbraune Augen sahen ihn neugierig an. Ihre Augen wirkten noch gesund, die Haut jedoch hatte einen grauen Farbton angenommen, wirke spröde. Ständig kratzte sie sich und begann daraufhin an diesen Stellen zu bluten. Früher war sie sicherlich einmal sehr hübsch gewesen, jetzt war sich nur noch ein Schatten ihrer selbst. Abgemagert war sie, ihr schmutzigweißes Kleid hing wie ein viel zu großer Sack an ihr herunter. Was sie von ihrem Körper preisgab, waren nur Haut und Knochen.
Doch viel mehr war von ihm selbst auch nicht mehr übrig.
Ein Trauerspiel.
Auf beiden Seiten.
“Gibt es hier nichts zu essen?”, fragte er schließlich.
“Nur für die Schnellsten und Stärksten.”, erwiderte sie und richtete ihren Blick nach unten. Gern hätte er weiter den Glanz ihrer Augen betrachte. “Du wirst dir vorstellen können, dass für mich nicht viel bleibt.”
Ein Kranker kam an den Beiden vorbei, blieb vor ihnen stehen und gaffte das Mädchen sabbernd an. “Willste ficken? Hab auch ‘n bissl Brot für dich.” Hecktisch zog er einen verschimmelten Klumpen Brot aus der Hosentasche und hielt es ihr zitternd vor die Nase.
Das Mädchen zeigte ihm nur den Mittelfinger, woraufhin er achselzuckend weiterging und sein Brot selbst fraß. “Dann mach’s dir selbst, Schlampe!”, hörte der Mann ihn zum Abschied grunzen.
“Passiert so was öfters?”, fragte er.
Das Mädchen nickte betrübt. “Täglich.”, hauchte sie. “Ich habe keine Lust mehr.”, flüsterte sie danach viel leiser. Offensichtlich wollte sie nicht, dass er sie hörte. Der Mann glaubte eine Träne in ihren Augen zu sehen, war sich jedoch nicht sicher.
Dann schwiegen beide sehr lange.
Dachten nach.
Über verschiedene Dinge, die sich aber von Zeit zu Zeit glichen.
“Wie heißt du?”, fragte er das Mädchen schließlich.
Diesmal war sie es, die aufschreckte und ihn erschrocken ansah.
“Javen.”, antwortete sie. “Und du?”
“Viktor.”
“Bist du freiwillig hier, Viktor?”, fragte sie weiter und kratzte sich beiläufig am Arm, woraufhin sie an der Stelle zu bluten begann.
“Du solltest damit aufhören.”, sagte Viktor und deutete auf ihren Arm.
“Ja, ich weiß.”, antwortete das Mädchen traurig. “Glaub mir, das weiß ich.”
Viktor lächelte sie mitleidig an. “Ja, ich bin freiwillig hier.”
“Ich nicht.”, sagte Javen plötzlich und er merkte, das es ihr sehr schwer fiel, darüber zu sprechen. “Sie sagten, sie bräuchten das Geld um meinen kleinen Bruder durchzubringen…” Dann begann sie zu weinen. So bitterlich, als würde der ganze Weltenschmerz auf ihr lasten.
Und vielleicht war das die Wahrheit.
Das Mädchen tat ihm so unendlich leid, weil ihr Schicksal soviel schwerer und grausamer war als sein Eigenes. Er schämte sich für sein Selbstmitleid, das er zuweilen empfand, wo dieses arme Mädchen doch von ihrer Familie so menschenunwürdig abgeschoben wurde.
Er legte seinen Arm um sie und Javen nahm diese freundschaftliche Geste dankend an, indem sie ihren Kopf an seine Schulter lehnte.
Er selbst spürte nun ebenfalls heiße Tränen in den Augen, hielt sie jedoch wieder zurück.
Nach einiger Zeit hatte sie sich wieder einigermaßen gefangen, hob den Kopf und sah ihn mit tränenunterlaufenen Augen an.
“Als sich herkam, war ich noch gesund.”, schluchzte sie “Aber jetzt… sie mich an…”
Wieder war sie kurz vor einem Tränenausbruch, aber diesmal nahm Viktor ihre Hand und drückte sie. Das half ihr und sie sah ihn dankbar an.
“Was hast du?”, fragte Viktor sie.
“Ich weiß es nicht.”, kam flüsternd als Antwort. “Es spielt aber auch keine Rolle. Es ist vorbei.”
Viktor nickte, sagte jedoch nichts.
“Es macht alles keinen Sinn mehr.”; sprach sie mit bebender Stimme weiter. “Diese gottverdammte Welt hat all ihren Lebenswillen verloren… so wie ich.”
Plötzlich stand sie auf, mit einer eisigen Härte in ihrem Blick, die Viktor zum Frösteln brachte. Sie ging einige Schritte, bevor Viktor sie zurück rief.
“Warte!”, rief er Javen hinterher. “Wo gehst du hin?”
Sie drehte sich zu ihm um und als er sie so da stehen sah, wurde ihm zum ersten Mal klar, wie dünn dieses Mädchen wirklich war. Und es schockierte ihn zutiefst. Doch er ließ sich nichts anmerken.
“Es ist vorbei. Ich will nicht mehr warten.”, flüsterte sie. “Eigentlich bin ich schon längst tot.”
Viktor stand nun ebenfalls auf und ging zu ihr. “Was meinst du?”, fragte er und spürte wieder einen Hustenanfall in ich hochkommen. Doch der schaffte es, ihn zurückzuhalten.
Unter brennenden Schmerzen.
“Ich geh mir eine Spritze holen.”, hauchte das Mädchen nun so leise, das er sie kaum verstehen konnte. Er kam näher an sie heran. So nah, das er ihre Jugend riechen konnte, jedoch auch die Trauer und den Tot, welcher hier allgegenwärtig war.
“Sie bringt den Tot.” fuhr sie fort und strich sich dabei nervös durchs verfilzte Haar. “Ich könnte hier auch noch ein oder zwei Wochen warten, aber so geht es schneller… und schmerzfrei.”
Viktor sah das dünne Mädchen vor sich nachdenklich an.
Er dachte nach.
Aber nur kurz.
Es war eine gute Möglichkeit.
Die Einzige.
“Gehen wir.” sagte er, woraufhin Javen ihn gequält anlächelte. Es war ein ehrliches Lächeln, aber es fiel ihr schwer.
Nicht verwunderlich an diesem Ort.
Bei ihrem Schicksal.

Das Mädchen führte ihn durch stinkende Gassen, vorbei an toten Körpern, die die Bezeichnung menschlich kaum noch verdient hatten. Nach scheinbar einer Ewigkeit kamen sie an eine kleine Hütte, in der ein gelangweilter Wachmann saß. Auch er trug jenen schwarzen Anzug und auch die Gasmaske, wie sie die Wache am Eingangstor getragen hatte. Links und rechts von der Durchreiche hinter der er saß, standen zwei weitere Wachleute. Beide hielten strammstehend Maschinengewehre in den Händen.
Javen ging zielstrebig zu dem Wachmann hinter der Durchreiche und nickte ihm mit eisigem Blick zu.
“Zwei?”, fragte dieser mit gedämpfter Stimme und zeigte auf Viktor. Wieder nickte Javen nur, sprach nicht.
Viktor wusste, warum. Hätte das Mädchen gesprochen, wäre das Zittern und die Angst in ihrer Stimme nicht zu überhören gewesen. Diese Blöße wollte sie sich nicht geben.
Viktor bewunderte sie dafür.
“Eine für dich. Eine für ihn.”, stellte der Wachmann fest und verschwand für wenige Augenblicke im Dunkel der Hütte. Als er wieder kam, hielt er zwei Spritzen in der Hand, beide gefüllt mit einer grünen Flüssigkeit. Eine der Beiden war etwas größer als die Andere.
Javen ging zurück zu Viktor und sah ihn mit glasigen Augen an. Sie reichte ihm die größere der beiden Spritzen.
“Du kannst es dir noch überlegen.”, flüsterte sie. Viktor bemerkte, dass sie den Tränen sehr nahe war. “Meine Zeit ist vorbei.”
Viktor nahm die Spritze.
“Die Zeit der Menschen ist vorbei.”, antwortete er leise. “Es ist die letzte Zeit.”

Es dauerte nicht lange, da hatten sie eine leere Baracke gefunden. Sie gingen hinein und schlossen die Tür hinter sich. Das Licht des Tages wich aus der Hütte und ließ die beiden Sterbenden in einem trüben unwirklichen Licht zurück.
Sie setzten sich gegenüber auf den Boden und sahen sich an.
Er sah in ihre Augen.
Sie in die Seinen.
Wenn es so etwas wie Seelenverwandtschaft wirklich gab, dann musste es das hier sein.
“Es war schön, dich kennen gelernt zu haben, Javen.”, sagte Viktor, ohne seinen Blick von ihr anzuwenden.
Er konnte es nicht.
Javen lächelte ihn dankbar an und nickte. Kein Wort brachte sie mehr hervor. Tränen zierten ihre Augen wie Diamanten und er erkannte, wie wunderschön sie einmal gewesen war.
Selbst jetzt, gezeichnet von Krankheit und Tot, hatte sie etwas elfenhaftes an sich, das mit Worten nicht zu beschreiben war.
Sie hatte den Tod nicht verdient. Sie hatte es verdient, gesund in einer der keimfreien Kuppelstädte zu leben.
Doch sie war hier, saß ihm gegenüber und hatte den Tod als letzten Ausweg aus dem Leben gewählt.
Die Welt war schlecht geworden.
Abgrundtief böse.
Es waren schlimme Zeiten.
Die Letzten…
“Ich zähle bis drei.”, sagte er schließlich und Javen nickte.
“Eins.”
Das Mädchen wischte sich eine Träne aus den Augen.
“Zwei.”
Er tat es ihr gleich.
“Drei.”
Zwei Leben. Ein Ende.
Beide spritzten sich das Serum zur gleichen Zeit in den Unterarm. Es wirkte schnell, betäubte den Körper, die Sinne.
Bei Javen wirkte es schneller, weil sie noch so jung war. Und so dünn.
Viktor erkannte trauernd, wie die Flamme in ihren braunen Augen erlosch.
Sah schweigend zu, wie ihr Blick grau wurde.
Schließlich sank sie kraftlos auf den Boden. Mit letzter Kraft sah sie ihn an.
“Danke.”, hauchte sie. Ihr Atem ging schwer.
Es war die Stimme eines Engels. Doch auch Engel müssen sterben.
So schrecklich schwer ging ihr Atem.
Dann starb Javen.
Lächelnd…
Einem Engel gleich.
Lächelnd…
Der Tod war still.
Am Ende begann das Gift auch in ihm zu wirken.
Schmerzlos.
Schwer wurden seine Glieder.
Und schwer wurden auch seine Gedanken.
Kraftlos sank er auf den Boden, neben Javen.
Alles war wie in einem Traum.
Bunt.
Der Tod war so still.
So friedlich.
Endgültig.
Dann verließ er seinen letzten Weg.
Für immer.
Die Zeiten hatten sich geändert.
Es waren schlimme Zeiten und es waren die Letzten…

("Endgänger" ist der dritte Teil einer längeren Geschichte.
Teil 1: Wüstenballade
Teil 2: Javen
 
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Kommentare  

hallo gedanken in ketten !
...schon ganz schön wahnsinnig diese 3 endzeittexte!Sehr oft empfinde ich haargenau wie du (glaube ich),schreibe aber dann doch lieber in fetzen , so wie wir alle diese schlimmen und auch realen zeiten an uns vorrüberziehen sehen.vieleicht solltest du mal meine endzeittexte lesen (fruchtfleischer (tausendenmal wieder einmal...).würde sehr gerne deine meinung dazu hören.aber wie gesagt , deine texte haben mich echt umgehauen.
Danke und viele Grüße - duluoz


Jürgen Hellweg (15.10.2009)

Ja Fan-Tasia, du hast recht. Als ich "Endgänger" geschreiben habe, wusste ich noch nich, das ich noch mehrere Teile schreiben würde.
Die vielen Wiederholungen hab ich deshalb eingebaut, damit die einzelnen Teile in sich abgeschlossen und so auch einzeln zu verstehen sind.
Ich hab auch schon einen weiteren Teil geschrieben, der "Die lange Suche" heißt. Ich werd ihn noch mal bissl überarbeiten und dann reinstellen. Allerdings ist dieser "vierte" Teil nicht an die anderen Teile gebunden und kann von der zeitlichen Abfolge vollkommen wahllos gelesen werden.
LG


gedanke.in.ketten (12.07.2009)

So jetzt habe ich alle drei Teile zusammenhängend gelesen und ich muß sagen ich find sie sehr gut und spannend geschrieben Ich hätte mir am Ende auch einen anderen Schluß gewünscht, aber die Hoffnungslosigkeit wenigstens ist sehr schön dargestellt. War wirklich mal eine gute Idee und vor allem wer schon mal in der Wüste war, der kann sich den "Weg" immer sehr genau vorstellen, schön schaurig.

Ach ja ich muß nochmals was sagen wegen der drei Teile. Erstmal find ich es erstaunlich, daß Du mit dem Teil 1 am Ende erst anfängst und vor allem wußtest Du noch nicht, daß es drei Teile geben soll oder? Manchmal ist dann vielleicht deshalb eine oder mehrere Wiederholungen drin, die gar nicht mehr genannt werden müßten.

Du mußt in jedem einzelnen Teil einen Verweis auf jeweils alle Teile machen, die es dazu gibt und wie sie denn in welcher Reihenfolge zu lesen sind. Das weiß man ja sonst nicht.


Fan-Tasia (12.07.2009)

Sehr gute Kurzgeschichte. Fesselnd und sehr traurig.

doska (18.02.2009)

gefällt mir auch sehr gut.
ein paar kleine flüchtigkeitsfehler.
das wort kraftlos, verwendest du in einem abschnitt der geschichte des öfteren, woraus eine unschöne wortwiederholung entsteht, da findest du sicherlich noch andere worte dafür.
ansonsten- gerne gelesen

gernot


Gernot Jennerwein (19.12.2008)

hat mir gut gefallen, die stimmung kommt rüber und die hoffnungslosigkeit. nur ein paar typos verbessern. GRÜN ;0)
LG Dublin


Pia Dublin (17.12.2008)

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